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Landgericht Bonn Urteil vom 30.06.2011 - 14 O 17/11 - Zur Bewerbung des E-Postbriefs als "So sicher und verbindlich wie der Brief"
LG Bonn v. 30.06.2011: Zur Bewerbung des E-Postbriefs als "So sicher und verbindlich wie der Brief"
Das Landgericht Bonn (Urteil vom 30.06.2011 - 14 O 17/11) hat entschieden:
Es ist wettbewerbswidrig, für das Produkt E-Postbrief mit der unwahren Behauptung zu werben, dieser sei so sicher und verbindlich wie der Brief. Denn der angebotene E-Postbrief erfüllt nicht die Anforderungen an die Schriftform.
Siehe auch Textform und E-Mail - kommerzielle Kommunikation mit digitaler Post
Tenor
- Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Vorstand, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Endverbrauchern für den F wie nachfolgend abgebildet mit den Aussagen
- „So sicher und verbindlich wie der Brief.“ und/oder
- „Der F überträgt die Vorteile des klassischen Briefs in das Internet und bietet damit auch in der elektronischen Welt eine verbindliche, vertrauliche und verlässliche Schriftkommunikation.“
zu werben und / oder werben zu lassen:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 200,-- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 11.03.2011 zu zahlen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Dieses Urteil ist wie folgt vorläufig vollstreckbar:
- zu Ziffer I. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 20.000,--,
- im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
Der Kläger, der Dachverband aller ... Verbraucherzentralen und ... weiterer verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland, eingetragen in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG, begehrt von der Beklagten die Unterlassung von Aussagen in der Werbung für das Produkt "E-Postbrief". Die Beklagte bewarb das Produkt in einer Broschüre als Werbebeilage, wie die Anlage B 2 (Bl. ... ff. d.A.) - hierzu verhält sich der Tenor zu Ziffer I.a) -, und im Internet (Anlage B 3 = Bl. ... d.A.) - hierzu verhält sich der Tenor zu Ziffer I.b). Die Werbebeilage (in der Zeitschrift "U" vom ....12.2010, Anlage B2) enthält unter anderem die Werbung mit den Schlagwörtern: "Verbindlich", "Vertraulich", "Verlässlich", so auf Seite 1 (Bl. ... d.A.) und Erklärungen dazu auf Seite 3 (Bl. ... d.A.) unter der Überschrift: "Der E-Postbrief - was ist das eigentlich?" Dort heißt es unter "Verbindlich" u.a.: "Der E-Postbrief ist verbindlich, weil Absender und Empfänger immer genau wissen, mit wem sie kommunizieren. …" Der Begriff "Verbindlich" erscheint erneut auf Seite 10 (Bl. ... d.A.) - wie Gegenstand des Tenors zu Ziffer I.a) -.
Der Kläger ist der Auffassung, die Verbraucher erwarteten aufgrund der Aussagen, wiedergegeben im Tenor zu Ziffer I., dass mit dem E-Postbrief in der gleichen Weise wie mit einem Brief rechtsverbindliche Handlungen vorgenommen werden könnten, obwohl damit dem Schriftformerfordernis nicht genügt werde, wie von der Beklagten in § 6 ihrer AGB (Anlage K 2, Bl. ... d.A.) auch erläutert werde.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
[Unterlassung der Werbung mit „So sicher und verbindlich wie der Brief.“ und/oder „Der E-Postbrief überträgt die Vorteile des klassischen Briefs in das Internet und bietet damit auch in der elektronischen Welt eine verbindliche, vertrauliche und verlässliche Schriftkommunikation.“]
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte legt Einzelheiten zum Produkt "E-Postbrief" dar (unter anderem Seiten 2 f. der Klageerwiderung = Bl. ... f.d.A.) und vertritt die Auffassung, die angesprochenen Verkehrskreise verstünden die Aussagen "verbindlich" und "sicher" dahin, dass ein hohes Maß an technischer Sicherheit sowie an Authentizität der beteiligten Kommunikationspartner gewährleistet sei. Bei der gebotenen aufmerksamen Betrachtung werde erkannt, weil jeweils im unmittelbaren Zusammenhang mit der jeweiligen Werbeaussage erläutert, was unter "sicher" bzw. "verbindlich" zu verstehen und warum der E-Postbrief insoweit mit einem herkömmlichen Brief vergleichbar sei. Der Begriff "verbindlich" werde nicht in dem Sinne von "rechtsverbindlich" verstanden, sondern als eine technische Sicherheit.
