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OLG Karlsruhe Urteil vom 04.12.2008 - 4 U 86/07 - Zum Beweisverwertungsverbot bezüglich einer unzulässig erlangten IP-Adresse im späteren Zivilprozess

OLG Karlsruhe v. 04.12.2008: Zum Beweisverwertungsverbot bezüglich einer unzulässig erlangten IP-Adresse im späteren Zivilprozess


Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 04.12.2008 - 4 U 86/07) hat entschieden:

  1.  Bei der Zuordnung von dynamischen IP-Nummern zu bestimmten Internet-Anschlüssen handelt es sich um Verkehrsdaten im Sinne von § 3 Nr. 30 TKG. Diese Daten dürfen im strafprozessualen Ermittlungsverfahren nur im Rahmen von § 100g StPO erhoben werden; § 113 TKG rechtfertigt das Auskunftsersuchen einer Polizeibehörde gegenüber dem Internet-Provider für solche Daten nicht.

  2.  Die unzulässige Auskunft eines Internet-Providers an eine Polizeibehörde über die Zuordnung einer dynamischen IP-Nummer zu einem bestimmten Internet-Anschluss für einen bestimmten Zeitpunkt ist in einem späteren Zivilprozess (hier: Unterlassungsklage bei einem Wettbewerbsverstoß im Internet) in der Regel nicht verwertbar.

  3.  Wird durch die Einführung einer unverwertbaren schriftlichen Auskunft im Zivilprozess Sachvortrag der Gegenpartei - der für diese nachteilig ist - provoziert, so kann das Beweisverwertungsverbot auch Auswirkungen auf die Frage haben, ob und inwieweit dieser Sachvortrag berücksichtigt werden darf.




Siehe auch Auskunftsanspruch (IP) und Urheberrechtsschutz


Zum Sachverhalt:


Die Klägerin betreibt unter der Internet-Domain W.….de einen Online-Kleinanzeigenmarkt. Der Beklagte betreibt ebenfalls einen Kleinanzeigenmarkt im Internet unter dem Namen B.….de. Die Klägerin bietet den Besuchern ihrer Internetseite ein Formular an, auf welchem ein potenzieller Käufer eine Nachricht an den jeweiligen Inserenten (Anbieter) versenden kann. Zweck dieses Formulars ist es, die unmittelbare Kontaktaufnahme von potenziellen Käufern zu den anbietenden Kunden der Klägerin zu ermöglichen, um die Einzelheiten der Waren zu diskutieren und um gegebenenfalls über die Höhe des Preises zu verhandeln.

Am 19.08.2006, 25.08.2006 und 27.08.2006 wurde über das Kontaktformular der Klägerin eine größere Anzahl von Emails an Kunden der Klägerin verschickt, die im wesentlichen folgenden Inhalt hatten:

   „Liebe Kundin, lieber Kunde,

…. hat Ihre Anzeige …. bei W.….de gesehen und sendet Ihnen folgende Nachricht:

Haben Sie schon von www.B.…de gehört, da kann man bis 1. Oktober 2006 alles kostenlos inserieren!

Nur so als TIPP! ;-)

Gruß von W.….de

….“

Ein Absender war aus den Emails nicht ersichtlich. Die Klägerin erstattete wegen dieser unerwünschten Emails eine Strafanzeige, wobei sie der zuständigen Polizeidienststelle Datum und Uhrzeit der Emails mitteilte und die von ihr festgehaltenen IP-Nummern. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens „wegen Verdacht des Verstoßes gegen §§ 269, 270 StGB, und § 16 UWG“ richtete die Polizeidirektion Freiburg eine Anfrage „nach den §§ 112, 113 TKG“ an den Internet-Provider V.… GmbH. Mit Schreiben vom 29.08.2006 teilte der Internet-Provider der Polizei mit, die angegebenen (dynamischen) IP-Adressen seien zu den genannten Zeiten an den Beklagten vergeben gewesen. Das Ermittlungsverfahren wurde daraufhin gegen den Beklagten geführt und später von der Staatsanwaltschaft gemäß § 153 StPO eingestellt. Die Zuordnung der dynamischen IP-Nummern zur Person des Beklagten wurde der Klägerin (mit Name und vollständiger Anschrift des Beklagten) von der Polizei mitgeteilt.

