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Landgericht München Urteil vom 28.11.2007 - 1 HK O 5136/07 - Eine Abmahnung als Reaktion (Retourkutsche) kann rechtsmissbräuchlich sein

LG München v. 28.11.2007: Eine Abmahnung als Reaktion (Retourkutsche) kann rechtsmissbräuchlich sein


Das Landgericht München (Urteil vom 28.11.2007 - 1 HK O 5136/07) hat entschieden:

   Die Tatsache, dass eine Abmahnung, als unmittelbare Reaktion auf eine zuvor zugegangene Abmahnungen der Gegenseite mit dem Ziel einer möglichst hohe Kostenbelastung des Gegners ausgesprochen wurde, stellt ein starkes Indiz für rechtsmissbräuchliches Handeln i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG dar.



Siehe auch
Abmahnung
und
Rechtsmissbrauch


Zum Sachverhalt:


Die Parteien stritten um die Berechtigung von Unterlassungsansprüchen, die der Beklagte geltend gemacht hat.

Nachdem der Kläger den Beklagten zuvor wegen anderer Wettbewerbsverstöße abgemahnt hatte, ließ der Beklagte den Kläger seinerseits mit Schreiben seiner anwaltlichen Vertreter Rechtsanwälte & vom 22.02.2007 (Anlage K7) abmahnen, wobei er u.a. unzureichende Angaben zur Anbieterkennzeichnung „nach § 6 TDG“ auf Internetauftritten des Klägers rügen ließ und dessen Angebot eines Frontspoilers auf Ebay beanstandete.

Die rechtlichen Vertreter des Beklagten ließen den Kläger mit inhaltlich gleich lautendem Anschreiben wegen dieser und weiteren Rügen am selben Tag auch im Namen ihrer weiteren Mandantin, Frau H.S., abmahnen. Diese betreibt oder betrieb zum damaligen Zeitpunkt wie der Beklagte neben dem Bezug von SGB-II-Leistungen ein Kleinstunternehmen in Konkurrenz mit dem Kläger und war von diesem ebenfalls abgemahnt worden. Der Beklagte und Frau H.S. sind familiär verbunden, betreiben oder betrieben aber jeweils eigenständige Unternehmen.

Der Kläger hat gegenüber der Abmahnung negative Feststellungsklage erhoben. Mit den Parteien wurde in der mündlichen Verhandlung auch die Problematik eines möglichen Rechtsmissbrauchs nach § 8 IV UWG bei den Abmahnungen des Beklagtenvertreters besprochen. Ein entsprechender Hinweis wurde dem Beklagten im vorliegenden Verfahren auch zuvor schon erteilt. Die Klage war erfolgreich, weil die Retourkutschenabmahnung vom Gericht als rechtsmissbräuchlich angesehen wurde.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... 1. Die Kammer schließt sich nach eingehender Beratung der Rechtsauffassung der Parallelkammer im Verfahren 17HK O 5135/07 an. Wie in diesem Verfahren, das der Kläger gegen Frau H.S. wegen deren wortgleicher Abmahnung vom 22.02.2007 (Anlage K3) eingeleitet hat, erachtet die Kammer auch im vorliegenden Verfahren die Abmahnung des Beklagten vom selben Tag als rechtsmißbräuchlich gemäß § 8 IV UWG.

Die Kammer schließt dabei aus drei Indizien, dass es dem Beklagten bei seiner Abmahnung vorrangig um eine Kostenbelastung des Klägers ging und nur nachrangig um das Bedürfnis, seine unternehmerische Tätigkeit ungestört von Wettbewerbsverstößen Dritter ausüben zu können:

Zum einen wusste der Beklagten ebenso wie die mit ihm familiär verbundene Frau H.S., dass der jeweils andere den identischen Verstoß am selben Tag vom selben Rechtsanwalt abmahnen ließ. Die Abmahnung stellt sich als konzertierte Aktion dar, die mit den vorangegangenen klägerischen Abmahnungen begründet wird. Der Beklagte sowie Frau H.S. wussten daher, dass die beiden Abmahnungen eine doppelte Kostenbelastung des vermeintlich zahlungspflichtigen Klägers auslösen würden und nahmen dies in Kauf, obwohl sie wussten, dass das vermeintlich wettbewerblich angestrebte Ziel eines künftigen lauteren Verhaltens des Klägers auch mit einer einzigen Abmahnung erreichbar gewesen wäre.

