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Finanzgericht Düsseldorf Beschluss vom 10.06.2011 - 5 V 3555/10 A(H(U) - Umsatzsteuerkarussell - "Briefkastenfirma" bzw. "Strohfirma" als Rechnungsaussteller

FG Düsseldorf v. 10.06.2011: Umsatzsteuerkarussell - "Briefkastenfirma" bzw. "Strohfirma" als Rechnungsaussteller




Das Finanzgericht Düsseldorf (Beschluss vom 10.06.2011 - 5 V 3555/10 A(H(U)) hat entschieden:

  1.  Der Abzug der in der Rechnung einer GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuer als Vorsteuer ist nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat (hier: kein Vorsteuerabzug bei in den Rechnungen angegebenen Anschriften, die sich als Büroserviceanschriften herausstellten, welche von den Firmen tatsächlich nicht genutzt wurden).

  2.  Eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine "Strohfirma" charakteristisch ist, ist nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. von Art. 1 Nr. 1 der 13. Richtlinie 86/560/EWG anzusehen (Anschluss an EuGH-Urteil vom 28.06.2007 C-73/06).

  3.  Ein Unternehmer, der seine Obliegenheit verletzt, sich über die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu vergewissern, genießt keinen Vertrauensschutz und kann sich nicht auf einen guten Glauben berufen (hier: keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids gegen einen GmbH-Geschäftsführer nach §§ 69, 71 AO im Zusammenhang mit der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen bei Beteiligung an einer künstlichen Lieferkette (Umsatzsteuerkarussell) im Bereich des Handels mit Emissions-Zertifikaten).




Siehe auch
Scheinsitz - Scheinwohnsitz - Briefkastenfirma - oder Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung?
und
Stichwörter zum Thema Gesellschaftsrecht und Onlinehandel


Gründe:


I.

Der Antragsteller ist Kommanditist der Firma A und alleiniger Gesellschafter-​Geschäftsführer der Komplementärin, der Firma B. Die Firma A ist seit .... im Emissionshandel tätig.

Im Rahmen eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens unter Leitung der Generalstaatsanwaltschaft C gegen verschiedene im Emissionshandel tätige Unternehmen wurde auch gegenüber dem Antragsteller der Vorwurf erhoben, vorsätzlich an einem sogenannten Umsatzsteuerkarussell teilgenommen zu haben, um Umsatzsteuern zu hinterziehen.

Das an den Ermittlungen beteiligte Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung - Steufa -​ traf zu den Umsatzsteuervoranmeldungen Oktober 2009 bis Februar 2010 der A u. a. folgende Feststellungen:

Die Firma sei seit .... in Handelsgeschäfte mit Emissionsberechtigungen eingebunden. Die bisherigen Ermittlungen hätten ergeben, dass sie Teil einer geschlossenen Handelskette sei, die seit Juni 2009 aus dem Ausland gespeist werde und innerhalb kürzester Zeit große Pakete von Emissionszertifikaten durchhandele.

Nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz - UStG - werde die Übertragung von Emissionszertifikaten als sonstige Leistung im Sinne des § 3 a Abs. 4 Nr. 1 UStG behandelt. Sofern der unternehmerisch tätige Leistungsempfänger seinen Sitz im Inland habe, seien diese Leistungen umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Bei Leistungen ausländischer Unternehmer an inländische Unternehmer sei § 13 b UStG einschlägig, wonach der inländische Importeur grundsätzlich die Umsatzsteuer auf die von ihm bezogene Leistung schulde, gleichzeitig aber einen entsprechenden Vorsteueranspruch habe, so dass im Ergebnis der Bezug der Emissionszertifikate aus dem Ausland keine Umsatzsteuerzahllast mit sich bringe. Der Weiterverkauf der Zertifikate im Inland sei wiederum umsatzsteuerpflichtig, d. h., der Importeur müsse seinem Vertragspartner eine Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellen und die Umsatzsteuer an das zuständige Finanzamt abführen. Zu Beginn der Kette würden die Emissionszertifikate durch Gesellschaften im Bundesgebiet von natürlichen Personen oder Gesellschaften aus dem Ausland bezogen, die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen in den Tatplan der Betreiber des Umsatzsteuerkettenbetrugs zumindest eingeweiht seien. Die Gesellschaften, die die Zertifikate nach Deutschland importierten und an inländische Gesellschaften weiter veräußerten (die sogenannten Missing Trader), gäben auf Grund gemeinsamen Tatplans der Beschuldigten entgegen ihrer dahingehenden Verpflichtung keine Umsatzsteuererklärung ab, stellten jedoch Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer an die Abnehmer der Zertifikate im Inland (die sogenannten Buffer) aus, die diese gegenüber der Finanzverwaltung im Falle einer Prüfung zur Geltendmachung von Vorsteuer verwendeten. Die innerhalb der Handelsketten eingeschalteten Buffer dienten auf Grund gemeinsamen Tatbeschlusses der Beschuldigten zur Verschleierung der Umsatzsteuerbetrugskette. Es seien in der Regel steuerlich unauffällig wirkende Unternehmen, die auf den ersten Blick ihren steuerlichen Erklärungs- und Zahlungsverpflichtungen nachkämen. Aus den Umsatzsteuervoranmeldungen dieser Unternehmen komme es regelmäßig zu einer geringen Umsatzsteuerzahllast. Die Buffer veräußerten die in der Betrugskette gehandelten Gegenstände an Gesellschaften, die die Zertifikate am Ende der Kette wieder in das europäische Ausland exportierten (die sogenannten Distributoren). Diese erhielten aus dem Geschäft hohe, scheinbar rechtmäßige Vorsteuererstattungsansprüche ohne Umsatzsteuerzahllast gegen den Fiskus, die den Organisatoren der Handelskette zu Gute kämen oder zum erneuten Erwerb von Zertifikaten im Ausland verwendet würden. Durch große Handelsvolumina und einer hohen Handelsfrequenz seien bereits Umsatzsteuern in dreistelliger Millionenhöhe hinterzogen worden. Diese Handelsketten dienten keinem anderen wirtschaftlichen Zweck als der Hinterziehung von Umsatzsteuern durch die an den Handelsketten Beteiligten. Die Gesellschaften, welche die Handelsketten bildeten, würden grundsätzlich nur zum Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung gegründet. Nach derzeitigen Erkenntnissen sei der Antragsteller mit der von ihm geführten Firma in den Kettenbetrug verwickelt. Die A fungiere innerhalb der Handelskette als Buffer. Es lägen die Angaben des deutschen CO²-​Registers vor. Hiernach sei zu erkennen, dass die handelnde Firma A nicht im Register als Account Holder zu verzeichnen sei, sondern die „Mutter“-​Firma B. Eine genaue Zuordnung erfolge nach Abschluss des Verfahrens. Die A habe für die Monate Oktober 2009 bis Februar 2010 insgesamt Umsätze aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten über xxx € erklärt. Diese stammten aus der Weiterberechnung der von anderen inländischen Gesellschaften erworbenen Zertifikate, die in den Monaten Oktober 2009 bis Februar 2010 zu einem entsprechenden Vorsteuerabzug führten.

Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen liege hier nur eine für Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung planmäßig aufgebaute Lieferkette vor. Weder habe die A Umsätze im Sinne des UStG getätigt noch würden Umsätze von der/den ihr vorgeschalteten Gesellschaft/en an sie ausgeführt. Aus diesem Grunde stehe der A kein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG aus für den Erwerb der Emissionszertifikate ausgestellten Eingangsrechnungen zu. Sie schulde jedoch die in ihren Ausgangsrechnungen offen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 c UStG. Die A nehme die Rolle eines sogenannten „Buffers“ ein. Rechnungsmäßig erwerbe sie die Emissionsberechtigungen bei den Firmen

   - E, ...
- F, ...
- G
- H, ...

Die Emissionsberechtigungen würden weitergehandelt an die Firmen

   - I
- J
- K, ...

Den Firmen I sowie J ermögliche die A den Vorsteuerabzug.

Nach den bisherigen Ermittlungen liege hier offenkundig eine planmäßig hintereinander geschaltete Lieferkette mit dem Ziel des Umsatzsteuerbetruges vor. Aus diesem Grunde seien die Umsätze gemäß Urteil des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - vom 12.01.2006, C-​354/03, C-​355/03, C-​484/03 keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 14 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie - MwStSystRL -​. Daraus folge, dass den beteiligten Firmen der Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen nicht zustehe (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.04.2007 V R 48/04, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2009, 315). Ob die Beteiligten mit ihren Gesellschaften neben dem Handel mit Emissionsberechtigungen noch andere Geschäfte ausgeführt hätten, die laut dem Urteil des EuGH vom 12.01.2006 Umsätze im Sinne der MwStSystRL darstellten, könne dahinstehen; die in den Rechnungen über den Handel mit Emissionszertifikaten ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge würden jedenfalls nach § 14 c Abs. 2 UStG geschuldet. Die Vorsteuerkürzung betrage für

   Oktober 2009 - ... €
November 2009 ... €
Dezember 2009 ... €
Januar 2010 ... €
Februar 2010 ... €
Summe ... €

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Zwischenbericht der Steufa vom ....2010 verwiesen.

Der Antragsgegner folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ jeweils unter dem ... 2010 bzw. ... 2010 (für Februar 2010) geänderte Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Oktober 2009 bis Februar 2010, die in der Summe zu einer Nachforderung von ... € führten.

Unter dem ... 2010 nahm der Antragsgegner den Antragsteller hinsichtlich dieser Umsatzsteuerschulden bis zur Höhe von ... € als Kommanditisten und Geschäftsführer der Komplementär-​GmbH der A in Haftung.

