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Landgericht Stendal Urteil vom 23.01.2007 - 22 S 138/06 - Annahme eines Fernsabsatzvertrags bei Internetpräsenz mit Faxabschluss

LG Stendal v. 23.01.2007: Annahme eines Fernsabsatzvertrags bei Internetpräsenz mit Faxabschluss


Das Landgericht Stendal (Urteil vom 23.01.2007 - 22 S 138/06) hat entschieden:

  1.  Neu- und Gebrauchtfahrzeuge können Gegenstand eines Fernabsatzvertrages sein, wie sich unmittelbar aus dem Normenbefund der §§ 312b Abs. 1, 3, 312d Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt.

  2.  Der bewiesene Sachverhalt - gelegentlich Waren über die Internetplattform anzubieten und anschließend durch Faxschreiben zu bestätigen - ist für die Anwendung der Regelungen über Fernabsatzverträge ausreichend.

  3.  Dass sich der durch das Fernabsatzrecht geschützte Kunde seines Rechtes auf Besichtigung der Ware vor Abschluss des Vertrages - sei es aus Bequemlichkeit oder aus Unwissenheit - begibt, begründet für sich genommen noch nicht den Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens.




Siehe auch
Fernabsatzgeschäfte - Vertragsabschluss durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln
und
Stichwörter zum Thema Widerrufsrecht


Zum Sachverhalt:


Die Parteien stritten um Rückgewähransprüche aus einem gescheiterten Kraftfahrzeugkauf, gegen welche die Beklagte mit pauschalierten Schadensersatzansprüchen aufgerechnet hat.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Burg nach einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Hierzu hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf des Vertrages durch den Kläger sei ins Leere gegangen, weil es sich aufgrund der Angaben der Zeugen nicht um einen Fernabsatzvertrag gehandelt habe. In bezug auf die von dem Kläger gerügten Mängel an der Frontscheibe, am Lack und an der Innenausstattung sei der Kläger durch die Beklagte nicht arglistig getäuscht worden. Den Forderungen des Klägers könne die Beklagte daher ihre Ansprüche aufgrund der mangelnden Abnahme in Form des pauschalierten Schadensersatzes und der aufgewandten Rechtsanwaltskosten entgegensetzen.




Dagegen richtete sich die Berufung des Klägers, mit welcher er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend vortrug, entgegen der Rechtsauffassung und Beweiswürdigung des Amtsgerichtes sei er berechtigt gewesen, den Vertrag zu widerrufen, weil es sich um einen Fernabsatzvertrag gehandelt habe. Die Beklagte sei auf den Fernabsatz eingestellt, wie auch ein von ihm nachträglich vorgenommener Testkauf über einen Bekannten gezeigt habe. Die Beklagte habe nicht beweisen können, dass sie nicht ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem unterhalte.

Der Kläger hat beantragt,

   das am 14. September 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Burg - 3 C 1668/05 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.052,94 € nebst 5%-Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. August 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die

   Zurückweisung der Berufung und für den Fall des Unterliegens die Zulassung der Revision

beantragt.

Unter Verteidigung des amtsgerichtlichen Urteils sowie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens trug sie ergänzend vor, ein Fernabsatzvertrag sei zwischen den Parteien nicht geschlossen worden. Geschäfte unter dem ausschließlichen Einsatz von Fernkommunikationsmitteln stellten eine absolute Ausnahme in ihrem täglichen Geschäft dar. Die zugestandenen 20 Fernabsatzverkäufe seien geringfügig. Insbesondere unterhalte sie auch nicht eine für ein Fernabsatzgeschäft typische „Hotline“, sondern lediglich eine nach dem Gesetz notwendige „Infoline“. Der streitbefangene Vertrag sei daher nicht unter standardisierten Bedingungen abgeschlossen worden. Im Zuge des Vertragsabschlusses seien auch fernmündlich und -schriftlich individuelle Absprachen und Vereinbarungen getroffen worden. Der Kläger habe anlässlich der versuchten Übergabe des Kraftfahrzeuges auch zahlreiche Nachbesserungswünsche angemeldet. Ebenso sei jeder Kraftfahrzeugkauf individuell zu betrachten. Die Art des Vertragsschlusses habe zudem dem ausdrücklichen Wunsch des Klägers entsprochen. Das Berufen auf einen Fernabsatzvertrag sei rechtsmissbräuchlich. Der von dem Kläger veranlasste Testkauf sei zum einen prozessual verspätet und zum anderen auch ein rechtsmissbräuchliches Angriffsmittel. Selbstverständlich habe für den Kläger auch die Möglichkeit bestanden, sich das Kraftfahrzeug anzusehen. Er habe es auch persönlich abgeholt. An dem Kraftfahrzeug hätten lediglich normale Gebrauchsspuren bestanden. Anderes sei dem Kläger auch nicht zugesichert oder verschwiegen worden. Insbesondere habe der Zeuge Z1 den Riss in der Frontscheibe lediglich übersehen und nicht etwa verschwiegen oder Zusicherungen „ins Blaue hinein“ gemacht. Die Aussage des Zeugen Z2 sei in diesem Punkt substanzarm. Ebenso könne aus der Aussage der Zeugen Z2 nicht geschlossen werden, dass der Vertrag zwischen den Parteien aufgelöst worden sei. Es habe sich um den subjektiven Eindruck des Zeugen gehandelt. Die Beweisaufnahme habe eindeutig ergeben, dass dem Kläger ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss übersandt worden seien. Die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung, so dass die Revision zuzulassen sei.

