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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil vom 10.12.2019 - 8 K 6149/18 - Irreführung bei Kennzeichnung eines Fruchtgummiprodukts

VG Freiburg v. 10.12.2019: Irreführung bei Kennzeichnung eines Fruchtgummiprodukts


Das Verwaltungsgericht Freiburg (Urteil vom 10.12.2019 - 8 K 6149/18) hat entschieden:

   Die Kennzeichnung eines Fruchtgummiprodukts, das ausschließlich mit Hilfe pflanzlicher Stoffe gefärbt wird, mit „ohne künstliche Farbstoffe“ verstößt nicht gegen das Irreführungsverbot der Lebensmittelinformationsverordnung, auch wenn normativ keine Unterscheidung zwischen „künstlichen“ und „nicht-künstlichen“ Farbstoffen getroffen wird. - Es handelt sich dabei auch nicht um eine unzulässige Werbung mit Selbstverständlichkeiten im Sinne der Lebensmittelinformationsverordnung.




Siehe auch
Verschiedene Werbeaussagen
und
Werbung mit Selbstverständlichkeiten


Tatbestand:


Die Klägerin begehrt eine lebensmittelrechtliche Feststellung in Bezug auf ihr Produkt "HX PX 200g".

Die Klägerin ist eine deutsche Süßwarenherstellerin, die seit Mai 2018 ihren Firmensitz in GX, RX-PX, hat. Sie produziert Fruchtgummis mit dem Namen "PX" mit folgenden Zutaten laut Zutatenliste:

   Glukosesirup; Zucker; Stärke; Gelatine; Säuerungsmittel; Citronensäure; Apfelsäure; Frucht- und Pflanzenkonzentrate: Holunderbeere, Schwarze Johannisbeere, Orange, Zitrone, Apfel, Karotte, Rettich, Hibiskus, Süßkartoffel, Spirulina, Saflor; Aroma; Säureregulator: Tricalciumcitrat, Natriumhydrogenmalat; Überzugsmittel: Carnaubawachs; karamellisierter Zuckersirup; Invertzuckersirup.

Das Produkt ist auf der Rückseite der Packung mit "ohne künstliche Farbstoffe" deklariert.

Am 18.04.2018 entnahm der Beklagte in der PX-Filiale, RX Straße X in GX, eine Probe des Produkts "HX PX 200 g" und sandte es zur Begutachtung an das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt SX (CVUA SX). Im Gutachten vom 14.05.2018 nahm das CVUA Bezug auf die Stellungnahme Nr. 2016/26 des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (- ALS -) vom 21./22.09.2016 und führte in seiner Beurteilung zusammenfassend aus:

   "Gemäß Definition in der VO (EG) Nr. 1333/2008 handelt es sich bei Farbstoffen grundsätzlich um zulassungspflichtige Zusatzstoffe. Eine Differenzierung in "künstliche" bzw. "nicht künstliche" Farbstoffe wird von Gesetzgeberseite nicht vorgenommen und lässt sich auch aus den Spezifikationen für Lebensmittelzusatzstoffe der VO (EU) Nr. 231/2012 nicht herleiten. Gemäß Art. 7 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1169/2011 müssen Informationen über Lebensmittel zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein. Darüber hinaus dürfen nach Art. 36 Abs. 2 b) der VO (EU) Nr. 1169/2011 freiwillig bereitgestellte Informationen für Verbraucher nicht zweideutig oder missverständlich sein. Jegliche Hinweise auf "künstliche" Farbstoffe sind mangels ausreichender Differenzierbarkeit zu "nicht künstlichen" Farbstoffen aufgrund fehlender Definitionen nicht leicht verständlich und damit zur Irreführung geeignet.

Für die Beurteilung der Auslobung "ohne künstliche Farbstoffe" ist es unerheblich, ob in der Probe Farbstoffe i. S. der VO (EG) Nr. 1333/2008 und/oder sog. "färbende Lebensmittel" verwendet wurden. Die Angabe "ohne künstliche Farbstoffe" ist als irreführend zu beurteilen."