Zur Begründung führte der Antragsgegner aus:

Die Inanspruchnahme im Wege der Haftung erfolge auf der Grundlage des § 191 Abgabenordnung - AO - in Verbindung mit § 71 AO. Durch die Abgabe inhaltlich falscher Umsatzsteuervoranmeldungen habe der Antragsteller den Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht. Er sei seit dem .... gesetzlicher Vertreter der Steuerschuldnerin und damit verantwortliche Person im Sinne des § 34 AO. Auf Grund dieser Stellung sei der Antragsteller verpflichtet gewesen, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Bezüglich der aufgeführten Umsatzsteuerrückstände sei ausweislich des beigefügten Zwischenberichts der Steufa vom ....2010 der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Die Inanspruchnahme des Antragstellers sei auch ermessensgerecht. Bei einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung sei die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers als Haftungsschuldner regelmäßig gerechtfertigt. Im Übrigen seien sämtliche Vollstreckungsversuche bei der Steuerschuldnerin erfolglos geblieben. Zur Sicherung der Ansprüche sei es geboten, sofort einen Haftungsbescheid über einen kleinen Teilbetrag zu erlassen. Weil wegen der Dringlichkeit bisher kein rechtliches Gehör habe gewährt werden können, sei die Haftungsinanspruchnahme auf einen geringen Teilbetrag beschränkt worden. Eine weitergehende Haftungsinanspruchnahme werde jedoch ausdrücklich vorbehalten.

Über den dagegen eingelegten Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat er mit Schreiben vom ... 2010 abgelehnt und im Einzelnen begründet, auf Grund welcher Umstände der Antragsgegner von der Einbindung des Antragstellers in einen vorsätzlichen Umsatzsteuerbetrug ausgeht. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Antragsgegners vom ... 2010 Bezug genommen.

Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Antragsteller Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht. Er trägt vor:

Der Vorwurf einer Steuerhinterziehung gegenüber dem Antragsteller sei falsch, weil der Antragsgegner das Vorliegen eines Umsatzsteuerkarussells und das Vorliegen von Scheinsitzen der Lieferanten der A nur pauschal behaupte und nicht - wie erforderlich - substantiiert dargelegt und nachgewiesen habe. Selbst bei Unterstellung eines Steuerkarussells habe der Antragsteller jedenfalls keine Kenntnis davon gehabt bzw. hätte auch keine Kenntnis davon haben müssen oder können. Der Antragsgegner habe dafür keine konkreten Umstände dargelegt und das Kennenmüssen noch nicht einmal ausdrücklich behauptet.

Der Antragsgegner habe lediglich vorläufige Ergebnisse der Steufa pauschal, ohne eigene Sach- und Rechtsprüfung übernommen. Dies sei unzulässig. Insoweit fehle dem Haftungsbescheid bereits die nach § 121 Abs. 1 AO erforderliche Begründung. Diese habe der Antragsgegner auch nicht durch seine Antragsablehnung vom ... 2010 nachgeholt. Abgesehen davon, dass eine Nachholung der Begründung grundsätzlich abzulehnen sei, reichten die dortigen Ausführungen des Antragsgegners nicht aus, um eine Steuerhinterziehung nachzuweisen. Insbesondere fehle jede Auseinandersetzung mit dem subjektiven Tatbestand, dem Vorsatz. Der Antragsgegner verlagere unzulässigerweise die endgültige Aufklärung des Sachverhalts auf das Finanzgericht.

Hinsichtlich der Begründungsfragmente des Antragsgegners gelte Folgendes:

Der Antragsgegner habe nicht substantiiert dargelegt und nachgewiesen, dass Scheingeschäfte vorlägen. Gegen Scheingeschäfte spreche im Übrigen der Umstand, dass Hauptabnehmer der Zertifikate auf dem Markt die L Bank sei. Soweit die Lieferstränge bei der L Bank oder auch anderen Banken ende, spreche bereits die allgemeine Lebenserfahrung gegen betrugsbehaftete Lieferstränge. Darüber hinaus belegten die vorliegenden An- und Verkaufsrechnungen sowie deren Eintragung im Emissionsregister, dass die Geschäfte tatsächlich stattgefunden hätten. Auch der vom Antragsgegner zur Begründung von Scheingeschäften herangezogene Umstand eines enorm schnellen Durchhandelns der Zertifikate reiche nicht aus. Zum einen sei schnelles Handeln marktüblich und damit nicht ungewöhnlich. Zum anderen sei auch dieser Vortrag ohne Angabe der konkreten Lieferung unsubstantiiert.

Der Verweis des Antragsgegners auf einen wirtschaftlich unsinnigen Umweg des Verkaufs an die Firma I anstelle einer unmittelbaren Lieferung an die L Bank sei ebenfalls untauglich, um das Vorliegen von Scheingeschäften zu begründen. Der Kontakt der A mit der L Bank sei nicht zustande gekommen, weil die A zu unbedeutend gewesen sei.

