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BGH v. 24.11.2009: Die Anordnung der Beschlagnahme des gesamten auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mail-Bestandes eines Beschuldigten verstößt regelmäßig gegen das Übermaßverbot.
Der BGH (Beschluss vom 24.11.2009 - StB 48/09 (a)) hat entschieden:
- Die Anordnung der Beschlagnahme des gesamten auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mail-Bestandes eines Beschuldigten verstößt regelmäßig gegen das Übermaßverbot.
- Zur Pflicht der Benachrichtigung des Beschuldigten über die Beschlagnahme der in seinem elektronischen Postfach gelagerten E-Mail-Nachrichten.
Aus den Entscheidungsgründen:
I.
Der Generalbundesanwalt führt gegen die Beschuldigten "X" und "Y" ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB. Er legt den Beschuldigten zur Last, sich von Deutschland aus an Geldtransaktionen an Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung "Z" beteiligt zu haben.
Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2009 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Anträge des Generalbundesanwalts, gegen die Beschuldigten "X" und "Y" verschiedene (verdeckte) Ermittlungsmaßnahmen anzuordnen, mit der Begründung abgelehnt, die vom Generalbundesanwalt vorgelegten Ermittlungsergebnisse - insbesondere ein Auswertevermerk des Landesamts für Verfassungsschutz über ein vom Beschuldigten "X" geführtes Telefongespräch - seien nicht geeignet, einen Anfangsverdacht für den Vorwurf der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu begründen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts, der der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen hat, hat hinsichtlich der Überwachung des E-Mail-Accounts des Beschuldigten nur teilweise Erfolg und führt zur Anordnung der verdeckten Ermittlungsmaßnahme in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
II.
Der Generalbundesanwalt hat im Beschwerdeverfahren das Wortprotokoll des Telefonats des Beschuldigten "X" vorgelegt und damit dessen Inhalt erstmals einer richterlichen Beurteilung zugänglich gemacht. Der Inhalt dieses Telefonats begründet vor dem Hintergrund weiterer Beweisanzeichen nunmehr den für die Anordnung der beantragten Ermittlungsmaßnahme erforderlichen Verdacht, dass die Beschuldigten "X" und "Y" eine Straftat nach § 129 b Abs. 1, § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 StGB begangen haben.
1. Danach liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für folgendes Geschehen vor:
...
2. Die zureichenden Anhaltspunkte für diesen Tatvorwurf ergeben sich aus Folgendem:
a) ...
b) Die den Beschuldigten "X" und "Y" angelasteten Unterstützungshandlungen werden nunmehr zureichend belegt durch das erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegte Wortprotokoll eines Telefonats, das der Beschuldigte "X" am ... mit einem Mitbeschuldigten führte. Der Wortlaut dieses Gesprächs, das vom Landesamt für Verfassungsschutz nach den Bestimmungen des G10-Gesetzes erhoben wurde und - auch nach Auffassung des Generalbundesanwalts - zentrales Beweismittel zum Nachweis der den Beschuldigten angelasteten Unterstützungshandlungen ist, lag dem Ermittlungsrichter weder bei seiner Entscheidung über die Anträge des Generalbundesanwalts noch zum Zeitpunkt seiner Abhilfeentscheidung vor. Ihm stand lediglich ein kurzer und in Teilen vage gehaltener Auswertevermerk des Landesamts für Verfassungsschutz über das Telefongespräch zur Verfügung. Auf dieser Grundlage hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Anträge des Generalbundesanwalts zu Recht abgelehnt.
Bei den beantragten Ermittlungsmaßnahmen handelt es sich um Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen der von der Maßnahme Betroffenen, deren Gestattung grundsätzlich dem Richter vorbehalten ist. Das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten Eingriffe, zu denen auch der für die jeweilige Anordnung erforderliche Tatverdacht gehört, hat der zuständige Ermittlungsrichter eigenständig zu prüfen. An die Bewertung der Verdachtslage oder einzelner Beweismittel durch die Ermittlungsbehörden ist er dabei nicht gebunden (BGH NStZ-RR 2005, 73 f.). Dieser Pflicht zur umfassenden Prüfung des Tatverdachts kann der Ermittlungsrichter nur dann genügen, wenn ihm von der antragstellenden Staatsanwaltschaft alle maßgeblichen Beweismittel, jedenfalls soweit sie nicht der Geheimhaltung unterliegen, vorgelegt werden. Auswertevermerke der Ermittlungsbehörden oder wie hier eines Nachrichtendienstes vermögen dies regelmäßig nicht zu ersetzen. Sie sind, soweit sie lediglich Beweisergebnisse zusammenfassend schildern und bewerten, ein nur mittelbares Beweismittel, dem nur ein eingeschränkter Beweiswert zukommt.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat deshalb zu Recht dem Vermerk des Landesamts für Verfassungsschutz über den Inhalt und die Beurteilung des aufgezeichneten Telefongesprächs keinen ausreichenden Beweiswert für die Bejahung eines Tatverdachts beigemessen. In dem Vermerk wird das maßgebliche Telefonat nur bruchstückhaft wiedergegeben. Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigten "X" und "Y" die ihnen angelasteten Unterstützungshandlungen begangen haben, ergeben sich daraus nicht.
