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Landgericht Bochum Urteil vom 05.05.2010 - I-13 O 217/09 - Zum Kostenerstattungsanspruch des rechtsmissbräuchlich Abgemahnten
LG Bochum v. 05.05.2010: Zum Gesamtkostenersatzanspruch des zu Unrecht missbräuchlich Abgemahnten
Das Landgericht Bochum (Urteil vom 05.05.2010 - I-13 O 217/09) hat entschieden:
- Ein Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG liegt vor, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Antragsteller kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt. Hierbei ist eine Gesamtabwägung erforderlich, insbesondere reicht eine Vielzahl von Abmahnungen allein nicht aus.
- Wird ein Konkurrent rechtsmissbräuchlich abgemahnt, dann hat der Abgemahnte nach § 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und § 826 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der an den Abmahner geleisteten Beträge sowie einen Schadensersatzanspruch hinsichtlich der an die Gerichtskasse und an die eigenen Anwälte gezahlten Kosten.
Siehe auch Abmahnkosten - Streitwert - Beauftragung eines Rechtsanwalts und Stichwörter zum Thema Abmahnung
Tatbestand:
Beide Parteien handeln im Internet mit Autozubehörteilen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.08.2009 (Anlage 2, Bl. 8 f. d. A.), auf das hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird, mahnte der Kläger die Beklagte wegen fehlerhafter Grundpreisangabe ab und forderte sie auf, bis zum 21.08.2009 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben sowie Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert von 30.000,00 EUR in Höhe von insgesamt 1.005,40 EUR netto zu zahlen. In dem Schreiben wies er darauf hin, dass die gesetzten Fristen auf Grund der Dringlichkeit der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen nicht verlängert werden könnten. In der beigefügten vorformulierten strafbewehrten Unterlassungserklärung war eine Vertragsstrafe von 5.100,00 EUR für jeden Fall der auch nicht schuldhaften Zuwiderhandlung vorgesehen. Fettgedruckt in der strafbewehrten Unterlassungserklärung war folgender Satz: "Der Gesamtbetrag iHv. 1.005,40 € ist bis zum 21.08.2009 fällig."
Da die Beklagte nicht reagierte, beantragte der Kläger eine einstweilige Verfügung, die vom Landgericht Bochum am 25.08.2009 – 13 O 161/09 – erlassen wurde. Die Beklagte gab mit anwaltlichem Schreiben vom 11.09.2009 (Anlage 4, Bl. 14 f. d. A.) eine Abschlusserklärung ab.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.09.2009 (Anlage 5, Bl. 16 f. d. A.) mahnte der Kläger die Beklagte wegen wettbewerbswidriger Angaben zu Garantien und Versandkosten ab. In der vorformulierten Unterlassungserklärung war eine Vertragsstrafe von 5.000,00 EUR für jeden Fall der nicht schuldhaften Zuwiderhandlung vorgesehen. Ferner enthält die vorformulierte Unterlassungserklärung die Klausel, dass der Gesamtbetrag in Höhe von 1.005,40 EUR bis zum 11.09.2009 fällig sei.
Am 22.09.2009 wurde auf Antrag des Klägers eine einstweilige Verfügung – 13 O 189/09 – erlassen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.10.2009 (Anlage 8, Bl. 27 f. d. A.) forderte der Kläger zur Abgabe einer Abschlusserklärung bis zum 03.11.2009 auf.
Die Beklagte zahlte am 22.10.2009 auf die Abmahnkosten vom 12.08.2009 einen Betrag in Höhe von 859,80 EUR, am 21.10.2009 einen Betrag von 439,90 EUR, auf den Kostenfestsetzungsbeschluss in dem Verfahren 13 O 161/09 LG Bochum Beträge in Höhe von 460,85 EUR und 2,26 EUR, auf den Kostenfestsetzungsbeschluss in dem Verfahren 13 O 189/09 Beträge in Höhe von 468,35 EUR und 5,45 EUR, Gerichtskosten in beiden Verfahren in Höhe von insgesamt 864,00 EUR. Die Anwälte der Beklagten berechneten wegen der Abmahnung vom 12.08.2009 an die Beklagte Beträge in Höhe von 193,80 EUR netto zzgl. Auslagenpauschale sowie wegen der Abmahnung vom 02.09.2009 Honoraransprüche in Höhe von 227,40 EUR netto zzgl. 20,00 EUR Auslagenpauschale.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.005,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.08.2009, sowie weitere 1.005,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2009 zu zahlen, sowie weitere 1.005,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Im Termin vom 05.05.2010 hat er die Klage in Höhe der gezahlten Teilbeträge von 859,80 EUR und 439,90 EUR mit Zustimmung des Beklagtenvertreters zurückgenommen und stelle im Übrigen die Anträge aus der Klageschrift.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend beantragt die Beklagte,
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte und Widerklägerin 3.649,44 EUR abzüglich 87,63 EUR, bezüglich derer die Widerklage zurückgenommen worden ist, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte trägt vor: Die vom Kläger ausgesprochen Abmahnung sei rechtsmissbräuchlich, wie in den Verfahren 13 O 220/09, 13 O 235/09, 13 O 232/09 LG Bochum bereits festgestellt worden sei. Der Kläger sei zur Rückzahlung der an ihn bzw. die Gerichtskasse gezahlten Kosten sowie zur Erstattung der dem Beklagten angefallenen Anwaltskosten in Höhe der Widerklage verpflichtet.
