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Landgericht Berlin Beschluss vom 20.01.2020 - 27 AR 17/19 - Heraugabe von Nutzerdaten durch Facebook

LG Berlin v. 20.01.2020: Zur teilweisen Heraugabe von Nutzerdaten durch Facebook


Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 20.01.2020 - 27 AR 17/19) hat entschieden:

   Gemäß § 14 Abs. 3 TMG darf der Diensteanbieter Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtwidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. - Nach § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte solche, die einen der dort abschließend aufgezählten Straftatbestände erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.




Siehe auch
Facebook
und
Stichwörter zum Thema Störer- und Betreiberhaftung


Tenor:


  1.  Der Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Kammer wird teilweise abgeholfen:

Die Auskunftserteilung über folgende Bestandsdaten der auf der Plattform www... unter den Nutzerdaten

[folgen 6 Nutzernamen mit jeweiliger URL]

ist zulässig:

  a.  Name des Nutzers,
  b.  E-Mail-Adresse(n) des Nutzers,
  c.  die IP-Adresse(n), die von dem Nutzer für das Hochladen der unter dem oben aufgelisteten Benutzernamen abrufbaren Beiträge und Bilder verwendet wurde(n), nebst genauem Zeitpunkt des Hochladens unter Angabe des Datums und der Uhrzeit, inklusive Minuten, Sekunden und Zeitzone (Uploadzeitpunkt),
  d.  die IP-Adresse(n), die von dem Nutzer zuletzt für einen Zugriff auf sein Benutzerkonto unter dem oben aufgelisteten Benutzernamen verwendet wurde(n), nebst genauem Zeitpunkt des Zugriffs unter Angabe des Datums und der Uhrzeit, inklusive Minuten, Sekunden und Zeitzone (Zugriffszeitpunkt).


  2.  Im Übrigen wird der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Kammergericht vorgelegt.

Gründe:


Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und zulässig eingelegte Beschwerde der Antragstellerin hat teilweise Erfolg.

I.

Soweit der Beschwerde abgeholfen wird, liegen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 TMG für die Erteilung der datenschutzrechtlichen Erlaubnis vor. Gemäß § 14 Abs. 3 TMG darf der Diensteanbieter Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtwidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist.

Nach § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte solche, die einen der dort abschließend aufgezählten Straftatbestände erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.

1. Um feststellen zu können, ob eine Äußerung einen der in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbestände erfüllt, ist zunächst der Aussagegehalt der Äußerung zu bestimmen. Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - juris, Rn. 24 m. w. N.; OLG Rostock, Beschluss vom 09. September 2016 – 20 RR 66/16 –, Rn. 24, juris Fischer, StGB, 63. Auflage, § 185 Rn. 4 m.w.N.).

Für die Ermittlung des Aussagegehalts eines Kommentars ist daher auch die kommentierte Aussage heranzuziehen. Dabei kommt der Frage, wie die Kommentatoren den Ausgangspost verstehen durften, maßgebliche Bedeutung zu. Denn es macht einen erheblichen Unterschied bei der Bewertung des Aussagegehaltes der Kommentare, ob die Kommentatoren davon ausgehen durften, eine Äußerung der Antragstellerin zu kommentieren oder ob sie in Bezug auf die Echtheit des Zitates zumindest erhebliche Zweifel hätten pflegen müssen. Dass sie sich in einer derartigen Deutlichkeit von der Forderung der Straffreiheit von „gewaltlosem“ Sex mit Kindern öffentlich distanziert hatte, dass davon ausgegangen werden könnte, dass dies ihren Kritikern und damit auch den Verfassern der Kommentare bekannt gewesen wäre, hat die Antragstellerin trotz mehrfacher Auflagen der Kammer nicht dargetan. Allein der Verweis auf ihre Ausführungen in dem 2015 in der „X“ veröffentlichten Interview genügten hierfür nicht aus. Denn eine einmalige Distanzierung in einem vier Jahre alten Interview ist nicht so präsent, dass angenommen werden kann, dass die Kommentatoren zumindest Zweifel an der Echtheit des Zitates haben mussten und es billigend in Kauf genommen haben, dass es sich um ein Falschzitat handelt. Auch war bislang nicht feststellbar, dass sich den Kommentatoren der Inhalt des Interviews anderweitig aufdrängen musste, etwa weil der „X“-Artikel mit dem von ihnen kommentierten Ausgangspost verlinkt oder in ihm zitiert war, wie z.B. in dem Beitrag des Verfassers des Ausgangsposts auf seinem Internetblog X. Auch auf wiederholte Auflage hin hatte die Antragstellerin nicht näher zum Kontext des Ausgangsposts vorgetragen.

