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OLG München Urteil vom 25.02.2010 - 29 U 5347/09 - Zum Verbraucherverständnis bezüglich des Bestandteils „akut“ in der Arzneimittelbezeichnung Arzneimittelwerbung - Medikamente - Urheberschutz - Werbung - Wettbewerb


OLG München v. 25.02.2010: Zum Verbraucherverständnis bezüglich des Bestandteils „akut“ in der Arzneimittelbezeichnung „O. akut 20 mg“ für ein Arzneimittel gegen Sodbrennen bzw. saures Aufstoßen.

Das OLG München (Urteil vom 25.02.2010 - 29 U 5347/09) hat entschieden:
Zum Verbraucherverständnis bezüglich des Bestandteils „akut“ in der Arzneimittelbezeichnung „O. akut 20 mg“ für ein Arzneimittel gegen Sodbrennen bzw. saures Aufstoßen.




Siehe auch Medikamente und Arzneimittelwerbung


Gründe:

Das erlassene Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu Protokoll begründet wie folgt:

I.

Von der Darstellung eines Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.


II.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist begründet. Dem Antragsteller steht kein Verfügungsanspruch zur Seite.

1. Allerdings ist der Verfügungsantrag ungeachtet der darin enthaltenen Wendung "zu werben" im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Bei in Bezug auf Heilmittel gemachten Angaben ist es in aller Regel nicht zweifelhaft, ob eine Maßnahme als Werbung anzusehen ist oder nicht (vgl. BGH GRUR 2009, 990, Tz. 12 – Metoprolol m. w. N.). Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass bei der Beachtung und Durchsetzung eines Verbots in Sonderfällen eine nähere Prüfung dieser Frage erforderlich sein könnte, belastet dies die Antragsgegnerin daher nicht in einer Weise, die die Beurteilung des Antrags als nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO rechtfertigte (vgl. BGH GRUR 2009, 990, Tz. 12 – Metoprolol m. w. N.).

2. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch gegen die Antragsgegnerin nicht nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 3 Nr. 1 HWG, § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG, § 5 UWG zu.

a) Im Hinblick auf die nachstehenden Ausführungen kann dahinstehen, ob im Streitfall der Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes bezüglich der beanstandeten Arzneimittelbezeichnung "O. akut 20 mg" unter Berücksichtigung von Art. 86 Abs. 1, Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel überhaupt eröffnet ist. Nach Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG gelten als "Werbung für Arzneimittel" im Sinne des Titels VIII der Richtlinie alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Gemäß Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG gelten die Bestimmungen des Titels VIII indes nicht für die Etikettierung und die Packungsbeilage (Art. 54-69) (vgl. hierzu BGH GRUR 2009, 988, Tz. 9 – Arzneimittelpräsentation im Internet; vgl. ferner BGH GRUR 1996, 806, 807 – HerzASS (zur Rechtslage unter der Geltung der Richtlinie 92/28/EWG)). Des Weiteren kann offenbleiben, ob aus § 8 Abs. 1 AMG, der das Herstellen (vgl. § 3 Abs. 14 AMG) und das Inverkehrbringen (vgl. § 3 Abs. 17 AMG) bestimmter Arzneimittel verbietet, auch ein Werbeverbot bezüglich dieser Arzneimittel resultiert.