Die Berufung des Klägers hatte im wesentlichen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Das Urteil des Amtsgerichtes beruht auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung nach § 546 ZPO, so dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Zu Recht macht der Kläger geltend, dass er gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.000,00 € gemäß §§ 433, 312 b Abs. 1, 312 d Abs. 1, 355, 357 Abs. 1, 346 ff BGB; Art. 229 § 5 EGBGB in der Fassung nach dem 01. Januar 2002 hat.

Entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichtes ist festzustellen, dass die Beklagte in Hinblick auf den streitbefangenen Kaufvertrag gemäß § 312 b Abs. 1 BGB den Regelungen über Fernabsatzverträge unterworfen gewesen ist.

Bei dem streitgegenständlichen Kaufvertrag handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag, weil die Beklagte als gewerbliche Unternehmerin im Sinne des § 14 BGB mit dem Kläger als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB einen Vertrag über die Lieferung einer Ware mit den Mitteln des Fernabsatzes im Sinne des § 312b Abs. 2 BGB geschlossen hat. Insbesondere können auch Neu- und Gebrauchtfahrzeuge Gegenstand eines Fernabsatzvertrages sein, wie sich unmittelbar aus dem Normenbefund der §§ 312b Abs. 1, 3, 312d Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt. Denn ein Kraftfahrzeug mag zwar ein individueller Kaufgegenstand sein. Er ist aber regelmäßig im Wesentlichen nicht nach der Kundenspezifikation angefertigt oder allein auf dessen individuelle Bedürfnisse zugeschnitten, da er grundsätzlich - und so auch hier - anderweitig ohne nennenswerten Verlust infolge individueller Kundenwünsche abgesetzt werden kann (vgl. Grüneberg in: Palandt, BGB, 65. A., § 312d, Rdnr 9).

Eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist - wobei die Beweislast bei der Beklagten liegt - nur dann ausgeschlossen, wenn ein Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Letzteres aber ist nur der Fall, wenn der ein Ladengeschäft unterhaltender Anbieter keinerlei organisatorische Maßnahmen für einen Absatz im Wege von Fernabsatzverträgen trifft, sondern allenfalls gelegentlich im Rahmen seines Ladengeschäfts telefonisch Bestellungen annimmt und ausführt (vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB 65. A., § 312 b Rdnr. 11). Wird hingegen ein Absatz der Waren insbesondere auch durch eine Präsentation im Internet vorgenommen, so sind die Regelungen über Fernabsatzverträge uneingeschränkt anwendbar (Heinrichs in: Palandt, a.a.O.). Bedient sich daher ein gewerblicher Anbieter einer Internet-Plattform zum Absatz seiner Waren, muss er einem Verbraucher ein Widerrufs- und Rückgaberecht einräumen und den Verbraucher hierüber im Rahmen seines Angebots belehren (vgl. LG Memmingen, NJW 2004, 2389 ff).

Gemessen daran hat die vom Amtsgericht durchgeführte Beweisaufnahme den hinreichend sicheren Schluss für das Bestehen eines Fernabsatzvertrages nicht erschüttert.

Denn vorliegend ist der Vertragsschluss aufgrund der Anpreisungen der Beklagten über die Internetplattform „mobile.de“ in Form einer „invitatio ad offerendum“ eingeleitet und sodann dadurch begründet worden, dass der Kläger, ohne dass er zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug körperlich besichtigt hatte, mittels eines Faxschreibens der Beklagten ein Kaufangebot unterbreitet hat, welches die Beklagte ihrerseits durch ein Faxschreiben angenommen hat. Den der Beklagten danach obliegenden Beweis, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist, hat sie aufgrund der Beweisaufnahme nicht erbracht.

Gemäß § 286 ZPO kann das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung eine Behauptung dann als bewiesen ansehen, wenn es von der Wahrheit überzeugt ist. Hierfür genügt - da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und die Möglichkeit des Gegenteils nie gänzlich auszuschließen ist - ein für das Leben praktischer Grad an Gewissheit, ein für einen vernünftigen, den Lebenssachverhalt klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. u.a. BGHZ 53, 245, [256]; BGHZ 61, 169).