Die A sei auch kein Scheinunternehmen mit einem Scheinsitz, sondern ein real existierendes Unternehmen mit wirtschaftlicher Geschäftstätigkeit und Geschäftsräumen.

Der erstmalige Vortrag des Antragsgegners in der Antragsablehnung vom ... 2010, dass die Lieferanten der A, die Firmen F, H, J, E und I als Missing Trader einzustufen seien, die lediglich Scheinsitze unterhalten hätten, sei ebenfalls lückenhaft und damit unzureichend.

Der Antragsgegner habe keine objektiven Umstände benannt, aus denen sich eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen des Antragstellers um einen Umsatzsteuerbetrug in den Liefersträngen ergebe. Der Antragsteller habe im Gegenteil alles Erforderliche getan, um eine Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrug auszuschließen. Er habe sich bei den An- und Verkäufen an den jeweils aktuellen Börsenkursen orientiert. Der Antragsgegner habe noch nicht einmal behauptet, dass der Antragsteller besonders preisgünstige Zertifikate erworben habe. Der Verweis des Antragsgegners auf fehlende Branchenkenntnisse des Antragstellers zur Begründung eines „Erkennen-​Könnens“ des Umsatzsteuerbetrugs verfange ebenfalls nicht. Einerseits habe sich der Antragsteller die für den Emissionshandel erforderlichen Kenntnisse durch Selbststudium angeeignet, andererseits habe er sich durch die Beauftragung des M die erforderlichen Branchenkenntnisse herangezogen.




Desweiteren habe der Antragsteller versierten rechtlichen und steuerrechtlichen Beistand durch Herrn Rechtsanwalt/Steuerberater N eingeholt, selbst nach Unternehmensgründung eine Umsatzsteuersonderprüfung zur Erlangung einer Steuernummer für die A beantragt und Umsatzsteuervoranmeldungen unter Beifügung der An- und Verkaufsrechnungen abgegeben. All dies spreche gegen eine Bösgläubigkeit des Antragstellers. Umgekehrt wäre es unter diesen Umständen die Pflicht des Antragsgegners gewesen, gegebenenfalls bei den ihm vom Antragsteller offenbarten Geschäftspartnern der A eine Umsatzsteuernachschau durchzuführen, um den Markt vor solchen Teilnehmern zu schützen.

Der Antragsteller habe auch nicht nur und gezielt mit betrügerischen Geschäftspartnern Geschäftskontakte gepflegt. So habe er den unmittelbaren Geschäftskontakt mit den Banken gesucht und beispielsweise auch Geschäftsbeziehungen mit den Firmen O, P und Q unterhalten, die von den Ermittlungsbehörden nicht als Betrugsfirmen benannt worden seien.

Der Antragsteller habe außerdem ein EDV-​System zur Überprüfung eines Mehrfachhandels der Zertifikate in Auftrag gegeben. Allein der Umstand, dass dieses System noch nicht installiert gewesen sei, könne ihm nicht vorgehalten werden. Denn auch die L Bank mit umfangreichen Kompetenzen und Sicherungssystemen sei einem - behaupteten - Umsatzsteuerbetrug aufgesessen. Im Übrigen dürften die Anforderungen an einen Unternehmer auch nicht überspannt werden. Eine Kontrolle sei auf Grund der Vielzahl von gehandelten Zertifikaten organisatorisch fast nicht machbar.

Schließlich sei die Gutgläubigkeit des Antragstellers auch nicht durch den allgemeinen Hinweis des Antragsgegners an den Antragsteller in der Umsatzsteuernachschau vom ....2009 auf die Betrugsbelastung des Emissionshandels entfallen. Wäre dies richtig, könnte die Finanzverwaltung durch ein allgemeines Schreiben an die Steuerpflichtigen diesen stets die Gutgläubigkeit nehmen, obwohl nahezu jede Branche potenziell vom Umsatzsteuerbetrug belastet sei. Umgekehrt sei sowohl dem Gesetzgeber als auch der Verwaltung vorzuhalten, entsprechende Gegenmaßnahmen unterlassen zu haben.

Der Haftungsbescheid sei auch wegen unbilliger Härte auszusetzen. Bereits die Größenordnung der hier vollstreckbaren Umsatzsteuerschuld belege, dass bei einer Vollstreckung die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers zerstört werde.

Zur Leistung einer Sicherheit sei der Antragsteller nicht in der Lage. Von einer Sicherheitsleistung sei auch deshalb abzusehen, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestünden.

