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Rechtsmissbrauch bei Abmahnung und Unterlassungsanspruch

Rechtsmissbrauch - die rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs in Abmahnung und Prozess




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
-   Beweislast

Rechtsmissbrauch und ...

-   Gerichtsstandswahl
-   Koordiniertes Abmahnverhalten mehrerer Firmen
-   Kündigung
-   Markenrecht
-   Mehrfachabmahnungen
-   Menge der Abmahnungen / Massenabmahnung
-   Missverhältnis: Geschäftstätigkeit / Abmahnungen
-   Prozessfinanzierer
-   Streitwert
-   Testkauf
-   Urheberschutzverletzung
-   Verfahrensaufspaltung
-   Vertragsstrafe
-   Gegenabmahnung als Retourkutsche
-   Vorgehen gegen gesetzliche Widerrufsbelehrung
-   Schubladenverfügung



Einleitung:


Deutschland ist - soweit ersichtlich - das einzige Land, in dem der Abgemahnte die Rechtsanwaltsgebühren des Abmahnenden für die Formulierung der Abmahnung und der sog. Unterlassungserklärung zu tragen hat. Aus diesem Grund hat sich in Deutschland eine regelrechte Abmahnungsindustrie entwickelt. Anwälte suchen sich konkurrierende Mandanten und mahnen Wettbewerber bei kleinsten Verstößen kostenpflichtig ab. Vielfach teilen sie sich die Gebühren mit ihren Mandanten, die nur ihren Namen für die Vollmacht hergeben. Einige Anwälte werben sogar auf Auktionsplattformen wie eBay um Mandanten mit dem Versprechen von sog. kostenneutralen Abmahnungen (was bedeutet, dass sie im Falle des Unterliegens dem Scheinmandanten keine Gebühren in Rechnung stellen).




§ 8 Abs. 4 UWG legt ausdrücklich fest:

   (4) Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.

Ganz allmählich erkennen verschiedene Gerichte diese Machenschaften als rechtsmissbräuchlich und verweigern derartigen Geschäftemachern die Auferlegung der Verfahrenskosten auf den Abgemahnten; auch wird versucht, durch Festsetzung äußerst niedriger Streitwerte die gewerbliche Abmahntätigkeit wirtschaftlich uninteressant zu machen (so hat z. B. auch der Gesetzgeber die Abmahngebühren im Zuge der Urheberrechtsnovellierung in einigen Fällen gedeckelt - allerdings leider nur für das Urheberrecht, nicht für das Wettbewerbsrecht).

Die Rechtsmissbräuchlichkeit eines Unterlassungsverlangens ist von Amts wegen entsprechend den Grundsätzen des Freibeweisverfahrens an Hand möglichst objektiver Kriterien zu prüfen.

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Weiterführende Links:


Rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten von Rechtsanwälten

Stichwörter zum Thema Abmahnung

Abmahnung allgemein

Einstweilige Verfügung

Zuständigkeit

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Allgemeines:


BGH v. 10.12.1998:
Ist ein Unterlassungsantrag auf jeden Fall unbegründet, muss die Unzulässigkeit der Klage unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs nicht mehr geprüft werden. Der Gesetzeszweck des § 13 Abs. 5 UWG, Betroffene und Gerichte vor der Belastung durch missbräuchlich geltend gemachte Unterlassungsansprüche zu schützen, würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch dann - gegebenenfalls unter aufwendiger Erhebung von Beweisen - geprüft werden müssten, wenn bereits eine Rechtsprüfung ergibt, dass die Klage als unbegründet abzuweisen ist (Vorratslücken).

BGH v. 06.04.2000:
Nutzt der Gläubiger eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs die Möglichkeiten nicht, die Kosten der Rechtsverfolgung durch Streitgenossenschaften auf der Aktiv- oder Passivseite niedrig zu halten oder erhebt er Hauptsacheklage, ohne abzuwarten, ob die inhaltsgleiche Verfügung als endgültige Regelung anerkannt wird, deutet dies auf eine missbräuchliche Geltendmachung des Anspruchs hin.

OLG Hamburg v. 24.08.2000:
Die Befugnis eines Wettbewerbers zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung wegen eines angeblich wettbewerbswidrigen Handelns durch Verstoß gegen das Rabattgesetz fällt weg, wenn er mit der Antragstellung nicht die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, sondern rechtsmissbräuchliche Ziele bezweckt. - Rechtsmissbräuchlich ist die Nutzung der Klagebefugnis aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes stets dann, wenn der Wettbewerber mit der einstweiligen Verfügung eine Geldleistung erreichen will, die einen möglicherweise bestehenden Schadensersatzanspruch deutlich übersteigt.

BGH v. 05.10.2000:
Es ist nicht Sinn des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, den Gewerbetreibenden die Möglichkeit zu geben, unabhängig von jedem vernünftigen wirtschaftlichen Interesse ihres Unternehmens als selbsternannte Wettbewerbshüter Wettbewerbsverstöße jeglicher Art zu verfolgen. Wenn ein Rechtsanwalt, der sich andernorts geringfügig mit Immobilien beschäftigt, in einem Jahr 150 und im darauffolgenden Jahr 95 Abmahnungen auf dem Immobiliensektor ausspricht, handelt er nur im Gebühreninteresse und damit rechtsmissbräuchlich (Vielfachabmahner).