Mit der Amtsermittlungspflicht des Gerichts nach § 26 FamFG korrespondiert die Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 27 Abs. 1 FamFG, wonach diese bei der Ermittlung des Sachverhaltes mitwirken sollen. Nach § 27 Abs. 2 FamFG haben sie ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Dieser Verpflichtung war die Antragstellerin nur unzureichend nachgekommen. Trotz Auflage hatte die Antragstellerin von dem von den Nutzern kommentierten Post nur einen Ausschnitt vorgelegt, ohne näher dazu vorzutragen, wo genau dieser veröffentlicht wurde und in welchem konkreten Veröffentlichungskontext dieser stand. Ohne eine nähere Darlegung konnte von der Kammer eine etwaige Verlinkung und damit eine Kenntnis der Kommentatoren von dem Inhalt des „X“-Artikels jedoch nicht ermittelt werden.

Erstmals mit der Beschwerdeschrift hat die Antragstellerin den vollständigen Ausgangspost vorgelegt und nunmehr vorgetragen, dass sein Verfasser, X, u.a. der Betreiber des Blogs „X“ ist, seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet und in vielen Presse- und TV-Beiträgen als Prototyp der deutschen „Fake-News“ Szene beschrieben wird. Bei der Seite des Verfassers des Ausgangsposts handle es sich um eine der bekanntesten „Fake-News“ Seiten im deutschsprachigen Raum. Wie die Antragstellerin nunmehr vorträgt, hatte X den von den Nutzern kommentierten Post zunächst als bezahlte Anzeige und sodann am 27.03.2019 als Beitrag jeweils mit dem folgenden Text bei X eingestellt:

   „Wegen genau dieses Postings zerrt mich X und ihre Anwaltskanzlei vor Gericht. Deren Anwälte wollen erst mal X € angebliches Schmerzensgeld, obwohl der Prozess vor dem Amtsgericht X noch nicht mal begonnen hat. Selbst die X hat über ihre skandalösen Äußerungen berichtet! Auf Blog verlinkt.“

Es folgt der Link auf den Blogbeitrag auf seinem Blog „X“ aus dem Jahr 2016, in dem er den Post erstmals veröffentlichte und der Gegenstand des angesprochenen Gerichtsverfahrens ist. In diesem zitiert er umfassend wörtlich aus dem „X“-Artikel.




Zudem ist allein durch das, die Antragstellerin nicht betreffende, vor der Kammer geführte einstweilige Verfügungsverfahren X inzwischen gerichtbekannt, dass X, als Geschäftsführer der X GmbH und Verantwortlicher der Internetseite der Firma mit dem Onlinevertrieb u.a. von Artikeln, die in erster Linie der Verächtlichmachung von Personen des öffentlichen Lebens dienen, hervortritt und damit öffentlich Hetze gegen Personen des liberalen bis linken politischen Lagers betreibt. Für die Produkte des Onlinevertriebes schaltet er regelmäßig Werbung auf seinem Blog, so z.B. für den die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnenden Aufkleber „Stolper-Aufkleber für M… Opfer“. Vor diesem Hintergrund und da davon auszugehen ist, dass seinen Fans und Followern sowohl der zweifelhafte Onlinevertrieb als auch der Ruf der Qualität des Blogs bekannt sein dürfte, ist abweichend von der bisherigen Einschätzung der Kammer nicht davon auszugehen, dass die Verfasser der streitgegenständlichen Kommentare annehmen durften, dass die im Ausgangspost wiedergegebene Äußerung so wie zitiert vollständig von der Antragstellerin stammt. Auch wenn, wie im angegriffenen Beschluss auf Seite 6 ausgeführt, der Ausgangspost den von der Antragstellerin im Berliner Abgeordnetenhaus am 29.5.1986 getätigten Einwurf so würdigt, wie die Öffentlichkeit ihn wahrgenommen hat, handelt es sich unstreitig teilweise um ein Falschzitat. Angesichts der für die Nutzer erkennbaren Hintergründe des Posts mussten sich ihnen Zweifel in Bezug auf die Authentizität des weiteren Zitates aufdrängen. Dies führt gleichwohl nicht dazu, dass sämtliche angegriffene Kommentare allein aus diesem Grunde einen strafbaren Inhalt i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG aufweisen. Die Fehlerhaftigkeit des kommentierten Zitates ist bei der Bewertung der einzelnen Äußerungen zu berücksichtigen, die insoweit allein im Kontext des tatsächlichen Zwischenrufes zu beurteilen sind. Jedoch haben Kommentare ohne Bezugnahme auf die Äußerung der Antragstellerin keinen direkten Sachbezug zu dieser, da der Schwerpunkt des kommentierten Ausgangsposts in der Mitteilung der Schmerzensgeldforderung aufgrund des Postings liegt und nicht in dem Posting selbst, wovon die Kammer mangels Kenntnis eines über das Posting hinausgehenden Inhaltes des Ausgangsposts im angegriffenen Beschluss hingegen noch ausgegangen war.