Mit Schreiben vom 06.06.2018 übermittelte der Beklagte gemäß der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, des Justizministeriums und des Innenministeriums über die Zusammenarbeit der Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörde bei der Bekämpfung von Verstößen im Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes (- Gemeinsame Verwaltungsvorschrift zum gesundheitlichen Verbraucherschutz -) der Staatsanwaltschaft LX das Gutachten des CVUA SX und informierte über einen möglichen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (- LFGB -). Als Beschuldigter gab der Beklagte "Frau KX (Bezirksleiterin), und andere unbekannte Beschuldigte" an. Das Ermittlungsverfahren gegen die Filialleiterin des PX-Markts stellte die Staatsanwaltschaft LX mit Verfügung vom 20.06.2018 nach § 170 Abs. 2 StPO ein, auch im Hinblick auf mögliche Ordnungswidrigkeiten (§ 46 OWiG in Verbindung mit § 170 Abs. 2 StPO). Das Ermittlungsverfahren gegen Herrn RX, einem verantwortlichen Mitarbeiter der Klägerin, wurde an die Staatsanwaltschaft KX beziehungsweise von dort an die Staatsanwaltschaft BX als zuständige Staatsanwaltschaft für Lebensmittelstrafsachen abgegeben.

Die Klägerin hat am 31.10.2018 Klage erhoben und trägt vor, der Klageantrag sei als Feststellungsklage statthaft. Der Beklagte habe - entgegen § 16 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Grundsätze der Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Lebensmittelrechts, des Rechts der tierischen Nebenprodukte, des Weinrechts, des Futtermittelrechts und des Tabakrechts (- AVV Rahmen-Überwachung -) - den vermeintlichen Vorfall nicht an die zuständige Heimatbehörde abgegeben, sondern umgehend eigene Maßnahmen ergriffen, indem er die Staatsanwaltschaft LX unterrichtet habe. Dies deute auf einen besonderen Verfolgungseifer des Beklagten hin; gemeinsam mit dem CVUA SX und staatsanwaltschaftlicher Hilfe solle eine der früheren zuständigen Heimatbehörde in BX entgegenstehende Rechtsauffassung durchgesetzt werden. Es seien auch künftig weitere Beanstandungen und strafrechtliche Verfolgung zu befürchten. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse folge zum einen daraus, dass die Rechtslage unklar sei, die Klägerin ihr Verhalten an der Feststellung orientieren wolle und zum anderen aus dem anhängigen Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft BX, das am 29.03.2019 nach § 154d StPO mit Blick auf die anhängige Verwaltungsrechtssache vorläufig eingestellt worden sei. Zudem habe sie ein schützenswertes Interesse daran, die Klärung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren als fachspezifischeren Rechtsschutz und nicht auf der Anklagebank zu erleben. Weiter wird angeführt, dass ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot nicht vorliege, da die Sicht des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich sei, der regelmäßig keine Kenntnis von den Regelungen in der Lebensmittelzusatzverordnung und der fehlenden Differenzierbarkeit zwischen "künstlich" und "nicht künstlich" habe. Selbst bei Kenntnis sei keine Irreführung gegeben, da tatsächlich keine Farbstoffe zugegeben worden seien. Ein Verstoß gegen das Verbot der Werbung mit Selbstverständlichkeiten liege außerdem nicht vor, da es tatsächlich Fruchtgummiprodukte mit Farbstoffen gebe; bei einem Verzicht auf diese Farbstoffe handele es sich damit um ein besonderes Leistungsmerkmal, dessen Bewerbung nicht verboten sei.

Die Klägerin beantragt,

   festzustellen, dass die Kennzeichnung des Produkts "HX PX 200 g" mit der Angabe "ohne künstliche Farbstoffe" nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verstößt.

Der Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Es bestünden Zweifel, ob der Verwaltungsrechtsweg überhaupt eröffnet sei. Die Feststellungsklage sei im Übrigen subsidiär, weil die Klägerin die Möglichkeit habe, ihr Begehren durch eine Anfechtungsklage gegen einen entsprechenden Bescheid oder durch eine vorbeugende Unterlassungsklage zu erreichen. Es sei nicht mit rechtsstaatlichen Geboten vereinbar, wenn den Erstatter der Strafanzeige Nachteile träfen, sei es nur durch das Kostenrisiko für gegenteilige Feststellungen. Von einer weiteren Ahndung oder Verfolgung des Produkts der Klägerin werde abgesehen, soweit keine erhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eintrete. In sachlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass eine Irreführung vorliege, denn Hervorhebungen in der Werbung müssten auch einen tatsächlichen Unterschied zu vergleichbaren Lebensmitteln aufweisen. Wenn eine Differenzierung zwischen "künstlichen" und "nicht künstlichen" Farbstoffen nicht möglich sei, erzeuge dies beim Verbraucher die Fehlvorstellung, dass der Verzicht auf "künstliche" Farbstoffe ein besonderes Qualitätsmerkmal sei.

