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Landgericht Dresden Urteil vom 29.05.2020 - 6 O 76/20 - DSGVO-Auskunftsanspruch gegen Krankenhaus

LG Dresden v. 29.05.2020: DSGVO-Auskunftsanspruch gegen Krankenhaus


Das Landgericht Dresden (Urteil vom 29.05.2020 - 6 O 76/20) hat entschieden:

   Einer Patientin steht nach einer stationären Behandlung neben der spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB auch ein Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO gegenüber dem Krankenhausträger zu.




Siehe auch
Streitwert - datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch des Betroffenen
und
Stichwörter zum Thema Datenschut


Tatbestand:


Die Klägerin macht Auskunftsansprüche gegenüber der Beklagten bezüglich einer Behandlung im Krankenhaus der Beklagten durch unentgeltliche Übermittlung der Behandlungsunterlagen im pdf-Format geltend.

Die am ... geborene Klägerin war in stationärer Behandlung bei der Klinik der Beklagten vom 02.10.2019 bis 08.11.2019.

Die Klägerin forderte mit Anwaltsschreiben vom 03.12.2019 unter Verweis auf Art. 15 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; nachfolgen nur: DSGVO) die Beklagte zur unentgeltlichen Auskunft über die bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten auf (Anlage K 2). Dem Anwaltsschreiben war eine Anwaltsvollmacht beigefügt (Anlage B 1). Mit Schreiben vom 05.12.2019 lehnte die Beklagte eine Übersendung ohne Kostenübernahmeerklärung ab (Anlage K 3). Mit weiterem Schreiben vom 09.01.2020 beharrte sie auf dieser Rechtsansicht und verwies darauf, dass eine Übersendung der Unterlagen auf einem Datenträger für 5,90 EUR zuzüglich Versandkosten möglich sei (Anlage B 2).

Die Klägerin trägt vor, dass im Rahmen der stationären Behandlung bei der Beklagten Behandlungsfehler begangen worden seien, die zu einer Beeinträchtigung ihrer Sehfähigkeit geführt hätten. Insoweit geht sie von einem Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 40.000,00 EUR mindestens aus. Ihr stehe der entsprechende Auskunftsanspruch zu. Ein Verweis auf eine Kostenübernahme sei nicht gerechtfertigt. Die Vollmacht umfasse auch die Geltendmachung von Ansprüchen entsprechend Artikel 15 Abs. 3 DSGVO. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch sei daher begründet.

Die Klägerin beantragt:

   Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine unentgeltliche Auskunft über die über die Klägerin bei ihr gespeicherten personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen Behandlungsdokumentation im pdf-Format für den Behandlungszeitraum ab 01.09.2019 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt:

   Klageabweisung.

Der Auskunftsanspruch sei zu unbestimmt. Eine Behandlung sei entgegen dem Antrag nicht schon ab 01.09.2019, sondern erst ab 02.10.2019 erfolgt. Eine ordnungsgemäße Vollmacht zur Geltendmachung von Ansprüchen nach der DSGVO sei dem Anwaltsschreiben vom 03.12.2019 nicht beigefügt gewesen. Die DSGVO sei vorliegend nicht anwendbar. Ein Auskunftsanspruch bestehe daher nur nach § 630 g BGB unter Übernahme der Kosten, wozu sich die Klägerin gerade nicht bereiterklärt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht der Auskunftsanspruch im geltend gemachten Umfang nach Art 15 Abs. 3 DSGVO zu. Der Klägerin steht als Patientin neben der spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB auch ein Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO gegenüber der Beklagten zu. Die Klägerin befand sich vom 02.10.2019 bis 08.11.2019 bei der Beklagten in stationärer Behandlung. Im Rahmen dieser Behandlung sind personenbezogene Daten der Klägerin gespeichert worden. Eine Übersendung der Behandlungsdokumentation ist bisher nicht erfolgt.

