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OLG Köln Urteil vom 11.11.2010 - I-6 W 157/10 - Zum Wegfall der Wiederholungsgefahr durch eine vorsorgliche Unterlassungserklärung
 

 

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Abmahnung - Abmahnkosten - AGB - Einstweilige Verfügung - E-Mail - Filesharing - Gegenabmahnung - Informationspflichten - Rechtsmissbrauch - Störerhaftung - Unterlassungsanspruch - Unterlassungserklärung - Urheberschutz - Wettbewerb


OLG Köln v.11.11.2010: Zum Wegfall der Wiederholungsgefahr durch eine vorsorgliche Unterlassungserklärung


Das OLG Köln (Urteil vom 11.11.2010 - I-6 W 157/10) hat entschieden:
Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, deren auszulegender Inhalt das konkret abgemahnte Verhalten (hier: Zugänglichmachen einer bestimmten geschützten Audiodatei in einer Internettauschbörse) und darüber hinaus eine Vielzahl ähnlicher Verstöße gegen Rechte des Abmahnenden und dritter Gläubiger umfasst, ist als ernst gemeint und zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr geeignet anzusehen, wenn sie darauf abzielt, eine künftige Belastung des Schuldners mit Abmahnkosten wegen dieser Verstöße zu vermeiden.




Gründe:

Die zulässige (§§ 91a Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO) sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens nicht dem Antragsgegner, sondern der Antragstellerin aufzuerlegen. Selbst wenn der Antragsgegner ihr wegen der am 03.04.2010 gegen 17:46 Uhr mit einem "German Top 100 Chart Container" in eine Internet-Tauschbörse eingestellten Tonaufnahme "I Surrender" der Künstlergruppe "The Disco Boys" nach § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG auf Unterlassung gehaftet haben sollte, so bestand doch bei Eingang des Verfügungsantrags bei Gericht am 12.05.2010 kein Anspruch mehr, weil durch die von den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners mit Schreiben vom 26.04.2010 abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung (Anlage Ast 9) die Wiederholungsgefahr entfallen war. Darauf, dass das Landgericht keine Feststellungen zu den in den Verfügungstenor übernommenen Varianten des Antrags getroffen hat, die eine Täterschaft oder Teilnahme des Antragsgegners voraussetzten ("im Internet öffentlich zugänglich zu machen … oder hieran teilzunehmen" im Unterschied zu "zugänglich machen zu lassen … oder die Gelegenheit dazu zu bieten") und damit über die Verletzungsform einer Störerhaftung hinausgingen (vgl. BGH GRUR 2010, 633 [Rn. 35 ff.] - Sommer unseres Lebens; vgl. Senatsbeschlüsse vom 09.09.2010 - 6 W 114/10 - und vom 10.11.2010 - 6 W 100/10), kommt es deshalb im Ergebnis nicht an.

An den Fortfall der Wiederholungsgefahr bei Verletzungsunterlassungsansprüchen sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen; in Wettbewerbssachen und auch im hier einschlägigen Bereich der Schutzrechtsverletzungen ist regelmäßig nur eine uneingeschränkte, bedingungslose und unwiderrufliche Unterwerfungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung geeignet, die Besorgnis künftiger Verstöße auszuräumen, während grundsätzlich schon geringe Zweifel an der Ernstlichkeit der übernommenen Unterlassungsverpflichtung zu Lasten des Schuldners gehen (st. Rspr.: BGH, GRUR 1996, 290 [291] = WRP 1996, 199 - Wegfall der Wiederholungsgefahr I; GRUR 1997, 379 [380] = WRP 1996, 284 - Wegfall der Wiederholungsgefahr II; GRUR 1998, 483 [485] = WRP 1998, 296 - "Der M.-Markt packt aus"; GRUR 2002, 180 = WRP 2001, 1179 - Weit-vor-Winter-Schluss-Verkauf; vgl. Köhler / Bornkamm , UWG, 28. Aufl., § 12 Rn. 1.123). Es muss sich jedoch um objektivierbare Zweifel und nicht nur um subjektive Befürchtungen des Unterlassungsgläubigers handeln; nicht jede Modifikation einer von ihm vorformulierten Erklärung lässt auf fehlende Ernstlichkeit schließen. Maßgebend für die Reichweite einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung und damit für deren Eignung zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Auslegung neben dem Inhalt der Vertragserklärungen auch die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck, die Beziehung zwischen den Vertragsparteien und ihre Interessenlage heranzuziehen sind; ein unmittelbarer Rückgriff auf die Grundsätze, die - insbesondere unter dem Aspekt der Bestimmtheit - für die Auslegung eines in gleicher Weise formulierten vollstreckbaren Unterlassungstitels gelten, scheidet aus (BGH, GRUR 1992, 61, [62] = WRP 1991, 654 - Preisvergleichsliste; BGHZ 121, 13 = WRP 1993, 240 [241] - Fortsetzungszusammenhang; GRUR 1997, 931 [932] = WRP 1997, 1067 - Sekundenschnell; Senat, Urteil vom 29.01.2010 - 6 U 140/09; Köhler / Bornkamm , a.a.O., Rn. 1.121).