Die Staatsanwaltschaft BX hat das Ermittlungsverfahren gegen Herrn RX am 29.03.2019 gemäß § 154d StPO vorläufig eingestellt mit der Begründung, dass die Entscheidung, ob eine strafbare Handlung vorliege von einer verwaltungsrechtlichen Fragestellung abhänge, namentlich, ob die Bezeichnung "ohne künstliche Farbstoffe" als irreführend zu beurteilen sei oder nicht. Mit Schreiben vom 02.10.2019 hat sich die Staatsanwaltschaft BX bei der Klägerin nach dem Stand des Verwaltungsrechtsstreits erkundigt.

Dem Gericht liegt die Akte des Landratsamts Lörrach vor. Sie war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands verwiesen.





Entscheidungsgründe:


Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist als Feststellungsklage im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

1. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, § 40 Abs. 1 VwGO. Die Beteiligten streiten um den Inhalt und die Auslegung von Rechtssätzen des Lebensmittelverwaltungsrechts, die den Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten begründen (s. BVerwG, Urteile vom 07.05.1987 - 3 C 53.85 - juris, Rn. 17 und vom 23.01.1992 - 3 C 59.89 - juris, Rn. 27). Die abdrängende Sonderzuweisung des § 62 Abs. 1 und 2 Satz 1 in Verbindung mit § 68 OWiG ist erkennbar nicht einschlägig, da gegen die Klägerin kein Bußgeldbescheid erlassen worden ist.

2. Das gemäß § 43 Abs. 1 VwGO für die Feststellungsklage erforderliche hinreichend konkrete Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagten liegt vor (dazu unter a). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, § 43 Abs. 1 a.E. VwGO (dazu unter b). Die Feststellungsklage ist zudem nicht subsidiär, § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO (dazu unter c)

a) Als Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BVerwG, Urteile vom 23.01.1992 - 3 C 50.89 - juris, Rn. 29; vom 23.08.2007 - 7 C 2.07 - juris, Rn. 21, und vom 25.10.2017 - 6 C 44.16 - juris, Rn. 10; Happ, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl., 2019, § 43 Rn. 12).

Es liegt ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten vor, denn der Beklagte und die Klägerin streiten darüber, ob die Bezeichnung "ohne künstliche Farbstoffe" für das von der Klägerin in Verkehr gebrachte Erzeugnis gegen Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 verstößt. Die zwischen der Klägerin und dem Beklagten als Lebensmittelüberwachungsbehörde (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 1 LFGB in Verbindung mit § 2, § 18 Abs. 4, § 19 Abs. 1 Gesetz zur Ausführung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (- AGLMBG -) in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG) bestehende Rechtsbeziehungen allgemeiner Art sind sowohl in Bezug auf den fraglichen Sachverhalt als auch in Bezug auf die angewandten Normen hinreichend konkretisiert worden.




Zur Konkretisierung eines Rechtsverhältnisses ist erforderlich, dass ein bestimmter, bereits überschaubarer Sachverhalt vorliegt, dessen Rechtsfolgen festgestellt werden sollen, und dass dieses Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten streitig ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 08.06.1962 - VII C 78.61 - NJW 1962, 1690 <1690>; vom 07.05.1987 - 3 C 53.85 - juris, Rn. 24; vom 23.01.1992 - 3 C 50.89 - juris, Rn. 30 f.; Hessischer VGH, Urteil vom 17.12.1985 - 9 UE 2162/85 - juris, Rn. 53; kritisch zum Erfordernis des Meinungsstreits Happ, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl., 2019, § 43 Rn. 25). Durch dieses Erfordernis der "Verdichtung" soll der Missbrauch der Feststellungsklage als "allgemeine Auskunftsklage über die Rechtslage" verhindert werden, da die rechtstheoretische Lösung von Rechtsfragen nur um ihrer selbst willen nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist (vgl. dazu ausführlich: BVerwG, Urteil vom 08.06.1962 - VII C 78.61 - NJW 1962, 1690 <1690>; Engels, NVwZ 2018, 1001 <1004> m.w.N. aus der Literatur).