Nachdem die Klägerin Kenntnis von der Zuordnung der IP-Nummern erhalten hatte, nahm sie den Beklagten auf Unterlassung entsprechender Werbe-Emails, die über das Kontaktformular der Klägerin an deren Kunden geschickt wurden, in Anspruch. Sie hat erstinstanzlich geltend gemacht, der Beklagte habe die Internetseite der Klägerin missbraucht, um an Kunden der Klägerin eigene Werbung zu versenden. Das Verhalten des Beklagten sei unter mehreren Gesichtspunkten wettbewerbswidrig. Der Beklagte hat bestritten, dass die von der Klägerin beanstandeten Mails von ihm versandt worden seien. Die Auskunft des Internet-Providers hinsichtlich der Zuordnung der dynamischen IP-Adressen sei unzutreffend. Jedenfalls dürfe die Auskunft des Internetproviders im Zivilprozess nicht verwertet werden, da der Internet-Provider die IP-Adressen und deren Zuordnung zur Person des Beklagten nicht hätte speichern dürfen.

Das Landgericht hat dem Beklagten antragsgemäß untersagt, das Kontaktformular der Website W.….de zur Versendung von Werbung für den Online-Kleinanzeigenmarkt B.… zu nutzen.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Beklagten. Er habe entgegen der Auffassung des Landgerichts die fraglichen Emails nicht versendet. Die Zuordnung der maßgeblichen IP-Adressen zum Beklagten werde weiterhin bestritten. Ein Nachweis, dass die fraglichen Emails versendet wurden, sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht geführt.

Die Berufung hatte Erfolg.





Aus den Entscheidungsgründen:


"Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht wegen der im August 2006 versendeten Emails ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu.

1. Dem Beklagten war auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist und der Frist zur Berufungsbegründung zu gewähren (§ 233 ZPO). … (wird ausgeführt)

2. Die Parteien haben über den Gegenstand des Berufungsverfahrens keinen Vergleich abgeschlossen. … (wird ausgeführt)

3. Es kommt ein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten in Betracht gemäß § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 3 und Nr. 10, 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG. Wenn der Beklagte für die Versendung der beanstandeten Emails verantwortlich gewesen sein sollte, würde sich daraus ein Unterlassungsanspruch der Klägerin ergeben; denn die beanstandeten Emails vom August 2006 waren - eine Urheberschaft des Beklagten unterstellt - unter mehreren Gesichtspunkten wettbewerbswidrig. Wenn die Emails von einem Wettbewerber der Klägerin stammten, handelte es sich um Wettbewerbshandlungen, bei denen der Werbecharakter verschleiert wurde (§ 4 Nr. 3 UWG). Außerdem wäre wohl von einer gezielten Behinderung der Klägerin als Mitbewerberin auszugehen (§ 4 Nr. 10 UWG). Und schließlich lägen jedenfalls auch die Voraussetzungen einer unzumutbaren Belästigung vor (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG).

4. Ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten besteht jedoch nicht, da sich - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht feststellen lässt, dass die fraglichen Emails vom Beklagten stammten. Die Speicherung der dynamischen IP-Nummern durch den Internet-Provider (und die Zuordnungen der IP-Nummern zum Beklagten) war unzulässig. Der Internet-Provider hätte weder der Polizei noch der Klägerin eine Auskunft über die IP-Nummern erteilen dürfen. Einer Verwertung der vorliegenden Auskunft des Internet-Providers im Zivilprozess steht aus diesen Gründen ein Beweisverwertungsverbot entgegen. Das Beweisverwertungsverbot steht auch einer Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen entgegen, die als Mitarbeiter des Internet-Providers Erkenntnisse darüber gewonnen haben, welcher Person die fraglichen IP-Nummern zuzuordnen sind.

