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Landgericht Hamburg Urteil vom 18.07.2006 - 324 O 116/06 - Zur Haftung des Betreibers eines Internetforums

LG Hamburg v. 18.07.2006: Zur Haftung des Betreibers eines Internetforums


Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 18.07.2006 - 324 O 116/06) hat entschieden:

  1.  Grundsätzlich ist der Herr eines Massenmediums für dessen gesamten Inhalt haftungsrechtlich einzustehen hat, unabhängig davon, ob es sich um eigene Inhalte handelt oder um lediglich verbreitete Inhalte Dritter. Der Betreiber eines Forums ist in dieser Funktion als dessen „Herr“ anzusehen.

  2.  Wie sich aus § 6 Abs. 2 MDStV ergeben mag, trifft den Betreiber eines Internetforums zwar keine Pflicht zu generellen „Eingangskontrolle“ der in sein Forum eingestellten Beiträge; eine Pflicht zur Überwachung des Forums besteht aber jedenfalls dann, wenn der Forumsbetreiber Anlass zu der Befürchtung haben muss, dass es dort zu Rechtsverletzungen kommen wird und ihm hiervon ausgehend eine Überwachung zumutbar ist.




Siehe auch
Forum - Störerhaftung des Forenbetreibers
und
Stichwörter zum Thema Störer- und Betreiberhaftung


Zum Sachverhalt:


Die Parteien stritten um den Bestand einer einstweiligen Verfügung, mit der dem Antragsgegner Äußerungsverbote auferlegt worden sind.

Die Antragstellerin zu 1.) ist Herausgeberin des „NC Business & Lifestyle Magazins“, das sich mit Themen aus der Vertriebsbranche befasst. Der Antragsgegner betreibt unter der Internetadresse „www.m..de“ das Internetforum „M. Forum“, das sich mit der Bewertung von Werbung in Gestalt von „Affiliate Programmen“ befasst. In einem nicht redaktionell bearbeiteten, offen zugänglichen Teil dieses Forums verbreitete ab dem 28.1.2006 ein Autor unter dem Pseudonym „e.“ in einem Thread mit dem Titel „Das Schweigen der Lämmer“ verschiedene Beiträge, die sich mit der Antragstellerin zu 1.) befassen; dies zog Wortbeiträge anderer Forumsteilnehmer nach sich:

Am 28.2006, 23:18 Uhr, veröffentlichte „e.“ einen Beitrag, in dem er für die Antragstellerin bzw. die beteiligten Personen (noch) Phantasienamen verwendete, u.a. die Namen „Familie R.“ und „D.Sch.“. Darin heißt es in Bezug auf die Antragstellerin zu 1.):

   „Als sich für unsere Verschwörer die Gelegenheit bot und … endlich das Opfer denunziert werden konnte …. Es wurde ein tiefer Schlag – weit unter die Gürtellinie …. … Es spricht nichts gegen ein wenig Filz, auch eine Marketingkampagne in Form eines Magazins ist eine tolle Idee, aber Rufmord darf nicht zum Geschäft gehöre.“

In Reaktion hierauf äußerte sich der Autor „PG“ wie folgt:
   „Äußerst interessant […], nur leider bin ich immer noch viel zu blond [sic], um die Personen in diesem Beitrag zu er/ kennen […]“

Daraufhin schaltete sich der Antragsgegner mit folgendem Beitrag in das Forum ein:

   „Die Namen kapiere ich auch nicht, war wohl noch vor meiner Zeit. (Vielleicht hat einer mal die Zeit auch mich mal aufzuklären) Da der E. eine Wegwerfemail benutzt hat, nehme ich an das sein Profil auch nicht stimmen wird.“

In den folgenden Beiträgen spekulierten verschiedene Autoren darüber, welche Personen in dem Ausgangsbeitrag des Autoren „e.“ gemeint sein könnten, wobei auch die Namen der Antragsteller fielen.

Sodann meldete sich am 30.1.2006, um 16:53 Uhr, wieder der Autor „e.“ mit einem Beitrag zu Wort. Darin heißt es:

   „Es wurde sehr viel geschrieben und noch mehr geredet in den letzten Stunden. […] Fakt ist: NC ist nicht unabhängig und nicht immer ehrlich […].“

Daraufhin entstanden im Forum weitere Spekulationen über die wahren Identitäten der von „e.“ erwähnten Personen.

