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Landgericht München Urteil vom 17.11.1999 - 20 Ns 465 Js 173158/95 - Keine Verantwortlichkeit des Zugangsproviders für fremde rechtswidrige Inhalte

LG München v. 17.11.1999: Keine Verantwortlichkeit des Zugangsproviders für fremde rechtswidrige Inhalte


Das Landgericht München (Urteil vom 17.11.1999 - 20 Ns 465 Js 173158/95) hat entschieden:
Nach § 5 Abs. 3 TDG ist ein Diensteanbieter für fremde Inhalte, zu denen er lediglich den Zugang zur Nutzung vermittelt, nicht verantwortlich. Dem Diensteanbieter, der lediglich zu fremden Inhalten durchleitet, ohne auf sie Einfluss nehmen zu können, obliegt es nicht, für diese Inhalte einzutreten.




Siehe auch Internet-Service-Provider (ISP) und Betreiberhaftung


Tatbestand:

Der Angeklagte war als Geschäftsführer der CompuServe GmbH, einer 100%igen Tochtergesellschaft der amerikanischen CompuServe Inc., für die Bereitstellung von Einwählknoten zuständig, mittels derer den in Deutschland ansässigen Kunden der CompuServe Inc. der Zugang zur Nutzung von Inhalten auf in den USA installierten Servern vermittelt wurde. Für die deutschen Nutzer bestand dabei sowohl die Möglichkeit des Zugangs zum Internet als auch der Nutzung CompuServe Inc.-eigener und fremder Inhalte auf den Servern der CompuServe Inc. Für ihre Tätigkeit erhielt die CompuServe GmbH ein Entgelt in Höhe von 31 % der Einnahmen, die die Muttergesellschaft aus dem durch sie betreuten Geschäftsbereich erwirtschaftete. Im Zuge einer am 22.11.1995 durchgeführten Durchsuchung der GmbH-Geschäftsräume aufgrund des dringenden Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften wurde dem Angeklagten mitgeteilt, dass auf dem Newsserver der amerikanischen Muttergesellschaft unter fünf Newsgroups kinderpornographische Darstellungen abrufbar seien. Diese Newsgroups wurden ihm genannt. Daraufhin übermittelte der Angeklagte unverzüglich die Namen der betroffenen Newsgroups an die Muttergesellschaft mit der Bitte um Sperrung der Newsgroups, die allein durch CompuServe Inc. vorgenommen werden konnte, da sie ihm selbst technisch nicht möglich war. Es wurden daraufhin die fünf Newsgroups dauerhaft gesperrt; schon am 29.11.1995 konnte auf die Dateien kein Zugriff mehr erfolgen. Weiterhin wurde dem Angeklagten am 8.12.1995 durch die Ermittlungsbehörden eine 282 Newsgroups umfassende Liste mit dem Hinweis übergeben, dass es sich hierbei um jugendgefährdende Inhalte handele. Die Liste enthielt auch die bereits gesperrten fünf Newsgroups, weil sie bereits vor der Durchsuchung erstellt worden war. Auch diese Liste wurde vom Angeklagten unmittelbar an die Muttergesellschaft mit der Bitte um Sperrung weitergeleitet, der nach einer Bedenkzeit weitgehend entsprochen wurde. Erst nachdem CompuServe Inc. seinen deutschen Kunden unentgeltlich die "Kinderschutz-Software" "Cyber Patrol" zur Verfügung stellen konnte, wurden die gesperrten Newsgroups der 282er Liste am 13.2.1996 wieder entsperrt. Die zuvor genannten fünf Newsgroups mit kinderpornographischen Inhalten blieben gesperrt. Anlässlich der Wiedereröffnung der Newsgroups wurde seitens der Verteidigung durch Schriftsatz vom 21.2.1996 klargestellt, dass die kostenlose Kinderschutz-Software der CompuServe Inc. lediglich Kinder und Jugendliche vom Zugriff auf ansonsten zulässige Pornographie abhalten solle; über die Strafbarkeit der Verbreitung verbotener harter Pornographie bestand kein Zweifel. In der Folgezeit gelang es den Ermittlungsbehörden im Zuge ihrer auch weiterhin intensiven Überprüfungen der CompuServe Inc.–eigenen Servern in den USA, insgesamt 13 dort abgelegte News-Artikel mit kinder-, tier- und gewaltpornographischen Inhalten über die Einwählknoten der CompuServe GmbH abzurufen. Dieses war nach den Feststellungen eines amerikanischen Sachverständigen weitgehend deswegen möglich, weil die von CompuServe Inc. angeordneten Sperrmaßnahmen ohne deren Verschulden technisch nicht vollständig griffen oder von den Verfassern der strafbaren Inhalte umgangen wurden.