a. Der Zugang zum Internet - auch bei der Versendung von Emails - wird durch sogenannte Internet-Provider vermittelt. Der Internet-Provider kennt die persönlichen Daten (Name und Anschrift) derjenigen Personen, denen er den Zugang vermittelt. Zur Identifizierung des Absenders einer bestimmten elektronischen Nachricht vergibt der Internet-Provider zum Zeitpunkt eines bestimmten Kommunikationsvorgangs für den Absender eine sogenannte IP-Nummer. Nur die (dynamische) IP-Nummer wird im Internet im Rahmen der Kommunikation weitergegeben. Das heißt: Es ist zwar - wie vorliegend - möglich, im Internet Nachrichten anonym (ohne korrekte Absenderangabe) zu versenden. Allerdings kann vom Empfänger der Nachricht (oder vom Betreiber einer Internet-Plattform wie der Klägerin) die jeweilige IP-Nummer festgestellt werden. Außerdem ist grundsätzlich feststellbar, welcher Internet - Provider die IP-Nummer vergeben hat. Die Identität des Absenders einer (an sich anonymen) Nachricht im Internet kann in diesen Fällen nur dann festgestellt werden, wenn der Internet-Provider gespeichert hat, welcher Person er zu einem bestimmten Zeitpunkt die IP-Nummer zugeordnet hatte, und wenn der Internet-Provider hierüber Auskunft erteilt.

b. Der Internet-Provider V.… GmbH konnte der Polizei über die Zuordnung der IP-Nummern nur deshalb Auskunft erteilen, weil er die entsprechenden Daten zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung am 29.08.2006 (vgl. die Anlage LG K7) gespeichert hatte. Diese Speicherung war unzulässig. Der Internet-Provider verstieß mit der Speicherung gegen § 96 TKG.

Bei der Zuordnung von dynamischen IP-Nummern zu konkreten Personen handelt es sich um Verkehrsdaten im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 1 TKG und nicht etwa um Bestandsdaten im Sinne von § 95 Abs. 1 TKG. Verkehrsdaten sind solche Daten, die einem konkreten Kommunikationsvorgang zuzuordnen sind und die dementsprechend personenbezogene Informationen zu einer konkreten Kommunikation enthalten (vgl. § 3 Nr. 30 TKG). Dies trifft auf die Zuordnung der dynamischen IP-Nummern zu; denn aus der Zuordnung einer IP-Nummer zu einer bestimmten Person ergibt sich, dass diese Person zu einem bestimmten Zeitpunkt unter der angegebenen IP-Nummer im Internet elektronisch kommuniziert hat (vgl. zum Begriff der Verkehrsdaten gemäß §§ 3 Nr. 30, 96 TKG LG Darmstadt, GRUR-RR 2006, 173). Der Internet-Provider hätte die fraglichen Daten (Zuordnung der IP-Nummern) gemäß § 96 Abs. 2 TKG unmittelbar nach dem Ende der Telekommunikationsverbindung löschen müssen. Die weitere Speicherung der Daten war rechtswidrig. Denn es lag keiner der in § 96 Abs. 2 TKG genannten Rechtfertigungsgründe für eine weitere Speicherung vor.



Die Gegenauffassung, die in Fällen der vorliegenden Art lediglich eine Auskunft über Bestandsdaten (§ 95 TKG) annehmen möchte (vgl. beispielsweise LG Offenburg, Beschluss v. 17.04.2008 - 3 Qs 83/07 -, zitiert nach JURIS) verkennt, dass es in Fällen der vorliegenden Art nicht nur um die Offenbarung von Name und Anschrift eines bestimmten Anschlussinhabers geht. Der Internet-Provider erteilt vielmehr gleichzeitig eine Auskunft über die Zuordnung des Anschlussinhabers zu einer bestimmten IP-Nummer. Die Zuordnung ist ein Verkehrsdatum. Ohne die Zuordnung wäre die Auskunft für die Polizei (und auch für die Klägerin) wertlos. Der Sache nach wird eine Auskunft darüber erteilt, dass der Anschlussinhaber an einem bestimmten Kommunikationsvorgang (der durch IP-Nummer, Datum und Uhrzeit gekennzeichnet wird) beteiligt war. Diese Auskunft über den Kommunikationsvorgang wird jedoch sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften von § 96 Abs. 1 TKG (Verkehrsdaten) und nicht von § 95 TKG (Bestandsdaten) erfasst (vgl. die Begriffsbestimmungen in § 3 Nr. 3 und Nr. 30 TKG; eingehend hierzu LG Frankenthal, Beschluss v. 21.05.2008 - 6 O 156/08 -, zitiert nach JURIS; ebenso Kitz, NJW 2008, 2374, 2376).