2. Hiernach ergibt sich folgendes:

Die Kommentare der Nutzer „X“, „X“, „X“, „X“, „X“, „X“ enthalten einen rechtswidrigen Inhalt im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG, indem durch sie der Tatbestand des § 185 StGB verwirklicht wird und ein Rechtsfertigungsgrund nicht ersichtlich ist. Die Übrigen Kommentare verwirklichen auch unter Berücksichtigung des oben dargelegten Aussagekontextes keinen der in § 1 Abs. 3 NetzDG aufgeführten Straftatbestände. Soweit die Antragstellerin auf einen Verstoß gegen die Richtlinien von X abstellt, kommt es hierauf vorliegend ebenso wenig an, wie auf einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 1, Art. 2 GG. Denn der von der Antragstellerin geltend gemachte Auskunftsanspruch ist vom Gesetzgeber abschließend in § 14 TMG geregelt und auf Fällen, in denen die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbestände verwirklicht sind, beschränkt worden.

a. Die in der Antragsschrift unter den Ziffern 13, 16, 18, 19 und 20 aufgeführten Kommentaren enthalten eine Formalbeleidigung. Doch selbst wenn man diese verneint, verbleibt es mangels einer Rechtfertigung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB bei der tatbestandsmäßigen Verwirklichung des § 185 StGB.

(1) Das tatbestandsmäßige Verhalten in § 185 StGB wird als „Beleidigung“ beschrieben, ohne diesen Begriff näher zu erläutern. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liegt eine solche bei einem Angriff auf die Ehre einer Person durch Kundgabe von Missachtung vor (BGHSt 1, 289; 11, 67; 16, 63; 36, 148, vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage, § 185 Rn. 4 m.w.N.). Diese kann den ethischen Wert einer Person betreffen, den diese nach außen infolge ihres Verhaltens hat, oder den sozialen Wert, den sie wegen ihrer Leistungen und Eigenschaften für die Erfüllung sozialer Sonderaufgaben hat, z.B. im Hinblick auf einen Beruf; dies ist unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände zu ermitteln (Fischer, a.a.O., § 185 Rn. 8 m.w.N.). Insoweit kommen u.a. in Betracht die Anschauungen und Gebräuche der Beteiligten sowie die sprachliche und gesellschaftliche Ebene, auf der die Äußerung gefallen ist (Fischer, a.a.O., § 185 a.a.O. m.w.N.). Maßgebend ist diesbezüglich, wie ein verständiger Dritter die Äußerung versteht (OLG Rostock, Beschluss vom 09. September 2016 – 20 RR 66/16 –, Rn. 24, juris Fischer, a.a.O. § 185 a.a.O. m.w.N.).

Bei den Kommentaren handelt es sich durchgehend um Meinungsäußerungen.

Liegt eine dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallende Meinungsäußerung vor, hat die Meinungsfreiheit des Äußernden gegenüber dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen von vornherein zurückzutreten, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (BVerfG NJW 1999, 2262 [2263]; NJW 2009, 3016; zuletzt soweit ersichtlich: 29.06.2016,1 BvR 2646/15). Eine Formalbeleidigung liegt nur dann vor, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss sich jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung eines anderen erschöpfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. August 1998 – 1 BvR 1955/94 –, juris).

