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Gemeinsamer Senat der obersten Bundesgerichte Urteil vom 05.04.2000 - GmS-OGB 1/98 - Schriftsätze als Textdatei mit eingescannter Unterschrift
Gemeinsamer Senat der obersten Bundesgerichte v. 05.04.2000: Schriftsätze als Textdatei mit eingescannter Unterschrift
Der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte (Urteil vom 05.04.2000 - GmS-OGB 1/98) hat entschieden:
In Prozessen mit Vertretungszwang können bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden.
Siehe auch Telefax - Computerfax und Textform - Schriftform - Brief - Fax - E-Mail - Datenträger - SMS
Zum Sachverhalt:
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid erwirkt, den das Landgericht nach Einspruch der Beklagten aufrechterhalten hat. Die Begründung der dagegen gerichteten Berufung wurde am letzten Tag der Frist durch sogenanntes Computerfax mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt. Eine inhaltsgleiche vom Prozessbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung ging am nächsten Tage ein. Er hat hierzu erklärt: Der Schriftsatz sei am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ausgedruckt, von ihm unterzeichnet und zur Post gegeben worden. Da das zentrale Fax-Gerät an diesem Tage überlastet oder gestört gewesen sei, habe er sein Einverständnis erklärt, zur Wahrung der Frist den Schriftsatz nicht - wie vorgesehen - durch Telefax, sondern per Computerfax mit eingescannter Unterschrift dem Gericht zu übermitteln.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NJW 1998, 1650 f. abgedruckt ist, hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Rechtsmittel sei nicht rechtzeitig begründet worden. Die durch Computerfax übermittelte Begründung sei wegen fehlender Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten unwirksam. Der am nächsten Tag übermittelte Schriftsatz sei nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen.
2. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts und möchte deshalb die nach § 547 ZPO unbeschränkt zulässige Revision zurückweisen. Er sieht sich an einer solchen Entscheidung gehindert, weil er damit von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts abweichen würde.
3. a) Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 19. Dezember 1994 - 5 B 79/94, NJW 1995, 2121 entschieden, dass die Zulässigkeit einer im Wege der "Btx-Mitteilung" erhobenen Klage nicht notwendig daran scheitert, dass es bei Inanspruchnahme dieses Übermittlungsweges technisch nicht möglich ist, die eigenhändige Unterschrift des Urhebers des Klageschriftsatzes zu übermitteln, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Der Senat hat sich damit der Auffassung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 6. Dezember 1988 BVerwG 9 C 40/87, BVerwGE 81, 32, 40 ) angeschlossen.
b) Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat sich in seinem Beschluss vom 15. Oktober 1996 - 14 BEg 9/96 , MDR 1997, 374 der Meinung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Fall angeschlossen, in dem eine Berufungsschrift auf dem häuslichen PC der Klägerin erstellt und mittels PC-Modem an das Telefax-Empfangsgerät des Landessozialgerichts übermittelt worden war (Computer-Fax). Der dort entstandene Ausdruck endete mit dem Namen und der Anschrift der Klägerin sowie dem Hinweis "Dieser Brief wurde maschinell erstellt, wird nicht eigenhändig unterschrieben."
c) Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat unter Hinweis auf die vorgenannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts mit Beschluss vom 11. November 1997 - VII B 108/97, BFH/NV 1998, 604 die Rücknahme einer Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers für wirksam erachtet, die dem Bundesfinanzhof durch ein Computerfax übermittelt worden war, das am Ende nur den Namen des Prozessbevollmächtigten in Maschinenschrift mit dem Zusatz enthielt "Dieses Fax wurde durch elektronische Medien übermittelt und trägt deshalb keine Unterschrift." Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Entscheidung in seinem Vorlagebeschluss noch nicht berücksichtigt.
4. Die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit sich zur Sache zu äußern. Sie haben auf eine mündliche Verhandlung vor dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes übereinstimmend verzichtet.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Vorlage ist zulässig (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe des Bundes - RsprEinhG - vom 19. Juni 1968 - BGBl I S. 661). Die vom vorlegenden Senat angenommene Divergenzlage ist nicht zu verneinen, da es sich um vergleichbare, in ihren rechtlichen Voraussetzungen übereinstimmende Vorgänge handelt, die im Interesse der Rechtssicherheit einheitlich beantwortet werden müssen (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, NJW 1980, 172, 173). Regelungsgegenstand ist das Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze (vgl. dazu BGHZ 75, 340, 343). Die unterschiedliche Auslegung dieses Grundsatzes erfordert die Entscheidung des Gemeinsamen Senats.