In Literatur und Rechtsprechung wird teilweise die Auffassung vertreten, der Begriff der „Verkehrsdaten“ müsse nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung zum 01.01.2008 neu definiert werden (so beispielsweise LG Offenburg, Beschluss v. 17.04.2008 - 3 Qs 83/07 - zitiert nach JURIS). Der Senat hält dies für sehr zweifelhaft, da eine eventuelle Vorstellung des Gesetzgebers in den maßgeblichen Regelungen (§§ 95, 96, 113 TKG) keinen Niederschlag gefunden hat (vgl. zum Begriff „Verkehrsdaten“ nach neuem Recht LG Frankenthal a.a.O. und Kitz a.a.O; anders Sankol in Kommunikation & Recht 2008, 469). Letztlich kommt es auf diese Frage jedoch nicht an. Denn es geht vorliegend um Kommunikationsvorgänge vor dem 01.01.2008, die durch eine (eventuelle) Gesetzesänderung zum 01.01.2008 nicht betroffen sein können.

Eine Speicherung der genannten Daten für Abrechnungszwecke (§ 97 TKG) ist nach Beendigung einer bestimmten Telekommunikationsverbindung grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. LG Darmstadt, GRUR-RR 2006, 173, 174 und die dort zitierte Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Datenschutz). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Internetnutzer - wie vorliegend der Beklagte - eine sogenannte Flatrate vereinbart hat, bei welcher ein Pauschalpreis für die Vermittlung der Kommunikationsvorgänge bezahlt wird, ohne dass es auf Art und Dauer der einzelnen Kommunikationsvorgänge ankäme. Schließlich rechtfertigt auch § 100 TKG (Störungen von Telekommunikationsanlagen und Missbrauch von Telekommunikationsdiensten) im vorliegenden Fall keine Speicherung der Zuordnung von IP-Nummern und konkreten Personen, da eine solche Speicherung gemäß § 100 Abs. 3 TKG nur zur Abwehr konkreter Störungen erfolgen darf, und zwar nur im Rahmen der Erforderlichkeit. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass aufgrund bestimmter Vorfälle eine Speicherung der Verbindungsdaten durch den Internet-Provider erforderlich gewesen wäre (vgl. zu den Voraussetzungen einer Speicherung gemäß § 100 Abs. 1 TKG LG Darmstadt - GRUR-RR 2006, 173, 174; Dietrich, GRUR-RR 2006, 145).

c. Die Auskunftserteilung durch den Internet-Provider gegenüber der Polizeidirektion Freiburg (Anlage LG K7) war noch aus einem weiteren Grund rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen für eine Auskunft gemäß § 113 Abs. 1 TKG gegenüber der Polizei lagen nicht vor. § 113 Abs. 1 TKG ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaften) die Einholung von Auskünften bei Internet-Providern nur, soweit es um Bestandsdaten im Sinne von §§ 3 Nr. 3, 95 Abs. 1 TKG geht, nicht jedoch bei Verkehrsdaten im Sinne von §§ 3 Nr. 30, 96 Abs. 1 TKG. Da es sich bei der Zuordnung von IP-Nummern zu konkreten Personen um Verkehrsdaten handelt (siehe oben), ergibt sich aus § 113 Abs. 1 TKG keine Rechtsgrundlage für die Auskunft des Internet-Providers. Vielmehr hätte eine solche Auskunft gemäß § 100g StPO in Verbindung mit § 100b Abs 1 StPO nur eingeholt werden dürfen aufgrund eines richterlichen Beschlusses, wobei die (engen) Voraussetzungen gemäß § 100g Abs. 1 StPO zu prüfen gewesen wären. Einen solchen richterlichen Beschluss zur Erhebung der entsprechenden Daten - Zuordnung von IP-Nummern und Personen - hat es vorliegend nicht gegeben (vgl. zur Anwendung von § 100g StPO bei Auskünften über die Zuordnung dynamischer IP-Nummern OLG Düsseldorf OLGR 2006, 581, 583; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 49. Auflage 2006, § 100g StPO Rdn. 4; anders LG Hechingen, NJW-RR 2006, 1196 und - für die Rechtslage ab 01.01.2008 - wohl auch Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 51. Aufl. 2008, § 100g StPO Rn. 5).