Eine "Verdichtung" des Rechtsverhältnisses in diesem Sinne ist in ständiger Rechtsprechung für den Fall anerkannt, dass von Seiten der Behörde mit einer Strafanzeige gedroht wird (sog. Damokles-Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.1969 - I C 86.64 - juris, Rn. 18) oder mit der Abgabe des Vorgangs an die Bußgeldstelle beziehungsweise Amtsanwaltschaft (Hessischer VGH, Urteil vom 17.12.1985 - 9 UE 2162/85 - juris, Rn. 54). Mit dieser Drohung ist die rechtliche Einstellung der Parteien zu einem bestimmten tatsächlich bestehenden Sachverhalt so eindeutig klargestellt und kundgetan worden, dass das Vorliegen eines konkreten Rechtsverhältnisses nicht mehr geleugnet werden kann (BVerwG, Urteil vom 13.01.1969 - I C 86.64 - juris, Rn. 18). Eine Verdichtung ist weiterhin gegeben, wenn die Überwachungsbehörde dem Kläger einen Anhörungsbogen zum Vorwurf der Irreführung übersendet (Hessischer VGH, Urteil vom 17.12.1985 - 9 UE 2162/85 - juris, Rn. 54). Weiter wurde ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis für den Fall angenommen, dass die Behörde das Gutachten der Untersuchungsanstalt an die Klägerin übersendet verbunden mit der Aufforderung, die rechtlichen Vorgaben umzusetzen oder an die Staatsanwaltschaft verbunden mit der Information, welche Ordnungswidrigkeiten respektive Straftaten verwirklicht worden sind (VG Freiburg, Urteil vom 02.04.2008 - 2 K 2080/07 - juris, Rn. 27, bestätigt durch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.02.2010 - 9 S 1130/08).

In Anknüpfung an diese Beispiele aus der Rechtsprechung ist auch im vorliegenden Fall von einem hinreichend konkreten Rechtsverhältnis auszugehen.



Zwar hat der Beklagte keine Verfügung gegen die Klägerin erlassen und in dieser Sache auch kein Bußgeldverfahren eingeleitet. Zudem hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 26.04.2019 erklärt, dass von einer weiteren Ahndung oder Verfolgung des in den Verkehr gebrachten Produkts der Klägerin abgesehen werde. Jedoch übermittelte der Beklagte mit Schreiben vom 06.06.2018 das Gutachten des CVUA SX vom 14.05.2018 an die Staatsanwaltschaft LX und informierte darüber, dass "auf Grund der gutachterlichen Feststellungen die Möglichkeit bestehe, dass ein strafrechtlich relevanter Verstoß nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB vorliegen könnte". Aus diesem Schreiben an die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Übermittlung des Gutachtens wird hinreichend deutlich, dass sich der Beklagte die Ergebnisse des Gutachtens zu eigen gemacht hat. Die rechtliche Einstellung des Beklagten zu diesem Sachverhalt ist damit eindeutig klargestellt und kundgetan worden, dass das Vorliegen eines konkreten Rechtsverhältnisses nicht geleugnet werden kann. Es geht daher gerade nicht mehr um die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage. Zwar ist das Schreiben noch vage formuliert und es ließe sich argumentieren, dass der Beklagte allein ihrer aus der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift zum gesundheitlichen Verbraucherschutz folgenden Pflicht nachgekommen ist, die darin besteht, die Strafverfolgungsbehörden über den Verdacht einer Straftat gegen Vorschriften des Lebensmittel- und Futtermittelrechts zu informieren (Nr. 4.2 der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift zum gesundheitlichen Verbraucherschutz). Allerdings ist fraglich, warum der Beklagte in Anlehnung an § 16 Abs. 2 AVV Rahmen-Überwachung nicht bloß die für die Klägerin örtlich zuständige Behörde über die Erkenntnisse informiert hat. Aus den Formulierungen in der Unterrichtung wird zudem hinreichend deutlich, dass der Beklagte die Rechtsauffassung des CVUA SX teilt (vgl. nur: "Dabei [Anm: bei der gezogenen Planprobe] wurden Mängel festgestellt, die geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen"). Die in der mündlichen Verhandlung erfolgte Einlassung des Beklagten dahingehend, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin nicht angestrebt gewesen sei, wertet die erkennende Kammer als eine bloße Schutzbehauptung. Dies findet seine Bestätigung darin, dass in der Unterrichtung an die Staatsanwaltschaft x als "Beschuldigter: Frau KX (Bezirksleiterin), und andere unbekannte Beschuldigte" bezeichnet sind. Zudem findet sich am Schluss der Unterrichtung der Hinweis, dass "aufgrund der Konzernstruktur des Unternehmens" keine belastbaren Angaben zum richtigen Beschuldigten gemacht werden könnten. Dieser Satz und auch der Passus "andere unbekannte Beschuldigte" beziehen sich nach dem insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont eindeutig auf die Klägerin, da der Beklagte für die PX Filiale die verantwortliche Bezirksleiterin namentlich nennen konnte.

