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Amtsgericht Lahr Vorlagebeschluss vom 26.10.2007 - 5 C 138/07 - Sind nationale Bestimmungen zum Wertersatz europarechtswidrig?

AG Lahr v. 26.10.2007: Vorabentscheidungsersuchen: Sind nationale Bestimmungen zum Wertersatz europarechtswidrig?


Das Amtsgericht Lahr (Vorlagebeschluss vom 26.10.2007 - 5 C 138/07) hat dem EuGH folgen Frage im Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt:

   Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 zu bestimmten Aspekten des Verbraucherschutzes bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle des fristgerechten Widerrufes durch den Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des gelieferten Verbrauchsgutes verlangen kann?

Siehe auch
Wertersatz bei Ausübung des Widerrufsrechts
und
Stichwörter zum Thema Widerrufsrecht


Entscheidungsgründe:


"I.

1. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Verbraucherin. Die Beklagte ist eine Firma, die Versandhandel im Internet betreibt.

2. Aufgrund eines Internet-Angebotes der Beklagten erwarb die Klägerin am 02.12.2005 ein gebrauchtes Notebook Siemens S 4546. Der Kaufpreis betrug 278,00 Euro.

3. Die Beklagte stellte zum Zeitpunkt dieses Kaufes Allgemeine Geschäftsbedingungen in das Internet ein, in denen es unter anderem heißt:
   „(...)Sie sind an den geschlossenen Vertrag nicht mehr gebunden, wenn Sie die gelieferte Ware innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt der Ware auf Ihre Kosten und Gefahr zurücksenden. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Ware an und eine vorab Information an uns, die in schriftlicher Form erfolgen muss. Alle nichtangekündigten Rücksendungen werden von uns nicht angenommen. (...)

Schließlich möchten wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass Sie Wertersatz für die durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme eingetretene Verschlechterung der bei uns bestellten Ware leisten müssen und wir dürfen Ihnen empfehlen, gewissenhaft Ihre Entscheidung zur Ingebrauchnahme der bei uns bestellten Waren zu treffen, wenn Sie unsicher sind, ob Sie die Ware behalten möchten. Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass eine schon benutzte Ware an andere Kunden nur mit Abschlag veräußert werden kann. In der Regel beträgt der Abzug hierfür 15% des Warenwertes. Eine Verpflichtung zum Wertersatz besteht nicht bei original verpackter Ware, die nicht in Gebrauch genommen wurde. Es bleibt Ihnen dennoch unbenommen, die bei uns erworbene Ware zu prüfen.


4. Im August 2006 kam es zu einem Defekt des Displays des Computers. Die Klägerin teilte der Beklagten am 04.08.2006 den Defekt an dem Display mit. Diese lehnte eine kostenlose Beseitigung des Defektes ab. Am 07.11.2006 wurde durch die Klägerin der Widerruf des Kaufvertrages erklärt und das Notebook wurde dem Beklagten Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises angeboten.

5. Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung von 278,00 Euro nebst Zinsen und außergerichtlichen Kosten sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Zahlung in Annahmeverzug befinde.

6. Die Beklagte hat gegen die Klageforderung eingewandt, dass die Klägerin jedenfalls für ihre Nutzung des Notebooks für ca. 8 Monate Wertersatz zu leisten habe. Bei einem vergleichbaren Notebook liege der Mietpreis im Marktdurchschnitt bei 118,80 Euro für 3 Monate, so dass sich für die Nutzungszeit der Klägerin ein Wertersatz von 316,80 Euro ergebe, das dem geltend gemachten Zahlungsanspruch entgegen gehalten werden könne.


II.

7. Die Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Betrages in Höhe von 278,00 Euro hängt von der Beantwortung der Frage ab, ob die Beklagte berechtigt ist, im Rahmen der Rückgewähr des Kaufpreises diesen um den Wertersatz der durch die Klägerin gezogenen Nutzungen des Verbrauchsgutes zu vermindern.