III.
Der Gemeinsame Senat beantwortet die ihm vorgelegte Rechtsfrage dahin, dass in Prozessen mit Vertretungszwang bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden können.
1. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck sind. Auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes bisher das Schriftlichkeitserfordernis, soweit es durch prozessrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird, ausgelegt. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 75, 340, 348 f.).
Zwar hat die Rechtsprechung bisher grundsätzlich für bestimmende fristwahrende Schriftsätze, soweit sie nicht von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts oder von Behörden eingereicht wurden, zur Sicherstellung dieser prozessrechtlichen Anforderungen die handschriftliche Unterschriftsleistung des Berechtigten verlangt. Jedoch sind unter Hinweis auf den Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses im Rahmen des Prozessrechts insoweit schon in erheblichem Umfang Ausnahmen zugelassen worden.
2. So haben schon das Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift und anderer bestimmenden Schriftsätze durch ein Telegramm für zulässig erachtet. Diese Ausnahme hat sich auf allen Rechtsgebieten durchgesetzt (vgl. z.B. für den Zivilprozess: RGZ 139, 45; 151, 82,86; RG, Beschluss vom 25. Juni 1937 - II B 6/37, WarnRspr 1937 Nr. 122; BGHZ 24, 297, 299; 75, 340, 349; BGH, Urteile 29. Mai 1962 - I ZR 137/61, NJW 1962, 1505,1507, vom 22./23. Juni 1965 - III ZR 251/63, VersR 1965, 852, vom 28. Januar 1971 - IX ZR 50/70, MDR 1971, 576, vom 18. Dezember 1975 - VIII ZR 123/75, NJW 1976, 966, 967, und vom 25. September 1979 - VI ZR 79/79, NJW 1980, 172; für das arbeitsgerichtliche Verfahren: RAGE 3, 252; BAGE 3, 55; 13, 121, 123; 22, 156, 158; BAG, Urteile vom 1. Juli 1971 -5 AZR 75/71, NJW 1971, 2190, vom 26. Januar 1976 - 2 AZR 506/74, NJW 1976, 1285, vom 14. Februar 1978 - 1 AZR 154/76, NJW 1979, 233, 234, vom 1. Juni 1983 - 5 AZR 468/80, NJW 1984, 199 f. und vom 24. September 1986 - 7 AZR 669/84, DB 1987, 183; für das verwaltungsgerichtliche Verfahren: BVerwGE 1, 103; 2, 190, 192, 3, 56; BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 1961 - BVerwG 2,7/61, NJW 1962, 555; BVerwG, Urteil vom 22. November 1963 - BVerwG IV C 76/63, NJW 1964, 831, 832; für das sozialgerichtliche Verfahren: BSGE 1, 243, 245; 5, 3, 4; 7, 16, 17; für das finanzgerichtliche Verfahren: BFHE 92, 438; BFH, Urteile vom 3. Dezember 1953 - IV 256/53 U, BStBl III 1954, 27 und vom 24. Juli 1973 - IV R 204/69, BB 1973, 1517; jetzt ausdrücklich § 357 I 3 AO; für die freiwillige Gerichtsbarkeit; BGH, Beschluss vom 23. September 1952 - V BLw 3/52, JZ 1953, 179; für die Verfassungsbeschwerde: BVerfGE 4, 7, 12; 32, 365, 368). Danach wird das Telegramm heute allgemein als rechtswirksamer bestimmender Schriftsatz anerkannt, auch wenn es aus technischen Gründen vom Erklärenden nicht - eigenhändig und handschriftlich - unterzeichnet werden kann. Diese Übung ist nach der Rechtsprechung zum Gewohnheitsrecht erstarkt (RGZ 139, 45, 48; BSGE 1, 243, 245; BAG, Urteil vom 1. Juli 1971 - 5 AZR 75/71, NJW 1971, 2190, 2191; BGHZ 79, 314, 316; 87, 63, 64; BGHSt 31, 7, 8). Maßgeblich ist allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den Adressaten bestimmte Telegrammurkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer "Urschrift" beruht, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden ist. Auch eine telefonische Telegrammaufgabe wird deshalb allgemein zugelassen (RAGE 3, 252, 254; RGZ 139, 45, 48; 151, 82, 86; BGHZ 79, 314, 316; BGHSt 8, 174, 176 f.; 14, 233, 235).
