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BGH Urteil vom 27.05.1957 - II ZR 132/56 - Kein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang bei Einschreibsendung
 

 

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BGH v. 27.05.1957: Der Zugang einer schriftlichen Mahnung nach VVG § 39 bedarf des vollen Beweises. Er kann nicht schon mit dem Nachweis, daß das Mahnschreiben als Einschreibesendung abgesandt worden ist, nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins als erbracht angesehen werden.


Der BGH (Urteil vom 27.05.1957 - II ZR 132/56) hat entschieden:
Der Zugang einer schriftlichen Mahnung nach VVG § 39 bedarf des vollen Beweises. Er kann nicht schon mit dem Nachweis, daß das Mahnschreiben als Einschreibesendung abgesandt worden ist, nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins als erbracht angesehen werden.




Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die im Wege freier tatrichterlicher Beweiswürdigung getroffene Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin den eingeschriebenen Mahnbrief vom 11. Juli 1951 tatsächlich abgesandt hat und daß er den von ihr behaupteten Inhalt hatte.

2. Hingegen ist der Revision zuzugeben, daß die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, der in A. zur Post gegebene Einschreibebrief vom 11. Juli 1951 sei dem in B. wohnenden Beklagten auch zugegangen, auf unzureichender tatsächlicher Grundlage beruht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedarf der Zugang einer brieflichen Mahnung nach § 39 VVG des vollen Beweises (so mit Recht OLG Königsberg JRPV 1932, 187 für die Kündigung; LG Berlin VersR 1955, 103; a M OLG Nürnberg JRPV 1938, 141; LG Münster VersR 1955, 517; Prölss VVG 10. Aufl § 39 Anm 4; Bruck-Möller VVG 8. Aufl § 39 Anm 25). Die Grundsätze vom Beweis des ersten Anscheins sind in diesem Fall nicht anwendbar. Denn sie gelten nur bei typischen Geschehensabläufen, bei denen nach der Lebenserfahrung regelmäßig von einem bestimmten Ereignis auf einen bestimmten Erfolg geschlossen werden kann und umgekehrt. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens kommt es aber auch unter normalen Postverhältnissen immer wieder vor, daß abgeschickte Briefe, ja sogar Einschreibesendungen, den Empfänger nicht erreichen. Dieser Erfahrungssatz läßt sich auch statistisch belegen. So mußte die Deutsche Bundespost im Jahre 1950 in insgesamt 14.398 Fällen für verlorengegangene oder beschädigte Einschreibesendungen Ersatz leisten; auf 1 Million eingelieferter Sendung entfielen 266,3 Verluste. Im Jahr 1955, also 4 Jahre nach Absendung des hier streitigen Mahnbriefes, waren es immerhin noch 4.129 Ersatzfälle und 50,7 Verluste auf eine Million (Handwörterbuch des Postwesens, 2. Aufl mit Nachtrag 1956 unter "Verluste an Postsendungen"; dabei sind offenbar nur die gemeldeten Verluste erfaßt). Wenn dies auch, gemessen an der Gesamtzahl der Einschreibesendungen, nur ein sehr geringer Prozentsatz ist, so läßt sich doch jedenfalls unter diesen Umständen weder sagen, daß der Zugang, noch, daß der Verlust typisch sei. Die genannten Zahlen ergeben lediglich eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß abgesandte Einschreibebriefe auch ankommen. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten des Verlaufs erfahrungsgemäß in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere (BGH VersR 1954, 224; RG DR 1942, 1515).

