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Finanzgericht Hamburg Urteil vom 23.05.2013 - 2 K 192/12 - Kein Erlass des Umsatzsteuererhöhungsbetrags bei Preisbindung
FG Hamburg v. 23.05.2013: Kein Erlass des Umsatzsteuererhöhungsbetrags bei Preisbindung
Das Finanzgericht Hamburg (Urteil vom 23.05.2013 - 2 K 192/12) hat entschieden:
Die Umsatzsteuer ist nicht aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, soweit sie darauf beruht, dass ein Unternehmer auf Grund einer bestehenden Preisbindung gehindert ist, hinsichtlich seines Warenbestandes die Steuersatzerhöhung durch selbstbestimmte Preiserhöhung an den Endverbraucher weiter zu geben. Auch in derartigen Fällen hat der Steuerpflichtige Handlungsmöglichkeiten, um einer wirtschaftlichen Belastung durch die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes zu begegnen.
Siehe auch Der Online-Handel mit Tabakwaren und E-Zigaretten
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt den Erlass von Umsatzsteuer.
Die Klägerin betreibt einen Groß- und Einzelhandel mit Genussmitteln und unterhält ca. ... Filialen im Inland. Der Handel mit Zigaretten, Zigarren, Pfeifentabak und Feinschnitt machte in den Jahren 2006 und 2007 ungefähr 75 % der Umsatzerlöse aus.
Durch Art. 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 29.06.2006 (BGBl I, 1402) wurde der allgemeine Steuersatz (§ 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG) zum 01.01.2007 von 16 % auf 19 % angehoben. Die Änderung ist nach § 27 Abs. 1 S. 1 UStG auf Umsätze anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten der maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden.
Mit Bescheid vom 24.10.2008 wurde die Umsatzsteuer für das Streitjahr 2007 bestandskräftig festgesetzt.
Am 25.07.2011 beantragte die Klägerin den Erlass von Umsatzsteuer für 2007 in Höhe von ... €. Die Umsatzsteuer sei aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, weil sie aufgrund der Preisbindung für Tabakwaren die Umsatzsteuererhöhung zum 01.01.2007 nicht an die Kunden habe weitergeben können. Sie sei an die auf den Steuerbanderolen aufgedruckten Kleinverkaufspreise gebunden, so dass die Umsatzsteuer im Umfang der Erhöhung des Steuersatzes nicht an den Endverbraucher habe weitergegeben werden können, soweit Waren aus dem zum 31.12.2006 bestehenden Restlagerbestand verkauft worden seien.
Mit Bescheid vom 08.09.2011 lehnte der Beklagte den Erlassantrag ab. Die Voraussetzungen für einen Erlass lägen nicht vor. Die Erhöhung des Steuersatzes sei eine besondere Konstellation, in der die Umsatzsteuer schon nach der Konzeption des Gesetzgebers für den Unternehmer nicht notwendig neutral sei. Für diesen Fall von Steuersatzänderungen habe der Gesetzgeber die Regelung des § 29 Abs. 2 UStG vorgesehen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.10.2011 Einspruch ein. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme sei ermessensfehlerhaft, denn die in dieser besonderen Konstellation vorliegende Mehrbelastung sei nicht von dem Gesetzeszweck gedeckt. Insbesondere werde die Neutralität der Umsatzsteuer nicht gewahrt. Dem Neutralitätsgedanken des Umsatzsteuergesetzes werde durch § 29 Abs. 2 UStG nicht ausreichend Rechnung getragen, weil der vorliegende Sachverhalt nicht in seinen Anwendungsbereich falle.