BGH v. 20.12.2001:
Der Einwand des Rechtsmissbrauchs betrifft die Zulässigkeit der Unterlassungsklage (BGH, Urt. v. 10.12.1998 - I ZR 141/96, GRUR 1999, 509 = WRP 1999, 421 - Vorratslücken). Seine Voraussetzungen sind daher auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Der Tatbestand des § 13 Abs. 5 UWG bezieht sich nicht nur auf den Missbrauch durch die gerichtliche, sondern auch auf den Missbrauch durch die außergerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs. Ist bereits die außergerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs rechtsmissbräuchlich, kann der fragliche Anspruch auch gerichtlich nicht mehr geltend gemacht werden (Scanner-Werbung).

OLG Stuttgart v. 17.10.2002:
Ein Wettbewerber missbraucht seine Klagebefugnis im Sinne von § 13 Abs.5 UWG, wenn die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche nicht der Verhinderung eigener wirtschaftlicher Nachteile sondern vorwiegend der Erzielung von Einkünften aus der Abmahntätigkeit dient. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn der Umfang der Abmahntätigkeit in keinem Verhältnis zu den Einkünften aus der gewerblichen Tätigkeit steht und diese durch das beanstandete Verhalten nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird.

BGH v. 17.11.2005:
Die gegen eine gemeinschaftliche Werbeanzeige gerichtete Rechtsverfolgung in jeweils getrennten Verfügungsverfahren gegen drei Unterlassungsschuldner, die einen einheitlichen Gerichtsstand haben und durch denselben Rechtsanwalt vertreten werden, kann wegen der höheren Kostenbelastung gegenüber einer streitgenössischen Inanspruchnahme auf der Beklagtenseite rechtsmissbräuchlich sein. Dass die zusätzliche Kostenbelastung wegen der Größe und finanziellen Leistungsfähigkeit des Konzernverbunds, dem die Beklagten angehören, nicht geeignet ist, diese im Wettbewerb zu behindern, schließt die missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch den Kläger nicht aus (MEGA SALE).

OLG Frankfurt am Main v. 14.12.2006:
Die Geltendmachung von Wettbewerbsverstößen durch Mitbewerber ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Anwalt den Mandanten von dem Kostenrisiko vollständig oder zum großen Teil freistellt und der Abmahner sich lediglich dafür hergibt, seinem Anwalt eine Gebühreneinnahmequelle zu verschaffen.

LG Paderborn v. 03.04.2007:
Eine auf Verletzung von Informationspflichten im Internethandel gestützte lauterkeitsrechtliche Abmahnung ist rechtsmissbräuchlich, wenn der Abmahnende augenscheinlich massenhaft Abmahnungen versendet und der Verdacht nahe liegt, er wolle nicht sein Gewerbe vor unlauterem Wettbewerb schützen, sondern von den Abmahnungen selbst profitieren.




LG Hildesheim v. 09.05.2007:
Wer für einfach gelagerte, regelmäßig unstreitige Wettbewerbsverstöße bei einer nicht schwierigen rechtlichen Problematik mehrere Anwaltkanzleien einschaltet und bundesweit gegen den Mitbewerber vorgeht, handelt mangels eines nennenswerten wirtschaftlichen oder wettbewerbspolitischen Interesses rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG. Das Argument, die Beauftragung mehrerer Anwaltskanzleien diene der Qualitätsverbesserung der juristischen Vertretung, greift nicht durch, da die Kanzleien dann nicht parallel, sondern nacheinander eingeschaltet werden müssten.

OLG Düsseldorf v. 05.06.2007:
Zum Rechtsmissbrauch, zur marktverhaltensregelnden Funktion von BGB-Bestimmungen über rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse und zum niedrigen Streitwert von wettbewerblichen Unterlassungsansprüchen beim Vorhandensein vieler Konkurrenten

LG Bielefeld v. 05.11.2008:
Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs durch einen anderen Shop-Betreiber ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn das Interesse, Gebühren zu erzielen, das die Verfahrenseinleitung beherrschende Motiv bildet. Davon ist auszugehen, wenn ein hoher Gegenstandswert zugrunde gelegt wird und die geltend gemachten Abmahngebühren mehr als dreimal so hoch sind wie der Umsatz des Abmahnenden.

OLG Hamm v. 24.03.2009:
Nach § 8 Abs. 4 UWG liegt ein Fall des Rechtsmissbrauchs vor, wenn unter Berücksichtigung der gesamten Umstände die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs vorwiegend dazu dient, gegen den zuwider Handelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Geringe eigene Umsätze, sich nur wenig überschneidende Geschäftsfelder sowie Mehrfachabmahnungen nach einem einheitlichen Muster sind Indizien für Rechtsmissbrauch.

LG Berlin v. 30.04.2009:
Ein Missbrauch im Sinne von § 8 IV UWG liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruches überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Das ist auch der Fall, wenn nach außen nach dem RVG, intern aber auf Basis einer Gebührenvereinbarung mit dem Anwalt niedriger abgerechnet wird, auch wenn der Mandant vom Verhalten des Anwalts nichts weiß.

