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Landgericht München Urteil vom 07.09.2020 - 4 HK O 9484/20 - Zu irreführenden Angaben im Zusammenhang mit der Werbung für ein Biozid-Produkt

LG München v. 07.09.2020: Zu irreführenden Angaben im Zusammenhang mit der Werbung für ein Biozid-Produkt


Das Landgericht München (Urteil vom 07.09.2020 - 4 HK O 9484/20) hat entschieden:

   Wird von einem auf dem Gebiet der Herstellung, der Vermarktung und dem Vertrieb von Desinfektionsmitteln tätigen Unternehmen substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass es der Wissenschaft erst vor Kurzem gelungen ist, die Viruslast der Luft darzustellen, und dass es kein allgemein anerkanntes Prüfverfahren gibt, welches den prozentualen Anteil der Beseitigung von Bakterien und Viren in der Raumluft nach Anwendung eines Desinfektionsmittels messen könnte, ist es Aufgabe der abgemahnten Konkurrentin darzulegen und im einstweiligen Verfügungsverfahren glaubhaft zu machen, dass ihre Werbebehauptung richtig ist, wonach ihr Biozid-Produkt tatsächlich 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren nicht nur von den sich im Raum befindlichen Oberflächen, sondern auch aus der Raumluft selbst entfernt.

Siehe auch
Verschiedene Werbeaussagen
und
Stichwörter zum Thema Werbung


Tatbestand:


Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass die Antragsgegner das von ihnen angebotene Desinfektionsmittel ... mit Aussagen bewerben, die nach Auffassung der Antragstellerin irreführend und deshalb wettbewerbswidrig sind.

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin zu 1) sind auf dem Gebiet der Herstellung, der Vermarktung und dem Vertrieb von Desinfektionsmitteln tätig. Der Antragsgegner zu 2) ist der Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1).

Wie sich aus den als Anlagen S&P 08, 15, 16, 17, 19 und 20 ergibt, bewarb die Antragsgegnerin zu 1) auf der Website ... das von ihr unter der Bezeichnung ... vertriebene Desinfektionsmittel mit den im Tenor wiedergegebenen Werbeaussagen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, diese Werbeaussagen seien irreführend und wettbewerbswidrig.

Dadurch, dass die Antragsgegner behaupteten, dass ihr Produkt ... 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren aus der gesamten Raumluft und von sämtlichen Oberflächen entferne, suggerierten sie, in einem Prüfverfahren festgestellt zu haben, dass bei einer Prüfung der gesamten Räume auf alle darin vorkommenden Bakterien und Viren in der Raumluft und einer anschließenden Anwendung ihres Produkts in dem Raum 99,99 % der Bakterien und Viren in der Raumluft und auf Oberflächen entfernt worden seien.

Diese Vorstellung sei – allein schon aufgrund eines fehlenden anerkannten Prüfverfahrens zum Nachweis einer solchen Wirksamkeit – absurd und entspringe offensichtlich dem Wunschdenken der Antragsgegner.

Ein Beleg für die Wirksamkeit des beworbenen Produkts dahingehend, dass dieses nachweislich 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren aus der Raumluft und von Oberflächen entfernen könne, sei von Seiten der Antragsgegner nicht veröffentlicht worden und könne auch nachweislich schlichtweg nicht geliefert werden. Es existiere kein allgemein anerkanntes Prüfverfahren, welches den prozentualen Anteil der Beseitigung von Bakterien und Viren in der Raumluft nach Anwendung eines Desinfektionsmittels messen könne. Laut dem als Anlage S&P 31 vorgelegten Bericht sei es Wissenschaftlern der Universität Florida seit kurzem erstmalig gelungen, die Viruslast der Luft darzustellen. Wie viel Viren wirklich an Mikroteilchen in der Luft vorhanden seien, die Menschen ausatmen oder beim Sprechen versprühen, sei bislang insofern noch ganzlich ungeklärt. Es könne daher den Antragsgegner nicht bereits seit geraumer Zeit gelungen sein, sogar die Bekämpfung von Viren in der Luft wissenschaftlich abgesichert nachzuweisen.