In Ansehung der Informationen sei eine Irreführungsquote von mehr als ¼ bis 1/3, wie bei objektiv zutreffenden oder allenfalls mehrdeutigen Angaben erforderlich, nicht gegeben; die Beklagte bestreitet die Möglichkeit des Missverständnisses und den für eine Irreführung erforderlichen Umfang (Quote). Sie hält die Möglichkeiten, in denen das Fehlen der Schriftform relevante Wirkungen zeige, für gering, weil einerseits alle Verträge des täglichen Bedarfs der Form nicht bedürften, andererseits Erklärungen, die der Schriftform bedürften, im öffentlichen Leben relativ selten seien und zum großen Teil, wie etwa bei Bürgschaften, durch Formblätter/Formulare ausgesprochen würden (im Termin). Sie verweist auf Artikel 7 Abs. 3 UGP - Richtlinie, wonach unter den dort geregelten Umständen Verbrauchern Informationen sogar außerhalb des Werbemediums ("anderweitig") zur Verfügung gestellt werden könnten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1; 3; 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG, weil die im Tenor unter I. wiedergegebenen Aussagen geeignet sind, Verbraucher in die Irre zu führen. Dabei stellt die Werbung in der Informationsbroschüre, wie auch die im Internet, eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 5 Abs. 1; 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar, denn sie, die Werbung, dient der Förderung der von der Beklagten angebotenen Dienstleistung, des E-Postbriefs. Diese Werbung enthält unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Dienstleistung in Form der Vorteile, Verwendungsmöglichkeit und Beschaffenheit.
a) Die Aussage: "Der E-Postbrief ist so sicher und verbindlich wie der Brief" ist unwahr.
aa) Die Kammer legt die Aussage in der Werbung so aus, dass gemeint ist: Die mit dem E-Postbrief übermittelte Erklärung kommt so sicher an und ist so verbindlich wie der Brief. Dass ein Brief(umschlag) isoliert sicher sein soll und verbindlich sein kann oder soll, ist der Kammer nicht bekannt und soll nach dem Kontext, bei dem es um die Versendung und das Verschlüsseln sowie um die Sicherheit in diesem Zusammenhang und die Vertraulichkeit und Integrität von Nachrichten geht, auch nicht gemeint sein. Verbindlich bedeutet nach allgemeinem Verständnis - neben höflich, liebenswürdig, gefällig, zuvorkommend bei der Beschreibung von Benehmen und Wörtern -: verpflichtend, bindend, endgültig feststehend, in der Rechtssprache: rechtsgültig, rechtskräftig, rechtswirksam (aus www.duden.de/rechtschreibung; dort auch weitere Synonyme). Eine Erklärung wird verbindlich, wenn
- ein auf Rechtsfolgen gerichteter Wille geäußert worden ist,
- dieses nach außen erkennbar geworden ist, die Äußerung also zugegangen ist,
- die Äußerung in der rechten Form abgegeben worden ist, also die nach dem Gesetz oder nach dem Vertrag erforderliche Form für die Erklärung eingehalten worden ist.
