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BGH Urteil vom 23.10.2019 - I ZR 46/19 - Rechtsmißbrauch und Markenrecht

BGH v. 23.10.2019: Zur Frage einer rechtsmißbräuchlichen Geltendmachung des markenrechtlichen Ausschließlichkeitsrechts nach § 14 Abs. 1 MarkenG


Der BGH (Urteil vom 23.10.2019 - I ZR 46/19) hat entschieden:

   Den Grundsätzen von Treu und Glauben kann es widersprechen, wenn der Inhaber eines Kennzeichenrechts sich bei der Geltendmachung von Vertragsstrafenansprüchen auf eine nur formale Rechtsstellung beruft. Von einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ist auszugehen, wenn ein Markeninhaber

  (1)  eine Vielzahl von Marken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet,

  (2)  hinsichtlich der in Rede stehenden Marken keinen ernsthaften Benutzungswillen hat - vor allem zur Benutzung in einem eigenen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts - und

  (3)  die Marken im Wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen
(Fortführung von BGH, Urteil vom 23. November 2000 - I ZR 93/98, GRUR 2001, 242, 244 - Classe E).





Siehe auch
Rechtsmissbrauch - die rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs in Abmahnung und Prozess
und
Markenrecht für Onlinehändler


Tatbestand:


Die Klägerin ist Inhaberin der Unions-Bildmarke (...), die unter der Registernummer 005631304 seit dem 29. November 2012 eingetragen ist und für Waren der Klasse 11, unter anderem Beleuchtungsgeräte, sowie der Klassen 16, 18, 28 und 41 Schutz beansprucht (im Folgenden: Klagemarke). Die Klägerin ist Inhaberin von elf weiteren eingetragenen deutschen und Unions-Wort- und Bildmarken, die jeweils die Namen berühmter Künstler tragen. So ist sie Inhaberin der Unions-Wortmarke "DA VINCI", die seit dem 1. Juli 2011 unter der Registernummer 004228953 eingetragen ist und für Waren und Dienstleistungen der Klassen 8, 9, 35, 36 und 38 Schutz beansprucht. Ferner ist sie Inhaberin der deutschen Wortmarke "DA VINCI", die seit dem 31. Januar 2008 unter der Registernummer 30439598 eingetragen ist und für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 25 und 27 Schutz beansprucht.

Am 1. Dezember 2014 mahnte die Klägerin die Beklagten unter Hinweis auf die Klagemarke ab, weil diese auf der Internethandelsplattform eBay eine Salzlampe unter der Bezeichnung "Davinci" anboten. Die Beklagten beendeten unverzüglich nach Erhalt des Abmahnschreibens sämtliche Angebote und Auktionen und gaben am 12. Dezember 2014 strafbewehrte Unterlassungserklärungen ab. Am 27. Januar 2015 stellte die Klägerin fest, dass unter zwei Artikelnummern bereits beendete Angebote der Beklagten für eine "Salzlampe 'Davinci' 9-12 kg, 27 cm hoch, Tischlampe, Dekolampe, Designerleuchte" weiterhin auf eBay aufgerufen und eingesehen werden konnten. Die Angebote waren nur einsehbar, wenn nach der jeweiligen Artikelnummer gesucht wurde. Nach Aufforderung der Klägerin ließen die Beklagten die beendeten Angebote löschen. Mit Schreiben vom 27. März 2015 forderte die Klägerin von den Beklagten erfolglos die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 6.900 €, die sie später auf 3.500 € herabsetzte. Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,

   die Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 5.000 € infolge der Verwirkung der Vertragsstrafe aus einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zu zahlen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.


Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Vertragsstrafe für unbegründet erachtet. Der Klägerin sei es wegen Rechtsmissbrauchs versagt, sich auf die Rechte aus den Unterlassungsvereinbarungen zu berufen. Die Registrierung eines Zeichens ohne ernsthaften Nutzungswillen mit dem Ziel, Zeichennutzer später mit Schadensersatzforderungen zu überziehen oder zum Erwerb des Zeichens zu veranlassen, genieße keinen Schutz. Ihrer Durchsetzung könne gemäß § 242 BGB die Bösgläubigkeit des Anmelders bei der Markenanmeldung als Einrede entgegengehalten werden. Dem stehe das Rechtsschutzsystem der Unionsmarkenverordnung nicht entgegen. Die Klägerin habe die Klagemarke auch ohne ernsthaften Benutzungswillen zu dem Zweck angemeldet, Zeichennutzer mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen überziehen zu können.