(2) Sämtliche der in der Antragsschrift unter den Ziffern 13, 16, 18, 19 und 20 aufgeführten Kommentare haben einen ehrherabsetzenden Inhalt, der aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers der Kommentare des Posts des Herrn X als gezielter Angriff auf die Ehre der Antragstellerin erscheint und sich in der persönlichen Herabsetzung der Antragstellerin erschöpft.



Die Kommentare zu den Ziffern 13, 16 und 19 erschöpfen sich in den Schimpfwörtern „Schlampe“ bzw. „Drecks Fotze“. Wie bereits oben ausgeführt ist hierbei vom unbefangenen Durchschnittsleser ein direkter Bezug zu der als Zitat dargestellten Äußerung der Antragstellerin nicht erkennbar. Aber auch eine Kritik in Bezug auf das mitgeteilte Schadenersatzbegehren der Antragstellerin vermag der unbefangene Durchschnittsleser in den Kommentaren nicht zu sehen. Vielmehr erscheinen dem Durchschnittsleser die Kommentare zu dem Ausgangspost von Herrn X als direkte auf die Person der Antragstellerin gerichtete Angriffe, die keine Sachkritik üben wollen, sondern allein der Diffamierung der Person der Antragstellerin dienen. Gleiches gilt für die Bezeichnung der Antragstellerin als „Drecksau“ im Kommentar Ziff. 20, auch wenn entgegen der Ansicht der Antragstellerin hierbei nicht zugrunde gelegt werden kann, dass mit „Ferck“ „verrecke“ gemeint ist.

Bei mehrdeutigen Äußerungen darf die zur Verurteilung führende Bedeutung nicht zu Grunde gelegt werden, ohne vorher mit schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Sanktion nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. 05. 2009 - 1 BvR 2272/04 -, juris). Für den unbefangenen Durchschnittsleser müsste das Verständnis „verrecke“ mithin zwingend sein. Dies nimmt jedoch selbst die Antragstellerin nicht an, die dieses nur als näherliegend ansieht, was jedoch für die hier allein maßgebliche Frage der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 185 StGB nicht ausreichend ist.

Dass es in dem unter Ziffer 18 aufgeführten Kommentar heißt, die Antragstellerin gehöre „entsorgt“, womit für den unbefangenen Durchschnittsleser der Kommentare des Ausgangsposts des dem sehr rechten Spektrum zuzurechnenden X offen eine Anspielung an die Vernichtung von Menschen während des Nationalsozialismus verbunden ist, stellt einen Angriff auf die Menschenwürde der Antragstellerin in dem Sinne, dass ihr die personale Würde abgesprochen, sie als unterwertiges Wesen beschrieben werden soll (vgl. BVerfG, NJW 1987, 2261, 2262) dar. Verstärkt wird dies durch die Bezeichnung der Antragstellerin als Müll.

(3) Doch selbst wenn man in den unter den Ziffern 13, 16, 18 bis 20 aufgeführten Kommentaren auch eine sachbezogene Kritik an dem Verhalten der Antragstellerin erblicken würde und damit keine Schmähkritik, verbliebe es bei der Strafbarkeit der Kommentare. Denn eine Rechtfertigung nach § 193 StGB käme hier nicht in Betracht.

Nach § 193 StGB ist nicht jede ehrherabsetzende Äußerung gemäß § 185 StGB strafbar.

Der Ehrenschutz des Opfers einer Beleidigung steht nämlich regelmäßig im Widerstreit mit der Äußerungsfreiheit des Täters, die ihrerseits dem besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG, hier zudem in der besonderen Ausprägung der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, unterliegt. Zwar findet dieses Grundrecht schon nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranke im Recht der persönlichen Ehre. Dies führt jedoch aufgrund der besonderen Bedeutung dieses Grundrechts für eine pluralistische Demokratie nicht dazu, dass per se jede ehrangreifende Äußerung der Strafandrohung der §§ 185 ff. StGB unterliegt. Vielmehr müssen beide Rechtspositionen bei der Anwendung des einfachen Rechts in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Handelt es sich um eine Meinungsäußerung, die die oben aufgezeigten Grenzen zur Schmähkritik nicht überschreitet, ist eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz geboten, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falls zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (BVerfG NJW 1996, 1529; 1999, 2262, 2263). Dabei gilt zuvorderst die Feststellung, dass keinem Rechtsgut der abstrakte Vorrang gebührt. Die Verfassung schützt sowohl die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs.1 GG) als auch die Integrität der persönlichen Ehre als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Prinzip praktischer Konkordanz sieht in solchen Kollisionsfällen vor, dass ein möglichst schonender Ausgleich zu größtmöglicher Erhaltung der konkurrierenden Interessen führen soll. Für diese Abwägung sind das Ausmaß der Betroffenheit, die Motive und Zwecke sowie die Plumpheit und Aggressivität der Äußerung zu berücksichtigen (vgl. LK-Hilgendorf, 12. Aufl., § 193 StGB Rn. 6).

