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Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil vom 10.10.2012 - 16 K 3792/12 - Zur behördlchen Warnung vor E-Zigaretten

VG Düsseldorf v. 10.10.2012: Zur Rechtmäßigkeit einer behördlchen Warnung vor E-Zigaretten


Das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil vom 10.10.2012 - 16 K 3792/12) hat entschieden:
  1. Wenn die Informationsmitteilung geeignet ist, als funktionales Äquivalent Verbotsverfügungen der Behörden (hier: der Gesundheitsbehörden) auch im Hinblick auf ihre Wirkung zu ersetzen, sind indessen die besonderen Bindungen der Rechtsordnung zu beachten, die für einen Grundrechtseingriff gelten.

  2. E-Zigaretten sind keine Arzneimittel, aber Funktionsarzneimittel, denn sie beeinflussen die physiologischen Funktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische Wirkung. Die objektive Eignung eines Mittels für den Einsatz zu Therapiezwecken rechtfertigt die Einordnung als Funktionsarzneimittel, unabhängig davon, ob es nach dem Willen des Herstellers oder Vertreibers dazu bestimmt ist.



Siehe auch E-Zigarette und Arzneimittel / Medikamente


Tatbestand:

Die Klägerin produziert und vertreibt so genannte E-​Zigaretten. Die E-​Zigarette ist ein Produkt, bei dem eine verdampfte Flüssigkeit (Liquid) inhaliert wird. Ein Verbrennungsvorgang findet nicht statt. Das Liquid besteht aus Propylenglykol, Glycerin, künstlichen Lebensmittelaromen und aus Wasser; z.T. enthalten die Liquids auch Nikotin.

Unter dem 16. Dezember 2011 veröffentlichte das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Antragsgegners (Ministerium) unter der Überschrift "Ministerin Steffens warnt vor Verkauf von illegalen E-​Zigaretten: Geschäftsgründungen sind riskant - Gesundheitsschäden zu befürchten" eine Pressemeldung, in der es hieß:
"… Gesundheitsministerin Barbara Steffens hat heute … vor dem Verkauf von elektronischen Zigaretten … gewarnt. Der Handel und der Verkauf von E-​Zigaretten sowie von liquidhaltigen Kartuschen, Kapseln oder Patronen für E-​Zigaretten sind, sofern die arzneimittel- und medizinprodukterechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden, gesetzlich verboten. Insbesondere nikotinhaltige Liquids dürfen nur mit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Verkehr gebracht werden. Bei nikotinfreien Liquids ist im Einzelfall anhand der Inhaltsstoffe zu prüfen, ob sie den arzneimittelrechtlichen Vorschriften unterliegen. Wer gegen die genannten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, setzt sich der Gefahr strafrechtlicher Ahndung aus. …"
Mit einem an die Bezirksregierungen in Nordrhein-​Westfalen gerichteten Erlass vom 16. Dezember 2011, der nachrichtlich den Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-​Lippe zur Kenntnis gegeben wurde, wies das Ministerium auf die nach seiner Meinung bestehende Rechtslage im Hinblick auf die Einstufung der E-​Zigarette (Applikator) und E-​Liquids (Kartusche) hin. Nikotin sei eine pharmakologisch wirkende Substanz und nikotinhaltige Liquids unterlägen als Funktionsarzneimittel dem Arzneimittelrecht. Die E-​Zigarette als Applikator unterliege dem Medizinproduktegesetz.

Nach Durchführung eines im Hinblick auf die von der Klägerin geforderte Unterlassung derartiger Mitteilungen für diese letztlich erfolgreichen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens (Beschluss des OVG NRW vom 23. April 2012 - 13 B 127/12) hat die Klägerin am 9. Mai 2012 Klage erhoben. Sie vertritt die Auffassung, dass der Beklagte für öffentliche Warnungen vor Arzneimitteln nicht zuständig sei sondern allein das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), und dass öffentliche Warnungen nur in den im Arzneimittelgesetz ausdrücklich genannten Fällen erfolgen dürften. Abgesehen davon unterfielen die E-​Zigarette und ein nikotinhaltiges Liquid weder dem Arzneimittelgesetz noch dem Medizinproduktegesetz. Ein Anspruch auf zukünftige Unterlassung amtlicher Äußerungen bestehe, da die Informationsmitteilung geeignet sei, als funktionales Äquivalent Verbotsverfügungen der Behörden auch im Hinblick auf ihre Wirkung zu ersetzen.