II.

Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus § 339 Satz 2 BGB in Verbindung mit den Unterlassungsverträgen vom 12. Dezember 2014 mit Recht abgelehnt. Der Geltendmachung der Vertragsstrafe steht die von den Beklagten erhobene Einrede des Rechtsmissbrauchs aus § 242 BGB entgegen.

1. Die Frage, ob die Geltendmachung einer Vertragsstrafe aus einer Unterlassungserklärung rechtsmissbräuchlich ist, beurteilt sich gemäß § 242 BGB nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (vgl. zum Wettbewerbsrecht BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 - I ZR 45/11, GRUR 2012, 949 Rn. 21 = WRP 2012, 1086 - Missbräuchliche Vertragsstrafe). Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob das Verhalten des Abmahnenden vor, bei und nach der Abmahnung den Schluss rechtfertigt, dass die Geltendmachung der Vertragsstrafenansprüche gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2019 - I ZR 6/17, GRUR 2019, 638 Rn. 36 = WRP 2019, 707 - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung).

Den Grundsätzen von Treu und Glauben kann es widersprechen, wenn der Inhaber eines Kennzeichenrechts sich auf eine nur formale Rechtsstellung beruft (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1954 - I ZR 46/53, BGHZ 15, 107, 110 [juris Rn. 10] - Koma; Urteil vom 7. März 1969 - I ZR 36/67, GRUR 1970, 138, 139 - Alemite). Von einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ist auszugehen, wenn ein Markeninhaber (1) eine Vielzahl von Marken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet, (2) hinsichtlich der in Rede stehenden Marken keinen ernsthaften Benutzungswillen hat - vor allem zur Benutzung in einem eigenen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts - und (3) die Marken im Wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2000 - I ZR 93/98, GRUR 2001, 242, 244 [juris Rn. 35] = WRP 2001, 160 - Classe E; vgl. auch BGH, Urteil vom 23. September 2015 - I ZR 105/14, BGHZ 207, 71 Rn. 57 - Goldbären).

2. Danach kann sich die Klägerin auf die vertraglichen Rechte aus den Unterlassungserklärungen nicht berufen, nachdem die Beklagten die Einrede des Rechtsmissbrauchs erhoben haben. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Klägerin die Klagemarke für Beleuchtungsgeräte ohne ernsthaften Benutzungswillen zu dem Zweck angemeldet hat, Zeichennutzer mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen überziehen zu können.




a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe neben der Klagemarke weitere elf Marken angemeldet, die teils für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen unterschiedlichster Branchen Schutz beanspruchten. Ein Konzept zur Nutzung der Marken sei nicht ersichtlich. In einem solchen Fall treffe den Markeninhaber eine gesteigerte sekundäre Darlegungslast. Er müsse die hinter den Markenanmeldungen stehenden Überlegungen schildern und die jeweils entfalteten Vermarktungsbemühungen und die hierbei erzielten Erfolge im Rahmen des Zumutbaren offenlegen. Die Klägerin habe kein einziges Konzept zur Vermarktung irgendeiner ihrer Marken präsentiert, sondern nur pauschal jahrelange, umfangreiche Benutzungshandlungen behauptet. Mit dem zweitinstanzlichen Vortrag zu beispielhaft geschlossenen Lizenzverträgen sei sie ausgeschlossen, weil es sich um nicht zugelassene neue Angriffsmittel handele. Auf eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht könne sich die Klägerin insofern nicht berufen. Die Beklagten hätten bereits in der Klageerwiderung zum Erfordernis eines generellen Benutzungswillens vorgetragen. Der Hinweis des Landgerichts in der Terminsverfügung, der Vortrag der Klägerin zur Benutzung dürfte unsubstantiiert sein, sei deshalb ausreichend gewesen.

b) Diese Feststellungen des Tatgerichts sind revisionsrechtlich nur darauf überprüfbar, ob sie verfahrensfehlerhaft getroffen worden sind oder das Berufungsgericht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. GRUR 2001, 242, 245 [juris Rn. 39] - Classe E). Ein derartiger Rechtsfehler wird von der Revision nicht aufgezeigt.

aa) Soweit die Revision die Würdigung des Berufungsgerichts zum fehlenden Benutzungswillen der Klägerin angreift und ausführt, ein bis ins Detail ausgereiftes Konzept sei nicht erforderlich, hat das Berufungsgericht ein detailliertes Konzept schon nicht verlangt. Die grafische Ausgestaltung der Klagemarke spricht entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen die Annahme einer Spekulationsmarke. Ihr Vortrag zur Auswahl der Künstlernamen für die klägerischen Marken ist als neuer Vortrag im Revisionsverfahren unbeachtlich (§ 559 Abs. 1 ZPO).

bb) Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Zurückweisung des zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin zur Benutzung der Klagemarke.

