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Landgericht Saarbrücken Beschluss vom 02.07.2009 - 2 Qs 11/09 - Zum Recht auf Akteneinsicht in die Strafakten bei Urheberrechtsverletzungen

LG Saarbrücken v. 02.07.2009: Zum Recht auf Akteneinsicht in die Strafakten bei Urheberrechtsverletzungen


Das Landgericht Saarbrücken (Beschluss vom 02.07.2009 - 2 Qs 11/09) hat entschieden:
Zur Beurteilung der Frage, wessen schutzwürdige Interessen bei der Prüfung des Akteneinsichtsrechts wegen Urheberrechtsverletzungen überwiegen, sind zunächst die widerstreitenden Grundrechte der Beteiligten in Ansatz zu bringen. Während sich die Anzeigeerstaiter als verletzte Rechteinhaber insbesondere auf Art. 12 Abs, 1 GG und mit Blick auf das geistige Eigentum auf Art. 14 Abs. 1 GG stützen können, ist auf Seiten der früheren Beschuldigten als Betroffene ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zu beachten. Daneben kann sich ein berechtigtes Interesse der Anzeigeerstatter an der begehrten Akteneinsicht auch aus zivilrechtlichen Ansprüchen ergeben. Das Angebot von 2 955 Audio-Dateien ist keinesfalls als Bagatelltat anzusehen.




Siehe auch Urheberrechtsschutz und Urheberrechtlicher Auskunftsanspruch


Gründe:

I.

Am 01.10.2008 erstatten die vier führenden deutschen Tonträgerhersteller über ihren Verfahrensbevollmächtigten Strafanzeige gegen Unbekannt wegen unerlaubter Verwertung von geschützten Tonaufnahmen im Internet gemäß den §§ 108, 77, 78 Nr. 1, 85, 16, 19a des Urhebergesetzes (UrhG). Sie hatten die Firma „proMedia Gesellschaft zum Schutz geistigen Eigentums mbH“ beauftragt, sogenannte Tauschbörsen im Internet auf rechtsverletzende Angebote hin zu überprüfen. Dabei war festgestellt worden, dass über den Internetanschluss mit der IP-Adresse … zahlreiche komprimierte Musikdateien illegal zum Herunterladen verfügbar gemacht wurden. Insgesamt umfasste das Angebot 2 955 Audio-Dateien mit teilweise aktuellen Musiktiteln.

Die Staatsanwaltschaft München I holte daraufhin bei dem Serviceprovider, der …, Auskunft über die Bestandsdaten zu der genannten IP- Adresse ein. Die Auskunft ergab, dass die IP-Adresse der ehemals Beschuldigten zugeordnet werden konnte.

Mit Verfügung vom 27.11.2008 gab die Staatsanwaltschaft München I das Verfahren an die zuständige Staatsanwaltschaft in Saarbrücken ab. Nachdem im Zuge der Ermittlungen Kontakt zur früheren Beschuldigten aufgenommen war, gab diese lediglich an, dass sie zusammen mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin unter der ermittelten Anschrift wohne und lebe. Ihr Telefon- und Internetanschluss verfüge nicht über einen sog. W-Lan-Router oder einen Splitter. Weitere Angaben wollte sie unter Bezugnahme auf ihr Aussageverweigerungsrecht nicht machen.

Mit Verfügung vom 18.12.2009 stellte daraufhin die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Weiterhin wurde die von den Anzeigeerstattern beantragte Gewährung strafrechtlich relevanten Verletzung der Urheberrechte durch die frühere Beschuldigte einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Urheberrechte durch die frühere Beschuldigte ergeben habe und deshalb deren schutzwürdiges Interesse auf informationelle Selbstbestimmung überwiege.

Mit Schreiben vom 26.02.2009 legte der Bevollmächtigte der Anzeigeerstatter gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Saarbrücken und insbesondere auch gegen die Verweigerung von Akteneinsicht Beschwerde ein. Die daraufhin nochmals aufgenommenen Ermittlungen blieben erfolglos. Die Tochter der früheren Beschuldigten erklärte nach entsprechender Belehrung, dass sie sich in dem gegen ihre Mutter geführten Verfahren nicht äußern wolle. Das Verfahren wurde daraufhin wiederum gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und die Anzeigeerstatter hiervon am 08.05.2009 in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 26.05.2009 stellte der Bevollmächtigte der Anzeigeerstatter klar, dass er auf einer Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht bestehe, um die Angelegenheit einer zivilrechtlichen Klärung zuzuführen.


II.

Die gemäß § 406e Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 161a Abs. 3 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Gemäß § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO kann für den Verletzten ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift ist die Einsicht in die Akten zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen.

Ausgehend von dieser Regelung ist vorliegend dem von den geschädigten Anzeigeerstattern bevollmächtigten Rechtsanwalt Akteneinsicht zu gewähren.