Die Klägerin beantragt,
dem Beklagten zu untersagen, zu äußern:
  • der Handel und der Verkauf von E-​Zigaretten sowie von liquidhaltigen Kartuschen, Kapseln oder Patronen für E-​Zigaretten seien, sofern die arzneimittel- und medizinproduktrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten würden, gesetzlich verboten. Insbesondere nikotinhaltige Liquids dürften nur mit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Verkehr gebracht werden. Bei nikotinfreien Liquids sei im Einzelfall anhand der Inhaltsstoffe zu prüfen, ob sie arzneimittelrechtlichen Vorschriften unterlägen. Wer gegen die genannten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstoße, setze sich der Gefahr strafrechtlicher Ahndung aus,

  • E-​Zigaretten unterlägen gemäß § 2 Abs. 3 MPG Medizinproduktrecht, so dass sie nur mit einer CE-​Kennzeichnung gemäß § 6 Abs. 1, 2 in Verbindung mit § 7 MPV in den Verkehr gebracht werden dürften.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner in der Pressemitteilung vom 16. Dezember 2011 geäußerten Rechtsauffassung, zu deren Abgabe er im Rahmen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit befugt sei, fest und weist darauf hin, dass der auf dem von der Klägerin vorgelegten Erlassabdruck enthaltene Zusatz "Per Fax - an alle Apotheken im Kammerbereich Nordrhein - Bitte informieren Sie auch Ihre Mitarbeiter/innen" nicht durch ihn veranlasst worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten zu diesem und zum vorläufigen Rechtsschutzverfahren sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen öffentlich-​rechtlichen Anspruch auf Unterlassung der streitigen Äußerungen des Beklagten.

Der Beklagte bzw. das hier tätig gewordene Ministerium ist grundsätzlich befugt, öffentlichkeitswirksame Informationen zu verbreiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt in der Aufgabenzuweisung grundsätzlich auch eine Ermächtigung der Regierung zum Informationshandeln. Die Staatsleitung wird nicht allein mit den Mitteln der Gesetzgebung und der richtungsweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug wahrgenommen, sondern auch durch die Verbreitung von Informationen an die Öffentlichkeit, wobei das Informationsrecht durch die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen begrenzt wird.
Vgl. BVerfGE 105, 252 - Glykolwarnung - und BVerwGE 87, 37.
Diese Vorgaben hat der Beklagte eingehalten.

Das tätig gewordene Ministerium ist für den Bereich des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts zuständig und damit grundsätzlich befugt, Informationen in diesem Bereich zu verbreiten. Dazu gehört auch die Information über neue Entwicklungen und Mittel, bei denen die rechtliche Einstufung etwa als Arzneimittel oder Medizinprodukt fraglich sein kann. Um eine solche Entwicklung handelt es sich bei den sog. E-​Zigaretten zur Aufnahme von Nikotin aus nikotinhaltigen Liquids. § 69 Abs. 4 AMG steht der Befugnis des Beklagten zur Information der Öffentlichkeit nicht entgegen. Hiernach ist das BfArM als zuständige Bundesoberbehörde zuständig für öffentliche Warnungen im Falle des Absatzes 1 Satz 3, mithin dann, wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein Arzneimittel bei bestimmungsgemäßen Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über das vertretbare Maß hinausgehen. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Spezialnorm zur konkreten Gefahrenabwehr, die die Zuständigkeit des Beklagten für sonstige staatliche Informationstätigkeit nicht berührt oder grundsätzlich ausschließt.

Die Äußerungen in der Pressemitteilung sowie im Erlass vom 16. Dezember 2011 bewegen sich auch inhaltlich im Rahmen der an zulässiges Informationshandeln zu stellenden Anforderungen.