Der Antragsteller beantragt,

   die Vollziehung des Haftungsbescheides vom ... 2010 wegen Steuerschulden der A ohne Sicherheitsleistung auszusetzen,

hilfsweise,

die Beschwerde zum BFH zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

   den Antrag abzulehnen,

hilfsweise,

eine Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

Er trägt unter Verweis auf die Stellungnahme der Steufa vom ... 2010 nebst Anlagen vor:

Der Antragsteller habe sowohl den Haftungstatbestand des § 71 AO als auch den des § 69 AO erfüllt.

Die A sei in dem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell in der ersten von insgesamt drei Lieferketten als sogenannter Buffer eingebunden. Sie habe die Emmissionsberechtigungen u. a. von den Firmen E und H erworben und u. a. an die Firma I veräußert, die sie dann an die L Bank weiter veräußert habe. Die A habe dabei in einem durch einen begrenzten Personen- und Firmenkreis geschaffenen, in sich abgeschlossenen, künstlich inszenierten Markt agiert. Der Antragsgegner verweist insoweit beispielhaft auf ein Schaubild, in dem dargestellt sei, dass dieselben Zertifikate bis zu 18mal durch die Kette gehandelt worden seien und dabei über die B dreimal durchgelaufen seien.

Im Rahmen der Durchsuchung und weiterer strafprozessualer Maßnahmen seien im großen Umfang Unterlagen, insbesondere Daten aus Computern, Chat-​Protokollen, E-​Mail Accounts, Geräte- und Kartenspeichern von Mobiltelefonen und so genannten Taschencomputern und Gesprächsprotokolle aus der Telefonüberwachung gesichert worden. Diese Unterlagen belegten, dass Tatplan und Absprachen sowie die Installierung der Teilnehmer am Umsatzsteuerbetrug bereits vor dem Zeitpunkt der Aufnahme der fingierten Geschäftsbeziehungen lägen.

Zunächst sei auffällig, dass die Beteiligten Firmen immer wieder kurzfristig ausgetauscht würden, die dahinter stehenden handelnden Personen, die zudem - so auch im Streitfall - verwandtschaftlich verbunden seien, jedoch identisch blieben.()

Die Gelder aus den Zertifikatsverkäufen seien über ausländische Konten ins Ausland verbracht worden. Beispielhaft werde auf eine Eingangsrechnung der H vom ... 2010 verwiesen, in der angewiesen sei, dass die Zahlung an die ... Bank, ..., auf das Konto der ..., eines Vorlieferanten der H, geleistet werden solle. Dies belege die künstliche Lieferkette.

Die angeblichen Lieferanten der A, die F, die E und die H, seien jeweils Missing Trader, die unter den Rechnungsanschriften keinen Geschäftssitz unterhalten hätten. Bei der H handele es sich darüber hinaus um ein nicht existentes Unternehmen. Unter der vorgeblichen Adresse gebe es keine Firma, nicht einmal einen Büroservice. Die Firma sei bereits in 2006 aus dem Gewerberegister gelöscht worden. Seit 2007 gebe es kein deutsches Bankkonto. Der Anschlussinhaber der in den Rechnungen angegebenen Telefonnummer sei eine Person in C, ... Straße .... Diese Person sei in C nicht gemeldet, die Hausnummer ... existiere nicht, da die Straße etwa bei Hausnummer XX ende.

Im Verhältnis zur angeblichen Abnehmerin der Lieferung, der I, seien Differenzen zwischen Rechnungen und Transaktionen im CO²-​Register festgestellt worden. So seien unter dem ... 2010 berechnete Transaktionen laut Transaktionskonto erst am ... 2010 „gehandelt“ worden. Weitere am ... 2010 berechnete Transaktionen seien im Transaktionskonto für das angebliche Transfer Date nicht enthalten.

Auffällig sei weiter, dass die A als gerade neu gegründetes Unternehmen von Anfang an Millionenumsätze erzielt habe.

Der Antragsteller habe Kenntnis von sämtlichen Preisabsprachen, Handlungsvorgängen und Verhaltensmustern in der Kette der Vorlieferanten und Abnehmer gehabt. Er habe auch zumindest hinsichtlich einiger Vorlieferanten und Abnehmer gewusst, dass sie ihren Sitz unter einer Büroserviceanschrift gehabt hätten. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass die L Bank Abnehmer der I gewesen sei. Er habe auch direkte Absprachen mit der L Bank getroffen. Entgegen der Darstellung des Antragstellers belege der nachgewiesene Zeitrahmen von knapp zwei Minuten für die einzelnen Transaktionen, dass die Teilnehmer in der Kette der Lieferanten von Anfang an festgestanden hätten. Nach Auskunft der Registerbehörde dauere allein die technische Durchführung 2 Minuten.

Zum Beweis für die Kenntnis des Antragstellers verweist der Antragsgegner auf die Telefonüberwachungsprotokolle, den E-​Mail-​Verkehr und die festgestellten Zahlungsmodalitäten (z. B. Zahlungen zugunsten fremder Firmen, die nicht Vorlieferanten waren).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei die L Bank im Übrigen nachweislich maßgeblich in den Umsatzsteuerbetrug eingebunden. Gegen diverse Mitarbeiter seien ebenfalls Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen und die vom Antragsgegner vorgelegten Akten Bezug genommen.