OLG Hamm v. 19.05.2009:
Die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden und die klageweise Anspruchsverfolgung dienen dem Interesse der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und belegen deshalb, auch bei umfangreichen Tätigkeiten, insoweit für sich allein noch nicht hinreichend einen Missbrauch. Es müssen weitere Umstände hinzutreten, so insbesondere eine Rechtsverfolgung primär im Gebühreninteresse, eine Behinderungs- oder Schädigungsabsicht gegenüber dem Verletzer, ungerechtfertigte Mehrfachabmahnungen, eine selektive Schuldnerauswahl oder auch eine fremdbestimmte Rechtsverfolgung lediglich im Interesse eines Dritten.

OLG Brandenburg v. 29.06.2009:
Macht ein Mehrfachabmahner den Unterlassungsanspruch bei einem weit von seinem und dem Wohnort des Abgemahnten entfernten Gericht anhängig und will er seine Mitwettbewerberstellung lediglich durch ein einen Tag vor der mündlichen Verhandlung bei eBay eingestelltes Angebot beweisen, dann indizieren diese Vorgehenweisen die Rechtsmissbräuchlichkeit des geltend gemachten Anspruchs und führen dazu, dem Abmahner die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

OLG Celle v. 30.07.2009:
Zu den verschiedenen Indizien für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs.

OLG Hamm v. 22.09.2009:
Zwar ist § 8 Abs. 4 UWG als Norm zum Ausschluss missbräuchlicher Abmahnungen und Klagen im Urheberrecht weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Die Klagebefugnis des verletzten Urhebers ergibt sich anders als im Wettbewerbsrecht aus einem subjektiven Ausschließlichkeitsrecht. Das schließt aber nicht aus, auch insoweit den Einwand einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung der Klagebefugnis desjenigen, der sich urheberrechtlicher Rechte und Ansprüche berühmt, zuzulassen. Ein außergerichtliches Vorgehen ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn bei einer urheberrechtlichen Abmahnung ein Gebührenerzielungsinteresse oder ein Kostenbelastungsinteresse im Vordergrund steht.

LG Bochum v. 05.05.2010:
Ein Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG liegt vor, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Antragsteller kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt. Hierbei ist eine Gesamtabwägung erforderlich, insbesondere reicht eine Vielzahl von Abmahnungen allein nicht aus.

OLG Hamm v. 29.06.2010:
Von Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung ist auszugehen, wenn im Falle von Mehrfachabmahnungen wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrung im Internet-Handel der Text der Abmahnung den Eindruck erweckt, dass zur Vermeidung einer Unterlassungsklage auch die Anwaltskosten innerhalb der für die Abgabe der Unterlassungserklärung gesetzten Frist zu bezahlen seien, und in der beigefügten Unterlassungserklärung ein Vertragsstrafenversprechen in beträchtlicher Höhe für jeden Fall des Zuwiderhandelns auch bei fehlendem Verschulden enthalten ist, und die Unterlassungserklärung darüber hinaus so weit gefasst ist, dass unter die Unterlassungsverpflichtung auch gänzlich andere Verstöße als die abgemahnten fallen können.

OLG Hamburg v. 07.07.2010:
Bei der Durchsetzung von Wettbewerbsansprüchen geht es, selbst bei denen von unmittelbar Verletzten, nicht nur um die Durchsetzung von Individualansprüchen, sondern auch um die Reinhaltung des Wettbewerbs im Interesse der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit gerade wenn es um Irreführungsfälle geht. Mit dieser Interessenwahrnehmung verträgt es sich in keiner Weise, wenn ein Mitbewerber seine Klagebefugnis nicht zur Unterbindung von Wettbewerbsverbstößen benutzt, sondern sie unter Hinnahme weiterer Verstöße in Geld umzusetzen versucht und damit missbraucht. - Ein derartiger Missbrauch im Vorfeld der Einleitung eines Unterlassungsverfahrens schlägt auf den nachfolgenden Prozess durch; durch.




LG Paderborn v. 22.07.2010:
Nach der Rechtsprechung ist von einem Missbrauch i.S.d. § 8 Abs. 4 UWG auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Diese müssen zwar nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein, aber eindeutig überwiegen. Als typischen Beispielsfall eines sachfremden Motivs nennt das Gesetz ausdrücklich das Gebührenerzielungsinteresse. Gleichermaßen sachwidrig ist es, wenn zusätzlich mit dem Entstehenlassen hoher Gebühren wegen eines zwar eindeutigen, aber eher geringfügigen Wettbewerbsverstoßes die Absicht verfolgt wird, einen, zumal kleinen Mitbewerber vom Markt zu drängen.

LG Hamburg v. 06.01.2011:
Ein Missbrauch ist dann anzunehmen, wenn die Abmahntätigkeit sich verselbstständigt, d.h. in keinem vernünftigen Verhältnis zur eigentlichen Geschäftstätigkeit steht und bei objektiver Betrachtung an der Verfolgung bestimmter Wettbewerbsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse außer dem Gebührenerzielungsinteresse bestehen kann. Die Beurteilung, ob ein solcher Missbrauch vorliegt, ist im Wege einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, einschließlich des Prozessverhaltens vorzunehmen. Zentrales Kriterium ist hierbei allerdings die Frage, ob ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gegeben ist.