Ein Verstoß gegen das Gebot inhaltlicher Richtigkeit veröffentlichter Behördeninformationen liegt nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Tatsachen, die im Zusammenhang mit den Erklärungen behauptet wurden, unrichtig sein könnten. Die Klägerin stützt sich auch nicht auf Bedenken gegen Tatsachenbehauptungen in den Erklärungen, sondern beanstandet die Auffassung des Beklagten als unrichtig, der Handel mit E-​Zigaretten und Liquids sei nach dem Arzneimittelgesetz bzw. dem Medizinproduktegesetz genehmigungspflichtig und ein Handel und Inverkehrbringen der Produkte ohne Genehmigung strafbewehrt. Bei diesen Einschätzungen des Beklagten handelt es sich jedoch um eine rechtliche Bewertung, die weder einem Wahrheitsbeweis noch einer Widerlegung zugänglich ist.

Die Anforderungen an die sachliche Richtigkeit lassen sich nicht in gleicher Weise auf rechtliche Einschätzungen übertragen, etwa dahingehend, dass es dem Betroffenen möglich sein muss, der zuständigen Behörde eine bestimmte Rechtsauffassung zu verbieten oder auch nur das Verbreiten einer solchen Rechtsauffassung zu untersagen, wenn er der Ansicht ist, dass sich aus dieser Rechtsauffassung und ihrer Verbreitung nachteilige Folgen für den Handel mit einem Produkt ergeben. Eine so weitgehende Einschränkung des Regierungshandelns gebietet insbesondere der Artikel 19 Abs. 4 GG nicht. Effektiver Rechtsschutz lässt sich auch dann gewährleisten, wenn die den Weisungen des Ministeriums unterstehenden Behörden gegen den Handel mit bestimmten Produkten einschreiten, weil die erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 31,
dass - wenn eine Behörde die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens behauptet - der Betroffene zur Klärung des Vorwurfs nicht abwarten muss, bis es zu einem Strafverfahren gekommen ist, sondern gegebenenfalls gegenüber der zuständigen Behörde einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens stellen kann. Darauf ist die Klage jedoch nicht gerichtet. Die Klägerin will nicht gegenüber einer zuständigen Überwachungsbehörde die Feststellung der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens betreiben, sondern sie will ganz allgemein die Äußerung und Verbreitung einer bestimmten Rechtsauffassung durch den Beklagten verhindern.

Aus dem zitierten Gebot der Sachlichkeit öffentlicher Informationen werden allerdings nicht nur Anforderungen an die tatsächliche Richtigkeit von Behördeninformationen hergeleitet. Soweit es Wertungen betrifft, die in die Äußerung einfließen, sind diese zwar nicht wahrheitsfähig, jedoch müssen sie begründbar sein, d.h. sie dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen. Zudem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zu den Grundrechtspositionen, in die eingegriffen wird, nicht unverhältnismäßig sein
vgl. OVG NRW, NWVBl. 2006, 32 f m.w.N.
Selbst wenn sich hieraus auch Anforderungen an rechtliche Würdigungen ableiten ließen, könnte dies allenfalls bedeuten, dass der zu Grunde liegende Sachverhalt vor Verbreitung der Rechtsauffassung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Quellen aufgeklärt worden sein muss und die darauf bezogene rechtliche Würdigung nicht als völlig abwegig oder unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheinen darf.

Wenn die Informationsmitteilung geeignet ist, als funktionales Äquivalent Verbotsverfügungen der Behörden (hier: der Gesundheitsbehörden) auch im Hinblick auf ihre Wirkung zu ersetzen, sind indessen die besonderen Bindungen der Rechtsordnung zu beachten, die für einen Grundrechtseingriff gelten.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91 u. a. -​, BVerfGE 105, 252, 273; vgl. auch Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1360.
Zwar können die abgegebenen Erklärungen den Handel und den Verkauf von E-​Zigaretten durchaus beeinflussen; da es sich aber lediglich um Hinweise auf die Rechtslage handelt, wie der Wortlaut der Mitteilungen belegt, kommt der mit dem Hinweis auf die arzneimittel- und medizinprodukterechtliche Einordnung einhergehende Eingriff einer Verbotsverfügung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht gleich. Die Tatsache, dass nachfolgende Presseberichte die Pressemitteilung des Beklagten als Verbotsverfügung interpretiert haben bzw. eine solche Interpretation hierdurch nahegelegt wurde, macht sie nicht zu einer solchen. Die Berichterstattung in den Medien kann dem Beklagten nicht zugerechnet werden, da dieser keinen unmittelbaren Einfluss hierauf hat und fehlerhafte Darstellungen nicht verhindern kann. Angesichts dessen kann auf die tatsächlich entstandene Wirkung der Mitteilung nicht abzustellen sein,
a.A. OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2012 - 13 B 127/12 -.
Auch dem an die nachgeordneten Stellen, d.h. an die Bezirksregierungen, Kreise und kreisfreien Städte in NRW gerichteten Erlass kommt keine einer Verbotsverfügung vergleichbare Wirkung zu. Der auf dem von der Klägerin vorgelegten Exemplar enthaltene Aufdruck "an alle Apotheken im Kammerbezirk Nordrhein - Bitte informieren Sie auch ihre Mitarbeiter", der möglicherweise als Aufforderung, den Verkauf derartiger Produkte zu unterlassen, verstanden werden könnte, stammt nicht vom Beklagten und kann ihm auch nicht zugerechnet werden.