Mit Einspruchsentscheidung vom 04.06.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Es lägen keine sachlichen Billigkeitsgründe vor, denn wie sich aus der Regelung des § 29 UStG ergäbe, habe der Gesetzgeber grundsätzlich erkannt, dass es infolge von Umsatzsteuersatz-Erhöhungen zu einer Mehrbelastung für Unternehmen kommen könne. Soweit - wie im Fall eines Tabakwareneinzelhändlers - infolge einer Preisbindung die Umsatzsteuermehrbelastung nicht auf den Endverbraucher überwälzt werden könne, verbleibe es bei der sich aus der Änderung des Steuersatzes gegebenenfalls ergebenden Mehrbelastung des Unternehmers. Auf eine - dem § 29 UStG vergleichbare - Regelung, mit der Tabakwareneinzelhändler ein Ausgleich für die sie treffenden Mehr-Steuern gewährt würde, habe der Gesetzgeber verzichtet. Im Übrigen habe sich der Gesetzgeber während des Gesetzgebungsverfahrens konkret mit der Möglichkeit der Überwälzung der Mehrwertsteuer durch den Einzelhandel auseinandergesetzt. Der Bundesverband des Tabakwareneinzelhandels habe im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens frühzeitig auf die Problematik einer Mehrbelastung durch die Steuersatzerhöhung bei einer Preisbindung hingewiesen. Vor diesem Hintergrund könne gerade nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber diese Problematik nicht gesehen habe. Vielmehr habe es der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass die Erhöhung des Steuersatzes zulasten der Marge der Tabakwareneinzelhändler gehen könne. Die Erhöhung der Umsatzsteuer zum 01.01.2007 sei seit Mitte 2006 bekannt gewesen. Der Bundesverband des Tabakwareneinzelhandels habe seinen Mitgliedern frühzeitig mögliche Reaktionen aufgezeigt. § 227 der Abgabenordnung (AO) könne nicht eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift ersetzen.
Am 06.07.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen, dass sie durch die Umsatzsteuererhöhung zum 01.01.2007 eine unbillige Belastung zu tragen habe, die nicht dem Regelungskonzept des Umsatzsteuergesetzes entspreche. Aufgrund der Preisbindung für Tabakwaren sei sie an die auf der Steuerbanderole aufgedruckten Preise gebunden gewesen und habe deshalb nicht die Möglichkeit gehabt, durch eine neue Auszeichnung der Waren die Umsatzsteuererhöhung an die Endkunden weiterzugeben. Sie habe deshalb eine Mehrbelastung in Höhe von ... € zu tragen gehabt. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft, denn er habe bei der Bewertung der "sachlichen Unbilligkeit" sachfremde Erwägungen zu Grunde gelegt.
Der Gesetzgeber habe weder durch eine Übergangsregelung noch auf andere Weise einen Ausgleich für diese Mehrbelastung, die der Neutralität der Umsatzsteuer widerspreche, vorgesehen. Wesenszug der Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer sei jedoch die Belastung des Endverbrauchers. Es könne nicht unterstellt werden, dass der Gesetzgeber die bei ihr eingetretene Verletzung der Belastungsneutralität der Umsatzsteuer erkannt und hingenommen habe. Soweit in der Begründung des Entwurfes des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 (BT-Drucks. 16/752, Seite 16) ausgeführt werde, dass die Einzelhändler die Umsatzsteuererhöhung voraussichtlich nicht vollständig durch Preiserhöhungen an den Endverbraucher weitergeben könnten, würden ökonomische Gründe angeführt. Um Einsatzeinbußen zu vermeiden, könnten Einzelhändler regelmäßig freiwillig die geschäftspolitisch beeinflusste Entscheidung treffen, auf die vollständige Weitergabe der Umsatzsteuererhöhung zu verzichten. Dieser Sachverhalt sei jedoch nicht vergleichbar mit einer von Gesetzes wegen untersagten Preisanpassung, wie sie § 28 Tabaksteuergesetz vorsehe. Der Gesetzgeber habe sicher nicht Händler von preisgebundenen Waren schlechter stellen wollen als Händler von nicht preisgebundenen Waren, sondern vielmehr die Auswirkungen der Umsatzsteuersatz-Erhöhung bei einer Preisbindung nicht gesehen.
Sie, die Klägerin, könne auch nicht auf eine frühzeitige Preisanpassung verwiesen werden. Selbst bei einer frühzeitigen Preisanpassung würde es immer noch zu einem Auseinanderfallen von Vorsteuerabzug (16 %) und geschuldeter Umsatzsteuer (19 %) kommen; die Neutralität der Umsatzsteuer sei nach wie vor verletzt. Im Übrigen hätte sie, die Klägerin, auch keinen Einfluss auf die Preisgestaltung der Tabakwarenhersteller nehmen können, um sich von den Nachteilen der Umsatzsteuererhöhung freizuhalten. Der Beklagte verkenne hier das Kräfteverhältnis zwischen den Tabakwarenherstellern und dem Handel.