Unschädlich ist auch, dass sich das Ermittlungsverfahren nicht gegen die Klägerin selbst richtet, sondern gegen einen verantwortlichen Mitarbeiter. Es entspricht der überwiegenden und von der erkennenden Kammer geteilten Rechtauffassung, dass - soweit kein eigenmächtiges Handeln des Mitarbeiters gegeben ist - das Ermittlungsverfahren auch die dahinterstehende juristische Person betrifft (für den Fall der Bußgeldandrohung gegen den Geschäftsführer einer GmbH vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.02.1994 - 13 A 4016/92 - juris, Rn. 8; VG Düsseldorf, Urteil vom 03.02.2010 - 16 K 1799/09 - juris, Rn. 13, bestätigt durch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.10.2010 - 13 A 616/10 - juris).

b) Die Klägerin hat auch das für die Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung (§ 43 Abs. 1 a.E. VwGO). Als Feststellungsinteresse ist jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition der Klägerin zu verbessern (BVerwG, Urteile vom 06.02.1986 - 5 C 40.84 - juris, Rn. 28; vom 25.10.2017 - 6 C 46.16 - juris, Rn. 20; Beschluss vom 20.12.2017 - 6 B 14.17 - juris, Rn. 13).

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich ein berechtigtes Interesse auch aus einem unmittelbar drohenden Ermittlungsverfahren ergeben kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.02.2010 - 9 S 1130/08 - juris, Rn. 17). Denn der Betroffene hat einen Anspruch darauf, die fachspezifischere Rechtsschutzmöglichkeit in Anspruch zu nehmen und eine Klärung der streitigen, dem besonderen Verwaltungsrecht zugehörigen Rechtsfragen durch eine verwaltungsgerichtliche Feststellung und nicht "auf der Anklagebank" herbeizuführen (s. BVerfG, Beschluss vom 07.04.2003 - 1 BvR 2129/02 - juris, Rn. 14; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.02.2010 - 9 S 1130/08 - juris, Rn. 16). Es besteht zwar keine allgemeine Bindung der Strafgerichte an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und an die in dieser vertretenen Rechtsansicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.1987 - 2 BvL 11/85 - juris, Rn. 48; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., 2019, § 121 Rn. 12; Miebach, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., 2016, § 262 Rn. 28; a.A. Lässig, NVwZ 1988, 410 <412>). Auch die Staatsanwaltschaft ist nicht an die verwaltungsgerichtliche Entscheidung gebunden, wenn sie das Ermittlungsverfahren gemäß § 154d StPO vorläufig eingestellt hat (Teßmer, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., 2016, § 154d Rn. 4). Gleichwohl ist von einer gewissen rein faktischen präjudiziellen Wirkung auszugehen (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 17.12.1985 - 9 UE 2162/85 - juris, Rn. 60; Hohmann, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Loseblattslg., B. Einführung, Rn. 328 [Stand: März 2019]). Allein diese Möglichkeit eines positiven Einflusses rechtfertigt die Feststellungsklage (VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 25.04.2007 - 6 S 46/05 - juris, Rn. 24; und vom 11.02.2010 - 9 S 1130/08 - juris, Rn. 17; Hohmann, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Loseblattslg., B. Einführung, Rn. 328 [Stand: März 2019]). Dies ist nicht zuletzt daran erkennbar, dass § 154d, § 262 Abs. 2 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG eine Aussetzung wegen verwaltungsgerichtlicher Vorfragen vorsehen.

Diesem Verständnis des Feststellungsinteresses schließt sich die erkennende Kammer an. Ein Feststellungsinteresse ergibt sich vorliegend zwar nicht aus der Gefahr von erneuten Beanstandungen oder Strafanzeigen, da aufgrund der Einlassung des Beklagten vom 26.04.2019 davon auszugehen ist, dass in Zukunft seitens des Beklagten von einer Ahndung oder Verfolgung in Bezug auf das streitgegenständliche Produkt abgesehen wird. Allerdings ergibt sich ein berechtigtes Interesse der Klägerin aufgrund der faktischen präjudiziellen Wirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf das vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren. Durch die (nur) vorläufige Einstellung der Staatsanwaltschaft BX und ihre noch vor kurzem erfolgte Erkundigung nach dem Stand des anhängigen Verwaltungsgerichtsverfahrens ist hinreichend deutlich geworden, dass die Staatsanwaltschaft auf den Ausgang des Verfahrens wartet. Damit besteht die Möglichkeit, dass die Stattgabe im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur endgültigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn x führt. Diese Möglichkeit des positiven Einflusses auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren rechtfertigt das berechtigte Interesse für die Feststellungsklage.

c) Die beantragte Feststellung ist auch nicht subsidiär zu Gestaltungs- oder Leistungsklagen (§ 43 Abs. 2 VwGO). Der Beklagte hat bislang keinen Verwaltungsakt erlassen, gegen den sich die Klägerin mit Widerspruch, Anfechtungsklage oder einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Wehr setzen könnte. Zudem hat der Beklagte nicht angekündigt, spezifisch verwaltungsgerichtliche Maßnahmen zu ergreifen. Aufgrund der Äußerung, dass von weiteren Ahndungs- oder Verfolgungsmaßnahmen abgesehen werde, ist eine solche auch nicht zu erwarten. Eine vorbeugende Unterlassungsklage scheidet schon aus diesem Grund ebenfalls aus.