II.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Beide Aussetzungsgründe sind im Streitfall nicht gegeben.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH, Beschlüsse vom 25.07.1994, I B 241/93, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1995, 334; vom 08.08.2001, I B 40/01, BFH/NV, 2001, 1536).

Der Senat hat hiernach bei Berücksichtigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, wie er sich nach dem Beteiligtenvortrag und dem Inhalt der Steuerakten darstellt (BFH, Beschluss vom 16.07.2003 IX B 60/03, BStBl - BStBl - II 2003, 945 m. w. N.), keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides. Die vom Antragsteller erhobenen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen zum Einen und gegen die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme zum Anderen greifen nicht durch.

Die gebotene summarische Prüfung anhand der präsenten Beweismittel ergibt, dass der Antragsgegner den Antragsteller zu Recht als Haftungsschuldner sowohl nach § 71 AO als auch nach § 69 AO dem Grunde und der Höhe nach in Anspruch genommen hat.

Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO).

Wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile (§ 71 AO). Den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden.



Nach § 69 AO i. V. mit § 34 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden.

Der Antragsteller hat im Streitfall als Geschäftsführer der Komplementär-​GmbH der A unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, in denen er Vorsteuerbeträge angegeben hat, die in nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen ausgewiesen waren. Er hat sich als verantwortlicher alleiniger Geschäftsführer der Steuerschuldnerin an einer künstlichen Lieferkette (Umsatzsteuerkarussell) im Bereich des Handels mit Emissions-​Zertifikaten beteiligt, die dafür bestimmt war, Umsatzsteuer zu hinterziehen. Das Verhalten des Antragstellers erfüllt zugleich den Haftungstatbestand des § 69 AO, wobei im Rahmen dieser Vorschrift bereits der Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung ausreicht.

Die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug aus den Einkaufsrechnungen liegen nicht vor. Die von den Firmen F, E und H erteilten Rechnungen erfüllen bereits nicht die formellen Anforderungen i. S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 UStG.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach Satz 2 der Vorschrift voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14 a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Dabei trifft den Unternehmer, der den Vorsteuerabzug begehrt und damit einen Anspruch auf Minderung seiner Umsatzsteuerzahlast geltend macht, für das Vorliegen der den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen die Darlegungs- und Feststellungslast (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt etwa BFH, Beschluss vom 06.12.2007 V R 61/05, BStBl II 2008, 695; Urteil vom 19.04.2007 V R 48/04, a. a. O.). Demzufolge ist es seine Sache, entscheidungserhebliche Tatsachen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht, bei der auch die Beweisnähe zu berücksichtigen ist, glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i. V. mit § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Zu den materiell-​rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gehört u. a. eine ordnungsgemäße Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis. Die Angaben im Abrechnungspapier müssen eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein. Hierfür ist die Angabe der zutreffenden Anschrift in der Rechnung erforderlich. Denn diese ermöglicht der Finanzverwaltung im Hinblick auf den Sofortabzug der Vorsteuer zu überprüfen, ob tatsächlich der abrechnende Unternehmer den in der Rechnung ausgewiesenen Umsatz ausgeführt hat (BFH, Urteil vom 30.04.2009 V R 15/07, BStBl II 2009, 744 m. w. N.).

Im Streitfall steht der Steuerschuldnerin der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen o. g. Firmen bereits mangels zutreffender Rechnungsanschrift nicht zu.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Abzug der in der Rechnung einer GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuer nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat. Nach den Umständen des Einzelfalls kann zwar auch ein „Briefkastensitz“ mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft ausreichen; es bedarf deshalb besonderer, detaillierter Feststellungen, um die Annahme eines „Scheinsitzes“ zu rechtfertigen (BFH, Urteil vom 27.06.1996 V R 51/93, BStBl II 1996, 620; Beschluss vom 04.02.2003 V B 81/02, BFH-​NV 2003, 670). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Scheinsitzes liegen z. B. dann vor, wenn am Ort des eingetragenen Firmensitzes keinerlei Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktion, Behördenkontakte und Zahlungsverkehr stattfinden (BFH, Urteil vom 27.06.1996 V R 51/93, a. a. O.; Beschluss vom 31.01.2002 V B 108/01, BStBl II 2004, 622; Urteil vom 19.04.2007 V R 48/04, a. a. O.).

Solche Feststellungen hat die Steufa im Streitfall hinsichtlich oben genannter Firmen getroffen. Die in den Rechnungen der F und der E angegebenen Anschriften waren Büroserviceanschriften, die von den Firmen tatsächlich nicht genutzt wurden. Die H war unter der Rechnungsanschrift nicht ansässig. Es existierte noch nicht einmal ein Büroservice. Die Firma war offensichtlich nicht (mehr) existent. Der Antragsteller hat sich mit diesen vom Antragsgegner mit der Antragserwiderung dargelegten Feststellungen auch nicht (mehr) auseinandergesetzt, obwohl ihn diesbezüglich die Feststellungslast trifft.