8. Der Widerruf der Klägerin erfolgte vor Ablauf der Widerrufsfrist, da der Klägerin keine wirksame Widerrufsbelehrung zugegangen ist.

Nach dem nationalen deutschen Recht beginnt die Widerrufsfrist gemäß § 312d Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vor Erfüllung der Informationspflichten nach § 312c Abs. 2 BGB.

Gemäß § 312 c Abs. 2 BGB hat der Unternehmer dem Verbraucher die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie die in der Rechtsverordnung nach Artikel 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Informationen in dem dort bestimmten Umfang und der dort bestimmten Art und Weise in Textform mitzuteilen und zwar bei Waren spätestens bis zur Lieferung an den Verbraucher. Nach der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV hat die Widerrufsbelehrung unter anderem folgende Angaben zu enthalten:

   „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) oder durch Rücksendung der Sache widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs oder der Sache. (...) Im Falle eines wirksamen Widerrufes sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzungen herauszugeben. Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, so müssen Sie uns insoweit ggf. Wertersatz leisten. Bei der Überlassung von Sachen gilt dies nicht, wenn die Verschlechterung der Sache ausschließlich auf deren Prüfung -wie Sie Ihnen etwa im Ladengeschäft möglich gewesen wäre- zurückzuführen ist.(...) Paketversandfähige Waren sind auf unsere Kosten und Gefahr zurückzusenden.(...)“

Das Gericht geht nach seiner derzeitigen Rechtsauffassung davon aus, dass die Widerrufs- und Widerrufsfolgenbelehrung der Beklagten unter anderem aus folgenden Gründen unwirksam ist:

Es wird nicht darauf hingewiesen, dass die Widerrufsfrist erst ab dem Erhalt der Widerrufsbelehrung beginnt. Der Verbraucher soll Kosten und Gefahr der Rücksendung tragen. Nichtangekündigte Rücksendungen sollen nicht abgenommen werden. Es wird nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach § 357 Abs. 3 BGB kein Wertersatz zu zahlen ist im Falle der Verschlechterung der Ware, die ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist.




9. Nach dem nationalen deutschen Recht hat der Verbraucher im Falle eines Widerrufes nach §§ 312d Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 355, 357 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. In § 346 Abs. 1 BGB ist zudem geregelt, dass die gezogenen Nutzungen herauszugeben sind. Soweit die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist, hat der Schuldner nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Wertersatz zu leisten. Nutzungen sind nach § 100 BGB die Früchte einer Sache sowie die Vorteile, welche der Gebrauch einer Sache gewährt.

10. Die Verweisung des § 347 Abs. 1 BGB auf die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt kann nach ihrem Wortlaut und dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers dahingehend verstanden werden, dass sie den in § 346 Abs. 1 BGB geregelten Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen umfasst bzw., soweit die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist, den Anspruch auf Wertersatz nach § 346 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Begründung des Entwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drucks. 14/6040 S. 199) verweist insoweit darauf, dass der § 357 Abs. 1 BGB dem bisherigen § 361a Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB (Gesetz vom 27.06.2000 BGBl. I S. 897) entspricht. Nach der Begründung des Entwurfs des § 361a Abs. 2 BGB in der Fassung vom 27.06.2000 regelt dieser Absatz die Rechtsfolgen des Widerrufs, indem er die Vorschriften des Rücktritts für anwendbar erklärt. Die Vorschrift des § 346 BGB trägt die Bezeichnung: „Wirkungen des Rücktritts“.

11. Für die Entscheidung ist es nach der Auffassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich, dass das Notebook ab August 2006 einen Defekt aufwies. Lediglich die Dauer der Nutzungsmöglichkeit ist anhand dieses Ereignisses zu errechnen.




Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin das Notebook lediglich bestimmungsgemäß in Gebrauch genommen hat. Nach § 357 Abs. 3 BGB hat der Verbraucher bei einer Verschlechterung der Sache durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme nur dann Wertersatz zu leisten, wenn er in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, diese zu vermeiden. Wie bereits oben unter 8. dargestellt, hat die Beklagte lediglich eine unwirksame Widerrufsfolgenerklärung abgegeben, so dass sie keinen Wertersatz fordern kann.