Die von der Kammer nach diesen Kriterien vorzunehmende rechtliche Abwägung führt hinsichtlich der unter den Ziffern 13, 16, 18 bis 20 aufgeführten Kommentaren zum Vorrang des Ehrenschutzes der Antragstellerin.

Selbst wenn unterstellt wird, die Kommentare dienten der Kritik an der in dem Posting zum Ausdruck gebrachten Position der Antragstellerin oder ihrer Schmerzensgeldforderung aufgrund deren Veröffentlichung, so steht aufgrund der Beschränkung allein auf die Verwendung eines Schimpfwortes oder die Forderung die Antragstellerin zu entsorgen, die ehrherabsetzende Wirkung der Äußerungen und die von diesen ausgehende Aggressivität derartig im Vordergrund, dass eine etwaige beabsichtigte Kritik vollkommen in den Hintergrund tritt.

Zwar muss sich die Antragstellerin aufgrund des von ihr am 29.5.1986 im Berliner Abgeordnetenhaus getätigten Einwurfs, der inhaltlich entsprechend des ihr in dem im Ausgangspost wiedergegebenen Posting zugeschriebenen Zitats interpretiert werden kann, auch deutlicher und heftiger formulierter Kritik stellen. Denn dass sie sich in einer derartigen Deutlichkeit von der Forderung der Straffreiheit von „gewaltlosem“ Sex mit Kindern öffentlich distanziert hatte, dass davon ausgegangen werden könnte, dass dies ihren Kritikern und damit auch den Verfassern der Kommentare bekannt gewesen wäre, hat die Antragstellerin, wie bereits dargelegt, trotz Auflagen der Kammer nicht vorgetragen. Auch betraf ihr Einwand, den sie öffentlich in ihrer Funktion als Politikerin tätigte, eine die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage und provozierte Widerstand aus der Bevölkerung. Ein Verhalten im öffentlichen Raum genießt umso weniger Schutz vor Kritik, je mehr es berechtigten Anlass zu einer solchen liefert (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 09. September 2016 – 20 RR 66/16 –, Rn. 42, juris).

Da die Kommentatoren jedoch aufgrund der Verlinkung des Ausgangsposts mit dem Blogbeitrag erkennen mussten, dass es sich bei dem Posting teilweise um ein Falschzitat handelte, die Antragstellerin sich mithin nicht selbst in der ihr zugeschriebenen, plumpen, schnoddrigen Art geäußert hatte und ihre Schmerzensgeldforderung folglich auch nicht jeglicher Anknüpfungstatsache mangelte, ist eine so heftige Kritik, die jegliche Ebene gleichwertiger Kommunikation verlässt, nicht gerechtfertigt. Dabei berücksichtigt die Kammer auch, dass die Antragstellerin als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen muss.

b. Der unter Ziffer 3 der Antragsschrift aufgeführte Kommentar verwirklicht mangels einer Rechtfertigung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB den Straftatbestand des § 185 StGB.

Der Kommentar bezeichnet die Antragstellerin in seinem ersten Satz als „Stück Scheisse“. Die Bezeichnung als Stück Scheiße stellt sich dabei aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers der Kommentare des Posts des Herrn X als ein gezielter Angriff auf die Ehre der Antragstellerin dar. Dabei kann der Äußerung jedoch aufgrund des zweiten Satzes ein Sachbezug nicht gänzlich abgesprochen werden. Dass dieser sich auch auf den ersten Satz bezieht, lässt sich nach dem allgemeinen Sprachverständnis nicht gänzlich ausschließen. Eine Schmähung liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage zudem regelmäßig nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2014, VI ZR 39/14).