Die Raumluftdesinfektion sei darüber hinaus wesentlich komplexer als die Behandlung von Oberflächen; gleiches gelte demnach für den Wirksamkeitsnachweis. Beispielsweise absolvierten Polstermöbel Desinfektionsmittel. Außerdem hinterlasse eine Sprühdesinfektion zwangsläufig freie Stellen im Raum, an denen Viren und Bakterien von Desinfektionsmitteln nicht erreicht wurden.

Die Wirksamkeit der Raumluftdesinfektion hänge verständlicherweise zwangsläufig von der Raumgroße, der dortigen Einrichtung, der spezifischen Luftstromung, der Konzentration des eingesetzten Desinfektionsmittels sowie der Intensität der Ausbringung des Mittels ab. Verallgemeinerungsfähige Aussagen zur Wirksamkeit einer Raumluftdesinfektion ließen sich deshalb nicht treffen. Darüber hinaus müsste man, wenn man mittels Luftströmung die Raumluft chemisch entkeimen wolle, um Übertragungen über die Atemluft auszuschließen, das Desinfektionsmittel permanent versprühen, wenn sich Menschen in dem Raum befänden. Das sei aber mit dem Produkt der Antragsgegner unstreitig nicht vorgesehen.

Wenn die Antragsgegnerin behaupte, ihr Produkt beseitige sogar mehr als 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren, so sei diese Behauptung neben ihrer tatsächlichen Unmöglichkeit mehrdeutig und ungenau und damit intransparent.

Sofern die Antragsgegnerin ihr Produkt damit bewerbe, dass die französische Testnorm AFNOR NFT 72–281 (im Folgenden: "AFNOR") von der Europäischen Biozid-Produktverordnung genutzt werde und als Standardmethode zur Wirksamkeitsüberprüfung luftgetragener Flächendesinfektionsmittel etabliert sei, sei dies schon deshalb irreführend, weil die AFNOR kein allgemein anerkanntes Prüfverfahren zur Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln in der Raumluft darstelle. Im Übrigen werde auf die AFNOR in der Biozidproduktverordnung mit keinerlei Wort Bezug genommen.

Auf dem Internetauftritt der Antragsgegnerin zu 1) würden auch falsche Angaben über ein durchgeführtes Prüfungsverfahren durch die BAUA gemacht. Auch würde behauptet, dass das Unternehmen der Antragsgegnerin zu 1) seit über 20 Jahren nachhaltige und innovative Biochemie-Produkte entwickle. Dies sei schon deshalb nicht möglich, da die Antragsgegnerin zu 1) erst am 08. Januar 2016 im Handelsregister eingetragen worden sei. Die Antragsgegner kämen darüber hinaus auch nicht ihrer Hinweispflicht für Biozid-Produkte nach, weil ein Hinweis darüber, dass Biozid-Produkte vorsichtig verwendet werden müssten und vor Gebrauch stets Etikett- und Prduktinformationen zu lesen seien, auf den Werbeunterlagen gemäß Anlagen S&P 6, 8, 15, 17, 19 und 20 fehle. Zuletzt würden die Antragsgegner auch die pauschale Behauptung aufstellen, dass ihr Produkt für Allergiker geeignet sei Hiermit suggerierten die Antragsgegner dem Leser fälschlicherweise, dass ihr Produkt nachweislich generell keinerlei allergische Reaktionen hervorrufen könne. Ein Nachweis über diese Werbeaussage könnten sie hingegen nicht erbringen. Darüber hinaus dürfe Werbung für Biozidprodukte keine Werbebehauptungen wie "unschädlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.