Der Kläger repliziert: Der Rechtsmissbrauch sei eine Einzelfallentscheidung und könne nicht aus den anderen Verfahren verallgemeinert werden. In der vorliegenden Auseinandersetzung habe der Konflikt mit der von der Beklagten gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 10.08.2009 ausgesprochenen Abmahnung begonnen. Es sei legitim, dass der Kläger seinerseits abgemahnt habe. Nach der ersten Abmahnung des Klägers habe die Beklagte eine weitere Abmahnung vom 26.10.2009 ausgesprochen.
Die Beklagte trägt weiter vor: Der Kläger habe im maßgeblichen Zeitraum in einem Umfang abgemahnt, der nicht mehr im Verhältnis zu seiner eigenen Geschäftstätigkeit stehe. Der Kläger erziele bei f einen monatlichen Umsatz von 100.000,00 bis 150.000,00 EUR; der Gewinn sei deutlich geringer. Dem gegenüber habe er 26 Verfahren anhängig gemacht sowie weitere 16 Verfahren. Die Kostenrisiken aus den fraglichen Abmahnvorgängen seien für den Kläger immens. Weitere Indizien für Rechtsmissbrauch seien z. B., dass der Kläger die Bitte, mit der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung bis zur Entscheidung über den Widerspruch abzuwarten, regelmäßig abschlage. Der häufige Namenswechsel des Klägers, der auch unter N bzw. D geschäftlich tätig geworden sei, spreche für Rechtsmissbrauch. Auch bezüglich der Adresse des Klägers habe es in der Vergangenheit Irritationen gegeben, weil der Kläger mehrere Adressen angebe.
Bezüglich der weiteren Ausführungen der Beklagten wird auf den Schriftsatz vom 28.04.2010 (Bl. 58 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Antrag des Klägers ist im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig.
Ein Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG liegt vor, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Antragsteller kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt (vgl. BGH GRUR 2001, 261; OLG Hamm vom 28.04.2009 – I-4 U 9/09 und OLG Hamm vom 26.05.2009 – I-4 U 27/09). Hierbei ist eine Gesamtabwägung erforderlich, insbesondere reicht eine Vielzahl von Abmahnungen allein nicht aus.
Im vorliegenden Fall rechtfertigen die konkreten Umstände des Streitfalls die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Anspruchsverfolgung. Es existieren erhebliche Hinweise darauf, dass der Verfügungskläger seine Abmahntätigkeit überwiegend dazu benutzt hat, um gegen die Wettbewerber Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe sowie Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung zu generieren.
Es ist gerichtsbekannt, dass bei den 4 Kammern für Handelssachen des Landgerichts Bochum im Jahre 2009 26 Verfahren bzw. Rechtsstreitigkeiten seitens des Klägers anhängig gemacht wurden.
In dem Verfahren 13 O 220/09 hat der Kläger selbst eingeräumt, dass er in 9 Monaten ca. 40 Abmahnungen ausgesprochen habe. Dies ist auch bei dem von ihm angegebenen Umsatz von 1,5 Millionen Euro mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren 13 O 232/09 hat der Kläger, nachdem die dortige Verfügungsbeklagte nach erster Abmahnung am 23.10.2009 eine von dem Kläger formulierte vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, in der sie sich verpflichtete, die Verwendung der beanstandeten Klauseln bei Meidung einer Vertragsstrafe von 5.000,00 EUR für jeden Fall der auch nicht schuldhaften Zuwiderhandlung zu unterlassen, bereits am Folgetag – einem Samstag – den Internetauftritt überprüft und mit Schreiben vom 26.10.2009 die Vertragsstrafe gefordert und zur Abgabe einer weiteren strafbewehrten Unterlassungserklärung mit einer Vertragsstrafe von 6.000,00 EUR für jeden Fall der auch nicht schuldhaften Zuwiderhandlung aufgefordert. Hierbei hat der Kläger dadurch zusätzlich Druck auf die dortige Verfügungsbeklagte ausgeübt, indem er ausführte, dass durch Verwendung von drei Klauseln die Vertragsstrafe eigentlich zu verdreifachen sei. Auch in anderen Fällen - zum Beispiel in den Verfahren 12 O 242/09, 12 O 240/09 und 13 O 235/09 LG Bochum hat der Kläger Vertragsstrafen in Höhe von 5.100 Euro auch für jeden Fall der nicht schuldhaften Zuwiderhandlung verlangt und die Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung zeitnah überprüft. So hat er auch in dem Verfahren 12 O 242/09 LG Bochum bereits einen Tag nach der Abgabe der Unterwerfungserklärung – am 22.10.2009 –den Internetauftritt des Wettbewerbers überprüft und 4 Tage nach Abgabe der Unterwerfungserklärung eine Vertragsstrafe eingefordert und zur Abgabe einer erhöhten Vertragsstrafe aufgefordert. In dem Verfahren 13 O 189/09 LG Bochum hat der Kläger nach Erlass der einstweiligen Verfügung am 25.08.2009 und Überprüfung bereits mit Schreiben vom 02.09.2009 neu abgemahnt.
