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OLG München Urteil vom 02.07.2009 - 29 U 4587/08 - Zu unzulässigen Bonusgewährungen und Gratiszugaben in Apotheken

OLG München v. 02.07.2009: Zu unzulässigen Bonusgewährungen und Gratiszugaben in Apotheken


Das OLG München (Urteil vom 02.07.2009 - 29 U 4587/08) hat entschieden:
  1. Verspricht eine Apotheke für jedes zuzahlungsfreie Generikum, das auf Kassenrezept eingereicht wird, einen Bonus von 2,50 €, so ist das geeignet, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen, und deshalb gemäß § 4 Nr. 1 UWG unlauter (Bestätigung von Senat GRUR-RR 2007, 297 ff. - Geld verdienen auf Rezept).

  2. Verspricht eine Apotheke für jede Medikamentenbestellung eine Gratiszugabe im Wert von 9,30 €, so ist das als Angebot einer unzulässigen Zuwendung gemäß § 7 Abs. 1 HWG i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG unlauter (Bestätigung von Senat GRUR-RR 2007, 297 ff. - Geld verdienen auf Rezept).



Siehe auch Apotheke und Arzneimittelpreise - Medikamentenpreise - Preisbindung - Rabatte


Gründe:

A.

Die Klägerin betreibt eine Apotheke in München.

Die Beklagte ist eine niederländische Kapitalgesellschaft; sie betreibt eine Versandapotheke und unterhält eine Niederlassung in Deutschland. Sie warb im Jahr 2006 im Raum München mit einem Werbezettel, der unter anderem folgenden Text enthielt:
Neu bei [der Beklagten]:

Geld verdienen auf Rezept - mit zuzahlungsfreien Generika

Liebe Kundin, lieber Kunde,

im Rahmen eines neuen Arzneimittel-Gesetzes entfällt seit dem 1. Juli 2006 für viele rezeptpflichtige Generika die gesetzliche Zuzahlung. Somit erhalten Sie diese Medikamente in jeder Apotheke kostenlos. [Die Beklagte] bietet Ihnen mehr!

Für jedes zuzahlungsfreie Generikum, das Sie auf Kassenrezept einreichen, schreiben wir Ihnen einen Sonder-Bonus von 2,50 Euro auf Ihrem persönlichen Treuekonto gut. Sobald Sie 30 Euro angesammelt haben, überweisen wir den Betrag auf Ihr Bankkonto. Sie sparen also nicht nur bei der Zuzahlung, sondern verdienen zudem auf Rezept bares Geld.
Außerdem lobte sie in einem beigefügten anderen Werbezettel für jede Medikamentenbestellung bei ihr als Gratiszugabe das Kosmetikum Venostatin fresh Gel im Wert von 9,30 € (unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers) aus.

Die von der Klägerin deswegen erwirkte einstweilige Verfügung wurde vom Senat bestätigt (vgl. GRUR-RR 2007, 297 ff.- Geld verdienen auf Rezept). Die Klägerin forderte die Beklagte erfolglos zur Abgabe einer Abschlusserklärung auf.

In ihrer am 18. Mai 2007 zugestellten Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass durch das Angebot von Bonuszahlungen der in § 1, § 3 AMPreisV festgelegte Apothekenabgabepreis unterlaufen werde, der auch für den Verkauf von Arzneimitteln durch ausländische Versandapotheken an Kunden in Deutschland gelte und mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Die Gratiszugabe verstoße gegen § 7 Abs. 1 HWG. Die Beklagte sei auch zum Ersatz der Kosten für das Abschlussschreiben verpflichtet.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
  1. der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

    1. Kunden für den Bezug eines zuzahlungsfreien Generikums auf Kassenrezept die Gutschrift eines Sonderbonus von 2,50 € auf einem Treuekonto anzubieten und/oder zu gewähren, insbesondere wenn dies unter der Überschrift Geld verdienen auf Rezept - mit zuzahlungsfreien Generika wie nachfolgend wiedergegeben geschieht:

      [es folgt die Wiedergabe des ersten Werbezettels]


      und/oder

    2. für eine Medikamentenbestellung als Dankeschön eine Gratiszugabe, deren unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers 9,30 € oder mehr beträgt, auszuloben, insbesondere wie nachfolgend wiedergegeben:

      [es folgt die Wiedergabe des zweiten Werbezettels]

  2. [Ordnungsmittelandrohung]

  3. die Beklagte zu verurteilen, an sie den Betrag von 911,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, für den Rechtsstreit seien die Sozialgerichte zuständig und zunächst beantragt, hierüber vorab zu entscheiden. Nachdem das Landgericht und - mit Beschluss vom 16. April 2008 - der Senat den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig erklärt hatten, hat sie beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Arzneimittelpreisverordnung gelte für grenzüberschreitende Sachverhalte wie den streitigen nicht; jedenfalls wäre deren Anwendung gemeinschaftsrechtswidrig. Bei der Gratiszugabe handele es sich um reine Imagewerbung, die von § 7 Abs. 1 HWG nicht erfasst werde.

Mit Urteil vom 13. August 2008 - 1 HK O 8390/07 (juris; NJOZ 2008, 4133 ff.), auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Sonderbonus wegen Verstoßes gegen die Arzneimittelpreisbindung (§ 78 Abs. 2 Satz 2 AMG, § 1, § 3 AMPreisV) und die Gratiszugabe wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 7 Abs. 1 HWG gemäß § 4 Nr. 11 UWG unlauter seien. Der Zahlungsanspruch ergebe sich aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie beruft sich darauf, dass das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 28. Juli 2008 - B 1 KR 4/08 R, juris, davon ausgegangen sei, die Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz seien auf nach Deutschland importierte Fertigarzneimittel nicht anwendbar (BSG, a.a.O., Tz. 23 ff.). Im Übrigen wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug.

Sie beantragt,
das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll des Termins vom 19. März 2009 Bezug genommen.


B.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Insbesondere sind die deutschen Gerichte international zuständig, obwohl die Beklagte eine Gesellschaft niederländischen Rechts ist.

Gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001 Nr. L 12 S. 1, im Folgenden: Brüssel-I-VO) kann eine Person, die ihren Wohnsitz - bei juristischen Personen: ihren satzungsmäßigen Sitz, den Sitz ihrer Hauptverwaltung oder denjenigen ihrer Hauptniederlassung (vgl. Art. 60 Abs. 1 Brüssel-I-VO) - in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichsteht, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Ist eine solche Zuständigkeit begründet, erstreckt sie sich auch auf Unterlassungsansprüche, die aus der behaupteten Verletzung hergeleitet werden (vgl. zum insoweit gleichlautenden Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ BGH GRUR 2007, 871- Wagenfeld-Leuchte Tz. 17 m.w.N.).

Im Streitfall wurden die angegriffenen Werbezettel in Deutschland verteilt. Damit wandte sich die Beklagte an Verbraucher in Deutschland. Sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort liegen damit in Deutschland, so dass die deutschen Gerichte international zuständig sind.

2. Dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig ist, bedarf nach der rechtskräftigen Entscheidung des Senats vom 16. April 2008 hierzu keiner weiteren Erörterung mehr.


II. Auf den Streitfall ist deutsches Wettbewerbsrecht anzuwenden.

1. Der Rechtsstreit ist als wettbewerbsrechtliche und nicht als sozialrechtliche Streitigkeit zu qualifizieren.

Der Vorschrift des § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nach der die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern abschließend durch das Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, geregelt werden, kann nichts anderes entnommen werden, da sie den vorliegenden Sachverhalt nicht betrifft. § 69 SGB V verfolgt das Ziel, die Tätigkeiten der Krankenkassen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags stehen, dem Privatrecht und insbesondere dem Wettbewerbsrecht vollständig zu entziehen. Im Hinblick auf diesen Zweck kann die Vorschrift zwar auch die Beziehungen von Leistungserbringern untereinander erfassen; das ist jedoch nur der Fall, soweit es um Handlungen in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen geht (vgl. BGH NJW-RR 2008, 1426- Kreiskrankenhaus Bad Neustadt Tz. 18 m.w.N.).