Die Antragstellerin stellt daher folgenden Antrag:,

   Den Antragsgegnern wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle der Antragsgegnerin zu 1. zu vollziehen an dem Antragsgegner zu 2,

zu unterlassen,

   im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs als Biozide angebotene Produkte zur Desinfektion unter der Bezeichnung ... damit zu bewerben, dass sie 99,99 % der schädlichen Bakterien & Viren aus der gesamten Raumluft und von sämtlichen Oberflächen entfernen, wie auf dem Internetauftritt ... geschehen und wie in Anlage S&P 08 wiedergegeben;

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs als Biozide angebotene Produkte zur Desinfektion unter der Bezeichnung ... damit zu bewerben, dass sie mehr als 99,99 % der schädlichen Bakterien & Viren beseitigen, wie auf dem Internetauftritt www.amoair.com geschehen und wie in Anlage S&P 15 wiedergegeben;

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs als Biozide angebotene Produkte zur Raumluftdesinfektion unter der Bezeichnung ... damit zu bewerben, dass sie über ein AFNOR NFT 72-281-Zertifikat verfügen und damit der europäischen Biozid-Produktverordnung entsprechen, wie auf dem Internetauftritt ... geschehen und wie in Anlage S&P 16 wiedergegeben;

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs als Biozide angebotene Produkte unter der Bezeichnung ... zur Desinfektion damit zu bewerben, dass sie von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAUA geprüft wurden, wie auf dem Internetauftritt ... geschehen und wie in Anlage S&P 16 wiedergegeben;

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für als Biozide angebotene Produkte zur Desinfektion unter der Bezeichnung ... zu werben und hierbei zu behaupten, die Antragsgegnerin zu 1. entwickle seit über 20 Jahren nachhaltige und innovative Biochemie-Produkte, wenn dies tatsächlich nicht der Fall ist, wie auf dem Internetauftritt ... geschehen und wie in Anlage S&P 19 wiedergegeben;

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs als Biozide angebotene Produkte zur Desinfektion unter der Bezeichnung ... zu bewerben, ohne den Hinweis "Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen" deutlich vom Rest der Werbung abgehoben wiederzugeben, wobei statt des Wortes "Biozidprodukte" auch die genaue Bezeichnung der Produktart verwendet werden kann, wie auf dem Internetauftritt ... geschehen und wie in den Anlagen S&P 6, 8, 15, 17, 19 und 20 wiedergegeben.

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs als Biozide angebotene Produkte zur Desinfektion unter der Bezeichnung ... damit zu bewerben, sie enthalten keine Gifte oder Schadstoffe und seien für Allergiker geeignet, wie auf dem Internetauftritt ... geschehen und wie in Anlage 20 wiedergegeben.



Die Antragsgegner beantragen,

   den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfugung zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, es obliege der Antragstellerin, nachzuweisen, dass die angegriffenen Werbebehauptungen falsch seien. Einen solchen Nachweis habe die Antragstellerin jedoch bisher nicht erbracht.

Aus den Anlagen AG 2 und AG 3 ergebe sich, dass die Werbebehauptungen zutreffend seien In einem Testverfahren beim Berliner Ensemble seien durch einen extra beauftragten Sachverständigen zunächst die Oberflächenverunreinigungen vor und nach Anwendung von ... gemessen worden (vgl. den als Anlage AG 2 vorgelegten Bericht). Auch aus dem als Anlage AG 3 vorgelegten Gutachten ergebe sich eine hervorragende Beurteilung der Luftbeschaffenheit. Auch der durchgeführte, sogenannte AFNOR-Test weise nach, dass eine Reduktion der Viren und Bakterien in der Luft stattgefunden habe (vgl. den als Anlage zum Protokoll vom 17.08.20 genommenen Test-Report).