Dieselben Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung , wenn der bestimmende Schriftsatz nicht durch Telegramm, sondern mittels Fernschreiben übermittelt worden ist (BGHZ 79, 314, 316; 87, 65 ). Auch hier veranlasst der Absender im Wege der elektrotechnischen Nachrichtenübermittlung, dass die maßgebliche Erklärung erst andernorts und nur maschinenschriftlich niedergelegt wird. Vorausgesetzt wird allerdings, dass das Fernschreiben unmittelbar von der Fernschreibstelle des Gerichts aufgenommen wird (vgl. BGHZ 79, 314, 318), dass es seinem Inhalt nach den Anforderungen entspricht, die die Prozessordnung an bestimmende Schriftsätze, z. B. an eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbegründung, stellt, und dass es abschließend - als Ersatz der an sich erforderlichen, technisch aber nicht möglichen Unterschrift - den Namen des Erklärenden anführt (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 1965 - I a ZB 11/65, NJW 1966, 1077 und vom 27. April 1967 - I a ZB 19/66, NJW 1967, 2114; BFHE 136, 38; BAG, Urteile vom 1. Juni 1983 - 5 AZR 468/80, NJW 1984, 199 und vom 24. September 1986 - 7 AZR 669/84; DB 1987, 183 ).
Dementsprechend ist die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig, ein Verfahren, das sich von der Übermittlung im Telefaxdienst der Bundespost nicht wesentlich unterscheidet (vgl. BverfG - 2. Kammer des Ersten Senats -, NJW 1996, 2857; BGH, Beschlüsse vom 20. September 1993 - II ZB 10/93, NJW 1993, 3141, vom 27. November 1996 - VIII ZB 38/96, VersR 1997, 853 und vom 8. Oktober 1997 - XII ZB 124/97, NJW 1998, 762; BAG, Urteil vom 27. März 1996 - 5 AZR 576/94, NJW 1996, 3164 f.; Hoppmann, VersR 1992, 1068 m. w. Nachw.).
3. Es entspricht der langjährigen Entwicklung dieser Rechtsprechung, die dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung trägt, die Übermittlung bestimmender Schriftsätze auch durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts zuzulassen.
Die Erfüllung der gesetzlich erforderlichen Schriftform, zu der grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift gehört, ist solchen bestimmenden Schriftsätzen nicht deshalb abzusprechen, weil sie durch moderne elektronische Medien - wie das im Streitfall zu beurteilende Computerfax - übermittelt werden und mangels Vorhandenseins eines körperlichen Originalschriftstücks beim Absender eine eigenhändige Unterzeichnung nicht möglich ist. Auch bei der von der Rechtsprechung zu Recht gebilligten und zum Gewohnheitsrecht erstarkten Übung der telefonischen Telegrammaufgabe existiert keine vom Absender unterschriebene Urschrift. Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronisch übermittelten Schriftsatzes ist nicht eine etwa beim Absender vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im Textverarbeitungs-PC befindliche Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde. Der alleinige Zweck der Schriftform, die Rechtssicherheit und insbesondere die Verlässlichkeit der Eingabe zu gewährleisten, kann auch im Falle einer derartigen elektronischen Übermittlung gewahrt werden. Entspricht ein bestimmender Schriftsatz - wie im Ausgangsverfahren die Berufungsbegründung- inhaltlich den prozessualen Anforderungen, so ist die Person des Erklärenden in der Regel dadurch eindeutig bestimmt, dass seine Unterschrift eingescannt oder der Hinweis angebracht ist, dass der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht unterzeichnen kann. Auch der Wille, einen solchen Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, kann in aller Regel nicht ernsthaft bezweifelt werden. ..."