Der Umstand, dass der Kläger im vorliegenden sowie in anderen Verfahren eine Vertragsstrafe verlangt hat, die mit 5.100,00 EUR am oberen Rand liegt, und dies entgegen den üblichen Gepflogenheiten bei Abmahnungen auch auf die Fälle der nicht schuldhaften Zuwiderhandlung ausgeweitet hat, spricht zusammen mit dem Umstand, dass der Kläger in den obengenannten Verfahren sehr zeitnah die Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung kontrolliert und in dem Verfahren 13 O 232/09 bereits am nächsten Werktag nach Abgabe der Unterlassungserklärung die Vertragsstrafe angefordert hat, sowie mit der Zahl der Abmahnungen dafür, dass der Kläger es darauf anlegt, aus den Unterlassungserklärungen Vertragsstrafen zu erzielen, die so bemessen sind, dass sie auch angesichts des behaupteten Umsatzes von 1,5 Millionen Euro eine nicht unerhebliche Einkommensquelle für den Kläger darstellen. Wenn der Kläger in seiner Abmahnung eine Vertragsstrafe von 5.100,00 EUR für einen nicht sehr schwerwiegenden Verstoß fordert, und zwar für jeden Verstoß einzeln, und die Vertragsstrafe noch dazu auch im Falle des fehlenden Verschuldens gezahlt werden, zeigt allein diese Ausgestaltung der Vertragsstrafe, dass es dem Kläger in erster Linie um die Generierung von Forderungen gegangen ist. Im Zusammenhang mit der zeitnahen Überprüfung der beanstandeten Werbung in den obengenannten Fällen gewinnt die Forderung nach einer Vertragsstrafe auch bei schuldlosem Verstoß eine besondere Bedeutung. Denn durch den Ausschluss der Exkulpationsmöglichkeit ist dem Schuldner der Einwand abgeschnitten, den Wettbewerbsverstoß so kurzfristig nicht abstellen zu können. Dieser Ausgestaltung der Vertragsstrafe in Verbindung mit der zeitnahen Überprüfung des Internetauftritts der Schuldner wird so für Schuldner zu einer gewissermaßen unentrinnbaren Falle. Dass die eigentliche Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes beim Kläger in Hintergrund getreten ist, zeigt sich auch daran, dass Unterlassungsanspruch und Kostenforderung bei der Frage der Fristverlängerung miteinander verquickt worden sind. Auch wenn in der Abmahnung zu Recht darauf hingewiesen wird, dass die Abgabefrist für die Unterlassungserklärung wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit nicht verlängert werden könne, bleibt unverständlich, weshalb in diese fehlende Verlängerungsmöglichkeit auch die Zahlungsfrist mit einbezogen worden ist (vgl. OLG Hamm I-4 W 22/10).
Der Umstand, dass die Klägerin zuvor von der Beklagten abgemahnt worden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Beklagte handelt gerichtsbekannt in großem Umfang mit Autozubehörteilen. Dass sie die Internetauftritte von Wettbewerbern überprüft und Abmahnungen ausspricht, ist nicht geeignet, die Rechtsmissbräuchlichkeit auf Beklagtenseite zu begründen oder die Rechtsmissbräuchlichkeit auf Klägerseite auszuschließen.
Die Widerklage ist in dem – nach Teilrücknahme hinsichtlich des Mehrwertsteueranteils – aufrechterhaltenen Umfang begründet. Die Beklagte kann von dem Kläger nach § 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und § 826 BGB Rückzahlung der an den Kläger geleisteten Beträge sowie Schadensersatz hinsichtlich der an die Gerichtskasse und an die eigenen Anwälte gezahlten Kosten verlangen. Der Kläger, der wie oben ausgeführt, bei den Abmahnungen rechtsmissbräuchlich handelte, hat durch Vortäuschen einer begründeten Abmahnung die Beklagte vorsätzlich geschädigt. Der Schaden beläuft sich auf den mit dem Widerklageantrag geltend gemachten Betrag. Der Kläger ist daher zur Zahlung des geltend gemachten Betrages als Schadensersatz verpflichtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.