Die Antragsgegnerin werbe auch nicht mit falschen Zertifikaten Sie verfüge über die französische Testnorm AFNOR und entspreche damit der Europäischen Biozid-Produktverordnung Es sei zwar zutreffend, dass die Prüfung durch die BAUA noch nicht abgeschlossen sei. Da sich die Prüfung jedoch bis zum Jahre 2026 erstrecken werde, sei der zwischenzeitliche Warenverkauf und insbesondere deren Produktion durch die Antragsgegnerin zu 1) daher erlaubt Etwas anderes gelte für die Antragstellerin. Sie dürfe keine diesbezüglichen Waren herstellen, weil ihr hierfür die Zulassung fehle. Deswegen sei sie auch nicht mehr Wettbewerberin der Antragsgegnerin zu 1).

Die mit Antrag 5 angegriffene Werbeaussage sei in ihrem Kern zutreffend. Die Familie, insbesondere ..., beschäftige sich schon seit mehr als 20 Jahren mit der Herstellung von Desinfektionsmitteln.

[das Produkt]... enthalte auch keine Gifte oder sonstige für den Menschen gefährliche Schadstoffe. Da allergische Reaktionen aufgrund nicht bereinigter Luftverhältnisse entstünden, das Produkt der Antragsgegnerin jedoch die Luft in hohem Maße reinige, sei es auch für Allergiker geeignet.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.08.2020 Bezug genommen.




Entscheidungsgründe:


Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO im vollen Umfang stattzugeben, da die von der Antragstellerin als Wettbewerber angegriffenen Werbebehauptungen wettbewerbswidrig sind.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

I.

Dass die Antragstellerin als Wettbewerberin der Antragsgegnerin zu 1) im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG aktiv legitimiert ist, um die geltend gemachten Wettbewerbsverstöße anzugreifen, hat sie durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung gemäß Anlage S&P 03 sowie durch Vorlage des Handelsregisterauszugs (Anlage S&P 02) und des Auszugs aus dem Internetauftritt der Antragstellerin (Anlage S&P 01) hinreichend glaubhaft gemacht. Den Einwand der Antragsgegner, sie benötige eine Zulassung zur Herstellung von Desinfektionsmitteln, hat sie dadurch ausgeräumt, dass sie vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, sie stelle die entsprechenden Produkte nicht selber her.

II.

Die Unzulässigkeit der von der Antragstellerin angegriffenen Werbebehauptungen als irreführende geschäftliche Handlung i.S.v. § 5 I Satz 2 Nr. 1 UWG ergibt sich aus folgenden Erwägungen.



1. Dadurch, dass die Antragsgegnerin zu 1) damit wirbt, mit Hilfe von ... könnten 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren aus der gesamten Raumluft und von sämtlichen Oberflächen entfernt werden, wie im Internetauftritt gemäß Anlage S&P 08 wiedergegeben, erweckt sie den Eindruck, das von ihr beworbene Produkt habe diese Wirkung. Aufgrund dieser einschränkungslos aufgestellten Behauptung geht der Verbraucher davon aus, dass es für diese Aussage eine qualifizierte Grundlage gibt, d.h. dass die Aussage wissenschaftlich abgesichert ist.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dieses Verständnis des Verbrauchers richtig ist, d.h. dass die Aussage wissenschaftlich abgesichert ist, tragen die Antragsgegner (vgl. OLG Stuttgart, Az. 2 U 144/18). Dieser Darlegungs- und Beweislast ist die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht nachgekommen.

a. Uberall dort, wo die Gesundheit in der Werbung ins Spiel gebracht wird, sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen zu stellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH WRP 2013, 772 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Werbeangaben auf dem Gebiet des Gesundheitswesens sind nur zuzulassen, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (BGH GRUR 71, 153 – Tampax). Deshalb ist es gegenüber der substantiierten Behauptung des Klägers, einer von ihm als Irreführung angegriffenen gesundheitsbezogenen Werbung fehle eine wissenschaftliche Grundlage, Sache des Beklagten, die wissenschaftliche Absicherung der umstrittenen Werbeaussage zu beweisen (BGH GRUR 1991, 848 – Rheumalind II).