II.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Die Kennzeichnung des Produkts "Hx Px 200 g" mit der Angabe "ohne künstliche Farbstoffe" verstößt weder gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 1169/2011 (dazu unter 1.) noch gegen das Verbot der Werbung mit Selbstverständlichkeiten des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c VO (EU) Nr. 1169/2011 (dazu unter 2.).

1. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 1169/2011 regelt, dass Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein dürfen, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland und Methode der Herstellung oder Erzeugung. Nach Art. 7 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1169/2011 müssen Informationen über Lebensmittel zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein. Nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a VO (EU) Nr. 1169/2011 ist eine "Information über Lebensmittel" jede Information, die ein Lebensmittel betrifft und dem Endverbraucher durch ein Etikett, sonstiges Begleitmaterial oder in anderer Form, einschließlich über moderne technologische Mittel oder mündlich, zur Verfügung gestellt wird. Das Irreführungsverbot gilt gemäß Art. 7 Abs. 4 Buchst. b VO (EU) Nr. 1169/2011 auch für die Aufmachung von Lebensmitteln, insbesondere für ihre Form, ihr Aussehen oder ihre Verpackung, die verwendeten Verpackungsmaterialien, die Art ihrer Anordnung und den Rahmen ihrer Darbietung.




Eine Information über Lebensmittel ist irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignet ist. Eine tatsächlich eingetretene Irreführung oder gar Schädigung muss weder vorliegen noch nachgewiesen werden, um einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot zu begründen (Grube, in: Voit/Grube, Lebensmittelinformationsverordnung, 2. Aufl., 2016, Art. 7 Rn. 45; Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Loseblattslg., Art. 7 LMIV Rn. 30 [Stand: März 2019]). Zur Täuschung geeignet ist eine Information dann, wenn sie den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht, demnach eine Divergenz zwischen "Ist"- und "Soll"-Zustand vorliegt und daher geeignet ist, bei den angesprochenen Verkehrskreisen zumindest auch unrichtige Vorstellungen über das Produkt zu erwecken (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.03.2012 - 6 U 12/11 - juris, Rn. 19). Für die Beurteilung einer Lebensmittelinformation ist der Horizont eines "durchschnittlich informierten, aufmerksam und verständigen Durchschnittsverbrauchers" zugrunde zu legen (EUGH, Urteile vom 16.07.1998 - C-210/96 - juris, Rn. 31, vom 04.06.2015 - C-195/14 - juris, Rn. 36). Die Kammer kann dieses Verkehrsverständnis wegen der Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu den angesprochenen Verbrauchern selbst feststellen.

Die Kennzeichnung der Fruchtgummipackung mit "ohne künstliche Farbstoffe" wird der durchschnittliche Verbraucher dahingehend verstehen, dass keine chemischen Stoffe eingesetzt wurden, um die Fruchtgummi-Stäbchen zu färben. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch werden unter "Farbstoffen" farbige Substanzen verstanden, die etwas in einer bestimmten Farbe erscheinen lassen (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Farbstoff [zuletzt abgerufen am 12.12.2019]). Der Zusatz "künstlich" deutet darauf hin, dass etwas nicht natürlich ist, sondern mit chemischen oder technischen Mitteln nachgebildet worden ist (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/kuenstlich [zuletzt abgerufen am 12.12.2019]). Da die Stäbchen aber unterschiedliche Farben (rot, grün, gelb, orange, weiß) haben, wird der durchschnittliche Verbraucher davon ausgehen, dass durchaus färbende Stoffe eingesetzt wurden, diese aber natürlichen Ursprungs sind. Zum Beispiel wird dem durchschnittlichen Verbraucher noch bekannt sein, dass es in der Natur bestimmte Pflanzen gibt, die eine stark färbende Wirkung haben (etwa, dass nach dem Schälen und Schneiden von Rote Bete-Knollen die Hände und das Küchenbrett tief rot gefärbt sind).

Diese Vorstellung des Verbrauchers ("Soll-Zustand") entspricht den tatsächlichen Gegebenheiten ("Ist-Zustand"), denn die Färbung der Süßwaren wurde laut Zutatenliste allein durch den Einsatz von färbenden Pflanzen- und Fruchtextrakten erzielt. Eine Irreführung des Verbrauchers ist nicht gegeben.