Unabhängig davon, dass danach besondere und detaillierte Feststellungen die Annahme eines Scheinsitzes rechtfertigen, folgt der Senat auch den Grundsätzen der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - EuGH -, wonach eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine „Briefkastenfirma“ oder für eine „Strohfirma“ charakteristisch ist, nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. von Art. 1 Nr. 1 der 13. Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17.11.1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (Richtlinie 86/560/EWG) anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 28.06.2007 C - 73/06, Planzer Luxembourg SARL, Umsatzsteuerrundschau - UR - 2007, 654 Rdnr. 62). Der Senat verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auch auf folgende Entscheidungen des BFH, in denen er einen Scheinsitz angenommen hat: Urteil vom 19.04.2007 V R 48/04, a. a. O., dort unter C. 1.; Urteil vom 06.12.2007 V R 61/05, a. a. O; Beschluss vom 26.03.2009 V S 8/07 (PKH), BFH-​NV 2009, 1467; Beschluss vom 05.11.2009 V B 5/09, BFH-​NV 2010, 478.

Der Senat kann zwar nicht feststellen, in welchem Umfang der Vorsteuerabzug auf Eingangsrechnungen der o. g. Firmen entfällt, da dies in den vorliegenden Unterlagen und Akten nicht beziffert wird und die Eingangsrechnungen auch nicht (insgesamt) vorgelegt worden sind. Die Vorsteuer aus den einzelnen von den Beteiligten jeweils exemplarisch vorgelegten Rechnungen übersteigt jedoch in jedem Fall die Haftungssumme von ... €. Allein die als Anlage 16 zur Stellungnahme der Steufa vorgelegte Rechnung der H vom 2010 weist bereits einen höheren Umsatzsteuerbetrag aus. Im Übrigen handelt es sich - nach unwidersprochener Darstellung des Antragsgegners - bei den o. g. Firmen um die Hauptlieferanten der A, so dass davon auszugehen ist, dass die gekürzten Vorsteuerbeträge weitestgehend aus Eingangsrechnungen dieser Firmen resultieren.

Der Antragsteller hat die Pflichtverletzung auch verschuldet. Er hat zumindest grob fahrlässig gehandelt, was für die Haftung nach § 69 AO ausreicht.

Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (Loose in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, § 69 Rdnr. 26).

Der Antragsteller hätte sich nicht einfach auf die Richtigkeit der in den Einkaufsrechnungen angegebenen Anschriften der Unternehmen verlassen dürfen. Denn es besteht eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der in einer Rechnung angegebenen Geschäftsdaten (Anschrift, Firma, Rechtsform usw.) zu vergewissern (BFH, Urteil vom 27.06.1996 V R 51/93, a. a. O.). Die Verpflichtung besteht auch dann, wenn es sich um einen weit entfernten Geschäftssitz des leistenden Unternehmers handelt (BFH, Beschluss vom 01.08.2008 V B 25/08, nicht veröffentlicht, JURIS Dokumentation, vgl. auch Urteil vom 06.12.2007 V R 61/05, a. a. O.; Beschluss vom 26.03.2009 V S 8/07 (PKH), a. a. O.). Dieser Verpflichtung ist der Antragsteller offensichtlich in keiner Weise nachgekommen. Jedenfalls hat er nichts dazu vorgetragen, dass - und ggfs. wie - er sich über die Richtigkeit der Rechnungsangaben vergewissert hat. Soweit der Antragsteller seine Gutgläubigkeit geltend macht, genießt er schon deswegen keinen Vertrauensschutz, weil er in jedem Fall seine Obliegenheit, sich über die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu vergewissern, verletzt und sich schon von daher nicht auf einen guten Glauben berufen kann.

Neben der danach gegebenen Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO im Hinblick auf die unberechtigte Beanspruchung des Vorsteuerabzugs aus Einkaufsrechnungen mit Lieferanten-​Scheinsitzen ist der Haftungsbescheid aber auch wegen Steuerhinterziehung gem. § 71 AO begründet.




Dies ließe sich im Streitfall angesichts der insgesamt von der Steufa festgestellten Umstände allein schon damit bejahen, dass der Antragsteller im Hinblick auf die Einstellung der Einkaufsrechnungen mit Lieferanten-​Scheinsitzen nicht nur grob-​fahrlässig sondern (ggfs. bedingt) vorsätzlich gehandelt hat. Darüber hinaus und unabhängig davon begründet jedoch auch die wissentliche Beteiligung des Antragstellers an einem Umsatzsteuerkarussell dessen Haftung als Steuerhinterzieher.