Wer gesundheitsbezogene Wirkungsaussagen trifft, muss auf substantiierten Angriff eines Wettbewerbers die Richtigkeit seiner Behauptung darlegen und beweisen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2011, 4 U 213/10).

b. Bei der Aussage der Antragsgegnerin zu 1), ihr Produkt ... entferne 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren aus der gesamten Raumluft und von sämtlichen Oberflächen, handelt es sich um eine gesundheitsbezogene Wirkungsaussage, die den oben dargelegten Grundsätzen unterliegt. In Zeiten der Corona-Pandemie ist die Frage, ob und wie Corona-Viren aus der Raumluft und von Oberflächen entfernt werden können, eine der brennendsten und für die ganze Welt wichtigsten gesundheitlichen Fragen überhaupt.

c. Die Antragstellerin hat substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass es der Wissenschaft erst vor Kurzem gelungen ist, die Viruslast der Luft darzustellen, und dass es kein allgemein anerkanntes Prüfverfahren gibt, welches den prozentualen Anteil der Beseitigung von Bakterien und Viren in der Raumluft nach Anwendung eines Desinfektionsmittels messen könnte. Hierauf wäre es Aufgabe der Antragsgegner gewesen, darzulegen und im einstweiligen Verfügungsverfahren glaubhaft zu machen, dass ihre Werbebehauptung richtig ist, wonach ... tatsächlich 99,99 % der schädlichen Bakterien und Viren nicht nur von den sich im Raum befindlichen Oberflächen, sondern auch aus der Raumluft selbst entfernt.




Hierzu enthalten die vorgelegten Unterlagen jedoch keine Angaben. Aus Seite 4, vorletzter Absatz der Anlage AG 2 ergibt sich, dass ein "quantitativer nicht poroser Oberflächentest" durchgeführt wurde, der erfolgreich war. Auch in den anderen Absätzen der vorgelegten Unterlage ist von der Prüfung des "Desinfektionsmittels auf nicht porösen Oberflächen" die Rede, die erfolgreich war. An keiner Stelle der Unterlage ist ein Hinweis darauf zu finden, dass nicht die Viruslast auf den Oberflächen sondern in der Raumluft gemessen wurde und dass diese zu 99,99 % von Viren und Bakterien befreit werden konnte. Auch bezüglich der gemessenen Oberflächendesinfektion ist eine Zahl von 99,99 % in der gutachterlichen Stellungnahme nicht ersichtlich.

Gleiches gilt für die Unterlage gemäß Anlage AG 3. Auch dieser Unterlage kann nicht entnommen werden, dass die Raumluft und ihre Virenlast gemessen wurde. In der Unterlage wird dargelegt, das sogenannte Abklatschproben genommen wurden. Hierbei wurden "sehr gute Ergebnisse" erbracht, weil die von der Vernebelung erhobenen Proben zum großen Teil sehr hohe Ausgangskeimbelastungen hatten, die nach dem Vorgang fast vollstandig eliminiert waren.

Auch diesen Aussagen ist nicht zu entnehmen, dass die Virenlast in der Raumluft (und nicht auf den Oberflächen) überprüft wurde und dabei festgestellt wurde, dass 99,99 % der Viren aus der Raumluft (oder wenigstens von den Oberflächen) entfernt wurden.

Da die Antragsgegner in keiner Weise glaubhaft gemacht haben, dass eine 99,99 %-ige Entfernung der Viren aus der Raumluft oder den Oberflächen gemessen wurde, dürfen sie mit einer entsprechenden Werbebehauptung nach den oben dargelegten Grundsätzen auch nicht werben.

2. Die unter Ziffer I 2. angegriffene Werbebehauptung ist schon deshalb irreführend i.S. von § 5 UWG, da sich die angesprochenen Verkehrskreise unter "mehr als 99,99 %" nichts vorstellen können. Sofern die Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung ausgeführt haben, diese Werbebehauptung beziehe sich auf die in der Anlage AG 1 dargelegten, bei der Sterilisation von Oberflächen üblichen Log-Stufen, ist dies bereits deshalb unbehelflich, weil die durch die Werbeaussagen der Antragsgegner angesprochenen Verkehrskreise, z.B. Inhaber von Theatern oder Konzertsälen, diese Log-Stufen nicht kennen werden.