BGH v. 15.12.2011:
Schlägt der Abmahnende dem wegen eines Wettbewerbsverstoßes Abgemahnten in einer vorformulierten Unterlassungsverpflichtungserklärung für jeden Fall der Zuwiderhandlung das Versprechen einer Vertragsstrafe vor, die unabhängig von einem Verschulden verwirkt sein soll, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs missbräuchlich und nach § 8 Abs. 4 UWG unzulässig ist. Die Abmahnung wegen eines Wettbewerbsverstoßes ist nicht allein deshalb missbräuchlich und nach § 8 Abs. 4 UWG unzulässig, weil eine frühere Abmahnung wegen eines gleichartigen Wettbewerbsverstoßes missbräuchlich und nach § 8 Abs. 4 UWG unzulässig war und sich die spätere Abmahnung ausdrücklich auf die frühere Abmahnung bezieht (Bauheizgerät).

OLG Hamm v. 19.11.2013:
Ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG setzt voraus, dass das beherrschende Motiv des Mitbewerbers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Als typischen Beispielsfall des sachfremden Motivs umschreibt das Gesetz das Gebührenerzielungsinteresse. Damit wird die Art der unzulässigen Geltendmachung eines solchen Anspruchs näher charakterisiert, aber der Weg zu anderen Missbrauchsformen durch die Rechtsverfolgung offen gelassen. Das beschriebene Vorgehen selbst oder jedenfalls die Art des Vorgehens muss rechtsmissbräuchlich sein. Der Anspruchsberechtigte muss mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen verfolgen und diese müssen unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen.

BGH v. 03.03.2016:
Die Prüfung, ob die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Rechtsmissbrauchs nach § 8 Abs. 4 UWG unzulässig ist, hat unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu erfolgen. In diese Beurteilung sind nach der vorgerichtlichen Abmahnung auftretende Umstände auch dann einzubeziehen, wenn ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Zeitpunkt der Abmahnung nicht festzustellen ist. - Die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (BGBl. I 2015, S. 2158) in § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG eingefügte Relevanzklausel trägt dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken Rechnung und beinhaltet gegenüber der bisherigen Rechtslage im Hinblick darauf, dass schon bisher im Rahmen des § 3 Abs. 1 UWG aF die Spürbarkeit der Interessenbeeinträchtigung zu prüfen war, keine inhaltliche Änderung (Herstellerpreisempfehlung bei Amazon).

OLG Celle v. 08.12.2016:
Zur Gesamtabwägung einer Vielzahl von Indizien und Umständen bei der Prüfung, ob eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruches vorliegt (hier: Abmahnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Briefkästen).

BGH v. 26.04.2018:
Eine missbräuchliche Rechtsverfolgung im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG liegt grundsätzlich vor, wenn mit einer Vielzahl von Abmahnungen ein im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden existenzbedrohender Verfolgungsaufwand verbunden ist, und für ihn an der Rechtsverfolgung kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse besteht.

OLG Frankfurt am Main v. 22.02.2019:
Die Stellung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann nicht allein deshalb als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, weil mit dem Eilantrag zwar die Antwort des Antragsgegners auf die vorprozessuale Abmahnung vorgelegt, ein weiterer telefonischer Kontakt zwischen den Parteien jedoch nicht mitgeteilt worden ist.

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Beweislast:


LG München v. 29.08.2006:
Beweisrechtlich gelten bei der Prüfung der Missbräuchlichkeit im Sinne von § 8 IV UWG, die von Amts wegen zu überprüfen ist, die Grundsätze des Freibeweises. Hierbei ist allein auf objektive Kriterien abzustellen.

OLG Brandenburg v. 22.09.2009:
Angesichts des Verhältnisses zwischen dem Umfang der Prozessaktivität und dem Umfang des eigentlichen Geschäfts einer Vielabmahnerin spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Verfügungsklägerin mit der Verfolgung von Unterlassungsansprüchen nach dem UWG nicht um die Verfolgung sie wirklich in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigenden unlauteren Verhaltens geht, sondern um die Generierung von Ansprüchen auf Ersatz von Abmahnkosten und Anwaltsgebühren. Die Vermutung muss von einer Vielabmahnerin widerlegt werden.

OLG Düsseldorf v. 24.03.2015:
Grundsätzlich trägt der Beklagte die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für die Voraussetzungen eines Missbrauch im Wettbewerbsrecht. - Trägt der Beklagte jedoch in ausreichendem Umfang Indizien vor, die für eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sprechen, obliegt es dem Kläger, diese Umstände - mit den Mitteln der Glaubhaftmachung - zu widerlegen.