d. Die unzulässige Speicherung der Daten beim Internet-Provider und die unzulässige Auskunft gegenüber der Polizeidirektion Freiburg führen zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess. Da der Beweis der Urheberschaft für die beanstandeten Emails mit der Auskunft des Internet-Providers nicht geführt werden darf, muss die Klägerin im Zivilprozess insoweit als beweislos behandelt werden. Andere Beweismittel sind nicht vorhanden.

Wird durch eine Beweiserhebung in ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualrecht eingegriffen, und ist die Verwertung nicht ausnahmsweise durch Güterabwägung gerechtfertigt, so führt die unzulässige Beweiserhebung im Zivilprozess zu einem Verwertungsverbot (vgl. Zöller/Greger Zivilprozessordnung, 27. Auflage 2009, § 286 ZPO Rdn. 15a mit Nachweisen). Vorliegend ist durch die unzulässige Auskunft des Internet-Providers das Grundrecht des Beklagten aus Artikel 10 Abs. 1 GG (Fernmeldegeheimnis) verletzt worden. Eine Güterabwägung kann eine Verwertung nicht rechtfertigen; denn die Voraussetzungen, unter denen die Verkehrsdaten einer elektronischen Kommunikation offenbart werden dürfen, sind in formeller und in materieller Hinsicht in § 100g StPO und § 100b Abs. 1 StPO abschließend geregelt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, müssen die wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmers, der - wie die Klägerin - in seiner wirtschaftlichen Betätigung möglicherweise durch ein wettbewerbswidriges Verhalten eines Konkurrenten gestört wird, gegenüber dem grundrechtlichen Schutz aus Artikel 10 Abs. 1 GG zurücktreten (vgl. zu Beweisverwertungsverboten in ähnlichen Fällen Leipold in Stein-Jonas, Band 3, 21. Auflage 1996, § 284 ZPO Rdn. 56 ff.; Heinemann, MDR 2001, 137; vgl. im Übrigen zur Bedeutung von Art. 10 GG BVerfG, Beschluss vom 11.03.2008 - 1 BvR 256/08 - Rn. 156, zitiert nach JURIS). Das Verwertungsverbot erstreckt sich vorliegend nicht nur auf die schriftliche Auskunft des Internet-Providers, sondern ebenso auf die - von der Klägerin beantragte - Vernehmung derjenigen Mitarbeiter des Internet-Providers als Zeugen, welche die Feststellungen zur Zuordnung der IP-Adressen gemacht haben sollen (vgl. zur Reichweite des Beweisverwertungsverbotes Zöller/Greger aaO, § 286 ZPO Rdn. 15e).

5. Auf die Frage der Beweisbarkeit des klägerischen Sachvortrags käme es allerdings dann nicht an, wenn der Vortrag der Klägerin aus prozessualen Gründen als unstreitig anzusehen wäre, wenn insbesondere der Beklagte im Prozess seinen Erklärungspflichten (§ 138 ZPO) nicht genügt hätte. Auch solche prozessualen Erwägungen können jedoch vorliegend nicht die Feststellung rechtfertigen, dass der Beklagte Urheber der fraglichen Emails war. Auch bei der Frage, in welchem Umfang sich der Beklagte im Prozess zu erklären hat, sind die Konsequenzen des Beweisverwertungsverbots hinsichtlich der Auskunft des Internet-Providers (siehe oben 3.) zu berücksichtigen.

a. Trägt ein Kläger im Zivilprozess vor, eine bestimmte Rechtsverletzung sei vom Beklagten begangen worden, und zwar im Wege der elektronischen Kommunikation, ausgehend von einem bestimmten Internet-Anschluss des Beklagten, dürfte es vielfach wohl nicht ausreichen, wenn der Beklagte einen solchen Vortrag mit Nichtwissen bestreitet. Vielmehr ist ein Beklagter im Rahmen der sogenannten sekundären Darlegungslast in einer solchen Situation unter Umständen gehalten, konkret darzulegen, ob die betreffende Rechtsverletzung tatsächlich von seinem Internet-Anschluss begangen wurde und ob er selbst der Urheber war oder gegebenenfalls Dritte als Urheber in Betracht kommen (vgl. zur sekundären Darlegungslast Zöller/Greger aaO § 138 ZPO Rdn. 8b).