Schließlich verfasste „e.“ am 30.1.2006, um 20:35 Uhr, einen weiteren Forums-Beitrag, in dem es heißt:

   „[…] Es ist nun sicher an der Zeit, mehr Licht in diese Angelegenheit zu bringen. […]


   Familie R.: Dragan und Rosemarie M. D., N.N.. ca. 50% NC Magazin
D.Sch.: Debora L. und an Ihrer Seite Ihr Lebensgefährte Michael L.,Z.. ca. 25% am NC Magazin […]“


Die Antragstellerin zu 1.) hat – unter Rücknahme des Antrags im Übrigen – gegen den Antragsgegner am 22.3.2006 eine einstweilige Verbotsverfügung der Kammer mit folgendem Inhalt erwirkt:

  1.  Es wird dem Antragsgegner im Verhältnis zur Antragstellerin zu 1. verboten, folgende Forumsbeiträge insbesondere in dem Forum „M. Forum“ unter der Domain „m..de“ zu veröffentlichen und zu verbreiten:

  a.  „NC ist nicht unabhängig und nicht immer ehrlich…“

  b.  „Als sich für unsere Verschwörer die Gelegenheit bot und … endlich das Opfer denunziert werden konnte …. Es wurde ein tiefer Schlag – weit unter die Gürtellinie …. … Es spricht nichts gegen ein wenig Filz, auch eine Marketingskampagne in Form eines Magazins ist eine tolle Idee, aber Rufmord darf nicht zum Geschäft gehöre.“

  c.  „Familie R.: Dragan und Rosemarie M. D., N.N.“ (besitzen) „ca. 50 % NC Magazin. D.Sch.: Deborah L. und an ihrer Seite Ihr Lebensgefährte Michael L., Z.“ (besitzt) „ca. 25 % am NC Magazin“.



Dagegen hat der Antragsgegner Widerspruch erhoben. Er behauptete, die angegriffenen Äußerungen seien auch in einem Forum der Antragsteller verbreitet worden, nämlich unter der Internetadresse „www.NC.biz“. Er sei seit dem 15.2.2006 nicht mehr Inhaber des Forums „m..de“. Ob überhaupt Prüfpflichten seinerseits bestanden hätten, sei angesichts von § 8 Abs. 2 TDG zweifelhaft. Jedenfalls habe er alles Erdenkliche getan, um einer etwaigen Pflicht zur Verhinderung rechtswidriger Beiträge in seinem Forum gerecht zu werden. Zur Veröffentlichung von Beiträgen in seinem Forum sei es immer notwendig gewesen, sich mit einem Profil zu identifizieren. Aus dem Profil des Autoren „e.“, das öffentlich zugänglich gewesen sei, habe sich dessen wahre Identität ergeben. Auf den Beitrag von „e.“ vom 28.1.2006 könne es nicht ankommen, da darin nur Fantasienamen genannt worden seien. Nachdem „e.“ in seinen beiden Forumsbeiträgen vom 30.1.2006 u.a. die Namen der Antragsteller aufgedeckt hatte, habe er – der Antragsgegner – noch am gleichen Abend diese Artikel gelöscht und zu Beweiszwecken die verbleibenden 37 Beiträge der anderen User in einen nicht-öffentlichen Bereich des Forums verschoben. Ferner habe er auf Aufforderung der Antragsteller die Daten von „e.“ gespeichert, insbesondere dessen IP-Nummer. Hilfsweise berief sich der Antragsgegner darauf, die Äußerungen zu Lit. a.) und b.) seien Meinungsäußerungen, die jedenfalls in einem nicht-gewerblichen Forum wie dem seinen zulässig seien. Hinsichtlich der Tatsachenbehauptung zu Lit. c.) sei nicht ersichtlich, wie diese ehrverletzend sein könne.

Der Antragsgegner beantragte Aufhebung der Verfügung.

Im Hauptverfahren beantragte die Antragstellerin die Aufrechterhaltung der Verfügung.

Die Einstweilige Verfügung wurde vom Gericht bestätigt.


