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Bundesfinanzhof Urteil vom 28.07.1993 - I R 15/93 - Geschäftsleitungsbetriebsstätte eines niederländischen Markthändlers

BFH v. 28.07.1993: Zur deutschen Geschäftsleitungsbetriebsstätte eines niederländischen Wochenmarkthändlers


Der Bundesfinanzhof Urteil vom 28.07.1993 - I R 15/93) hat entschieden:

  1.  Verkauft ein nur in den Niederlanden ansässiger Händler Waren ausschließlich auf inländischen Wochenmärkten, so kann die Geschäftsleitungsbetriebsstätte am niederländischen Wohnsitz des Händlers gelegen sein. Bejahendenfalls ist der Gewinn auf die inländische und die ausländische Betriebsstätte aufzuteilen.

  2.  Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte i. S. des § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 setzt keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraus.




Siehe auch
Scheinsitz - Scheinwohnsitz - Briefkastenfirma - oder Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung?
und
Stichwörter zum Thema Gesellschaftsrecht und Onlinehandel


Tatbestand:


I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der nur die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, betrieb in den Streitjahren 1978 bis 1983 auf verschiedenen Wochenmärkten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) einen Obst- und Gemüsehandel.

Dazu hatte der Kläger, der keinen inländischen Wohnsitz besitzt, in den Niederlanden einen Großhandel angemeldet, dessen einziger Zweck darin bestand, auf einem niederländischen Großmarkt Waren für den im Inland betriebenen Markthandel einkaufen zu können. In den Niederlanden belieferte der Kläger keine Kunden. Die auf dem niederländischen Großmarkt eingekauften Waren lagerte er teilweise an seinem Wohnsitz in den Niederlanden zwischen; teilweise verbrachte er sie unmittelbar zu den inländischen Wochenmärkten.

Zur Einfuhr in die Bundesrepublik stellte der Kläger Rechnungen aus, wobei er als Absender seine niederländische Wohnsitzadresse und als Empfänger eine inländische Adresse angab. In den Rechnungen wies er die Beträge in niederländischen Gulden aus. In seiner inländischen Buchführung erfaßte er sie in DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah nach einer Betriebsprüfung, die sich zunächst nur auf die Jahre 1981 bis 1983 erstreckte und später auf die Jahre 1978 bis 1980 ausgedehnt wurde, die im Inland verbuchten Warenanschaffungskosten als übersetzt an. Er ging von den in den Niederlanden tatsächlich angefallenen Einkaufspreisen aus und rechnete diese in DM um. Aus Anlaß der Ausdehnung der Betriebsprüfung auf die Jahre 1978 bis 1980 wurde dem Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, daß gegenüber dem Kläger wegen des Verdachts der Verkürzung von Einkommen- und Gewerbesteuer durch unzutreffende Verbuchung der Wareneinkaufskosten ein Bußgeldverfahren eröffnet worden sei. Der Bevollmächtigte wurde über die Rechte des Klägers belehrt.

In der Folgezeit sprach der Kläger, der bis zu diesem Zeitpunkt an der Außenprüfung nicht persönlich teilgenommen hatte, mehrfach im Beisein seines Bevollmächtigten an Amtsstelle vor, erteilte Auskünfte und legte Unterlagen vor.

Nach der Betriebsprüfung erließ das FA (teils geänderte) Einkommensteuerbescheide 1978 bis 1983. Der Einspruch und die sich anschließende Klage blieben erfolglos.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt sinngemäß,

   unter Änderung des Urteils des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf vom 25. Februar 1992 16 K 40/87 E der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt,

   die Revision als unbegründet zurückzuweisen.






Entscheidungsgründe:


II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG Düsseldorf (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Revision ist nicht schon deshalb begründet, weil die Feststellungen des Betriebsprüfers hinsichtlich der unzutreffend hoch angesetzten Wareneinkaufskosten einem Verwertungsverbot unterlägen. Dazu läßt der Senat dahinstehen, ob § 397 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht ausschließlich für das Straf- oder Bußgeldverfahren Bedeutung hat. Selbst wenn man die Vorschrift auch innerhalb des Besteuerungsverfahrens anwendet, so wirkt sie doch allenfalls dahin, daß die Aussage des unbelehrt gebliebenen Klägers unverwertbar wäre. Deshalb müßte der Kläger dennoch seine tatsächlichen Wareneinkaufskosten belegen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so müssen FA und FG die Wareneinkaufskosten schätzen (§ 96 Abs. 1 FGO, § 162 AO 1977). Das FA war deshalb berechtigt, die in den Niederlanden angefallenen Wareneinkaufskosten anzusetzen.




