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Landgericht Bonn Urteil vom 03.01.2008 - 12 O 157/07 - Rechtsmissbräuchliches Abmahnen durch einen Rechtsanwalt - Massenabmahnung

LG Bonn v. 03.01.2008: Rechtsmissbräuchliches Abmahnen durch einen Rechtsanwalt - Massenabmahnung


Das Landgericht Bonn (Urteil vom 03.01.2008 - 12 O 157/07) hat entschieden:

   Ob ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz rechtsmissbräuchlich ist, ist von Amts wegen unabhängig vom Prozessverhalten des Antragsgegners zu prüfen. Zahlreiche Abmahnungen innerhalb kürzester Frist lassen den Schluss zu, dass es nur darum geht, dem Bevollmächtigten des Antragstellers eine Einnahmequelle zu erschließen.




Siehe auch
Rechtsmissbrauch
und
Abmahnung


Zum Sachverhalt:


Die Verfügungsklägerin vertreibt gewerbsmäßig bundesweit Autoersatzteile unter anderem über das Internet.

Der Verfügungsbeklagte macht dies ebenfalls.

Die Verfügungsklägerin hält diverse von dem Verfügungsbeklagten verwendete Klauseln für unzulässig und hat nach Abmahnung eine einstweilige Verfügung des Kammervorsitzenden am 01.10.2007 erwirkt, dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, dass der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin Rechtsanwalt F damit begonnen hatte, in einer Vielzahl von Verfahren Anträge auf Erlaß von einstweiligen Verfügungen gegenüber zahlreichen, an unterschiedlichen Orten des Bundesgebietes ansässigen Firmen zu stellen, wobei im wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte vorgetragen werden. So sind in einem Zeitraum von ca. 2 Wochen allein bei den Kammern für Handelssachen des Landgerichtes Bonn nahezu ein Dutzend Verfahren anhängig gemacht worden, wobei allein am Verhandlungstag vom 08.11.2007 vier Verfahren zu verhandeln gewesen wären, wobei ein Verfahren sich unmittelbar vor Verhandlungsbeginn durch Antragsrücknahme erledigt hatte.

Im Hinblick auf die vorgenannte Entwicklung beschloss die erkennende Kammer, anders als im vorliegenden Verfahren, die beantragten einstweiligen Verfügungen nicht ohne Anhörung der Gegenseite zu erlassen. Die Änderung der Bearbeitungsweise ging einher mit Hinweisen der Kammer an Rechtsanwalt F betreffend Bedenken im Hinblick auf § 8 Abs. 4 UWG und Bedenken im Hinblick auf das Eingreifen der Dringlichkeitsvermutung nach § 12 UWG.

Die einstweilige Verfügung wurde wegen Rechtsmissbrauchs aufgehoben.




Aus den Entscheidungsgründen:


"Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung war unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Kammervorsitzenden vom 01.10.2007 als unzulässig zurückzuweisen, da aufgrund summarischer Prüfung hinreichender Anlaß zu der Annahme besteht, dass ein Missbrauchstatbestand im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt und zudem auch die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG nicht eingreift:

Soweit aufgrund summarischer Prüfung im einstweiligen Verfügungsverfahren – eine exakte Überprüfung etwa durch Vernehmung von Zeugen oder dergleichen hat dem Hauptsacheverfahren vorbehalten zu bleiben – feststellbar ist, ist im vorliegenden wie in den zahlreichen Parallelverfahren die Firma L GmbH als Prozesspartei nur vorgeschoben, eigentlicher Akteur ist Rechtsanwalt F, der auf diese Weise die Kriterien, die der Gesetzgeber unter anderem in § 8 Abs. 3 Ziffer 2 und 3 UWG aus wohl erwogenen Gründen aufgestellt hat zu umgehen versucht:

Es ist im Ansatz selbstverständlich unbedenklich, dass ein Gewerbetreibender wie hier die Fa. L. zum Beispiel den Internetauftritt eines Wettbewerbers einer kritischen Betrachtung unterzieht und durch seinen Prozessbevollmächtigten seine Beanstandungen durchzusetzen versucht. Gerade im Hinblick hierauf hat die erkennende Kammer unter anderem im vorliegenden Verfahren in Unkenntnis des Umstandes, dass zahlreiche Parallelverfahren bevorstanden, die beantragte einstweilige Verfügung am 01.10.2007 erlassen, da bei summarischer Prüfung die beanstandeten Klauseln in der Tat unterlassungspflichtig sind und regelmäßig am Eingreifen der Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG keine durchgreifenden Bedenken bestehen.