(1) Die Annahme des Berufungsgerichts, die in der Berufungsinstanz vorgelegten Lizenzverträge unterfielen als neuer Vortrag der Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt davon ab, wie allgemein es in erster Instanz ausgefallen ist. Wenn es einen nur sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substantiiert, ist es neu. Dagegen liegt kein neues Vorbringen in diesem Sinne vor, wenn ein bereits schlüssiges oder erhebliches Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGH, Urteil vom 27. November 2014 - I ZR 91/13, GRUR 2015, 685 Rn. 17 = WRP 2015, 874 - STAYER). Die in zweiter Instanz vorgelegten Lizenzverträge haben den klägerischen Vortrag zu Benutzungshandlungen erstmals substantiiert. Mit ihrer Replik hatte die Klägerin trotz des substantiierten Bestreitens eines Benutzungswillens durch die Beklagten lediglich pauschal zu Benutzungshandlungen für 3D-Drucker und Vaporizer vorgetragen. Die ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gewährte Schriftsatzfrist hatte sie ebenfalls nicht zu weiterem Vortrag zu Benutzungshandlungen genutzt, sondern die Klagerücknahme erklärt, die mangels Zustimmung der Beklagten wirkungslos blieb.

(2) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, die Lizenzverträge seien nicht gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO wegen Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht als neue Angriffsmittel zuzulassen. Entgegen der Auffassung der Revision war der Hinweis des Landgerichts in der Terminsverfügung auch ohne Bezugnahme auf den Beklagtenvortrag ausreichend. Ein gerichtlicher Hinweis ist regelmäßig entbehrlich, wenn die Partei von der Gegenseite die gebotene Unterrichtung erhalten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 - IX ZB 81/16, FamRZ 2017, 1946 Rn. 11 mwN). Danach hätte es eines gerichtlichen Hinweises durch das Landgericht überhaupt nicht bedurft. Die Beklagten hatten mit der Klageerwiderung substantiiert zum fehlenden Benutzungswillen der Klägerin und zum Rechtsmissbrauch vorgetragen.




III.

Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 21 = NJW 1983, 1257 - Cilfit u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 Rn. 43 - Doc Generici, mwN). Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts. Ansprüche aus einer Unionsmarke stehen nicht in Rede. Die Klägerin verfolgt mit der Klage keinen Verletzungsanspruch aus ihrer Unionsmarke, sondern allein einen Anspruch aus einer Vertragsstrafenvereinbarung (§ 339 Satz 2 BGB). Diese Vereinbarung bildet einen eigenständigen Schuldgrund, auch wenn sie als Reaktion auf die Abmahnung wegen einer behaupteten Verletzung der Unionsmarke der Klägerin geschlossen wurde. Bei einer solchen vertraglichen Unterlassungsverpflichtung tritt die vertragliche Verpflichtung in Form eines abstrakten Schuldanerkenntnisses im Wege der Schuldumschaffung an die Stelle des gesetzlichen Anspruchs (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2016 - I ZR 93/15, WRP 2017, 179 Rn. 23 mwN). Bei der Klage geht es mithin nicht um die Verletzung eines gegenüber jedermann geltenden Schutzrechts, sondern um die Verletzung einer allein gegenüber der Klägerin als Vertragspartnerin bestehenden vertraglichen Verpflichtung.

Die Klage beruht auch nicht indirekt auf der Verletzung einer Unionsmarke. Der von der Klägerin geltend gemachte vertragliche Anspruch hängt nicht davon ab, ob die Abmahnung, mit der sie die Beklagten veranlasst hat, die Unterlassungserklärungen abzugeben und für Zuwiderhandlungen eine Vertragsstrafe zu versprechen, wegen einer Verletzung ihrer Unionsmarke berechtigt war. Die Beurteilung der Frage, ob der von der Klägerin verfolgte markenrechtliche Unterlassungsanspruch bestand, fiel nach den vertraglichen Unterlassungsvereinbarungen in den Risikobereich der Beklagten (BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - I ZR 210/12, GRUR 2014, 797 Rn. 28 = WRP 2014, 948 - fishtailparka).


IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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