2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen jedoch aus einem anderen Grund die Vorentscheidung nicht.

a) Das FG ist zutreffend von einer beschränkten Einkommensteuerpflicht des Klägers gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der in den Streitjahren geltenden Fassung ausgegangen. Es hat der inländischen Besteuerung die sog. inländischen Einkünfte des Klägers unterworfen. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sind aber inländische Einkünfte u. a. nur diejenigen, für die im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Der in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Betriebsstättenbegriff bestimmt sich nach § 12 AO 1977.

Nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 ist aber als Betriebsstätte insbesondere auch der Ort der Geschäftsleitung anzusehen. Das FG hat nicht festgestellt, wo sich der Ort der Geschäftsleitung des Gewerbebetriebes des Klägers befand. Bei einer Tätigkeit, die auf ständig wechselnden Wochenmärkten ausgeübt wird, befindet sich der Ort der Geschäftsleitung häufig nicht auf einem der Wochenmärkte. Es liegt die Annahme nahe, daß sich der Ort der Geschäftsleitung am Wohnsitz des Klägers in den Niederlanden befunden haben muß. Dann aber hätte der Kläger auch in den Niederlanden eine Betriebsstätte mit der Folge unterhalten, daß der insgesamt erzielte Gewinn zwischen den inländischen Betriebsstätten und der ausländischen Betriebsstätte aufzuteilen wäre. Ggf. müßten tatsächliche Feststellungen zu dem in Betracht kommenden Aufteilungsmaßstab getroffen werden.

b) Vorsorglich bemerkt der erkennende Senat zur Auslegung des § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 folgendes:

Das Wohnhaus des Klägers in den Niederlanden mag als Wirtschaftsgut dessen Privatvermögen zuzuordnen sein. Dies schließt es jedoch nicht aus, daß der Kläger dort seinen Ort der Geschäftsleitung hatte. § 12 AO 1977 erfordert nur in seinem Grundtatbestand (Satz 1) eine feste Geschäftseinrichtung oder eine Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Die Vorschrift enthält in ihrem Satz 2 eine Definitionserweiterung, die nicht notwendigerweise eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetzt. So ist z. B. eine mehr als sechsmonatige Bauausführung auch dann Betriebsstätte i. S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977, wenn es an einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage fehlt. Entsprechendes gilt für die Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Diese kann sich auch in der Wohnung eines fremden Geschäftsleiters befinden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 10 AO 1977 Rdnr. 2). Deshalb muß die Wohnung weder Betriebsvermögen noch dazu bestimmt sein, der Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu dienen. Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann sich zwar in einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage des Steuerpflichtigen befinden; sie muß dies aber nicht. So setzt z. B. auch ein Reisegewerbebetrieb (§ 35 a des Gewerbesteuergesetzes, § 35 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung) keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraus. Dennoch muß er einen Ort der Geschäftsleitung i. S. des § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 haben.



3. Von der Feststellung des Ortes der Geschäftsleitung hängt der Umfang der inländischen Einkünfte i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ab. Da das FG zum Ort der Geschäftsleitung keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Sie war aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Die fehlenden Feststellungen nachzuholen, ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Damit erhält der Kläger im zweiten Rechtszug Gelegenheit darzulegen, daß sein sog. Welteinkommen fast ausschließlich in der Bundesrepublik zu versteuern ist und in den Niederlanden steuerfrei bleibt. Ggf. wird das FG von Amts wegen darüber befinden müssen, wie es die im Vorlagebeschluß des Senats vom 14. April 1993 I R 29/92 (BFHE 170, 454, BStBl II 1994, 27) angesprochenen Rechtsfragen beurteilt und welche Rechtsfolgen sich aus seiner Beurteilung für den Streitfall ergeben.

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