Vorliegend hat der Beklagte - zunächst - nur erklärt, er habe „diese Emails nicht versandt“ (Schriftsatz vom 13.02.2007 Seite 2, I 33). Diese Erklärung war im Sinne eines Bestreitens gemäß § 138 Abs. 3 ZPO zulässig. Der Umstand, dass die Klägerin die unzulässigen Auskünfte zur Zuordnung der dynamischen IP-Nummern vorgelegt hatte, konnte nicht dazu führen, dass der Beklagte sich konkreter zur Herkunft der Emails und zur Art und Weise der Benutzung seines Internet-Anschlusses hätte erklären müssen. Das Beweisverwertungsverbot (siehe oben) führt vorliegend dazu, dass auch die Erklärungspflicht des Beklagten begrenzt ist. Jedenfalls dann, wenn entsprechende personenbezogene Informationen unter Verstoß gegen ein Grundrecht erlangt wurden (Artikel 10 Abs. 1 GG), darf das Beweisverwertungsverbot nicht durch bestimmte Anforderungen an den Sachvortrag des Beklagten zu dessen Lasten umgangen werden. Das Bestreiten des Beklagten war selbst dann zulässig - und prozesserheblich -, wenn die Erklärungen des Beklagten inhaltlich unrichtig oder unvollständig gewesen sein sollten (vgl. Zöller/Greger aaO, § 138 ZPO Rdn. 3; Heinemann, MDR 2001, 137, 141 f.; noch weitergehend zu den Konsequenzen eines Beweisverwertungsverbotes: OLG Karlsruhe - 10. Senat - NJW 2000, 1577, 1578).




b. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.04.2007 vor dem Landgericht hat der Beklagte erklärt, „dass seine Ehefrau nach einem Gespräch erklärt habe, dass sie eventuell etwas damit zu tun habe“ (I 73). Diese Erklärung könnte man gegebenenfalls - woran wohl auch das Landgericht bei seiner Entscheidung gedacht hat - dahingehend werten, der Beklagte wolle nicht mehr (eindeutig) bestreiten, dass die fraglichen Emails von seinem Internet- Anschluss versandt wurden. Für die Entscheidung des Senats ist dieser Umstand jedoch ohne Bedeutung; denn die zitierte Erklärung des Beklagten im Termin vom 04.04.2007 ist nicht verwertbar.

Ein zum Schutz eines Grundrechts im Zivilprozess bestehendes Beweisverwertungsverbot darf nicht dadurch leerlaufen, dass ein Gericht die in unzulässiger Weise erlangten Informationen auf andere Weise in den Prozess einführt. Dies ist vorliegend geschehen. Im Termin vom 04.04.2007 vor dem Landgericht wurde ausweislich des Protokolls - auf der Basis des Klägervortrags - die Zuordnung der IP-Adressen erörtert. Die Erklärung, dass seine Ehefrau möglicherweise etwas mit der Sache zu tun habe, hat der Beklagte nach dem erstinstanzlichen Protokoll „auf Befragen“ (des Gerichts) gegeben. Der Beklagte wurde zu der entsprechenden Erklärung mithin durch eine Befragung des Gerichts veranlasst, die vor dem Hintergrund der Auskunft des Internet-Providers stattfand. Die Erklärung des Beklagten stellt sich daher als Konsequenz der Einführung der unzulässig erlangten Auskunft des Internet-Providers dar.