Der Angeklagte soll weiterhin verabsäumt haben, sich Kenntnis über auf den Servern der CompuServe Inc. gespeicherte Computerspiele zu verschaffen, die durch die Bundesprüfstelle bereits als jugendgefährdende Schriften qualifiziert und im Bundesanzeiger veröffentlicht waren. Diese Spiele waren ebenfalls über die Einwählknoten der CompuServe GmbH für Kinder und Jugendliche abrufbar.

Der Angeklagte wurde am 28.5.1998 vom Amtsgericht München wegen der Verbreitung pornographischer und jugendgefährdender Schriften in 13 rechtlich zusammentreffenden Fällen gemäß §§ 184 Abs. 3 Nr. 2, 11 Abs. 3, 13, 14 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB; 3 Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 3, 21 Abs.1 Nr. 2, Abs. 3 GjS zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt. Dabei ging das Gericht vom bewussten und gewollten Zusammenwirken von Mutter- und Tochtergesellschaft aus, wodurch die Sperrung der eindeutigen Foren pflichtwidrig unterlassen wurde.

Gegen das Urteil legten der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.


Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind begründet; der Angeklagte ist aus tatsächlichen, aber auch aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

I.

Der erstinstanzlich festgestellte Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht wurde vom Angeklagten im wesentlichen nicht bestritten. Allerdings gab der Angeklagte an, er sei ein Gegner der harten Pornographie und habe alles in seiner Macht stehende getan, um deren Verbreitung zu verhindern. Jedoch konnte die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangen, dass CompuServe Inc. auch nach dem 13.2.1996 den Zugang zu den verbotenen Inhalten sperren wollte. Zwar kann der Zugriff auf einzelne Dateien aufgrund technischer Defekte möglich sein, andererseits ließ CompuServe Inc. ihr ursprünglich grundsätzliches Interesse an der Verbreitung harter Pornographie verlauten, indem darauf hingewiesen wurde, dass die Sperrung solange aufrechterhalten bleiben solle, bis die Ermittlungen der deutschen Behörden abgeschlossen seien. Es ist aber klar, dass die Verbreitung und Veröffentlichung harter Pornographie, unabhängig vom Ermittlungsergebnis im konkreten Fall, immer strafbar ist.

II.

Aufgrund der Feststellungen des AG kann die Kammer mittäterschaftliches Handeln des Angeklagten nicht feststellen. Mittäter kann er schon deswegen nicht sein, da er als Geschäftsführer der CompuServe GmbH seiner Muttergesellschaft völlig untergeordnet war. Insoweit fehlte ihm die Tatherrschaft, so dass lediglich Beihilfe in Betracht kommen kann. Als solche könnte gewertet werden, dass der Angeklagte nach dem 13.2.1996 nicht die komplette Sperrung der Verbindung zur Muttergesellschaft veranlasste, ferner, dass er nach diesem Zeitpunkt nicht erneut bei der Muttergesellschaft vorstellig wurde, um die Sperrung der Dateien zu fordern. Letztere Möglichkeit entfällt schon aufgrund mangelnder Ursächlichkeit. Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass CompuServe Inc. dem Wunsch des Angeklagten nicht entsprochen und die Sperrung unterlassen hätte. Hinsichtlich des weiteren Aufrechterhaltens der Verbindungen zur Muttergesellschaft trifft den Angeklagten keine rechtliche Pflicht zur Veranlassung einer Sperrung; die Annahme einer Garantenstellung ist in der vorliegenden Fallkonstellation nicht begründbar.