3. Da die Biozid-Produktverordndung keinerlei Zusammenhänge zur französischen Testnorm "AFNOR NFT 72–281" herstellt oder diese "nutzt", ist die mit Klageantrag 3. angegriffene Werbebehauptung unzutreffend und deshalb irreführend i.S.v. § 5 UWG.

4. Auch die Werbebehauptung, die unter der Bezeichnung ... angebotenen Biozide seien von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) geprüft worden, ist unzutreffend und deshalb irreführend. Nach dem von den Antragsgegnern zugestandenen Vortrag der Antragstellerin ist die Prüfung der Produkte gerade noch nicht abgeschlossen. Die Bewerbung "geprüft" beinhaltet aber gerade einen solchen Abschluss der Prüfung. Es wäre ein Leichtes für die Antragsgegner gewesen, mit der zutreffenden Aussage zu werben, dass eine Zulassung des Produkts erfolgt ist, die Überprüfung jedoch noch nicht abgeschlossen ist.

5. Auch mit der unter Klageantrag 5. angegriffenen Werbeaussage verstoßen die Antragsgegner gegen § 5 UWG. Der Hinweis auf Alter und Tradition eines Unternehmens suggerieren Kontinuität. Daher muss die wirtschaftliche Fortdauer während der behaupteten Jahre vorliegen Das gegenwärtige Unternehmen muss trotz aller im Laufe der Zeit eingetretenen Änderungen noch mit dem älteren Unternehmen als lebensgleich angesehen werden können, damit die Werbung sachlich gerechtfertigt ist (Bornkamm/Federssen, UWG, 36. Aufl., Rdn. 462). Allein die Tatsache, dass der Vater des Antragsgegners zu 2) seit 20 Jahren im Desinfektionsmittelbereich tätig ist, reicht jedoch nicht aus, um eine Werbung mit einer 20-jährigen Tradition im Bereich der Entwicklung von nachhaltigen und innovativen Biochemie-Produkten zu rechtfertigen, wenn – wie hier – das werbende Unternehmen erst seit ein paar Jahren existiert.

6. Gemäß Artikel 72 Abs. 1 der Biozid-Produkteverordnung EU Nr. 528/2012 ist jeder Werbung für Biozidprodukte folgender Hinweis hinzuzufügen "Biozid-Produkte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen".

Hiergegen haben die Antragsgegner verstoßen, weil in den Werbeunterlagen der Antragsgegnerin zu 1) ein solcher Hinweis nicht enthalten ist.



7. Gemäß Artikel 72 Abs. 3 der EU-Biozid-Verordnung darf in der Werbung für Biozid-Produkte das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend sind. Die Werbung für ein Biozid-Produkt darf auf keinen Fall die Angaben "unschädlich" oder ähnliche Hinweise enthalten. Ein solcher "ahnlicher Hinweis" ist der von den Antragsgegnern verwendete Hinweis "für Allergiker geeignet".

8. Da Artikel 72 Abs. 1 Biozid und Abs. 3 der Biozid-Produkteverordnung Marktverhaltensregulungen i.S.v. § 3 a UWG enthalten (Kammergericht Berlin, MD 2017, 137), steht der Antragstellerin auch diesbezüglich ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG zu.

III.

Der Verfügungsgrund der Dringlichkeit wird gem. § 12 Abs. 2 UWG im Wettbewerbsrecht vermutet. Diese Vermutung haben die Antragsgegner nicht widerlegt.

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war daher in vollem Umfang mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO stattzugeben.

Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit war nicht erforderlich, da Urteile, mit denen einstweilige Verfügungen erlassen werden, ohne Ausspruch vorläufig vollstreckbar sind.

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