Aus den Entscheidungsgründen:


"I.) Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen. Der Antragstellerin zu 1.) stehen auch nach dem Ergebnis der Widerspruchsverhandlung gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog Unterlassungsansprüche hinsichtlich der aus der einstweiligen Verfügung vom 22.3.2006 ersichtlichen Äußerungen zu.

1.) Diese Äußerungen verletzen das allgemeine Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin zu 1.).

Die Aussage, die Antragstellerin zu 1.) sei „nicht unabhängig“ (Ziffer 1.a der einstweiligen Verfügung) ist eine Meinungsäußerung, denn sie ist jedenfalls angesichts ihrer Substanzarmut den Mitteln der Beweisführung nicht zugänglich. Gleichwohl ist diese Äußerung von Art. 5 Abs. 1 GG nicht gedeckt, denn sie ist in Ermangelung jeglichen Vortrags über Anknüpfungstatsachen, die den Vorwurf der Unabhängigkeit stützen könnten, als unzulässige Schmähkritik (vgl. zu diesem Begriff: BGH, NJW 1987, 1398; Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn. 20.9; Hans. OLG, NJW 2000, 1292 f.) anzusehen.

Soweit der Antragstellerin zu 1.) in der Äußerung zu Ziffer 1.a.) der einstweiligen Verfügung ferner vorgeworfen wird, sie sei „nicht immer ehrlich“, ist darin die innere Tatsachenbehauptung der (bewussten) Lüge ihrer Mitarbeiter enthalten. Für die Wahrheit dieser Behauptung hat der Antragsgegner nichts vorgetragen.

Die Meinungsäußerungen zu Ziffer 1.b.) der einstweiligen Verfügung („Verschwörer“ sowie die Vorwürfe der Denunziation, des „Filzes“ und des Rufmordes) sind wiederum in Ermangelung jeglicher Anknüpfungstatsachen als unzulässige Schmähkritik anzusehen. Von diesen Äußerungen ist die Antragstellerin zu 1.) auch betroffen. Spätestens nach dem Forumseintrag des Autoren „e.“ vom 30.1.2006, 16:53 Uhr, in dem dieser erstmalig den Namen „NC“ nannte, war für jeden Rezipienten nachvollziehbar, dass auch schon der (ehemals) anonymisierte Beitrag vom 28.1.2006 auf die Antragstellerin zu 1.) bezogen war.




Die Tatsachenbehauptung zu Ziffer 1.c.) der einstweiligen Verfügung sind unstreitig unwahr. Dies führt jedenfalls deshalb zu einer Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts der Antragstellerin zu 1.), weil die Eigentumsverhältnisse zu den zentralen Bestandsdaten eines Unternehmens zählen.

2.) Der Antragsgegner ist für die geltend gemachten Unterlassungsansprüche passivlegitimiert.

a.) Dies gilt vorliegend schon deshalb, weil er sich die angegriffenen Äußerungen durch seinen eigenen Forumsbeitrag zu Eigen gemacht hat. Seine ausdrückliche Aufforderung, ihn über die (wahren) Namen der von „e.“ erwähnten Personen aufzuklären, ließ sich vom objektiven Empfängerhorizont des Durchschnittslesers nur so verstehen, dass er um einen entsprechenden Eintrag in seinem Forum bitte. Da ein solcher Eintrag – jedenfalls bis zu seiner etwaigen Löschung – zwangsläufig nicht nur vom Antragsgegner, sondern auch von allen anderen Forumsteilnehmern zur Kenntnis genommen werden konnte, gab der Antragsgegner durch diese Aufforderung zu erkennen, dass er sich die etwaige Antwort unbesehen als eigene zurechnen lassen wolle.

b.) Darauf kommt es aber schon gar nicht an, denn der Antragsgegner haftet auch als Verbreiter der angegriffenen Äußerungen. Auszugehen ist insoweit von dem – aus §§ 186 StGB, 824 BGB abgeleiteten – allgemeinen medienrechtlichen Grundsatz, dass der Herr eines Massenmediums für dessen gesamten Inhalt haftungsrechtlich einzustehen hat, unabhängig davon, ob es sich um eigene Inhalte handelt oder um lediglich verbreitete Inhalte Dritter (vgl. dazu: Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn. 16.10 ff.). Der Antragsgegner war in seiner damaligen Funktion als Betreiber des „M. Forums“ in diesem Sinne als dessen „Herr“ anzusehen.