Wenn aber, wie hier, ein mittelständisches Unternehmen wie die Fa. L. GmbH dazu übergeht, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Verfahren anhängig zu machen, ist sehr wohl die Fragestellung nicht nur erlaubt, sondern naheliegend, ob die formal als Verfügungsklägerin auftretende juristische Person nur vorgeschoben ist, dem eigentlichen Akteur also lediglich als Medium dient, um den Anschein des Vorgehens eines unmittelbaren Wettbewerbers zu erzeugen, wobei dem eigentlichen Akteur sehr wohl bewusst ist, dass er die vom Gesetzgeber aufgestellten Kriterien insbesondere zu § 8 Abs. 3 Ziffer 2 UWG gewiß nicht zu erfüllen vermag. Wie unter anderem das OLG-Köln in seiner Entscheidung vom 15.01.1993 (GR 1993, 571) erkannt hat, ist ein Missbrauchssachverhalt von Amts wegen zu überprüfen. Soweit das Oberlandesgericht Köln indes annimmt, es obliege dem Beklagten beziehungsweise Antragsgegner, die grundsätzlich für die Antragsbefugnis sprechende Vermutung zu erschüttern, erst dann habe der Antragsteller seinerseits substantiiert die aufgekommenen Verdachtsgründe zu widerlegen, so ist dem nicht zu folgen: Hier wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Antragsgegnerseite in der Regel von dem Vorliegen zahlreicher Parallelverfahren nichts weiß und auch nichts wissen kann. Die vier am 08.11.2007 zunächst anstehenden Verfahren richteten sich gegen Personen aus dem Raum C, E, A und T, wobei der eine von dem anderen nichts wusste und schon gar nicht, dass zahlreiche weitere Verfahren mehr oder minder zeitgleich anhängig gemacht worden waren. Der Eingangssatz der anzuwenden Methodik, nämlich Prüfung von Amts wegen, ist vielmehr unabhängig von der Verteidigung der Verfügungsbeklagten durch das Gericht durchzuführen, schon weil hier Erkenntnisse vorliegen, die die Verfügungsbeklagten eben nicht haben, nämlich das Anhängigmachen zahlreicher Verfahren in kürzester Zeit. Die Kammer folgt dem OLG Köln auch nicht in der Annahme, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Abmahnungen allein noch nicht auf ein missbräuchliches Ausnutzen der Klagebefugnis „schließen“ lasse. Gerade die Vielzahl der Verfahren, die nur die „Spitze des Eisbergs“ darstellen, lässt doch wohl die Fragegestellung als berechtigt erscheinen, was einen mittelständischen Betrieb wie die Fa. L. GmbH veranlasst haben mag, anstatt Motoren instand zusetzten die Erfüllung von Hinweispflichten und dergleichen in Internetauftritten von Wettbewerbern in einer Vielzahl von Verfahren überprüfen zu lassen und mit nicht unerheblichem Kostenrisiko zum Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren zu machen. Das ist gewiß nicht das Kerngeschäft der Fa. L, wohl aber das Kerngeschäft des Rechtsanwaltes F, der ohne Benutzung eines Gewerbetreibenden die privilegierenden Kriterien eines Vorgehens eines unmittelbaren Wettbewerbers nicht nutzen könnte, während er bei der gewählten Vorgehensweise nach dem Aufstellung einiger Satzbausteine in einer Vielzahl von Verfahren die Hoffnung haben kann, üppige Einkünfte zu erzielen, an die vermutlich derjenige teilweise beteiligt sein wird, der hier seinen Namen als Wettbewerber hergibt. Ob das alles nur Vermutungen sind, ist im Strengbeweisverfahren im Hauptsacheverfahren zu klären, während im einstweiligen Verfügungsverfahren eine summarische Prüfung ausreichen muß um festzustellen, dass hinreichender Grund für die Annahme einer Missbrauchstatbestandes im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt. Hier erst, in Dutzenden von Verfahren Zeit, Energie und Geld aufzuwenden, um sodann nachträglich eben auch der Frage nachzugehen, ob in der Tat eine Vermutung für die Zulässigkeit der Vorgehensweise besteht oder nicht zumindest erschüttert ist, erachtet die Kammer für methodisch nicht angemessen. Die Parameter zur Anwendung des § 8 Abs. 4 UWG sind vielmehr deutlich effizienter zu Lasten desjenigen heranzuziehen, der Grund für die Annahme gibt, die vom Gesetzgeber aufgestellten Schutzkriterien zu unterlaufen um seines eigenen finanziellen Vorteils willen.