b) Durch den Bestandteil "akut" in der Arzneimittelbezeichnung "O. akut 20 mg" wird – entgegen der Auffassung des Antragstellers und des Landgerichts – bei den angesprochenen Verkehrskreisen nicht der Eindruck erweckt, dass es sich um ein Arzneimittel handelt, das bei Sodbrennen und saurem Aufstoßen sehr schnell ("akut"; vgl. Antragsschriftsatz vom 07.09.2009, S. 10, S. 7, S. 8) wirkt. Allerdings erwartet der informierte und aufmerksame Durchschnittsverbraucher, auf dessen Verständnis es ankommt (vgl. BGH, Teilurteil vom 21.07.2005 – I ZR 94/02 = BGHReport 2006, 666, 667 – Ginseng-Präparat), bei einer derartigen Arzneimittelbezeichnung unter Berücksichtigung der Indikationsangaben auf der Umverpackung (Anlage A 2) "Bei Sodbrennen und saurem Aufstoßen", dass es sich um ein Arzneimittel handelt, das bei Sodbrennen bzw. saurem Aufstoßen eine Besserung akuter Beschwerden in einem angemessenen Zeitraum bewirkt; eine Angabe zu einer sehr schnellen ("akuten") Wirkung in dem vom Antragsteller behaupteten Sinn wird der genannte Durchschnittsverbraucher dem Bezeichnungsbestandteil "akut" indes nicht entnehmen. Gegen ein solches Verständnis spricht, dass "akut" im üblichen deutschen Sprachgebrauch zur Charakterisierung des raschen Zum-Ausbruch-Kommens einer Krankheit ("Er hat eine akute Lungenentzündung"; vgl. Anlage AG 34, S. 3, S. 2) verwandt wird, nicht hingegen zur Bezeichnung der schnellen Wirkung eines Arzneimittels. Im üblichen deutschen Sprachgebrauch wird die Wendung "Das Arzneimittel X. hat sein Fieber akut gesenkt" nicht verwandt (vgl. Anlage AG 34, S. 3). An diesem Verständnis des Bestandteils "akut", das dem genannten Durchschnittsverbraucher geläufig ist, ändert der Umstand, dass dieser Bestandteil dem Bestandteil "O." nachgestellt ist, nichts. Hinzu kommt, dass, wie die Antragsgegnerin mit den Anlagen AG 23, 26, 26 a, 27, 27 a. 28, 29 glaubhaft gemacht hat, in Deutschland bereits über 100 zugelassene Fertigarzneimittel mit dem Bezeichnungsbestandteil "akut" für diverse Indikationen und unterschiedlichen Wirkungseintrittszeitpunkten zugelassen sind, weshalb der Verkehr an den Bestandteil "akut" als Bestandteil von Arzneimittelbezeichnungen gewöhnt ist, ohne damit einen konkreten Wirkungseintrittszeitpunkt zu verbinden. Die vorstehenden Feststellungen zum Verkehrsverständnis kann der Senat ohne sachverständige Hilfe treffen, weil die Mitglieder des Senats zu den angesprochenen Verbrauchern gehören (vgl. BGHZ 156, 250, 255 – Marktführerschaft) und weil der Senat aufgrund der ständigen Befassung mit wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten hinreichend sachkundig ist.

c) Die Antragsgegnerin hat durch die Anlagen AG 33, AG 35, AG 36, AG 37, AG 39, AG 40, AG 41 und AG 42 hinreichend glaubhaft gemacht, dass das Arzneimittel "O. akut 20 mg" nach ca. 1 bis 2 Stunden und damit in angemessener Zeit beschwerdelindernd zu wirken beginnt; auch in der vom Antragsteller vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. R. (Anlage A 12, S. 12) wird davon ausgegangen, dass die Wirkung bei Protonenpumpeninhibitoren – hierzu zählt "O. akut 20 mg" – nach ca. 2 Stunden eintritt. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann eine Irreführung aufgrund des Bezeichnungszusatzes "akut" nicht festgestellt werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass – entsprechend dem durch die genannten Ausführungen von Prof. Dr. R. gestützten Vorbringen des Antragstellers – das Arzneimittel "O. akut 20 mg" seine volle klinische Wirksamkeit möglicherweise erst später entfaltet.

3. Aus den vorstehend genannten Gründen steht dem Antragsteller der geltend gemachte Verfügungsanspruch gegen die Antragsgegnerin auch nicht nach § 2, § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG i. V. m. § 3 Nr. 1 HWG, § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG zu.

4. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahinstehen, ob sich der Antragsteller bezüglich des Verfügungsgrundes deshalb nicht auf § 12 Abs. 2 UWG, § 5 UKlaG berufen kann, weil er von einem Verletzten, bei dem die Dringlichkeit entfallen ist, nur vorgeschoben wurde und kein eigenes Verbandsinteresse vorliegt (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 12 UWG, Rdn. 3.17).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.



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