Das Verständnis der beteiligten Kreise, zu denen die Kammer gehört, von den im Tenor zu Ziffer I. wiedergegebenen Äußerungen geht dahin, dass die vorgenannten Voraussetzungen von dem Produkt E-Postbrief eingehalten werden. Nichts Anderes besagen die dort zitierten Werbeaussagen aus dem so definierten Empfängerhorizont. Auch wenn die Überschrift auf Seite 10 der Werbebeilage lautet: "Wie sicher ist der F?" so verhält sich der darauf folgende Text dennoch auch zur Möglichkeit, "Willenserklärungen im Netz verbindlich abgeben zu können", bestätigt damit das Verständnis der beteiligten Verkehrskreise, zu denen die Kammer zählt, vom Obersatz: "Der E-Postbrief ist … verbindlich wie der Brief." Deshalb kommen die angesprochenen Kreise auch nicht auf den Gedanken, dass "verbindlich" - entgegen der herkömmlichen, oben mitgeteilten, Bedeutung - ein Teilaspekt der Sicherheit sein könnte; es mag (unter anderem) aus Sicherheitsaspekten und dem "eindeutigen Identitätsnachweis" folgen, dass Erklärungen im E-Postbrief verbindlich abgegeben werden können.
Diesem Verständnis steht auch nicht die Erklärung auf Seite 2 der Broschüre (Bl. ... d.A.) unter der Überschrift "Der E-Postbrief - was ist das eigentlich?" entgegen. Dort heißt es unter "Verbindlich" u.a.: "Der E-Postbrief ist verbindlich, weil Absender und Empfänger immer genau wissen, mit wem sie kommunizieren." Dieses mag (s.o) eine Erklärung sein, mit dem die Beklagte ihr Produkt beschreibt. Mangels besonderen Hinweises ist jedoch die beanstandete Äußerung im Sinne von Ziffer I. a) des Tenors von einer solchen Deutung nicht betroffen, denn der angesprochene Verbraucher kommt nicht auf den - fernliegenden - Gedanken, dass die Aussage auf Seite 10 "… so sicher und verbindlich wie der Brief." dadurch eingeschränkt werden soll.
Die Angabe, der E-Postbrief sei so sicher und verbindlich wie der Brief, ist geeignet, bei einem erheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen über das Angebot hervorzurufen und die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflussen. Zunächst gilt die Regel, dass aufgrund des Hervorrufens einer Fehlvorstellung auf die wettbewerbsrechtliche Relevanz der Irreführung geschlossen werden kann (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, 29. Aufl., Rn. 2.178a zu § 5 UWG). Diese Regel wird nicht durchbrochen. Das ergibt sich bereits daraus, dass aus der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung von DE-Mail-Diensten und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drucksache 17/3630) hervorgeht, dass der akkreditierte Diensteanbieter den Nutzer auch darauf hinweisen muss, "dass allein durch die Nutzung von DE-Mail-Diensten kein Schriftformerfordernis erfüllt werden kann, sondern dies nur mit einer qualifizierten elektronischen Signatur möglich ist" (Seite 27 = Bl. ... d.A.). Selbst wenn man der sicherlich bedenkenswerten Überlegung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Termin, wonach der Großteil der Korrespondenz die Schriftform nicht erfordere, näher treten würde, so würde dieses möglicherweise keine weitreichenden Folgen haben für den Umfang der Verbraucher, die sich erst registrieren und dann in einer Filiale identifizieren lassen. Es hätte jedoch Folgen für die Inanspruchnahme der einzelnen Leistungen, also für den Abschluss der Einzelverträge. Die Kammer folgert aus der Herausstellung des Wortes "Verbindlich" in der Werbung für den E-Postbrief, im Vergleich mit dem Brief, dass die Beklagte diesem Merkmal selbst eine große Bedeutung einräumt und dass dementsprechend groß auch das Verbraucherinteresse ist. Dann aber sind die Werbeaussagen für den nicht rechtskundigen Nutzer des von der Beklagten beworbenen Produktes gefährlich, weil er sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der Werbeaussage darauf verlassen könnte, dass er sich, beispielsweise bei fristgebundenen, in einer bestimmten Form abzugebenden Willenserklärungen, mit deren Abgabe per E-Postbrief begnügen könnte Wie bereits die oben benannte Begründung der Aufklärungspflicht zu § 9 des (am 03.05.2011 in Kraft getretenen) DE-Mail-Gesetzes zeigt, ist das Wissen in Verbraucherkreisen über die Anforderung gesetzlich vorgeschriebener oder vertraglich vereinbarter Formen im Zusammenhang mit den neuen Medien nicht verbreitet. Zu klären ist im Einzelfall nicht nur die Art der Form, sondern auch die Einhaltung der Form durch das elektronische Medium. Insoweit gibt es selbst für Juristen Lebenshilfe durch Aufsätze (vgl. etwa Thalmair, NJW 2011, 14; Bisges, MMR - aktuell 2010, 307088; Schomaker, Kündigung via F?, AiB 2011, 234). Verlässt sich jedoch der Verbraucher in Fällen, wie dem oben geschilderten Beispiel, auf die Aussage der Beklagten, kann er, wenn die Einhaltung der Schriftform notwendig ist, bei der Wahl des E-Postbriefes erhebliche Nachteile erleiden.