Der Beklagtenvertreter hat auch in der Berufungsbegründung darauf hingewiesen, dass die Ehefrau des Beklagten möglicherweise als Urheberin der Emails in Betracht komme. Auch in diesem zweitinstanzlichen Vorbringen könnte man möglicherweise eine Relativierung des eigenen Vortrags erblicken, soweit der Beklagte bestritten hat, dass die Emails von seinem Internet-Anschluss versandt wurden. Dies kann jedoch dahinstehen, da auch dieses ergänzende Vorbringen des Beklagtenvertreters im Berufungsverfahren prozessual nicht zu berücksichtigen ist. Die Ausführungen des Beklagtenvertreters zur möglichen Urheberschaft der Ehefrau des Beklagten stellen sich dar als eine zwangsläufige Fortsetzung der Erklärungen des Beklagten im Termin des 04.04.2007 vor dem Landgericht. Auch diese Ausführungen des Beklagtenvertreters sind mithin letztlich verursacht worden durch die unzulässige Einführung der Auskunft des Internet-Providers in den Zivilprozess. Dementsprechend erfasst das Beweisverwertungsverbot auch die schriftsätzlichen Ausführungen des Beklagtenvertreters zu einer mündlichen Urheberschaft der Ehefrau des Beklagten.

c. Die Anforderungen an die Darlegungen des Beklagten sind nicht deshalb höher anzusetzen sind, weil die Klägerin die Möglichkeit gehabt hätte, eine gleichartige Klage gegen den Beklagten auch ohne die - rechtswidrige - Auskunft des Internet-Providers zu erheben.

Bereits aus dem Inhalt der Emails ergaben sich für die Klägerin Anhaltspunkte, dass die Emails vom Beklagten stammen könnten. Denn die Emails enthielten eine - verschleierte - Werbung für den Internet-Kleinanzeigenmarkt des Beklagten unter der Domain „B….de“. Dass diese Internetseite vom Beklagten betrieben wurde, ergab sich schon aus einem Besuch der - allgemein zugänglichen - Internetseite. Die Klägerin hätte daher eine Unterlassungsklage gegen den Beklagten allein gestützt auf eine vermutete Urheberschaft des Beklagten und ohne Auskünfte über die Zuordnung der dynamischen IP-Adressen erheben können.



Bei einer solchen auf eine bloße Vermutung gestützten Klage wäre der Beklagte allerdings nicht verpflichtet gewesen, sich zu der Vermutung seiner Urheberschaft über ein einfaches Bestreiten hinaus näher zu erklären. Jedenfalls dann, wenn mit einer Klage keine weiteren Umstände vorgetragen werden, die eine konkrete Erklärung des Beklagten erfordern, wäre es in einem solchen Fall ausreichend, wenn der Beklagte lediglich erklärt: „Die E-Mails stammen nicht von mir und nicht von meinem Unternehmen.“ Auf der Grundlage dieser prozessualen Vergleichsüberlegung können an die Darlegungslast des Beklagten auch für den vorliegenden Prozess keine weitergehende Anforderungen gestellt werden.

Im übrigen hat die Klägerin ihre Klage tatsächlich nicht auf eine solche (prozessual zulässige) Vermutung gestützt, weil ihr die Risiken einer solchen Klage möglicherweise zu groß erschienen. Sie hat sich vielmehr - über den „Umweg“ einer Strafanzeige - eine unzulässige Auskunft des Internet-Providers über die relevanten Verkehrsdaten beschafft, um hinsichtlich des Absenders der Emails eine gewisse Sicherheit zu haben. Die Reichweite des Beweisverwertungsverbots könnte daher auch aus der tatsächlichen prozessualen Situation des vorliegenden Verfahrens beurteilt werden. Da die unzulässige Auskunft des Internet-Providers tatsächlich für die Klage und für die Entscheidung des Landgerichts eine entscheidende Rolle gespielt hat, müssten dann die dargestellten weitreichenden Konsequenzen eines Beweisverwertungsverbots eingreifen. Würde man dem Beklagten diesen prozessualen Schutz nicht zuerkennen, hätte letztlich die rechtswidrig erlangte Auskunft des Internet-Providers nachteilige Auswirkungen für den Beklagten. Dies würde die Bedeutung des Grundrechtsschutzes in Artikel 10 Abs. 1 GG und die Wirkungen der gesetzlichen Regelung in § 100g StPO relativieren. Eine Einschränkung des Beweisverwertungsverbots würde sich vor allem als Anreiz auswirken, unzulässige Auskünfte von Internet-Providern über Verkehrsdaten zu erhalten. ..."

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