Wegen des regelmäßig mit der strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung verfolgten Zwecks, nach einer Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr auszuräumen und die Einleitung oder Fortsetzung eines gerichtlichen Verfahrens entbehrlich zu machen, ist eine auf die konkrete Verletzungsform bezogene Erklärung im Allgemeinen dahin auszulegen, dass sie sich auch auf im Kern gleichartige Verletzungsformen beziehen soll (BGH, GRUR 1997, 931 [932] = WRP 1997, 1067 - Sekundenschnell; GRUR 1998, 483 [485] = WRP 1998, 296 - "Der M.-Markt packt aus"; GRUR 2009, 418 = WRP 2009, 304 [Rn. 18] - Fußpilz; GRUR 2010, 749 = WRP 2010, 1030 [Rn. 45] - Erinnerungswerbung im Internet). Wird eine abstrakt vorformulierte Erklärung mit Beschränkungen versehen, für die der Schuldner ein berechtigtes Interesse anführen kann und die nicht so unklar sind, dass sie dem Gläubiger die Verfolgung von Zuwiderhandlungen unzumutbar erschweren, begründet dies noch keine Zweifel an der Ernstlichkeit (Köhler / Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 1.125 ff. [1.131]). Umgekehrt ist es dem Schuldner nicht verwehrt, zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr eine über den vom Gläubiger vorformulierten Text hinausgehende Unterlassungserklärung abzugeben, wenn nur seine Erklärung den geltend gemachten Anspruch in vollem Umfange erfasst; eine solche weit gefasste Erklärung kann insbesondere dann in seinem Interesse liegen und daher unbedenklich als ernst gemeint angesehen werden, wenn er sonst Gefahr läuft, wegen kerngleicher Verletzungshandlungen von diesem oder einem anderen Gläubiger mit kostenverursachenden weiteren Abmahnungen überzogen zu werden (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 8 Rn. 16b; ders. GRUR 1996, 696 [699]; zum Ganzen auch Senatsbeschluss vom 10.11.2010 - 6 W 100/10 betreffend eine von demselben Rechtsanwalt im Namen eines anderen Abmahnungsempfängers gegenüber einem anderen Anspruchsteller abgegebene ähnliche Unterlassungserklärung).