Der Antragstellerseite wird hierdurch keineswegs ein effizienter Rechtsschutz verweigert. Trotz Hinweises auf § 12 UWG hat die Antragstellerseite es nicht einmal für veranlasst erachtet, auch nur zu eruieren, seit wann die beanstandeten Klauseln auf der Website der Antragsgegnerseite verwendet werden. Eine vorläufige Hinnahme bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren – und da eben auch Klärung, wer denn wirklich Klärung haben will – ist keineswegs Rechtsschutzverweigerung, sondern durchaus angebracht.

Damit ist das zweite Zulässigkeitskriterium angesprochen, nämlich die Frage, ob in der Tat die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG eingreift:

In aller Regel wird der Gewerbetreibende durch eine ihn beeinträchtigende unterlassungspflichtige Handlung des Wettbewerbers so tangiert sein, dass er alsbald reagiert. Das ist die im Ansatz durchaus gerechtfertigte Basis des vom Gesetzgeber konstatierten § 12 UWG, wonach in der Regel die Dringlichkeit vermutet wird. Ob diese Regel in Fällen der vorliegenden Art in der Tat eingreift, ist indes alles andere als selbstverständlich:

Würde es um die Beanstandung von irgendwelchen Klauseln in Katalogen gehen, käme niemand auf den Gedanken, Klauseln von Katalogen, die seit Jahren gebraucht werden, im einstweiligen Verfügungsverfahren unter Berufung auf die Dringlichkeitsvermutung überprüfen zu lassen mit der Erklärung, erst jetzt hiervon Kenntnis erlangt zu haben und unter Berufung darauf, dass jedenfalls der überwiegende Teil der Rechtsprechung eine Marktbeobachtungspflicht negiert. Ähnlich ist es mit der Überprüfung von Zeitungsanzeigen zum Beispiel von Maklern, womit sich jahrzehntelang kalte Abmahnvereine nicht ausgelasteter Rechtsanwälte beschäftigt haben. Anders als bei den Webseiten von Internetauftritten ist bei Zeitungsanzeigen und Katalogen in aller Regel unschwer feststellbar, seit wann die beanstandeten Klauseln beziehungsweise Aussagen verwendet werden. Anders ist es bei dem seit einigen Jahren immer gewichtigeren Medium Internet. Wann in den vorliegenden Verfahren die beanstandeten Klauseln erstmals gebraucht wurden, ist völlig ungeklärt. Das mag schon seit Jahren so sein. Warum also auch hier die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG eingreifen soll, die der Gesetzgeber zu Zeiten konstatiert hat, als es ein Internet noch nicht gab oder doch jedenfalls noch nicht gebräuchlich war, ist unerfindlich und zumindest dann nicht sachgerecht, wenn parallel hierzu Grund für die Annahme besteht, dass ein missbräuchliches Vorgehen im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt, was hier der Fall ist.

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 01.10.2007 war daher aufzuheben und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung als unzulässig zurückzuweisen. ..."

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