Die vom Ministerium geäußerten Rechtsauffassungen sind auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Vielmehr entsprechen sie den rechtlichen Vorgaben des Arzneimittel- und des Mediziproduktegesetzes.

Bei den E-​Zigaretten handelt es sich um Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes.

Definiert wird das Arzneimittel in § 2 Abs. 1 AMG. Danach sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind (sog. Präsentationsarzneimittel) sowie zum anderen alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (sog. Funktionsarzneimittel). Diese Definition lehnt sich an den Arzneimittelbegriff der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel i.d.F. der Richtlinie 2004/27/EG an und entspricht inhaltlich dem gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff.

Die hier streitigen E-​Zigaretten sind keine Arzneimittel nach der Bezeichnung, erfüllen also den Arzneimittelbegriff der 1. Alternative nicht, da sie nicht zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten bestimmt sind, sondern in erster Linie als Genussmittel dienen sollen. Jedenfalls werden dem Produkt weder auf der Packung noch in der Werbung Arzneimittelfunktionen zugeschrieben.

Hingegen handelt es sich um Funktionsarzneimittel. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion fällt, von Fall zu Fall zu treffen; dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften - wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann. Das Produkt muss die physiologischen Funktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Darin liegt das wesentliche Kriterium, auf dessen Grundlage, ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses, zu beurteilen ist, ob ein Funktionsarzneimittel vorliegt,
vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007 - Rs. C-​319/05 -, juris, und vom 15. Januar 2009, NVwZ 2009, 439 - Hecht-​Pharma.
Allerdings folgt daraus nicht zwangsläufig, dass Erzeugnisse, die eine physiologisch wirksame Substanz enthalten, systematisch als Funktionsarzneimittel eingestuft werden können,
vgl. EuGH Urteil vom 15. November 2007 aaO., Rdnr.60.
Da die Beeinflussung der physiologischen Funktionen den Varianten Wiederherstellen und Korrigieren ergänzend hinzugefügt und damit gleichgestellt wird, muss auch sie zu einer Veränderung führen, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegt,
vgl. BVerwG NVwZ 2008, 439 f.
Die sonstigen Merkmale sind ergänzend - gleichsam als Korrektiv - heranzuziehen, wenn eine pharmakologische Wirkung positiv festgestellt worden ist,
BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5/09 - Rdnr. 18 - Weihrauchextrakt -.
Entscheidend im Sinne der 2. Alternative des § 2 Abs. 1 AMG ist somit zunächst, ob mit dem Erzeugnis die menschlichen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung beeinflusst werden können (immunologische oder metabolische Eigenschaften kommen im vorliegenden Fall nicht in Betracht). Als pharmakologisch wird eine Wirkung beschrieben, die aus einer Wechselwirkung zwischen Bestandteilen des Stoffes und einem körpereigenen, als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil besteht und die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Wirkung eines anderen Wirkstoffs blockiert,
vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Anm. 68 zum sog. "Schlüssel-​Schloss-​Prinzip".
Die pharmakologische Wirkung stellt dabei eine gezielte Steuerung von Körperfunktionen von außen dar; sie ist nicht mit der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel vergleichbar, bei der der Körper die benötigten Bestandteile selbst identifiziert und modifiziert,
vgl. BVerwG NVwZ 2008, 439 f. m.w.N.
Dass Nikotin pharmakologisch wirkt, kann als wissenschaftlich gesichert angesehen werden und wird auch von der Klägerin nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Denn Nikotin ist ein Stoff, der sich nennenswert auf den Stoffwechsel auswirkt und somit dessen Funktionsbedingungen wirklich beeinflusst,
vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2012 aaO. und OVG Sachsen-​Anhalt, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 3 M 129/12 - und die im angefochtenen Bescheid enthaltene ausführliche Darstellung der Wirkungsweise von Nikotin.