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Rechtsmissbrauch durch Anwalt:


Rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten von Rechtsanwälten

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Rechtsmissbrauch durch Gerichtsstandswahl:


Zum Rechtsmissbrauch durch Ausnutzung des sog. fliegenden Gerichtsstands

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Rechtsmissbrauch durch koordiniertes Abmahnverhalten mehrerer Firmen:


LG Hamburg v. 19.01.2010:
Es ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn eine Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes auf einem abgestimmten Vorgehen der Unterlassungsgläubiger beruht und wenn - ohne dass hierfür ein vernünftiger Grund ersichtlich wäre - die Vervielfachung des mit der Rechtsverteidigung verbundenen Kostenrisikos sowie die Bindung personeller und finanzieller Kräfte eine unangemessene Belastung des Anspruchsgegners zur Folge hat. Hiervon kann jedoch dann nicht ausgegangen werden, wenn unterschiedliche Gläubiger, die im selben Verband organisiert sind, verschiedene Verstöße gegen die Buchpreisbindung verfolgen.

LG Hamburg v. 22.01.2009:
Ein Abmahnverhalten, welches auf dem abgestimmten Verhalten dreier personell miteinander verbundener Firmen beruht, ist rechtsmissbräuchlich. Von der Unangemessenheit der mehrfachen Inanspruchnahme ist zudem auch dann auszugehen, wenn das beanstandete Werbeverhalten eine vergleichsweise geringe Eingriffsintensität aufweist.

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Rechtsmissbrauch und Kündigung:


KG Berlin v. 09.12.2016:
Die außerordentliche Kündigung eines Unterlassungsverpflichtungsvertrags kann begründet sein, wenn dem Zustandekommen des Vertrages ein missbräuchliches Verhalten des Unterlassungsgläubigers zugrunde gelegen hat. - Der Geltendmachung einer Vertragsstrafe aus einem durch Missbrauch zustande gekommenen Unterwerfungsvertrag kann schon vor dessen Kündigung der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen gehalten werden (Anschluss an OLG München WRP 1992, 270 und OLG Hamm, GRUR-RR 2011, 196; offen gelassen in BGH GRUR 2012, 730 - Bauheizgerät, Tz 38 und GRUR 2012, 949 - Missbräuchliche Vertragsstrafe).

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Rechtsmissbrauch und Markenrecht:


Markenrecht für Onlinehändler

BGH v. 23.11.2000:
Die Berufung auf ältere Rechte an einer eingetragenen Marke ist rechtsmissbräuchlich, wenn der Markeninhaber

  (1)  eine Vielzahl von Marken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet,

  (2)  hinsichtlich der in Rede stehenden Marken keinen ernsthaften Benutzungswillen hat – vor allem zur Benutzung in einem eigenen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts – und

  (3)  die Marken im wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen.

LG Düsseldorf v. 24.02.2010:
Es ist von einer bösgläubigen Markenanmeldung auszugehen, wenn der Markeninhaber die Markenstellung zur Erzwingung sachfremder Vorteile erworben hat, weil von vorneherein die Benutzung der Marke nicht zu eigenen Zwecken oder für Lizenzvereinbarungen angestrebt, sondern zu Spekulationszwecken erworben wurde, um Dritte an der Benutzung der Marke zu hindern. Dies kann gegeben sein, wenn eine Vielzahl von Marken für eine große Bandbreite an Waren und Dienstleistungen angemeldet werden, kein Benutzungskonzept vorhanden ist und die Marken im Wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen.

BGH v. 23.10.2019:
Den Grundsätzen von Treu und Glauben kann es widersprechen, wenn der Inhaber eines Kennzeichenrechts sich bei der Geltendmachung von Vertragsstrafenansprüchen auf eine nur formale Rechtsstellung beruft. Von einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ist auszugehen, wenn ein Markeninhaber

  (1)  eine Vielzahl von Marken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet,

  (2)  hinsichtlich der in Rede stehenden Marken keinen ernsthaften Benutzungswillen hat - vor allem zur Benutzung in einem eigenen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts - und

  (3)  die Marken im Wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen

(Fortführung von BGH, Urteil vom 23. November 2000 - I ZR 93/98, GRUR 2001, 242, 244 - Classe E).

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Rechtsmissbrauch durch Mehrfachabmahnungen:


BGH v. 06.04.2000:
Gehen mehrere konzernmäßig verbundene Gläubiger, die ihre wettbewerbsrechtlichen Ansprüche gegen bestimmte bundesweit tätige Wettbewerber durch einen - ihre Vorgehen koordinierenden - Rechtsanwalt geltend machen, wegen ein und desselben Verstoßes in der Weise vor, daß sie gegen den Wettbewerber jeweils am eigenen Sitz als Begehungsort einstweilige Verfügungen beantragen und/oder Klagen erheben (hier: 14 Verfügungs- und 14 Klageverfahren), deutet dies auf eine mißbräuchliche Geltendmachung der Unterlassungsansprüche hin. Ihnen ist zuzumuten, daß sie entweder am Sitz des Wettbewerbers gemeinsam klagen oder daß sie ihr Vorgehen in der Weise konzentrieren, daß nur eine Partei - sei es einer der Gläubiger, sei es die hierzu ermächtigte Holdinggesellschaft oder sei es ein ihre Interessen wahrnehmender Verband - den Unterlassungsanspruch gerichtlich durchsetzt.