III.

Die Strafbarkeit des Angeklagten scheidet bezüglich § 184 StGB auch mangels Vorsatzes aus. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ihm die Verbreitung der in Rede stehenden Inhalte nach dem 13.2.1996 bekannt war, kann ihm nicht nachgewiesen werden, dass er dieses tatsächlich gewollt hat. Vielmehr wurden sämtliche Foren, darunter auch die 282 von der Polizei übergebenen, durch ihn an die Muttergesellschaft zur Sperrung weitergeleitet. Dieses Vorgehen des Angeklagten beweist, dass er diesbezüglich nicht mit dem Handeln der Muttergesellschaft einverstanden war. Gegenüber der Ermittlungsbehörde legte er darüber hinaus erneut dar, dass ihm weiterreichende Maßnahmen bis auf das kostenlose Installationsangebot zum Jugendschutz schlicht nicht möglich waren.


IV.

Der Angeklagte ist jedoch auch aufgrund § 5 Abs. 3 TDG freizusprechen. Entgegen der herrschenden Auffassung vertritt die Kammer die Auffassung, dass die Bestimmungen des TDG keine Filterfunktion haben. Eine solche ist dem deutschen Strafrecht fremd. Selbst unter Berücksichtigung der Überlegungen seitens des Gesetzgebers ist nicht anzunehmen, dass er durch ein Nebengesetz den klassischen Aufbau des Strafrechts habe ändern wollen. Im übrigen kann der Wille des Gesetzgebers auch nicht entscheidend sein. Die objektive Theorie, dem sich das Gericht anschließt, berücksichtigt nur in geringem Maße den Willen des Gesetzgebers; vielmehr ist die Auslegung anhand des Gesetzeswortlauts vorzunehmen. Da die Bestimmungen des TDG Begriffe wie "Kenntnis" und "Verantwortlichkeit" enthalten, ist eindeutig der Hinweis auf die Schuldfrage gegeben.

Nach § 5 Abs. 3 TDG ist ein Diensteanbieter für fremde Inhalte, zu denen er lediglich den Zugang zur Nutzung vermittelt, nicht verantwortlich. Dem Diensteanbieter, der lediglich zu fremden Inhalten durchleitet, ohne auf sie Einfluss nehmen zu können, obliegt es nicht, für diese Inhalte einzutreten. Diese weitgehenste Verantwortlichkeitsbegrenzung kommt dem Angeklagten zugute. Die Bedenken des AG hinsichtlich des Umstandes, dass die CompuServe GmbH keinen eigenen Kundenstamm unterhält und die daraus abgeleitete Nichtanwendung des § 5 Abs. 3 TDG kann nicht geteilt werden. Es ist im Gesetz an keiner Stelle niedergelegt, dass die Norm nur auf Zugangsanbieter mit eigenen Kunden anzuwenden sei. Vielmehr übt der Zugangsanbieter mit oder ohne eigene Kunden dieselbe Tätigkeit aus, so dass die rechtliche Bewertung nicht von dieser Frage abhängig gemacht werden kann.


V.

Bezüglich des fahrlässigen Verstoßes gegen § 21 GjS ist die Kammer der Auffassung, dass dem Angeklagten kein Vorwurf einer Fahrlässigkeit gemacht werden kann. Die Sorgfaltspflicht wäre überspannt, wolle man vom Angeklagten verlangen, dass er nicht nur den Bundesanzeiger, sondern auch die zahlreichen, mehr als 1.000 Spiele ständig kontrolliert, um den Zugang zu solchen Spielen zu verhindern. Im übrigen kommt dem Angeklagten auch in diesem Falle § 5 Abs. 3 TDG zugute.



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