Hingegen wird aus dem Gesamtzusammenhang des dem Senat nunmehr vorliegenden Wortprotokolls über das Gespräch zureichend deutlich, dass der Mitbeschuldigte den Beschuldigten "X" und "Y" nicht nur sehr bestimmte und konkrete Anweisungen zu Geldtransfers gab, die ersichtlich für Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Z" vorgesehen waren, sondern der Beschuldigte "X" dieser Aufforderung keineswegs ablehnend gegenüber stand.
...
III.
Die Überwachung des E-Mail-Accounts in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang ist zur Aufklärung des Sachverhalt erforderlich; diese wäre zumindest wesentlich erschwert, würde sie allein mit anderen Ermittlungsmaßnahmen versucht.
...
Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und des Verdachtsgrades ist die Anordnung der Maßnahme verhältnismäßig.
Von der vorherigen Anhörung des Beschuldigten und des Diensteanbieters ist abzusehen, um den Zweck der Anordnung nicht zu gefährden.
IV.
Die Beschwerde des Generalbundesanwalts ist hingegen unbegründet, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Beschlagnahme aller im Postfach des E-Mail-Accounts bereits vorhandenen Nachrichten richtet. Die Beschlagnahme ist im Ergebnis zu Recht nicht angeordnet worden.
Zwar ermöglichen die Regelungen der §§ 94 ff. StPO grundsätzlich die Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails, die nach Beendigung des Übertragungsvorgangs auf dem Mailserver des Providers gespeichert sind (BVerfG NJW 2009, 2431, 2433). Allerdings muss der Eingriff aufgrund der §§ 94 ff. StPO verhältnismäßig sein. Die vom Generalbundesanwalt beantragte unbeschränkte Beschlagnahme aller bereits im Postfach des E-Mail-Accounts vorhandenen Nachrichten wird indes den sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen nicht gerecht. Insoweit gilt:
Beim Vollzug von Beschlagnahmen, insbesondere beim Zugriff auf einen umfangreichen elektronischen Datenbestand, ist darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser und dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO unterliegender Daten vermieden wird. Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherten Daten ist deshalb allenfalls dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der gesamte Datenbestand, auf den zugegriffen werden soll, für das Verfahren potentiell beweiserheblich ist. Bei einem E-Mail-Postfach wird dies in aller Regel nicht der Fall sein (BVerfG aaO S. 2436).
Auch im vorliegenden Fall liegen keine Anhaltspunkte für eine potentielle Beweisbedeutung des gesamten E-Mail-Bestandes des Beschuldigten vor. Der vom Generalbundesanwalt beantragte Zugriff auf alle auf dem Mailserver des Providers gespeicherten Nachrichten verstößt daher gegen das Übermaßverbot. Der Ermittlungsrichter hat die Beschlagnahmeanordnung deshalb im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Der Senat weist auf Folgendes hin:
Als weniger eingriffsintensive Maßnahme zur Sicherung beweiserheblicher E-Mails unter Vermeidung der Gewinnung überschießender und vertraulicher, für das Verfahren bedeutungsloser Informationen kann etwa die Beschlagnahme eines Teils des Datenbestands unter Eingrenzung der ermittlungsrelevanten E-Mails anhand bestimmter Sender- oder Empfängerangaben oder anhand von Suchbegriffen in Betracht kommen. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann in Fällen wie dem vorliegenden auch die vorläufige Sicherstellung des gesamten E-Mail-Bestandes im Rahmen einer Durchsuchung beim Beschuldigten nach § 102 StPO oder beim Provider nach § 103 StPO genügen, an die sich zunächst eine Durchsicht des sichergestellten Datenmaterials nach § 110 Abs. 1 bzw. Abs. 3 StPO zur Feststellung der Beweiserheblichkeit und -verwertbarkeit anzuschließen hat, um im Anschluss an dieses Verfahrensstadium die endgültige Entscheidung über den erforderlichen und zulässigen Umfang der Beschlagnahme treffen zu können (BVerfG aaO S. 2436 f.). Allerdings wird dabei zu beachten sein, dass es sich nicht nur bei der Durchsuchung, sondern auch bei der Beschlagnahme um offene Ermittlungsmaßnahmen handelt, deren Anordnung den Betroffenen und Verfahrensbeteiligten bekannt zu machen ist (§ 33 Abs. 1, § 35 Abs. 2 StPO). Der Beschuldigte ist deshalb auch dann von der Beschlagnahme der in seinem elektronischen Postfach gelagerten E-Mail-Nachrichten zu unterrichten, wenn die Daten aufgrund eines Zugriffs beim Provider auf dessen Mailserver sichergestellt wurden. Eine Zurückstellung der Benachrichtigung wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks sieht die Strafprozessordnung für diese Untersuchungshandlung - anders als § 101 Abs. 5 StPO für die in § 101 Abs. 1 StPO abschließend aufgeführten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen - nicht vor (Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 98 Rdn. 21; für eine entsprechende Anwendung des § 101 Abs. 5 StPO allerdings Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 98 Rdn. 10; Nack in KK 6. Aufl. § 98 Rdn. 21).
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