Der zivilrechtliche Ausgleichsanspruch des § 29 Abs. 1 und Abs. 2 UStG sei nicht anwendbar. Ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zwischen ihr und dem Lieferanten sei bei einem Einkauf zu 16 % Umsatzsteuer nicht gegeben, denn Bestellung und Lieferung der Ware seien 2006 erfolgt. Die Mehrbelastung trete erst durch den Verkauf der Tabakwaren an die Ladenkundschaft zu 19 % in 2007 ein, so dass auch in diesem Rechtsverhältnis § 29 UStG nicht anwendbar sei. Soweit ein Ausgleich der Mehrbelastung nicht nach § 29 UStG auf zivilrechtliche Wege erfolgen könne, entspreche es gerade dem Sinn und Zweck des § 227 AO, im Wege der sachlichen Billigkeit einen Ausgleich zu gewähren.
Eine Rückgabe des Warenbestandes sei ebenfalls nicht möglich gewesen, sie scheitere bereits an einem zivilrechtlichen Rückgabegrund. Im Übrigen sei der Aufwand, die Tabakwaren mit neuen Steuerzeichen zu versehen, so erheblich, dass diese Möglichkeit auch aus wirtschaftlichen Gründen ausscheide.
Der Höhe nach ist der zu erlassene Betrag zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 08.09.2011 und der Einspruchsentscheidung vom 04.06.2012 zu verpflichten, den Antrag auf Erlass von Umsatzsteuer für das Jahr 2007 in Höhe von ... € unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit nicht vorlägen. Der Gesetzgeber habe eine mögliche Mehrbelastung der Unternehmer durch die Erhöhung der Umsatzsteuer auf 19 % ab dem 01.01.2007 erkannt und in Kauf genommen. Der Bundesverband des Tabakwareneinzelhandels habe den Tabakwareneinzelhändlern die Empfehlung gegeben, von ihren Lieferanten einen Ausgleich, zum Beispiel die Senkung der Herstellerabgabepreise, zu fordern. Das für die Tabaksteuer zuständige Referat des Bundesministeriums der Finanzen habe gegenüber diesem Bundesverband darauf hingewiesen, dass allein die Tabakwarenhersteller die Möglichkeit hätten, die Nachteile für den Handel ab dem 01.01.2007 zu verhindern. Durch eine frühzeitige Anhebung der Preise hätten Nachteile für den Handel vermieden werden können. Damit seien Möglichkeiten einer Entlastung auf Seiten des Einzelhandels aufgezeigt worden, eines Steuererlasses bedürfe es nicht.
Einem Erlass stehe auch der Regelungsgedanke des § 29 UStG entgegen. Die Vorschrift mache deutlich, dass im Regelfall die Vertragspartner an der getroffenen Preisabsprache festgehalten würden.
Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 08.05.2013 und vom 10.05.2013 ihre Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gegeben.
Dem Gericht hat die Akte des Beklagten über den Erlassantrag zu der Steuer Nr. .../.../... vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akte sowie das Protokoll über den Erörterungsterminbezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht konnte nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben hierzu ihre Zustimmung erteilt.
II.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des Beklagten, den geltend gemachten Betrag der Umsatzsteuer 2007 nicht zu erlassen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Regelung hat den Zweck, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 20.09.2012 IV R 29/10, BFH/NV 2013, 103).
Wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt, ist die Entscheidung über eine Korrektur des Steuerbetrages aus Billigkeitsgründen eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (Beschluss des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603). Ermessensentscheidungen sind gemäß § 102 FGO grundsätzlich eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar und nur aufzuheben, soweit das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler feststellt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle in der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. st. Rspr. BFH-Urteile vom 26.05.1994 IV R 51/93, BStBl 1994 II, 833; vom 20.09.2012 IV R 29/10, BFH NV 2013, 103, jeweils m. w. N.). Ein Erlass der Steuer aus sachlichen Gründen kommt in Betracht, wenn die Besteuerung des Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist und dadurch ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers besteht (BFH-Urt. vom 21.08.1997 V R 47/96, BStBl II 1997, 781).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes ist die Entscheidung des Beklagten, der Klägerin einen Teil der festgesetzten Umsatzsteuer für 2007 nicht zu erlassen, nicht zu beanstanden. Sachliche Billigkeitsgründe - nur solche macht die Klägerin geltend - liegen nicht vor.