Die im Rahmen des § 193 StGB vorzunehmende Abwägung der Kammer führt zum Vorrang des Ehrenschutzes der Antragstellerin. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter 2. a. (3) verwiesen, die in gleicher Weise für den unter Ziffer 3 der Antragsschrift aufgeführten Kommentar gelten.




c. Bei den übrigen Kommentaren ist in keinem Fall eine Schmähkritik anzunehmen, vielmehr ist teilweise bereits fraglich, ob ein ehrherabsetzender Inhalt gegeben ist, was im Ergebnis jedoch dahin gestellt bleiben kann, da in jedem Fall eine Rechtfertigung durch die Wahrnehmung berechtigter Interesse nach § 193 StGB gegeben ist. Daher war insoweit der Beschwerde nicht abzuhelfen.

Bei dem Kommentar des Nutzers „X“ (Ziffer 1 der Antragsschrift) macht das verwendete Stilmittel bereits deutlich, dass die der Star-Treck Figur „Captain Picard“ in den Mund gelegte Aufforderung, „Knattter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“, nicht wörtlich gemeint ist. Der Verfasser des Kommentars greift hierbei die gleiche Machart auf wie das Posting es hat und bringt hiermit, sicherlich in geschmackloser Art und Weise, seine Kritik, nämlich, dass er die Äußerung der Antragstellerin für nicht normal hält, zum Ausdruck.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin handelt es sich nicht um die Darstellung sexueller Fantasien in Bezug auf ihre Person. Ihr wird daher mit dem Kommentar auch nicht das sexuelle Selbstbestimmungsrecht abgesprochen.

Die von der Kammer im Rahmen des § 193 ZPO nach den oben darstellten Kriterien vorzunehmende rechtliche Abwägung führt zum Vorrang der Meinungsfreiheit des hier kommentierenden Nutzers.

Wie bereits ausgeführt muss sich die Antragstellerin auch deutlicher und heftiger Kritik stellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das von ihr mit dem Einwurf öffentlich 1986 angesprochene Thema, die Straffreiheit des "gewaltlosen" Geschlechtsverkehrs mit unter 14- Jährigen, in der heutigen Zeit aufgrund verstärkter Aufklärung über Missbrauchsskandale ein sehr emotional besetztes Thema darstellt und eine über ihre Bekundungen in dem Interview hinausgehende öffentliche Distanzierung durch die Antragstellerin unterblieb, obwohl ihr Einwurf 2015 durch den Artikel in der „X“ und 2016 durch den Blogbeitrag des Herrn X erneut in die Öffentlichkeit getragen wurde. Da ihr Einwurf inhaltlich als Zustimmung zu einem "gewaltfreien" Geschlechtsverkehr mit unter 14-Jährigen gewertet werden kann, stellt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass davon auszugehen ist, dass der Verfasser des Kommentars wusste, dass das Zitat den Einwurf nicht wörtlich, sondern nach seinem Sinngehalt wiedergab, die Verwendung der hier zu beurteilenden Äußerung „Knatter sie … durch“ in dem satirisch eingesetzten Star-Treck Bild keine ungerechtfertigte und unangemessene Kritik dar.

Gleiches gilt für die weiteren unter den Ziffern 2, 4 – 12, 14, 15, 17, 21 und 22 in der Antragsschrift aufgeführten Kommentare, bei denen es sich ebenfalls um Äußerungen handelt, die aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers der Kommentare des Posts des Herrn X das Verhalten der Antragstellerin oder den Aussagegehalt des von ihr getätigten Einwurfs kritisieren und sich nicht in der persönlichen Herabsetzung der Antragstellerin erschöpfen. So nehmen die unter den Ziffern 2, 4, 10, 11 und 21 aufgeführten Kommentare unmittelbar Bezug auf die Äußerung. In Verbindung mit dem Ausgangspost ist aus dem Inhalt der Kommentare zu den Ziffern 7 – 9, 12, 17, 22 für den unbefangenen Durchschnittsleser erkennbar, dass sich die Kritik auf diese bezieht. Aus dem Inhalt der Kommentare zu den Ziffern 5, 6, 14, 15 spricht eine klare Kritik am Verhalten der Antragstellerin.

Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss verwiesen und ergänzend weiteres ausgeführt:

Die Kammer teilt nicht die Auffassung, dass jeglicher Tiervergleich per se eine Beleidigung darstellt. Vielmehr gilt die Maxime, dass es Äußerungen, die per se beleidigen, nicht gibt (RGSt 60 34, 35; OLG Hamm NJW 1982, 659, 660; KG JR 1984, 165, 166). Es ist stets der Äußerungskontext zu betrachten. Der Verfasser des Kommentars zu Ziffer 7 bringt mit der Äußerung „Pfui du altes g… Dreckschwein“ seine Kritik an den dem von der Antragstellerin geäußerten Zwischenruf zum Ausdruck, wobei das Wort „Pfui“ in dem Satz gleichsam eines erhobenen Zeigefingers einer tadelnden Mutter gegenüber dem unartigen Kind steht und der Äußerung deutlich ihre Schärfe nimmt. Mit den Worten „altes g. …“ nimmt der Verfasser Bezug auf die langjährige Parteizugehörigkeit der Antragstellerin bei der Partei der X, die bereits 1979 in die X eintrat, die sich später der Bundespartei der X anschloss, sowie ferner zum früheren, bis 1993 geltenden Bundesparteiprogramm der X, in dem sich diese ebenfalls für eine teilweise Straffreiheit des Geschlechtsverkehrs mit 14-Jährigen aussprachen (Quelle: wikipedia, Stichwort: Pädophilie-Debatte (X/X), abgefragt am 24.09.2019). In diesem Zusammenhang stellt sich die Bezeichnung „Dreckschwein“ unter Berücksichtigung der im Rahmen des § 193 StGB vorzunehmenden Abwägung als noch angemessene Kritik dar.

Gleiches gilt für den in vulgärer Umgangssprache verfassten unter der Ziffer 8 angeführten Kommentar.

Bei dem Kommentar zu Ziffer 10 handelt es sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht um einen Aufruf zur Gewalt. Die Verfasserin spricht hier von sich selbst. Der unbefangene Leser versteht den Kommentar als deutliche Kritik an dem Aussagegehalt des Einwandes der Antragstellerin und Ausdruck der Ohnmacht der Kommentatorin gegenüber derartigen Aussagen.

Der Aussagegehalt des unter Ziffer 14 der Antragsschrift aufgeführten Kommentars „Gehirn Amputiert“ ist „dumm“ und kritisiert, wie aus dem Gesamtkontext ersichtlich, das Verhalten der Antragstellerin. Wie der Duden ausweist ist „Gehirn amputiert“ eine saloppe Ausdrucksweise für dusselig, doof oder gehirnlos (Quelle: www.duden.de). Diese Kritik muss sich die Antragstellerin im Rahmen der nach § 193 StGB vorzunehmenden Abwägung gefallen lassen.



Die Ansicht der Antragstellerin, dass der unter Ziffer 17 der Antragsschrift aufgeführte Kommentar im höchsten Maße sexistisch sei und sie degradiere, vermag die Kammer nicht zu teilen. Die Eule wird normalerweise als Symbol der Weisheit verwendet. Dass sie in Bezug auf eine Frau geäußert zum Ausdruck bringe, dass diese hässlich sei, wie die Antragstellerin dies meint, lässt sich nicht feststellen, zumal nicht in einer Weise, dass dieses Verständnis für den unbefangenen Durchschnittsleser zwingend wäre. Nur dann aber könnte dieses Verständnis Grundlage einer strafrechtlichen Würdigung sein. Da für den unbefangenen Durchschnittsleser der Kommentar erkennbar ironisch verfasst ist, wird auch nicht über das Sexualleben der Antragstellerin fantasiert. Vielmehr nimmt der Verfasser des Kommentars das Thema des Postings auf und kritisiert die dort enthaltene Aussage mit dem Stilmittel der Ironie. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen führt die nach § 193 StGB vorzunehmende Abwägung zu einem Vorrang der Meinungsfreiheit des Verfassers des Kommentars vor dem Ehrenschutz der Antragstellerin.

3. Die Herausgabe der Bestandsdaten ist zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche der Antragstellerin gegen die ihr unbekannten Personen, die die streitgegenständlichen Kommentare verfasst haben, erforderlich im Sinne des § 14 Abs. 3 TMG.

Soweit sich der Antrag der Antragstellerin auch auf Upload- und Zugriffszeitpunkte bezieht, ist die Erlaubnis jedenfalls gemäß § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG zu erteilen. Nach dieser Vorschrift findet § 14 Abs. 2 bis 5 TMG entsprechende Anwendung auf die Übermittlung von Nutzungsdaten. Die Antragstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Beauskunftung der IP-Adressen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche erforderlich ist.


II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 14 Abs. 4 S. 6 TMG, 81 FamFG.

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