Nikotin ist nicht nur im Allgemeinen ein Stoff, der geeignet ist, die physiologischen Funktionen auf pharmakologische Weise zu beeinflussen; dies ist auch in der besonderen Weise der Inhalation durch E-​Zigaretten der Fall. Die Klägerin macht zwar geltend, dass der Nikotingehalt im Dampf von E-​Zigaretten erheblich geringer sei als im Rauch einer herkömmlichen Zigarette und nur ca. 1/20 des Nikotingehalts betrage. Ob diese Behauptung zutreffend ist, kann aber offen bleiben. Denn für die Beurteilung, ob eine nennenswerte pharmakologische Wirkung erzielt wird, ist der bestimmungsgemäße Gebrauch maßgeblich. E-​Zigaretten werden als Alternative zum Rauchen von Zigaretten bezeichnet, hinsichtlich der Dosierung werden keine konkreten Vorgaben gemacht. Dies macht deutlich, dass es nicht auf einen Vergleich des Nikotingehalts des Rauchs von 6 - 8 Zügen einer Zigarette mit dem von 6 - 8 Zügen einer E-​Zigarette ankommt sondern darauf, dass es dem Anwender der E-​Zigarette überlassen ist, diese in einem Umfang zu nutzen, dass eine dem Rauchen vergleichbare, den individuellen Bedürfnissen entsprechende übliche und gewohnte Nikotinzufuhr erfolgt. Jedenfalls ergibt sich hieraus nicht, dass bei den von der Klägerin hergestellten und vertriebenen nikotinhaltigen Liquids die Erheblichkeitsschwelle, die zum Ausschluss aus dem Arzneimittelbegriff auch bei pharmakologischen Wirkungen führen kann,
vgl. BVerwG, NVwZ 2009, 1038 m.w.N., EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - C-​319/05 -,
unterschritten wird. Damit wird zugleich deutlich, dass die Einordnung als Arzneimittel nicht von vornherein deshalb ausscheidet, weil es lediglich bei einem untypischen Gebrauch der E-​Zigarette zu der Aufnahme von relevanten Mengen an Nikotin käme. Darauf, dass zweifelhaft und nicht untersucht ist ob die gleichen Wirkungen wie bei Zigaretten eintreten, kommt es hingegen nicht an, da deren Rauch zahlreiche andere, im Dampf einer E-​Zigarette nicht vorhandene Stoffe enthält. Entscheidend ist allein die nicht zweifelhafte pharmakologische Wirkung von Nikotin. Diesbezüglich bedarf es keines (erneuten) wissenschaftlichen Nachweises der pharmakologischen Wirkung.

Da es jedoch nicht allein auf die pharmakologische Wirkung ankommt, sondern alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen sind, kommt es auch darauf an, zu welchen Zwecken das Mittel geeignet ist, ob es Körperfunktionen regulieren kann. Ist es nur Gift, kann es trotz erheblicher physiologischer Wirkung nicht als Arzneimittel eingestuft werden. Kann es hingegen krankheitsverhütende, -beseitigende oder -lindernde Wirkung, mithin arzneiliche Wirkungen entfalten, kommt es nicht noch zusätzlich darauf an, mit welchen subjektiven Absichten das Mittel genommen wird. Denn im Rahmen des funktionalen Arzneimittelbegriffs des § 2 Abs. 1 2. Alt. AMG ist allein auf objektive Kriterien abzustellen. Anderenfalls würden die für Funktionsarzneimittel maßgeblichen stoffbezogenen Eigenschaften bzw. Wirkungen kein Abgrenzungskriterium mehr darstellen, obwohl gerade diese nach dem Gesetzeswortlaut maßgeblich sein sollen und nicht der mit der Einnahme vom Anwender verfolgte Zweck. Setzte man für die Einnahme bzw. Anwendung des Mittels eine therapeutische Absicht voraus,
so OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2012 aaO.
handelte sich bei einem Funktionsarzneimittel lediglich um einen Unterfall des Präsentationsarzneimittels, da die Deklaration eines Stoffes als Arzneimittel immer vorausgesetzt wird, wenn er zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden soll. Ein solches Normverständnis, bei dem man allein mit dem Begriff des Präsentationsarzneimittels auskäme, wird dem Umstand, dass das Gesetz durch zwei selbständige Arzneimittelbegriffe geprägt wird, nicht gerecht. Ein allein auf die subjektive Zweckbestimmung bezogenes Normverständnis liefe dem Schutzzweck des Arzneimittelgesetzes zuwider, denn es würden arzneilich wirksame Mittel nicht erfasst, die ohne Angabe einer therapeutischen Zweckbestimmung in Verkehr gebracht werden. Daher rechtfertigt die objektive Eignung eines Mittels für den Einsatz zu Therapiezwecken die Einordnung als Funktionsarzneimittel, unabhängig davon, ob es nach dem Willen des Herstellers oder Vertreibers dazu bestimmt ist.

