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OLG Jena Beschluss vom 19.02.2016 - 1 W 591/15 - Verfahrensgebühr und Schutzschrift

OLG Jena v. 19.02.2016: Entstehung der Verfahrensgebühr für eine Schutzschift im Einstweiligen Verfügungsverfahren


Der OLG Jena (Beschluss vom 19.02.2016 - I1 W 591/15) hat entschieden:

  1.  Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100, 3101 RVG-VV entsteht gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3, Abs. 2 RVG-VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, selbst wenn diese Tätigkeit nicht dem Gericht gegenüber erfolgt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 23. November 2006, I ZB 39/06).

  2.  Eröffnet der Rechtsanwalt eine Kommunikation über E-Mails, so muss er Sorge dafür tragen, dass eine Kenntnisnahme eingegangener E-Mails jedenfalls während der üblichen Bürozeiten möglich ist und auch erfolgt.




Siehe auch Einstweilige Verfügung) und Stichwörter zum Thema Abmahnung


Gründe:


I.

Dem Antragsgegner wurde am 09.05.2015 eine Klage zugestellt. Gleichzeitig ging an den Antragsgegner die Aufforderung binnen drei Wochen nach Zustellung der Klage auf diese zu erwidern.  Am späten Abend des 27.05.2015 telefonierte der Antragsgegner mit dem Antragsteller. Zuvor hatte der Antragsgegner dem Antragsteller Unterlagen für das Klageverfahren in den Briefkasten gelegt. Diese Unterlagen sichtete der Antragsteller. Mit am 28.05.2015 um 00:08 Uhr bei dem Antragsteller eingegangener E-​Mail teilte der Antragsgegner mit, dass "in der gestern Abend telefonisch angesprochenen Sache eine anwaltliche Vertretung nicht notwendig" sei. Zudem forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, die übergebenen Unterlagen zur Abholung bereit zu legen. Mit am 28.05.2015 um 08:56 Uhr bei Gericht eingegangenen Schriftsatz zeigte der Antragsteller die Vertretung des Antragsgegners in dem Klageverfahren an und beantragte Klageabweisung. Mit Schriftsatz vom 29.05.2015 legte der Antragsteller das Mandat mit sofortiger Wirkung nieder.

Mit Schriftsatz vom 31.07.2015 beantragte der Antragsteller gemäß § 11 RVG die Festsetzung seiner Vergütung in einer Gesamthöhe von 2.348,94 EUR. Dabei legte der Antragsteller eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG in Höhe von 1,3 zugrunde.

Der zu dem Vergütungsantrag angehörte Antragsgegner hat im Wesentlichen vorgetragen, dass keine Beauftragung vorgelegen habe und daher keine Gebührentatbestände erfüllt seien.

Mit Beschluss vom 24.11.2015 setzte die Rechtspflegerin die Vergütung nebst Zustellungskosten mit insgesamt 2.352,44 EUR fest.

Gegen den dem Antragsgegner am 26.11.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 09.12.2015 bei dem Thüringer Oberlandesgericht eingegangene Beschwerde des Antragsgegners, mit der er den bisherigen Vortrag im Wesentlichen wiederholt.




Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde des Antragsgegners mit Beschluss vom 15.02.2016 nicht abgeholfen und die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, § 11 Abs. 2 S. 3 RVG, §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 ff. ZPO. In der Sache hat die Beschwerde in dem tenoriertem Umfang Erfolg.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100, 3101 RVG VV ist entstanden. Sie entsteht gemäß Teil 3 Vorb. 3 Abs. 2 RVG VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie fällt folglich schon durch die Entgegennahme des Auftrags sowie erster Informationen an (BGH, Beschluss vom 23.11.2006 - I ZB 39/06, juris Rn. 18). Jede Geschäftstätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren, selbst wenn sie nicht dem Gericht gegenüber erfolgt, bringt die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100, 3101 RVG VV zum Entstehen (BGH, Beschluss vom 23.11.2006 - I ZB 39/06, juris Rn. 18). So verhält es sich hier. Der Antragsgegner hat mit dem Antragsteller nicht nur telefonisch Kontakt aufgenommen und über die Klage gesprochen, sondern dem Antragsteller zudem auch Unterlagen zukommen lassen, die der Antragsteller gesichtet hat. Darüberhinaus hat der Antragsgegner in einem an den Antragsteller gerichteten Zettel u.a. notiert: "Neuer Fall".

Die Verfahrensgebühr ist aber nicht in voller Höhe von 1,3 anzusetzen, sondern nur in Höhe von 0,8. Nach Nr. 3101 Nr. 1 RVG VV reduziert sich die Verfahrensgebühr auf 0,8, wenn der Auftrag endigt, bevor der Rechtsanwalt die Klage, den ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags enthält, eingereicht hat oder bevor er einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat. Zwar hat der Antragsteller hier einen Schriftsatz eingereicht, der einen Klageabweisungsantrag enthält. Dennoch ist nur eine reduzierte Gebühr festzusetzen, weil der Antragsgegner den Auftrag vor Einreichung des Schriftsatzes widerrufen hatte. Nach § 671 Abs. 1 BGB kann der Auftrag von dem Auftraggeber jederzeit widerrufen werden. Dies ist hier geschehen. Unschädlich ist, dass der Widerruf per E-​Mail in der Nacht vom 27.05.2015 auf den 28.05.2015 bei dem Antragsteller eingegangen ist. Eröffnet der Rechtsanwalt eine Kommunikation über E-​Mail, so muss er Sorge dafür tragen, dass eine Kenntnisnahme eingegangener E-​Mails jedenfalls während der üblichen Bürozeiten möglich ist und auch erfolgt. Nach dem Briefkopf des Antragstellers ist die Bürozeit ab 08:00 Uhr. Bis zur Versendung des Schriftsatzes am 28.05.2015 um 08:56 Uhr bestand nahezu eine Stunde Zeit, die E-​Mail des Antragsgegners zur Kenntnis zu nehmen und eine weitere anwaltliche Tätigkeit einzustellen. Im Übrigen kommt die Regelung des § 674 BGB und die dort enthaltene Fiktion des Fortbestands des Auftrags hier schon deshalb nicht zur Anwendung, weil der Auftrag durch einen Widerruf und nicht auf andere Weise erloschen ist.



Demnach hat der Antragsteller einen Anspruch auf folgende Vergütung:

0,8 Verfahrensgebühr 1.202,40 EUR
Auslagenpauschale 20,00 EUR
Mehrwertsteuer 232,26 EUR
Zustellungskosten 3,50 EUR
Gesamt 1.458,16 EUR


Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren waren nach dem Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens zu quoteln, § 92 ZPO; im Übrigen findet eine Kostenerstattung wegen § 11 Abs. 2 S. 6 RVG nicht statt.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Zulassungsgründe im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 3 ZPO und orientiert sich an dem Interesse des Antragsgegners an der verfolgten Abänderung, hier mithin in Höhe der durch die Rechtspflegerin festgesetzten Kosten in Höhe von 2.352,44 EUR.

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