BGH v. 17.01.2002:
Gehen mehrere durch denselben Rechtsanwalt vertretene Konzernunternehmen wegen eines Wettbewerbsverstoßes in der Weise vor, dass sie den Beklagten gleichzeitig in jeweils getrennten Anwaltsschreiben abmahnen, kann darin eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs liegen, wenn keine vernünftigen Gründe für dieses Vorgehen ersichtlich sind. Den Konzernunternehmen ist es in einem solchen Fall zuzumuten, ihr Vorgehen in der Weise zu koordinieren, dass die Abmahnung entweder nur von einem Konzernunternehmen oder gemeinsam ausgesprochen wird.

BGH v. 22.04.2009:
Die Maßstäbe für die missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen aus sachfremden, nicht schutzwürdigen Gründen nach § 8 Abs. 4 UWG wegen Mehrfachverfolgung eines einheitlichen Wettbewerbsverstoßes sind auf die Verfolgung gleichartiger oder ähnlich gelagerter Wettbewerbsverstöße zwischen denselben Parteien übertragbar.

LG Bochum v. 21.04.2010:
Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ist rechtsmissbräuchlich, wenn mit der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung allein oder ganz überwiegend sachfremde Ziele, wie. z. B. ein Gebührenerzielungsinteresse, verfolgt werden. Dementsprechend ist die Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes missbräuchlich, wenn die Möglichkeit einer den Gegner weniger belastenden Verfahrenskonzentration besteht - hier Abmahnung gegen GmbH und Geschäftsführer.

BGH v. 19.07.2012:
Die Stellung mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge, die sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen beziehen und ohne inhaltliche Erweiterung des begehrten Verbotsumfangs zu einer Vervielfachung des Streitwerts führen, kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein. Hat der Gläubiger den Schuldner bereits auf die Möglichkeit der Streitbeilegung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hingewiesen, ist eine zweite Abmahnung wegen desselben oder eines kerngleichen Wettbewerbsverstoßes nicht im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG berechtigt.

Frankfurt am Main v. 01.12.2015:
Werden gleichlautende wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche durch mehrere Unterlassungsgläubiger parallel durch denselben Rechtsanwalt geltend gemacht, kann dies den Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Mehrfachverfolgung grundsätzlich nur dann begründen, wenn diese Unternehmen konzernmäßig oder in anderer Weise derart miteinander verbunden sind, dass sie die Verfolgung der Ansprüche durch nur eines dieser Unternehmen zuverlässig untereinander abstimmen können. Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Anwalt "sämtliche Fäden in der Hand hat", d.h. die Mehrfachabmahnung aus eigener Initiative und in alleiniger Verantwortung losgelöst vom Willen der einzelnen Gläubiger koordiniert.

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Menge der Abmahnungen / Massenabmahnung:


LG München v. 29.08.2006:
Indizien für das Vorliegen einer missbräuchlichen Geltendmachung können die Art der Rechtsverfolgung in der Vergangenheit sowie - vor allem - der Umfang der Abmahn- und Prozesstätigkeit und das systematische Durchforsten von Anzeigen bzw. Internetauftritten nach Wettbewerbsverstößen sein.

OLG München v. 12.12.2006:
Daraus allein, dass ein konkreter Mitbewerber gegen diverse, wenn auch gleich gelagerte Wettbewerbsverstöße verschiedener Antragsgegner vorgeht, kann ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG nicht gefolgert werden.

OLG Naumburg v. 13.07.2007:
Das Indiz "Vielzahl der Abmahnungen" allein ist nicht geeignet, um den Missbrauchstatbestand in einer umfassenden Abwägung zu begründen. Nach §§ 3, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG kann jeder Mitbewerber andere Mitbewerber bei einer Zuwiderhandlung auf Beseitigung und gegebenenfalls auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Eine zahlenmäßige Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor. Daraus folgt, dass ein Wettbewerber auch eine Vielzahl von Mitbewerbern belangen kann, wenn sich eben eine Vielzahl von Mitbewerbern wettbewerbswidrig verhält.

LG Berlin v. 28.10.2008:
Die Einleitung von 19 Wettbewerbsverfahren, davon 18 Anträge auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung, die dem Antragsteller eine Kostenlast von über 13.000,00 € verursachen, ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn er als eBay-Händler im gleichen Zeitraum lediglich einen Umsatz von 1.000,00 € erzielt hat.

OLG Hamm v. 03.05.2011:
Es kann je nach den Umständen des Einzelfalls rechtsmissbräuchlich sein, wenn sechs verschiedene zuvor abgemahnte Mitbewerber, die ein Anwalt gesammelt hat, mit im Wesentlichen wortgleichen Abmahnungen wegen desselben Wettbewerbsverstoßes gegen den gleichen Abmahnenden vorgehen. Dabei ist jedem der zuvor Abgemahnten die Kenntnis des Anwalts von der mehrfachen Abmahnung und den besonderen Umständen analog § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen, weil dieser insoweit Wissensvertreter des jeweiligen Mandanten ist.