Entgegen der Ansicht des Beklagten und des ALS ist es auch unschädlich, und damit nicht zur Irreführung geeignet, dass diese Vorstellungen nicht mit den rechtlichen Gegebenheiten übereinstimmen, es insbesondere rechtlich keine Differenzierung zwischen "künstlichen" und "nicht-künstlichen" Farbstoffen und damit auch keine Definition für "künstliche" Farbstoffe gibt.

Farbstoffe im Sinne der Lebensmittelzusatzstoffe-Verordnung (- VO (EG) Nr. 1333/2008 -) sind Stoffe, die einem Lebensmittel Farbe geben oder die Farbe in einem Lebensmittel wiederherstellen; hierzu gehören natürliche Bestandteile von Lebensmitteln sowie natürliche Ausgangsstoffe, die normalerweise weder als Lebensmittel verzehrt werden noch als charakteristische Lebensmittelzutaten verwendet werden. Zubereitungen aus Lebensmitteln und anderen essbaren natürlichen Ausgangsstoffen, die durch physikalische und/oder chemische Extraktion gewonnen werden, durch die die Pigmente im Vergleich zu auf ihren ernährungsphysiologischen oder aromatisierenden Bestandteilen selektiv extrahiert werden, gelten als Farbstoffe (Anhang I Nr. 2 VO (EG) Nr. 1333/2008). Ein Lebensmittelzusatzstoff im Sinne der Lebensmittelzusatzstoff-Verordnung ist ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können, Art. 3 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 1333/2008. Hingegen ist ein Lebensmittel, getrocknet oder in konzentrierter Form, einschließlich Aromen, das bei der Herstellung von zusammengesetzten Lebensmitteln wegen ihrer aromatisierenden, geschmacklichen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften beigegeben wird und eine färbende Nebenwirkung hat, kein Lebensmittelzusatzstoff (Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Doppelbuchst. ii VO (EG) Nr. 1333/2008). Färbende Pflanzen- oder Fruchtextrakte, so wie sie im streitgegenständlichen Produkt verwendet werden, sind damit keine Farbstoffe im Sinne der Verordnung über Lebensmittelzusatzstoffe.

Das Fehlen einer Definition für "künstliche Farbstoffe" und einer Differenzierung zwischen "künstlich" und "nicht-künstlich" führt jedoch nicht zu einer Irreführung des Verbrauchers. Im allgemeinen Sprachgebrauch, das für das Verständnis eines Durchschnittsverbrauchers maßgeblich sein dürfte, gibt es sehr wohl eine Unterscheidung zwischen künstlichen und natürlichen Farbstoffen. Dies wird zum Beispiel besonders deutlich an der Berichterstattung zur im Sommer 2010 eingeführten besonderen Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, die bestimmte Lebensmittelfarbstoffe enthalten (vgl. Art. 24 und Anhang V der Lebensmittelzusatzverordnung), nachdem britische Forscher einen Zusammenhang zwischen Hyperaktivität, Aggressivität und Konzentrationsschwierigkeiten bei Kindern und dem Genuss von Süßigkeiten mit bestimmten Farbstoffen gefunden haben. Bei Betrachtung dieser Berichterstattung fällt auf, dass der Begriff der "künstlichen Farbstoffe" wiederholt verwendet wird, was dafür spricht, dass es in der Allgemeinheit einen Konsens über die Bedeutung der Begrifflichkeit "künstliche Farbstoffe" gibt ("Achtung, künstlicher Farbstoff!":...)

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Dieses Ergebnis bestätigt auch eine Kontrollüberlegung. Aus rechtlicher Sicht dürfte die Kennzeichnung mit "ohne Farbstoffe" (im Sinne der Lebensmittelzusatzverordnung) richtig sein. Diese Kennzeichnung wäre aber eher geeignet, den Verbraucher in die Irre zu führen, weil sich dieser dann nicht erklären könnte, warum die Fruchtgummi-Stäbchen unterschiedliche Farben haben. Ein zusätzlicher klarstellender Hinweis, dass Farbstoffe im Sinne der Lebensmittelzusatzverordnung gemeint sind, wäre für den Durchschnittsverbraucher auch nicht hilfreich, da dieser regelmäßig keine Kenntnis der einschlägigen EU-Verordnungen haben wird.