So liegt es hier: Die Antragstellerin hatte ihrer Abmahnung eine vorbereitete strafbewehrte Erklärung beigefügt, wonach der Antragsgegner es unterlassen werde, die streitbefangene Tonaufnahme "im Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder zugänglich machen zu lassen bzw. es zu ermöglichen, dass die Tonaufnahme über einen ihm gehörenden Internetanschluss öffentlich zugänglich gemacht wird" (Anlage Ast 8). Die vom Antragsgegner durch seinen Verfahrensbevollmächtigten abgegebene Erklärung (Anlage Ast 9) enthielt neben zwei unbedenklichen Modifikationen (Vorbehalt der Änderung der Rechtslage und Strafversprechen nach "neuem Hamburger Brauch", vgl. Köhler / Bornkamm, a.a.O., Rn. 1.129; 1.142 ff.) das Versprechen gegenüber der Antragstellerin und fünf weiteren (möglichen) Anspruchstellern, es zu unterlassen,
"urheberrechtlich geschützte Werke der oben genannten Firmen im Internet öffentlich zu verbreiten oder auf sonstige Art und Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen … sowie öffentlich zu verbreiten und/oder zu verwerten und/oder wiedergeben zu lassen, insbesondere im Rahmen der Teilnahme an so genannten Peer-to-Peer Netzwerken diese urheberrechtlich geschützten Werke oder Teile derselben im Tausch anzubieten."
Aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers in der Lage der Antragstellerin konnte kein Zweifel daran bestehen, dass als eines der "urheberrechtlich geschützte(n) Werke der oben genannten Firmen" jedenfalls die den Anlass der Abmahnung bildende Tonaufnahme anzusehen war; insbesondere machte die Formulierung hinreichend deutlich, dass die Unterlassungserklärung sich nicht nur auf Rechte an einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG (die keinen "Firmen" zustehen können), sondern insbesondere auch auf das Recht der Tonträgerhersteller aus § 85 UrhG beziehen sollte, auf das sich die Antragstellerin in der Abmahnung allein gestützt hatte. Unklarheiten oder Missverständnisse in Bezug auf den in der Abmahnung konkret bezeichneten Verletzungsgegenstand konnten nicht auftreten; dass die Antragstellerin Inhaber von Rechten an der Tonaufnahme "I Surrender" ist, hat der Antragsgegner rechtswahrend erst im Widerspruchsverfahren bestritten.

Die gewählte verallgemeinernde Formulierung umfasste aus gutem Grund - weil eine Verletzung auch insoweit Wiederholungsgefahr begründet - sämtliche das Charakteristische der abgemahnten Verletzungsform unberührt lassenden Verstöße. Sie bezog sich - wie die Abmahnung - auf das öffentliche Zugänglichmachen von Audiodateien im Rahmen der Teilnahme an so genannten Peer-to-Peer-Netzwerken und ließ das zur Unterlassung verlangte Verhalten seiner Art nach in allen denkbaren Varianten (Täterschaft, Teilnahme, Störerhaftung) deutlich genug erkennen. Soweit die Erklärung außer gegenüber der Antragstellerin auch gegenüber fünf anderen möglichen Anspruchstellern abgegeben wurde, kann im Streitfall dahinstehen, ob das genügte, um eine diesen anderen gegenüber begründete Wiederholungsgefahr ebenfalls entfallen lassen. Denn keineswegs folgt aus der strafbewehrten Unterwerfung gegenüber weiteren Personen in der offenkundigen Absicht, kostenträchtigen Abmahnungen im Namen dieser anderen Rechteinhaber wegen kerngleicher Verstöße ein für alle Mal zu entgehen, dass die Erklärung der abmahnenden Antragstellerin gegenüber nicht ernst gemeint war. Der weitere Umstand, dass die Abgabe ähnlich lautender Erklärungen für den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ein vergleichbares "Massengeschäft" zu sein scheint wie die Versendung ähnlich lautender Abmahnungen für die Bevollmächtigten der Antragstellerin, kann eine solche Annahme ebenfalls nicht rechtfertigen.

War die Antragstellerin nach alledem schon vor ihrem Verfügungsantrag klaglos gestellt worden und nicht erst durch das klarstellende Schreiben des Antragsgegners vom 16.06.2010 (Anlage AG 2), das allerdings im gerichtlichen Verfahren ergänzend zur Auslegung seiner Unterlassungserklärung vom 26.04.2010 herangezogen werden konnte (vgl. BGH, GRUR 1998, 483 [485] = WRP 1998, 296 - "Der M.-Markt packt aus"; GRUR 2010, 749 = WRP 2010, 1030 [Rn. 45] - Erinnerungswerbung im Internet), so entsprach es der Billigkeit, ihr und nicht dem Antragsgegner die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens aufzuerlegen. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, dessen Wert dem Kosteninteresse beider Parteien entspricht, folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.



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