Zur Beurteilung der Frage, wessen schutzwürdige Interessen überwiegen, sind zunächst die widerstreitenden Grundrechte der Beteiligten in Ansatz zu bringen. Während sich die Anzeigeerstaiter als verletzte Rechteinhaber insbesondere auf Art. 12 Abs, 1 GG und mit Blick auf das geistige Eigentum auf Art. 14 Abs. 1 GG stützen können, ist auf Seiten der früheren Beschuldigten als Betroffene ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zu beachten. Daneben kann sich ein berechtigtes Interesse der Anzeigeerstatter an der begehrten Akteneinsicht auch aus zivilrechtlichen Ansprüchen ergeben (vgl. BVerfG, NJW 2007, 1052f; BVerfG, Beschluss vom 04.12.2008, Az. 2 BvR 1043/08 ). Als Anspruchsgrundlage für einen derartigen Anspruch ist hier § 97 UrhG in Betracht zu ziehen.

Nach Überzeugung der Kammer sind im Rahmen der Abwägung im Wesentlichen zwei Kriterien zu beachten, nämlich zum einen die Stärke des Tatverdachts und zum andern die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck.

Zum Tatverdacht haben die Ermittlungen ergeben, dass der Telefon- und Internetanschluss der ehemals Beschuldigten nach ihren eigenen Angaben nicht über einen W- LAN- Router oder einen Splitter verfügt. Damit muss davon ausgegangen werden, dass die hier in Frage stehende Straftat über die in ihrer Wohnung installierte Internet- Verbindung verübt worden ist. Ein unbefugter Eingriff von außen, wie er bei Benutzung einer nicht hinreichend verschlüsselten W- Lan- Verbindung als theoretische Möglichkeit zu berücksichtigen wäre, scheint damit ausgeschlossen. Ob dies allein ausreicht, einen zivilrechtlichen Schadensersatz- oder Unterlassungsanspruch zu begründen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Ebenso kann es in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, dass das Ermittlungsverfahren gegen die frühere Beschuldigte gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, da diese Einstellung der Begründung nach nicht wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist.

Die Kammer sieht auch nicht, dass der Gewährung von Akteneinsicht Verhältnismäßigkeitserwägungen entgegenstehen könnten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass eine Maßnahme unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist, ferner, dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der Stärke des bestehenden Tatverdachts steht.

Insoweit ist der Staatsanwaltschaft dann Recht zu geben, dass in Bagatellfällen jegliche mit Grundrechtseingriffen verbundenen Maßnahmen unverhältnismäßig und damit unrechtmäßig sind. Eine bagatellartige Rechtsverletzung ist bejaht worden, wenn bis zu fünf Filme oder 50 einzelne Musikstücke in zeitlich engem Zusammenhang zum Herunterladen vorgehalten wurden (vgl.z.B. LG Darmstadt, Beschluss vom 20.04.2009, Az.: 9 Qs 99/09; LG Darmstadt, MMR 2009, 290). Demgegenüber ist ein Recht auf Akteneinsicht bejaht worden, wenn 620 Audio- Dateien im Rahmen einer mehrstündigen Session eines einzigen Beschuldigten zugänglich gemacht wurden (vgl. LG Darmstadt, MMR 2009, 52 ff.).

Unabhängig davon, wo genau die mittlerweile umfangreiche Rechtsprechung, welche der Bevollmächtigte der Anzeigeerstatter in seiner Beschwerdebegründung umfassend dargestellt hat, Bagatellfälle annimmt oder nicht, ist jedenfalls festzustellen, dass das Angebot – wie vorliegend – von 2 955 Audio-Dateien keinesfalls mehr als Bagatelltat angesehen werden kann.

Darüber hinaus ist für die Kammer maßgeblich, dass ein effektiver Urheberrechtsschutz auch auf zivilrechtlicher Ebene gewährleistet werden muss (vgl EuGH, GRUR 2008, 241 ff.).

Verwehrte man in Fällen wie dem vorliegenden den Urheberrechtsinhabern jegliches Recht auf Akteneinsicht, so würde der Urheberrechtsschutz teilweise ins Leere laufen.

Denn Provider dürfen Bestandsdaten i.S.v. § 3 Nr. 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) – zu denen auch die persönliche Zuordnung einer IP- Adresse gehört – nur unter bestimmten Voraussetzungen an die zuständigen Behörden übermitteln (§ 113b TKG). Privatpersonen steht diese Möglichkeit zur Erlangung von Daten nicht zur Verfügung. Zivilrechtliche Ansprüche könnten deshalb bei der Verweigerung von Akteneinsicht nur bei gewerbsmäßigem Handeln des Täters geltend gemacht werden, da allein in diesen Fällen Auskunftsansprüche nach § 101 UrhG bestehen und zudem gemäß § 108a UrhG i.V.m. §§ 395 Abs. 2 Nr. 2, 406e Abs. 1 Satz 2 StPO Akteneinsicht zu gewähren ist, ohne dass es der Darlegung eines berechtigten Interesses bedarf. In der großen Menge der Fälle, in denen einerseits eine bagatellartige Rechtsverletzung nicht mehr und andererseits ein gewerbliches Ausmaß der Verletzung noch nicht angenommen werden kann, wäre der erforderliche Rechtsschutz in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung gerade nicht garantiert.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 464 Abs. 2, 467 Abs. 1 StPO (Meyer- Goßner, StPO, 51. Aufl., § 473 Rdnr. 2 unter Hinweis auf § 464 Rdnr. 2).



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