Zudem widerspräche es im Ergebnis auch der klaren Regelung des Gesetzes, wenn man mit dem Berufungsgericht bei Schriftstücken, die eine rechtsgeschäftliche oder geschäftsähnliche empfangsbedürftige Erklärung enthalten, den Nachweis der Einlieferung bei der Post auf erste Sicht als ausreichend ansehen und vom Erklärungsgegner verlangen wollte, er solle diesen "ersten Anschein" durch den in der Regel gar nicht zu führenden Beweis der negativen Möglichkeit, daß ihm die Sendung nicht zugegangen sei, entkräften. Auf diese Weise würde nämlich das vom Absender zu beweisende gesetzliche Erfordernis des Zugangs (§ 130 BGB) praktisch durch den bloßen Nachweis der Absendung ersetzt. Zu einer solchen Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Willenserklärungen und Rechtshandlungen besteht um so weniger Anlaß, als die praktischen Bedürfnisse des Geschäftsverkehrs sie keineswegs erfordern. Wer jeden Streit darüber, ob ein abgesandtes Schriftstück auch angekommen ist, mit Sicherheit ausschließen will, kann förmlich zustellen oder wenigstens ein Einschreiben mit Rückschein schicken. Aber auch bei Verwendung eines einfachen Einschreibebriefs kann der Absender fast immer mit Hilfe des vom Empfänger vollzogenen und bei der Post aufbewahrten Ablieferungsscheins seiner Beweispflicht für den Zugang genügen. Beweisschwierigkeiten können sich hier höchstens in den seltenen Ausnahmefällen ergeben, in denen erst nach Ablauf der vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist von 2 Jahren für Ablieferungsscheine (Allg Dienstanweisung für das Post- und Fernmeldewesen - ADA - Abschn IV 2 Anlage 23 Ziff I, 14 zu § 37 Nr 2) Zweifel über den Zugang auftauchen. Diese Schwierigkeiten kann der Absender aber bei ordnungsmäßigem Geschäftsbetrieb in aller Regel dadurch vermeiden, daß er den Geschäftsgegner rechtzeitig innerhalb der Zweijahresfrist zur Äußerung darüber veranlaßt, ob er den Empfang des betreffenden Schreibens in Abrede stellt. Bestreitet der Empfänger daraufhin den Zugang zunächst nicht, so muß er dieses Verhalten nach Treu und Glauben gegen sich gelten lassen und kann nicht nachträglich nach Ablauf der Frist und Vernichtung der Belege noch mit dem Vorbringen gehört werden, er habe das Schriftstück nicht erhalten. Der Absender hat demnach genügend Mittel zur Verfügung, den ihm obliegenden Beweis des Zugangs von vornherein sicherzustellen. Macht er von ihnen keinen Gebrauch, so ist es keineswegs unbillig, wenn er entsprechend der gesetzlichen Regelung die volle Gefahr trägt, daß seine Erklärung nicht ankommt oder er den Zugang nicht beweisen kann. Für den Empfänger wäre es auf der anderen Seite eine untragbare Zumutung, wenn er von sich aus Nachforschungen über den Verbleib einer an ihn abgesandten, aber nicht angekommenen Postsendung - also über Tatsachen, die gar nicht in seinem Macht- und Wissensbereich liegen - anstellen müßte, um die Annahme des Zugangs zu widerlegen. Solche Nachforschungen sind allein Sache des Absenders. Führen sie zu keinem Erfolg, so bleibt dem Absender noch immer die Möglichkeit, im Prozeß die Parteivernehmung des Gegners über den Zugang zu beantragen (§ 445 ZPO), wogegen dem Empfänger ein solches Beweismittel nicht offensteht.

Für den Bereich der Versicherungspraxis, insbesondere für den Nachweis des Zugangs von Mahnschreiben nach § 39 VVG, rechtfertigt sich keine andere Beurteilung. Vielmehr gewährleisten die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (vor allem §§ 12, 33, 34 in Verb mit § 6) und die Allg Versicherungsbedingungen gerade im Interesse der Versicherer eine schnelle Aufklärung und Unterrichtung der Versicherer und geben ihnen damit ohne weiteres die Möglichkeit, bei ordnungsmäßigen Geschäftsführung stets schon innerhalb der zweijährigen Aufbewahrungsfrist für Einschreibequittungen zu klären, ob die Mahnung den Empfänger erreicht hat oder nicht. ..."









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