Im Zusammenhang mit der Versagung des Vorsteuerabzugs im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells gilt nach der Rechtsprechung des BFH Folgendes:

   „Ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, kann auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren.

Der Umstand, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen.

Ob ein Steuerpflichtiger wissen konnte, oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung. Nach den maßgebenden Beweisregeln trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Das gilt grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissen-​Können vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten.“ (Urteil des BFH vom 19.04.2007 V R 48/04, a. a. O.).

Der Vorsteuerabzug ist zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (Urteil des BFH vom 19.05.2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132).

Derartige objektive Umstände sind im Streitfall gegeben.

Der Antragsgegner hat spätestens mit der Antragserwiderung vom ... 2010 und der dieser als Anlage beigefügten Stellungnahme der Steufa vom ... 2010 nebst Anlagen die Voraussetzungen für eine Haftung des Antragstellers sowohl nach § 71 AO als auch nach § 69 AO ausreichend substantiiert dargelegt und nachgewiesen. Die einzelnen Feststellungen der Steufa, die sich der Antragsgegner zu Eigen gemacht hat, belegen hinreichend die Schlussfolgerung, der Antragsteller habe sich wissentlich als „Buffer“ an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt.

Dem Antragsteller ist zwar zuzugestehen, dass die einzelnen von der Steufa festgestellten Umstände, jeweils für sich genommen, möglicherweise nicht ausreichen, um seine wissentliche Einbindung in das Umsatzsteuerkarussell zu belegen. In ihrer Gesamtheit lassen die Feststellungen jedoch keine vernünftigen Zweifel an seiner Beteiligung zu. Allein die Mehrfachdurchläufe der Zertifikate können dem Antragsteller nicht verborgen geblieben sein und hätten einen ordentlichen Kaufmann misstrauisch gemacht (vgl. insoweit BFH, Urteil vom 19.05.2010 XI R 78/07, a. a. O.). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller bereits zu Beginn seiner Tätigkeit bei der Umsatzsteuernachschau durch den Antragsgegner auf die besondere Betrugsanfälligkeit der Branche hingewiesen worden ist. Darüber hinaus hat der Antragsgegner exemplarisch nachgewiesen, dass Zahlungen nicht an den angeblichen Lieferanten, sondern auf ausländische Konten von Vorlieferanten erfolgten, dass der Antragsteller ausweislich von Telefonüberwachungsprotokollen Kenntnis von so genannten Leerverkäufen und von den Geschäften der I hatte. Er hat des Weiteren durch Telefonüberwachungsprotokolle nachgewiesen, dass ein direkter Kontakt zur L Bank bestand. Hinzu kommen weitere Umstände, wie fehlende Branchenkenntnisse des Antragstellers, sich gleichwohl explosionsartig steigernde Umsätze, die oben schon dargelegten Scheinsitze bzw. die Scheinexistenz der angeblichen Lieferanten, vorgegebene Lieferwege und Preisabsprachen. Der Antragsteller hat sich mit diesen Feststellungen der Steufa nicht (mehr) auseinandergesetzt. Seine mit der Antragsschrift vorgebrachten Einwendungen gegen seine Bösgläubigkeit bzw. für seine Gutgläubigkeit sind danach teilweise unzutreffend und insgesamt nicht geeignet, die Wahrscheinlichkeit seiner Tatbeteiligung zu erschüttern.



Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers fehlt dem Haftungsbescheid damit auch nicht die nach § 121 Abs. 1 AO erforderliche Begründung. Denn nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO kann die erforderliche Begründung bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Im Hinblick auf § 102 FGO zur gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen ist jedenfalls bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier also der noch ausstehenden Einspruchsentscheidung - eine Nachholung der Begründung zulässig (vgl. von Groll in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Auflage, § 102 Rdnr. 15 ff.). Dies gilt insbesondere auch für die weitere zur Begründung herangezogene Haftungsnorm des § 69 AO (BFH, Urteil vom 08.11.1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657 m. w. N.).

Da auch im Übrigen keine Rechts- und Ermessensfehler erkennbar sind, bzw. auch keine diesbezüglichen Einwendungen erhoben worden sind, kommt eine Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides nicht in Betracht.

Ebenso wenig ist die Aussetzung geboten, weil die Vollziehung des Haftungsbescheides für den Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Der Antragsteller ist zum Einen in keiner Weise seiner ihm obliegenden Pflicht nachgekommen, seine Vermögens- und Liquiditätslage im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen. Zum anderen ist eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte nur vertretbar, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Sind Zweifel - wie hier - fast ausgeschlossen, ist eine Aussetzung der Vollziehung selbst dann nicht zulässig, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (BFH, Beschluss vom 31.08.1987 V B 57/86, BFH/NV 1988, 174).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde war nicht gemäß § 128 Abs. 3 FGO i. V. mit § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch ist zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

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