Eine Einschränkung dieses Grundsatzes ist vorliegend nicht geboten. Die Haftungsprivilegien gemäß §§ 7 ff. MDStV, 9 ff. TDG gelten für den Unterlassungsanspruch nicht (für §§ 9 ff. TDG: BGH, GRUR 2004, 860, 862 f.). Auch für sonstige Begrenzungen der Haftung von Forumsbetreibern ist vorliegend kein Raum. Wie sich aus § 6 Abs. 2 MDStV ergeben mag, trifft den Betreiber eines Internetforums zwar keine Pflicht zu generellen „Eingangskontrolle“ der in sein Forum eingestellten Beiträge; eine Pflicht zur Überwachung des Forums besteht aber jedenfalls dann, wenn der Forumsbetreiber Anlass zu der Befürchtung haben muss, dass es dort zu Rechtsverletzungen kommen wird und ihm hiervon ausgehend eine Überwachung zumutbar ist. Vorliegend musste dem Antragsgegner bereits angesichts des ersten Beitrags des Autoren „e.“ – der ihm, dem Antragsgegner, spätestens zum Zeitpunkt seines eigenen Beitrags vom 29.1.2006, 00:16 Uhr, bekannt wurde – klar sein, dass erhebliche Persönlichkeitsverletzungen zu Lasten Dritter drohten, insbesondere wegen der in diesem Beitrag enthaltenen Vorwürfe der Denunziation und des Rufmordes. Hiervon ausgehend war ihm eine Überwachung des Forums schon deshalb zumutbar, weil er sich ohnehin an der dortigen Diskussion persönlich beteiligte. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner in seinem Forum die Verwendung von Pseudonymen zuließ, was vorhersehbar für die Diskussionsteilnehmer die Hemmschwelle zur Begehung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen herabsetzte. Darauf, dass die Nutzerprofile öffentlich zugänglich waren, kann sich der Antragsgegner schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil er in seinem Forumsbeitrag selbst erklärte, dass das Profil von „e.“ wohl nicht stimme. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner in seinem Forum Werbung schaltete (vgl. Anlage Ast. 3) und ihm eine Überwachung auch deshalb in gesteigertem Maße zumutbar war.



Ob der Antragsgegner unmittelbar nach Aufdecken der wahren Identitäten der erwähnten Personen durch „e.“ den Thread mit den angegriffenen Äußerungen in einen nicht-öffentlichen Bereich verschob, ist unerheblich, denn durch diese nachträglich Maßnahme konnte er seiner Sorgfaltspflicht jedenfalls deshalb nicht mehr rückwirkend genügen, weil er zuvor im Forum selbst explizit dazu aufgefordert hatte, die wahren Namen der beteiligten Personen öffentlich aufzudecken, was dann ja auch geschah. Wäre es ihm darum gegangen, in Ausübung seiner journalistischen Sorgfalt die Wahrheit der von „e.“ aufgestellten Behauptungen zu überprüfen, hätte er dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit tun können.

3.) Die den Unterlassungsanspruch auslösende Wiederholungsgefahr ist durch die rechtswidrige Erstbegehung indiziert.

An das Entfallen einer einmal bestehenden Wiederholungsgefahr sind strenge Anforderungen zu stellen. Im Regelfall ist nur die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung geeignet, die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen (vgl. hierzu: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rn. 12.17 ff.). Das bloße Löschen oder Verschieben der inkriminierten Äußerungen oder auch die Aufgabe des Mediums, über das diese Äußerungen verbreitet wurden, reichen hierfür nicht aus.

4.) Umstände, aufgrund derer das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zu 1.) an den begehrten Verboten entfallen sein könnte, sind nicht ersichtlich. Hierzu muss nicht vertieft werden, unter welchen Umständen das eigene Verbreiten von Äußerungen zum Wegfall diesbezüglich bestehender Unterlassungsansprüche führen kann, denn der Antragsgegner ist dem Vortrag der Antragstellerin zu 1.) wonach nicht sie, sondern die Firma „NC Media Ltd.“ die Seite „www.NC.biz“ betreibe und die angegriffenen Äußerungen in deren Forum anonym veröffentlicht und sogleich nach Kenntnisnahme wieder gelöscht worden seien, nicht substantiiert entgegen getreten. ..."

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