Unter Berücksichtigung dessen ist das Fehlen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems nicht anzunehmen. Denn der Zeuge Z3 hat im Rahmen seiner Vernehmung bestätigt, dass die Beklagte pro Jahr ungefähr 10 bis 20 Kraftfahrzeuge nach den beim Kläger zur Anwendung gekommenen Modus verkauft. Hiermit im Zusammenhang stehend und die Angaben des Zeugen Z3 stützend steht die Aussage des Zeugen Z1, dass eine Bestellung per Fax zwar vorkomme, aber - seiner Ansicht nach - extrem selten sei. Damit ist der durch die Zeugen bewiesene Sachverhalt - gelegentlich Waren über die Internetplattform anzubieten und anschließend durch Faxschreiben zu bestätigen - für die Anwendung der Regelungen über Fernabsatzverträge auf die Beklagte ausreichend (vgl. zur ähnlichen Fallkonstellation LG Memmingen, NJW 2004, 2389 ff). Denn auch in einem solchen Falle, wie dem zu entscheidenden, ergibt sich die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers aus der „Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produktes“ (vgl. BGH, NJW 2004, 3699).




Dem stehen auch die weiteren Einwände der Beklagten dahingehend, dass fernmündlich und schriftlich individuelle Absprachen und Vereinbarungen getroffen worden seien, der Kläger Nachbesserungswünsche angemeldet habe und jeder Kraftfahrzeugkauf individuell sei, nicht entgegen. Denn auf die von der Beklagten schriftsätzlich herausgestellte umfassende Standardisierung kommt es nach Maßgabe der obigen Ausführungen nur in dem von der Kammer festgelegten Umfang an.

Auch die Tatsache, dass die Art des Vertragsschlusses dem ausdrücklichen Wunsch des Klägers entsprochen hat, führt nicht dazu, dass sein Berufen auf einen Fernabsatzvertrag als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB zu bewerten wäre. Dass sich der durch das Fernabsatzrecht geschützte Kunde seines Rechtes auf Besichtigung der Ware vor Abschluss des Vertrages - sei es aus Bequemlichkeit oder aus Unwissenheit - begibt, begründet für sich genommen noch nicht den Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn aus seinem Verhalten auf das bewusste Herbeiführen einer Rechtsausnutzungssituation geschlossen werden könnte, wofür im Streitfall indes keine zureichenden Anknüpfungstatsachen bestehen.

Der Verkauf des streitbefangenen Fahrzeuges über das Internet und anschließende Faxschreiben stellt daher einen Fernabsatzvertrag gemäß § 312 b Abs. 1 BGB dar. Damit hat Kläger als Verbraucher grundsätzlich ein Widerrufs- oder Rückgaberecht gemäß § 312 d Abs. 1 BGB.

Über dieses Recht ist der Kläger indes von der Beklagten nicht belehrt worden, so dass das Widerrufsrecht erst 6 Monate nach Vertragsschluss gemäß § 355 Abs. 3 BGB erlöschen konnte. Aufgrund des nochmals mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26. August 2005 erklärten Rücktritts ist der am 02. August 2005 geschlossene Kaufvertrag wirksam und fristgerecht widerrufen worden. Daher kann es dahin stehen, ob die Beklagte den Zugang des privatschriftlichen Widerrufes des Klägers vom 11. August 2005 trotz des vorgelegten Auslieferungsbeleges ausreichend bestritten hat, weil jedenfalls der zweite Widerruf der Klägers rechtzeitig erfolgt und der Beklagten zugegangen ist.



Nach § 346 Abs. 1 BGB hat die Beklagte daher die von dem Kläger erhaltene Anzahlung von 3.000,00 € an diesen herauszugeben.

Hinsichtlich der weiteren An- und Abmeldekosten sowie der Kosten der Rücksendung des Kraftfahrzeugbriefes an die Beklagte hat der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten gemäß §§ 357 Abs. 3 BGB. ... (wird ausgeführt).

...

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 ZPO, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat sowie die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes nicht erfordert. Eine grundsätzliche, rechtsfortbildende oder rechtssichernde Bedeutung ergibt sich nicht daraus, dass für die konkrete Fallkonstellation noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vorliegt. Dieses wäre nur dann von Belang, wenn divergierende Entscheidungen unterschiedlicher Instanzgerichte vorliegen würden, was indes nicht der Fall ist. Fernerhin bleibt durch die Rechtsanwendung der Kammer der fernmündliche oder -schriftliche Erwerb eines Kraftfahrzeuges entgegen der Meinung der Beklagten rechtlich und tatsächlich möglich, da dieser Vertrag unschwer nach Maßgabe des Fernabsatzvertrages abgeschlossen werden kann. ..."

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