Die Kennzeichnung "ohne künstliche Farbstoffe" könnte im Einzelfall nur dann zur Irreführung geeignet sein, wenn dem Verbraucher durch die intensivere Farbe eine höhere Produktqualität vorgetäuscht werden soll, zum Beispiel ein höherer Fruchtanteil in Lebensmitteln mit Fruchtsaft oder Fruchtzubereitung (zum Beispiel Erdbeerjoghurt) oder der Zusatz von Rote Bete-Saft bei einer Edelsalami (Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Loseblattslg. § 11 LFGB Rn. 108 f. [Stand März 2019]). Diese Gefahr ist bei dem streitgegenständlichen Produkt schon von vornherein ausgeschlossen, da es sich um ein Süßwarenprodukt handelt, dessen Hauptbestandteil Zucker ist.



2. Es handelt sich auch um keine unzulässige Werbung mit einer Selbstverständlichkeit im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c VO (EU) Nr. 1169/2011.

Mit Selbstverständlichkeiten wird geworben, indem zu verstehen gegeben wird, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Merkmale aufweisen, insbesondere durch besondere Hervorhebung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins bestimmter Zutaten und/oder Nährstoffe, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c VO (EU) Nr. 1169/2011. Eine solche Werbung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie bei den Verbrauchern den Eindruck erweckt, bei anderen Erzeugnissen derselben Art sei die Ausbildung der Eigenschaft nicht vorhanden, obgleich das nicht zutrifft, weil diese Eigenschaft auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruht oder üblicherweise bei allen Erzeugnissen dieser Art vorhanden ist. Werden in der Werbung Eigenschaften eines Erzeugnisses, die genuin zu seinem Wesen gehören oder gesetzlich vorgeschrieben sind, besonders betont, ist die Aussage trotz ihrer objektiven Richtigkeit irreführend, wenn der Verkehr das Selbstverständliche der Eigenschaften nicht kennt beziehungsweise nicht erkennt und deshalb zu Unrecht von einem Vorzug des beworbenen Erzeugnisses vor vergleichbaren anderen Angeboten ausgeht. Die Irreführung knüpft hier nicht an der objektiven Aussage, sondern vielmehr an dem hierdurch erzeugten Vorsprungseindruck gegenüber den Konkurrenzerzeugnissen an (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2012 - I ZR 230/11 - juris, Rn. 29; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.07.2019 - 13 LA 11/19 - juris, Rn. 23; Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB BasisVO HCVO, 2. Aufl., 2012, § 11 Rn. 117). Maßgeblich ist auch hier die Sicht beziehungsweise die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (vgl. EuGH, Urteil vom 15.07.2004 - C-239/02 - juris, Rn. 46).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die Auslobung der Fruchtgummi-Stäbchen mit "ohne künstliche Farbstoffe" keine irreführende Werbung mit Selbstverständlichkeiten. Denn die Freiheit von Farbstoffen im Sinne der Lebensmittelzusatzverordnung ist ein besonderes Merkmal. Gesetzlich ist gerade nicht vorgesehen, dass Süßwarenprodukte dieser Art frei von Farbstoffen im Sinne der Lebensmittelzusatzverordnung sein müssen. An Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage V VO (EG) Nr. 1333/2008, der vorschreibt, dass Lebensmittel, die bestimmte Lebensmittelfarbstoffe (E 110, E 104, E 122, E 129, E 102, E 124) enthalten, besonders mit "Kann Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen" gekennzeichnet werden müssen, ist erkennbar, dass der Verzicht auf Farbstoffe im Sinne der VO (EG) Nr. 1333/2008 gerade keine Selbstverständlichkeit ist. Die ausschließliche Verwendung von färbenden Lebensmitteln, also Frucht- und Pflanzenkonzentrate, zur Färbung der Fruchtgummis stellt damit ein besonderes Leistungsmerkmal des klägerischen Produkts gegenüber vergleichbaren Süßwarenprodukten dar.

Mit der Kennzeichnung "ohne künstliche Farbstoffe" ist es der Klägerin möglich, den Durchschnittsverbraucher vereinfacht darauf hinzuweisen, dass in dem Süßwarenprodukt keine Farbstoffe enthalten sind, die geeignet sein könnten, sich negativ auf die Konzentration von Kindern auszuwirken. Der Durchschnittsverbraucher hat aufgrund dieser möglicherweise gesundheitsschädlichen Wirkungen von bestimmten Farbstoffen auch ein berechtigtes Informationsinteresse daran, welche Farbstoffe eingesetzt werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache wird die Berufung zugelassen, §124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Denn die Frage, ob die Kennzeichnung "ohne künstliche Farbstoffe" gegen Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 verstößt, wird für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich sein, stellt sich in einer Vielzahl von Fällen und bedarf im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung.

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