KG Berlin v. 22.07.2011:
Ein auf Irreführung gestützter wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsantrag wegen der Angabe einer vermeintlich unrealistisch niedrigen monatlichen Rate in einer Immobilienwerbung ist gemäß § 8 Abs. 4 UWG unzulässig, wenn der Antragsteller bei nur geringfügiger eigener geschäftlicher Tätigkeit seit vielen Jahren (gerichtsbekannt) massenhaft in einer Weise kostenpflichtig abmahnt, dass dies - wie auch schon in früheren Fällen - auf ein Vorgehen vornehmlich zum Zweck der Gewinnerzielung schließen lässt (aktuell: in 19 Tagen etwa 120 Abmahnungen von Verstößen der genannten Art mit abverlangter "Abmahnpauschale" in Höhe von je 150 € zuzüglich Mehrwertsteuer).

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Missverhältnis: Geschäftstätigkeit / Abmahnungen:


OLG Düsseldorf v. 15.04.2008::
Die Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung ist nicht missbräuchlich, wenn die Verfolgung entsprechender Rechtsverstöße nicht in einem auffälligen Missverhältnis zum Umfang des Geschäftsbetriebs des Antragstellers steht und keine Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Zusammenwirken mit dem Prozessbevollmächtigten vorliegen.

LG Berlin v. 16.04.2008:
Allein die Anzahl der Abmahnungen rechtfertigt einen Rechtsmissbrauchsvorwurf nicht, denn grundsätzlich steht es jedem Unternehmen offen, eine Vielzahl von Mitbewerbern abzumahnen, um den Wettbewerb auf diese Weise lauter zu halten. Vielmehr muss hinzukommen, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahners steht, nämlich einerseits was den Umfang der für die Abmahnungen aufgewendeten Tätigkeit - inklusive Kosten - anbetrifft, andererseits was den Anteil an erwirtschafteten Einnahmen betrifft. Die Grenze zum Rechtsmissbrauch ist dann überschritten, wenn der Umfang und die Kosten der Abmahntätigkeit bzw. die hieraus erzielten Einnahmen (Abmahnkosten und Vertragsstrafen) außer Verhältnis zur übrigen Geschäftstätigkeit des Unternehmens stehen.

LG Hamburg v. 19.01.2009:
Besteht ein deutliches Missverhältnis zwischen dem bekannten Abmahngebahren eines Wettbewerbers und/oder der Anzahl der von diesem gerichtlich anhängig gemachten Verfahren und dem Umfang seiner eigentlichen gewerblichen Tätigkeit, so widerspricht das in Kauf genommene Kostenrisiko wegen der Durchsetzung von Ansprüchen, deren wirtschaftlicher Wert für den Wettbewerber schwer messbar, aber wegen des beschränkten Umfanges seiner gewerblichen Tätigkeit nur gering anzusetzen ist, jeder wirtschaftlichen Vernunft und lässt sich nur damit begründen, dass es dem Wettbewerber in Wahrheit darauf ankommt, in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebührenerstattungsansprüche in hohem Umfang zu begründen.

LG Stade v. 23.04.2009:
Das Vorliegen eines Missbrauchs ist von Amts wegen zu prüfen, weil es um eine Prozessvoraussetzung geht. Grundsätzlich ist zwar bei Abmahnung von im Internet tätigen Unternehmen wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrung Zurückhaltung mit der Annahme eines Missbrauchsfalles am Platze. Steht der Umfang der Abmahntätigkeit aber in keinem angemessenen und vernünftigen Verhältnis zum betrieblichen Nutzen für den Abmahnenden und sind sein beherrschendes Motiv bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruches sachfremde, für sich gesehen nicht schutzfähige Interessen und Ziele, dann liegt Rechtsmissbrauch vor.

OLG Hamm v. 28. 04.2009:
Von einem Missbrauch des Abmahnungsrechts im Sinne von § 8 IV UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele des Handelns eindeutig überwiegen. Als typischen Beispielsfall eines solchen sachfremden Motivs nennt das Gesetz das Gebührenerzielungsinteresse.

OLG Hamm v. 26.05.2009:
Von einem Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Als typischen Beispielsfall eines solchen sachfremden Motivs nennt das Gesetz das Gebührenerzielungsinteresse. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt. Ob die Anspruchsverfolgung vorwiegend von sachfremden Erwägungen bestimmt ist, muss im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände bestimmt werden.

LG Dortmund v. 06.08.2009:
Stehen einem Geschäftsumsatz von ca. 73.000,00 Rechtsanwaltsgebühren-Einnahmen von ca. 60.000,00 € gegenüber, ergibt sich hieraus, dass bei dem abmahnenden Tätigwerden ein Gewinn- bzw. Gebührenerzielungsinteresse hinsichtlich der Abmahnkosten im Vordergrund steht. Die Abmahntätigkeit ist dann als rechtsmissbräuchlich einzustufen.

OLG Hamm v. 12.11.2009:
Wer sich durch Konzentration auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung und durch die Verwendung immer wiederkehrender Textbausteine auf die Abmahnung bestimmter Verstöße in einem gewissen Sinne spezialisiert und dabei das Internet auf Verstoße durchforstet und sodann zahlreiche Wettbewerber abmahnt, macht damit deutlich, dass es ihm insgesamt eher nicht um die Wahrung des lauteren Wettbewerbs, sondern um die Generierung von Kosteneinnahmen geht; eine derartige Tätigkeit erweckt den Anschein des Rechtsmissbrauchs, so dass dem Abmahnenden der Beweis redlichen Handelns obliegt.