1. Der Klägerin steht nach Art 15 Abs. 3 DSGVO ein Anspruch gegen die Beklagte zu. Der Anwendungsbereich der DGSVO ist bei der Speicherung im Rahmen der Gesundheitsbehandlung erhobenen Daten erfüllt. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, für welchen Zweck (hier zivilrechtliche Haftungsansprüche) der Auskunftsanspruch geltend gemacht wird. Art 2 Abs. 2, Buchstabe a) DGSVO schränkt den Anwendungsberich der Verordnung nur insoweit ein, als dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Die Verarbeitung erfolgt im Rahmen der Tätigkeit der Beklagten als Gesundheitsdienstleister, die ausdrücklich in dem Erwägungsgrund (63) der Einleitung des DGSVO genannt sind. Die Anwendbarkeit der DGSVO ist mithin gegeben (vgl. Prof. Dr. Cornelius/Spitz in: Auskunfts- und Einsichtnahmerechte von Patienten im digtitalisierten Gesundheitswesen; GesR 2019, 69ff.).




2. Die Regelung des § 630 g BGB hat nicht Vorrang vor den Bestimmungen des Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Ein Vorrangverhältnis als lex spezialis kann eine Reglung auf nationaler Ebene bezüglich einer europarechtlichen Regelung nicht enthalten. Die DSGVO sieht eine Öffnung für anderslautende nationale Regelungen nicht vor. Mithin ist einem Auskunftsverlangen, welches statt auf § 630 g BGB auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO gestützt wird, vollumfänglich zu entsprechen.

Inwieweit eine vollständige Deckungsgleichheit der beiden Anspruchsgrundlagen im Einzelfall nicht gegeben sein kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung, da unstreitig eine Auskunft bisher nicht erfolgt ist. Es kann daher vorliegend dahingestellt bleiben, inwieweit gegebenenfalls nicht personenbezogene Daten, die ebenfalls in der Behandlungsdokumentation enthalten sind, nicht vom Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst wären (vgl. Prof. Dr. Cornelius/Spitz a.a.O.).

3. Die Beklagte ist vorgerichtlich ordnungsgemäß zur Abgabe der Auskunft aufgefordert worden. Soweit sich die Beklagte darauf bezieht, dass die Vollmacht und Prozessvollmacht (Anlage B 1) keine datenschutzrechtlichen Ansprüche umfasse, kann dem nicht gefolgt werden. Auch von der Beklagten wird nicht in Abrede gestellt, dass Auskunftsansprüche zur Vorbereitung einer etwaigen Haftungsklage von der Prozessvollmacht umfasst sind. Dann aber ist unerheblich auf welche Anspruchsgrundlage diese prozessvorbereitenden Ansprüche gestütz werden.



4. Soweit in vorgerichtlichen Anwaltsschreiben, wie auch im Klageantrag, ein Zeitraum ab 01.09.2019 benannt wird, steht dies der Geltendmachung nicht entgegen. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass eine Behandlung stationär erst im Zeitraum 02.10.2019 bis 08.11.2019 erfolgt ist. Die Benennung eines früheren Zeitpunktes, ab dem die entsprechenden Unterlagen vorgelegt werden sollen, führt damit nicht zur Unbestimmtheit des Auskunftsanspruches selbst.

5. Die Beklagte konnte die Datenübermittlung nicht von der Übernahme von Kosten in Höhe von 5,90 EUR zuzüglich Versandkosten abhängig machen.

Soweit die Klägerin sich auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO zur Begründung ihres Auskunftsanspruchs beruft, ist eine Inanspruchnahme für Kosten der Zusammenstellung und Übersendung der Daten nicht vorgesehen. Die Erstauskunft ist vielmehr kostenfrei. Dem steht nicht entgegen, dass bei einer Anforderung nach § 630g BGB auch für die Erstauskunft eine Kostentragung statuiert ist.

Dass eine Übersendung im pdf-Format nicht möglich ist, wird von der Beklagten nicht eingewandt, im Übrigen handelt es sich bei dem pdf-Format um ein gängiges elektronisches Format im Sinne des Art. 15 Abs. 3 DSGVO.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

8. Die Berufung war zuzulassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind obergerichtlich bisher nicht geklärt und von grundsätzlicher Bedeutung, da sie über die Anwendung im vorliegenden Einzelfall hinausgehen.

Zum Streitwertbeschluss:

Der Streitwert des Verfahrens beträgt 6.000,00 EUR. Ergänzend wird hierzu auf die Ausführungen im Beschluss zur vorläufigen Streitwertfestsetzung vom 03.02.2020 Bezug genommen.

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