Sofern die Klägerin nachweisen könnte, dass der Defekt des Notebooks auf einem Mangel beruht, der bereits bei der Übergabe im Rahmen des Kaufes vorhanden war, könnte sie den gezahlten Kaufpreis nach §§ 434, 437 Nr. 2 oder 3, 440, 281 BGB jeweils in Verbindung mit § 346 BGB zurückverlangen. Auch in diesem Falle könnte der Einwand der Beklagten hinsichtlich des Ersatzes der gezogenen Nutzungen durchgreifen.


III.

12. Das Gericht würde grundsätzlich nach dem Wortlaut des nationalen deutschen Gesetzes dieses dahingehend auslegen, dass auch im Rahmen eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz im Falle eines Widerrufes von dem Verbraucher eine Nutzungsvergütung verlangt werden kann.

Das Gericht hat aber Zweifel, ob diese Auslegung der Vorschriften des § 357 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 346 BGB mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 97/7/EG vom 20. Mai 1997 in Einklang steht, nach deren Art. 6 Abs. 1 und 2 die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechtes auferlegt werden können, die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren sind. Da gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt lediglich „entsprechende“ Anwendung finden, könnte eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts dazu führen, dass sich die Verweisung nicht auf die Verpflichtung zur Leistung einer Nutzungsentschädigung bezieht.

13. Im Regierungsentwurf zur Einführung des § 357 Abs. 3 BGB wird die EG-rechtliche Zulässigkeit der Wertersatzpflicht bei einer Verschlechterung des Kaufgegenstandes infolge bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme bejaht:

   „Die EG-rechtliche Zulässigkeit einer solchen Lösung wird gelegentlich in Zweifel gezogen (Hager in: Ernst/Zimmermann, S. 427, 447 f.). Diese Zweifel werden aus Artikel 6 Abs. 2 Fernabsatzrichtlinie abgeleitet, wonach die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechtes auferlegt werden können, die Kosten der unmittelbaren Rücksendung sind. In der Diskussion (Ernst/Zimmermann S. 455, 456) ist aber zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es hier nicht um Kosten geht, die „infolge des Widerrufes“ entstehen. Es geht vielmehr um die Rückabwicklung von Vorteilen und Schäden, die durch die vorübergehende Benutzung entstehen. Diese Frage regelt die Fernabsatzrichtlinie nicht. Es heißt vielmehr in Erwägungsgrund 14 der Richtlinie ganz eindeutig: „ Es ist Sache der Mitgliedsstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechtes festzulegen.“ (BT-Drucks. 14/6040 S. 199).


Diese Begründung betrifft im Hinblick auf die „Rückabwicklung von Vorteilen“ ersichtlich auch den Ausgleich von Nutzungsvorteilen gemäß § 357 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB.



14. Das Gericht ist der Auffassung, dass der Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 97/7/EG nicht im Lichte der Terminologie des nationalen Rechtes auszulegen ist, sondern dass sie im Lichte des Richtlinienzweckes betrachtet werden muss. Im Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 97/7/EG heißt es im dritten Satz:

   „Damit es sich um mehr als ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechtes getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden.“

Dies kann so ausgelegt werden, dass jegliche über die Pflicht zur Rückgabe der Vertragswaren hinausgehenden Zahlungsverpflichtungen des Verbrauchers mit Ausnahme der Rücksendekosten ausgeschlossen werden sollen.

15. Die für den Ausgang des Rechtsstreits erhebliche Entscheidung darüber, ob die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7/EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle des fristgerechten Widerrufes durch den Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des gelieferten Verbrauchsgutes verlangen kann, ist gemäß Art. 234 EG dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten. Der Rechtsstreit ist daher auszusetzen und die vorbezeichnete Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

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