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Rechtsmissbrauch durch Prozessfinanzierung:


KG Berlin v. 03.08.2010:
Die Geltendmachung einer Vielzahl wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche ist bei Einsatz eines Prozessfinanzierers regelmäßig missbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG, wenn dem Kläger jegliches Kosten- und Verlustrisiko abgenommen wird, der Kläger jedenfalls aus späteren Vertragsstrafen finanziellem Gewinn erzielen soll, der Prozessfinanzierer und der von ihm vermittelte Rechtsanwalt eng und fortlaufend geschäftlich zusammenarbeiten und der Kläger diese maßgeblichen Umstände kennt.

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Rechtsmissbrauch Streitwert:


OLG Jena v. 23.04.2008:
Allein die Anzahl der vorgenommenen Abmahnungen genügt noch nicht für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Bei einer Gesamtbetrachtung ist das Indiz der Geltendmachung von Abmahngebühren aus einem überhöhten Streitwert für die Annahme von Rechtsmissbräuchlichkeit nicht ausreichend, weil es für sich allein noch nicht deutlich genug zum Ausdruck bringt, dass sachfremde Ziele bei der Abmahnung überwiegen.

OLG Hamm v. 21.01.2010:
Eine gegenüber einer Abmahnung erhöhte, aber auf der anderen Seite angesichts der üblichen Werte nicht völlig überhöhte Streitwertangabe reicht für sich nicht aus, auf ein vorrangiges Gebührenerzielungsinteresse zu schließen.

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Rechtsmissbrauch und Testkauf:


Testkauf - Testbesuch

BGH v. 11.05.2017:

     1.  Hat ein Testkäufer bei einem Kauf im Internet im Einklang mit einem objektiv verfolgten gewerblichen Geschäftszweck zunächst bestätigt, die Bestellung als Unternehmer vorzunehmen und versucht er anschließend durch Eintragung im Online-Bestellformular, sich als Verbraucher darzustellen, handelt er unredlich.

     2.  Auf ein entsprechendes Verhalten eines Testkäufers kann der Gläubiger die Verwirkung einer vereinbarten Vertragsstrafe nicht stützen.

     3.  Der fragliche Testkauf begründet keine Erstbegehungsgefahr für ein rechtswidriges Verhalten des Gegners gegenüber einem Verbraucher.

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Rechtsmissbrauch und Urheberschutzverletzung:


Stichwörter zum Thema Urheberrecht und Urheberschutz

BGH v. 28.05.2020
Eine Abmahnung ist berechtigt, wenn der mit ihr geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht und sie nicht rechtsmissbräuchlich erfolgte (BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 150/18, GRUR 2019, 1044 Rn. 12 = WRP 2019, 1475 - Der Novembermann, mwN). Eine dem § 8 Abs. 4 UWG entsprechende Norm kennt das Urheberrechtsgesetz nicht. Ob eine Rechtsverfolgung rechtsmissbräuchlich ist, richtet sich im Urheberrecht nach dem allgemeinen Verbot unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB.

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Rechtsmissbrauch durch Verfahrensaufspaltung:


OLG Hamm v. 23.11.2010:
Wird mit Kundenempfehlungen und anderen Referenzschreiben geworben, darf das Urteil des Kunden grundsätzlich nicht erkauft sein. Die Verwendung bezahlter Zuschriften ist unzulässig, wenn auf die Bezahlung nicht ausdrücklich hingewiesen wird. Die Kunden, die ihre Bewertungen abgeben, müssen bei der Abgabe ihres Urteils über die Qualität der Produkte frei und unbeeinflusst gewesen sein, weil das der Verkehr erwartet. Ist die lobende Äußerung über das Produkt dagegen "erkauft", ohne dass auf die versprochene Gegenleistung hingewiesen worden ist, wird der Verkehr irregeführt.

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Rechtsmissbrauch Vertragsstrafe:


Vertragsstrafe und Unterlassungsanspruch

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Gegenabmahnung als Retourkutsche:


Gegenabmahnung und Retourkutsche

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Vorgehen gegen gesetzliche Widerrufsbelehrung:


OLG Braunschweig v. 01.09.2011:
Greift ein bei Onlinhändlern mit anderen Rechtsanwälten konkurrierender Rechtsanwalt die von einem Konkurrenten empfohlene - mit der gesetzlichen Musterbelehrung übereinstimmende - Widerrufsbelehrung mit der Begründung an, sie sei wegen Verstoßes gegen das europäische Gemeinschaftsrecht nicht abmahnsicher, so ist dies zwar nicht rechtsmissbräuchlich, jedoch unlauter im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UWG.

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Schubladenverfügung:


BGH v. 07.10.2009:
Ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG besteht nur für eine Abmahnung, die vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens ausgesprochen wird. Für eine Abmahnung, die erst nach Erlass einer Verbotsverfügung ausgesprochen wird, ergibt sich ein Aufwendungsersatzanspruch auch nicht aus Geschäftsführung ohne Auftrag (Schubladenverfügung).

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