Für ein Kostenbelastungsinteresse spricht ferner die weitere Tatsache, dass die anwaltlichen Vertreter des Beklagten und seiner Familienangehörigen H.S. in beiden Abmahnungen Gegenstandswerte von jeweils € 100 000,00 angaben, die - auch in Anbetracht der jeweils enthaltenen mehreren Rügen - als völlig überhöht zu bezeichnen sind.



Beide Verhaltensweisen werden vor dem Hintergrund des von der Kammer herangezogenen dritten Indizes verständlich: Die Abmahnungen des Beklagtenvertreters stellten unstreitig die unmittelbare Reaktion auf zuvor zugegangene Abmahnungen des Klägers dar und zielten somit zu dessen Bestrafung auf eine möglichst hohe Kostenbelastung. Dass nebenbei möglicherweise auch ein Kostenerzielungsinteresse des Beklagtenvertreters mitgespielt haben mag, würde den Missbrauchsvorwurf nicht beseitigen, sondern vielmehr stützen. Generell bildet jedoch der Umstand, dass es sich vorliegend um eine ausgewiesene „Retourkutsche“ handelt, nach Überzeugung der Kammer einen starken Hinweis darauf, dass die Belastung des Klägers mit Kosten ein Hauptziel der Aktion des Beklagten war.

Diese Einschätzung wird von der Kammer sowohl bei vermögenden als auch bei weniger vermögenden Unternehmern vertreten, vgl. etwa die Ausführungen der Kammer in der mündlichen Verhandlung des Verfahren 1HK O 8475/07. Der Umstand, dass der Beklagte und seine Familienangehörige nach eigenen Angaben in den letzten Jahren aus ihren Unternehmen keine positiven Einkünfte ziehen konnten und mangels anderer Einkünfte auf staatliche Unterstützungen angewiesen sind, spielt insoweit nur ergänzend eine Rolle bei der Frage, ob ein vernünftiger Unternehmer in dieser Situation tatsächlich zur Unterbindung fremder Wettbewerbsverstöße ein hohes eigenes Kostenrisiko eingehen würde und wie hoch das Risiko für ihn im Falle eines Unterliegens tatsächlich ist, sollte es so sein, dass für den dann gegebenen Kostenerstattungsanspruch des Klägers kein finanzieller Rückhalt aus zu erwartenden Einkünften oder pfändbarem Vermögen vorliegen würde. Eine Diskreditierung sozial Bedürftiger - wie vom Beklagtenvertreter im Schriftsatz vom 18.07.2007 im Hinblick auf den Hinweis der Kammer vom 02.07.2007 befürchtet - ist darin nicht zu sehen. Im Rahmen der Wertung nach § 8 IV UWG bedarf es vielmehr einer umfassenden Einschätzung der Motivationslage dessen, der Ansprüche geltend macht vor dem Hintergrund der Interessen beider Parteien und insbesondere der kostenrechtlichen Auswirkungen für diese.

Angesichts einer im vorliegenden Fall als Retourkutsche unter überhöhten Kostenforderungen betriebenen Mehrfachabmahnung geht die Kammer somit von Rechtsmissbrauch aus. Dass ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Beklagten in Frage steht und die Aktion des Beklagten sich vor seinem eigenen finanziellen Hintergrund unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum, unter Rachegesichtspunkten jedoch sehr gut erklären lässt, stellen demgegenüber nur ergänzende Gesichtspunkte dar. ..."

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