b) Die Erwägungen zu a) geltenden entsprechend für die Internetwerbung der Beklagten, die Gegenstand des Tenors zu Ziffer I. b) ist.
Der Verbraucher wird nicht durch die blickfangmäßige Erklärung des Wortes "Verbindlich" unterhalb des beanstandeten Textes darauf hingewiesen, dass der E-Postbrief, was die Schriftform angeht, nicht die körperliche Übergabe eines eigenhändig durch Namensunterschrift mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichneten Urkunde (vgl. § 126 BGB) ersetzen kann. Der Text sagt aus, "die Vorteile des klassischen Briefs" seien mit denen des E-Postbriefs gleichzusetzen ("Der E-Postbrief überträgt die Vorteile des klassischen Briefs in das Internet…"). Er resümiert: die Vorteile der Schriftkommunikation (wie im "klassischen Brief") sind jetzt auch in der "elektronischen Welt": "verbindliche, vertrauliche und verlässliche Schriftkommunikation". Diese Gleichstellung wird nicht dadurch modifiziert, dass im Folgenden (blickfangmäßig) die von der Beklagten gegebene Bedeutung der Wörter: Verbindlich, Vertraulich, Verlässlich und: Einfach. Bequem. Schnell. aufgeführt sind und, in kleineren Schriftzeichen, erklärt wird. Das Wissen, wer Absender und Empfänger der jeweiligen Erklärung ist, mag ein notwendiger Teil des Austausches von Willenserklärungen zwischen Personen sein, ist jedoch nicht das einzige Kriterium für die Wirksamkeit von Erklärungen. Dass der Begriff "Verbindlich" und die darin enthaltene Aussage, wie sie in den oben angesprochenen Kreisen verstanden wird, in irgendeiner Weise abgeändert oder eingeschränkt werden sollen, ist der Legende nicht zu entnehmen. Ebenso wenig ist ihr zu entnehmen, inwieweit die "Vorteile des klassischen Briefes" "in der elektronischen Welt" nicht erreicht werden. Insgesamt vermag die Kammer als Teil der angesprochenen Verkehrskreise nirgendwo im Zusammenhang mit der beanstandeten Werbung einen Anhalt dafür zu finden, dass das Wort "verbindlich" sich nur auf die "technisch sichere Information" (so der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Termin) beziehen solle oder diese Bedeutung inne haben solle.
II.
Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten aufgrund der Abmahnung vom 05.01.2011 ist gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 UWG begründet, denn die Abmahnung war berechtigt.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO. Eine Teilklagerücknahme war mit der Ergänzung des Antrages zu 1.) durch die Wörter "gegenüber Endverbrauchern" nicht verbunden, denn der Klageschrift ist eindeutig zu entnehmen, dass die Werbung von Anfang an nur als irreführend gegenüber Verbrauchern beanstandet worden ist.
Streitwert: € 25.000,00