Es kann unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine Regelung entsprechend der begehrten Billigkeitsmaßnahme getroffen hätte.
So besteht schon kein Anlass zu der Vermutung, der Gesetzgeber habe die Auswirkungen einer Umsatzsteuersatz-Erhöhung bei Preisbindungen im Gesetzgebungsverfahren nicht bedacht. Der Bundesverband des Tabakwareneinzelhandels hat das Bundesministerium der Finanzen nach eigenem Bekunden frühzeitig auf die besonderen Probleme, denen sich der Tabakwareneinzelhandel auf Grund der Preisbindung gegenüber sieht, hingewiesen. In seiner Antwort hat das Bundesministerium der Finanzen Möglichkeiten aufgezeigt, wie möglichen Gewinneinbußen im Zusammenhang mit der Umsatzsteuersatz-Erhöhung begegnet werden kann. Dass die besonderen Probleme der Überwälzung einer Erhöhung des Umsatzsteuersatzes bei Preisbindung keinen Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden haben, ist daher eher fernliegend. Preisbindungen sind auch nicht so außergewöhnlich, dass der Gesetzgeber diese Fälle übersehen haben könnte.
Selbst wenn der Gesetzgeber diesen Bereich als regelungsbedürftig nicht erkannt hätte, kann auf Grund der Gesamtumstände nicht angenommen werden, dass er eine Reglung im Sinne des begehrten Erlasses getroffen hätte. Umsatzsteuersatz-Erhöhungen sind nicht ungewöhnlich und auch in der Vergangenheit wiederholt vorgenommen worden, ohne dass eine Sonderregelung für die von Preisbindungen betroffenen Bereiche getroffen wurde. Zwar wurde bei den vorangegangenen Erhöhungen der Steuersatz nur um 1 % angehoben, so dass die wirtschaftlichen Auswirkungen geringer waren. Dies ändert jedoch nichts an dem grundsätzlichen Problem, dass die Steuersatzerhöhung in diesen Fällen nicht durch den Einzelhändler auf den Preis aufgeschlagen und so auf den Endverbraucher abgewälzt werden kann.
Der Gesetzgeber ist ausweislich der Gesetzesbegründung davon ausgegangen, dass eine vollständige Überwälzung der Erhöhung der Umsatzsteuer "aufgrund der angespannten binnenwirtschaftlichen Konjunktur und des auf vielen Teilmärkten vorherrschenden scharfen Wettbewerbs unwahrscheinlich" (BT-Drucks. 16/752 Seite 14) sei. Allerdings schaffe "die vorgesehene Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge um zwei Beitragssatzpunkte, die auch die Arbeitgeber kostenseitig entlastet, ebenso wie mögliche Vorzieheffekte in diesem Jahr einen zusätzlichen Puffer für die Unternehmen, die ihre Preise weniger stark" anheben können (BT-Drucks. 16/752 Seite 14). Dem Gesetzgeber war danach bewusst, dass auch in den Fällen, in denen keine Preisbindung besteht, die Umsatzsteuersatz-Erhöhung nicht vollständig durch Preiserhöhungen auf den Endverbraucher übergewälzt werden kann. Die im Gegenzug zur Entlastung der Unternehmer vorgesehene Senkung der Sozialversicherungsbeiträge kommt allen Betrieben unabhängig vom Gegenstand ihres Unternehmens, also auch der Klägerin, zugute. Darüber hinaus geht auch der Gesetzgeber von sogenannten Vorzieheffekten aus, die wirtschaftlich durchaus üblich sind und grundsätzlich auch der Klägerin als Reaktion nicht verschlossen waren. Zwar bestand für die Klägerin nicht die Möglichkeit, durch selbstbestimmte Preisgestaltung auf die Umsatzsteuererhöhung zu reagieren und so unmittelbar die Preise der Marktsituation anzupassen. Jedoch schließt das die Wahrnehmung des Vorzieheffektes nicht aus, denn der gesamte Tabakwarenhandel in Deutschland war von der Steuersatzerhöhung