Die von der Klägerin hergestellten und vertriebenen nikotinhaltigen Liquids erfüllen diese Voraussetzungen. Um eine Folgewirkung außerhalb der arzneimittelrechtlich relevanten Wirkungen handelt es sich bei der Wirkung des Nikotins gerade nicht, da dieser Stoff durchaus objektiv geeignet ist, zu arzneilichen Zwecken verwendet zu werden. So können die Liquids zur Minderung von Entzugssymptomen bei Nikotinsucht angewendet und damit im Sinne einer Substitution von Zigaretten, die weitere den Körper belastende Stoffe enthalten, krankhafte Beschwerden gelindert und somit positiv beeinflusst werden.

Im Übrigen ist aber nicht zweifelhaft, dass die vom Konsumenten als angenehm empfundenen pharmakologischen Wirkungen des Nikotins beabsichtigt ausgelöst werden. Selbst starke Raucher sollen der Werbeaussage der Klägerin auf die elektrische Zigarette umsteigen können, weil sie dabei die benötigte Menge an Nikotin erhielten. Dies macht deutlich, dass gerade die zielgerichtete Beeinflussung physiologischer Funktionen beabsichtigt ist. Die E-​Zigaretten werden nicht nur wegen des Geschmacks verwendet, vielmehr soll das Verlangen des Verwenders nach Nikotin befriedigt und die vom Nikotinkonsum ausgehende nervenberuhigende und gleichzeitig gehirnanregende Wirkung erzielt werden. Insoweit liegt also eine Zweckbeziehung im Sinne des § 2 Abs. 1 2. Alt. AMG ("um...zu beeinflussen") vor.

Auch aus dem Umstand, dass mit dem Konsum normaler Zigaretten ganz erhebliche Gesundheitsgefahren verbunden sind, diese aber keine Arzneimittel sind, kann nicht im Wege einer Parallelwertung geschlossen werden, dass auch E-​Zigaretten keine Arzneimittel sein können. Denn Tabakerzeugnisse i.S.v. § 3 des vorläufigen Tabakgesetzes sind aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG keine Arzneimittel; diese Ausnahmeregelung legt vielmehr nahe, dass für Tabakerzeugnisse sonst grundsätzlich eine Einstufung als Arzneimittel in Betracht käme, anderenfalls bedürfte einer solchen Regelung nicht.

Handelt es sich somit bei den nikotinhaltigen Liquids für E-​Zigaretten um Arzneimittel, dann kommt es nach der sog. Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG nicht darauf an, ob diese zugleich unter die Begriffsbestimmungen eines Erzeugnisses nach Abs. 3 fallen; daher ist es nicht von Belang, ob es sich bei die streitigen Liquids zugleich um ein den Lebensmitteln zuzuordnendes Genussmittel handelt.

Sind die nikotinhaltigen Liquids somit als Arzneimittel einzuordnen, so ergibt daraus auch, dass die Bestandteile der E-​Zigarette, die zur Aufnahme der Liquids sowie der Verdampfung und Inhalation dienen, als Medizinprodukte i.S.v. § 2 Abs. 3 MPG zu qualifizieren sind. Sie sind dazu bestimmt, Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 AMG zu verabreichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung ist nach § 124a, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO erfolgt.



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