betroffen, so dass es auch angesichts einer u. U. dominierenden Marktmacht der Tabakwarenindustrie nicht vorstellbar ist, dass die Preiserhöhung nicht teilweise durch Preisanpassungen in 2006 vorweggenommen wurde. Dies wird von der Klägerin letztlich auch nicht bestritten, zumal es technisch kaum vorstellbar ist, dass erst präzise zum Stichtag 01.01.2007 mit neuen Steuerbanderolen versehene Ware auf den Markt gebracht wird. Vielmehr wurde der Weg der rechtzeitigen Preisanpassung von dem Bundesverband des Tabakwareneinzelhandels und auch dem Bundesministerium der Finanzen ausweislich der Homepage des Verbandes frühzeitig aufgezeigt. Die Situation der Klägerin unterschied sich danach nicht derart grundlegend von der Situation anderer Unternehmen, dass es einer besonderen Regelung bedurft hätte.
Auch wenn die Klägerin nicht die Möglichkeit genutzt hat oder faktisch nicht hat nutzen können, gegenüber ihrem Lieferanten - wie es der Bundesverband des Tabakwareneinzelhandels empfohlen hatte - einen "Langzeitdifferenzausgleich" durch Belastung des Lieferanten herzustellen, z. B. Senkung der Herstellerabgabepreise, so standen ihr weitere Möglichkeiten offen, die Nachteile der Umsatzsteuersatz-Erhöhung gering zu halten, wie z. B. durch Aushandeln besonderer Lieferbedingungen, insbesondere Anpassung der Lieferungen an die Sondersituation, Reduzierung der Lagebestände auf das Notwendige. Das Haushaltsbegleitgesetz 2006 ist bereits im Juni 2006 verabschiedet worden, so dass den Betroffenen ausreichend Zeit verblieb, wirtschaftlich auf die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes zu reagieren.
Eine regelungsbedürftige Lücke, die durch einen Billigkeitserlass auszugleichen wäre, kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil es durch die stichtagsbezogene Umsatzsteuersatz-Erhöhung zu einer Verletzung des Neutralitätsprinzips der Umsatzsteuer kommen kann. Dass bei einer Erhöhung des Steuersatzes dieser Grundsatz nicht in jedem Fall gewährleistet werden kann, hat auch der Gesetzgeber gesehen und dem teilweise durch Regelungen wie dem § 29 UStG Rechnung getragen. Die Klägerin weist allerdings zu Recht darauf hin, dass sie aus § 29 UStG keine Anpassung der Verträge herleiten konnte, da in ihrem Fall die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Anpassung von Altverträgen - entweder als Bargeschäfte oder auf Grund der Rahmen-Liefervereinbarung - nicht vorliegen.
Ebenso wird die Möglichkeit der Durchbrechung des Neutralitätsprinzips von der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) gesehen. Denn Art. 95 MwStSystRL erlaubt es den Mitgliedstaaten, Übergangsregelungen zu schaffen oder in bestimmten Fällen Berichtigungen vorzusehen. Ob und in welchem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, obliegt dem nationalen Gesetzgeber. Allein aus dem Umstand, dass der deutsche Gesetzgeber keine Übergangsregelung für von Preisbindungen betroffene Fälle geschaffen hat, kann deshalb keine sachliche Unbilligkeit hergeleitet werden.
Nach allem kann nicht festgestellt werden, dass die Erhebung der festgesetzten Umsatzsteuer 2007 aus sachlichen Billigkeitsgründen teilweise zu erlassen gewesen wäre, weil sie in größerem Umfang als andere Unternehmen von der Erhöhung wirtschaftlich belastet war. Die Entscheidung des Beklagten ist ermessensfehlerfrei ergangen. Die Klage war danach abzuweisen.
Die Klägerin hat gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.