Die vorliegend geltend gemachten Ansprüche betreffen auch hinsichtlich des Sonderbonus nicht die in § 31 i.V.m. § 61, § 62 SGB V geregelte Zuzahlungspflicht der Versicherten, sondern Verkaufsförderungsmaßnahmen der Beklagten gegenüber ihren potenziellen Kunden. Streitbefangen sind daher nicht Maßnahmen, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienten (vgl. BGH, a.a.O., - Treuebonus Tz. 14 - 16). Der Anwendungsbereich des § 69 SGB V ist deshalb nicht eröffnet (vgl. OLG Hamburg, Urt.v. 19. Februar 2009 - 3 U 225/06, juris, dort Tz. 64).

2. Trotz des Sitzes der Beklagten in den Niederlanden findet deutsches Recht Anwendung.

Nach dem Marktortprinzip ist deutsches Wettbewerbsrecht anzuwenden, wenn die wettbewerblichen Interessen der Mitbewerber im Inland aufeinander treffen (vgl. BGH GRUR 2007, 245- Schulden Hulp Tz. 11 m.w.N.). Die - im Übrigen zum selben Ergebnis führende - Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. Nr. L 199 S. 40) ist im Streitfall unanwendbar (vgl. Art. 31 der Verordnung).

Dass im Streitfall, in dem sich die Beklagte mit Werbezetteln an Kunden in Deutschland wandte, die wettbewerbsrechtlichen Interessen der Mitbewerber im Inland aufeinander treffen, liegt auf der Hand und bedarf keiner vertieften Erörterung.


II. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zu.

1. Das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs ist nach dem zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht zu beurteilen, im Streitfall also nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 in der seit dem 30. Dezember 2008 geltenden Fassung gemäß dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, S. 2949). Soweit ein Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, besteht er allerdings nur, wenn das beanstandete Verhalten auch schon zur Zeit seiner Begehung wettbewerbswidrig war (vgl. BGH GRUR 2009, 173- bundesligakarten.de Tz. 19 m.w.N.).

Maßgebend ist somit auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der bis zum 29. Dezember 2008 geltenden Fassung; allerdings war mit der Gesetzesänderung zum 30. Dezember 2008 zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. Nr. L 149 S. 22) eine für den Streitfall bedeutsame Änderung des materiellen Regelungsgehalts weder in Bezug auf das Verbot des übertriebenen Anlockens (§ 4 Nr. 1 UWG) noch in Bezug auf das Verbot von Werbegaben (§ 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG) verbunden. Insbesondere steht § 4 Nr. 1 UWG in Übereinstimmung sowohl mit Art. 5 Abs. 2 als auch mit den Art. 8 f. dieser Richtlinie und hat deshalb keine Änderung erfahren (vgl. BT-Drs. 16/10145, S. 18).

2. Das Anbieten oder Gewähren eines Sonderbonus von 2,50 € für den Bezug eines zuzahlungsfreien Generikums auf Kassenrezept ist gemäß § 3, § 8 Abs. 1 UWG als unlautere Wettbewerbshandlung zu unterlassen.

a) Sowohl das Anbieten als auch das Gewähren eines solchen Bonus sind gemäß § 4 Nr. 1 UWG unlauter.

aa) Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer geschäftliche Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Ein derartiger Einfluss liegt vor, wenn er in einer Anlockwirkung besteht, die so groß ist, dass bei einem verständigen Verbraucher ausnahmsweise die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund tritt (vgl. BGH GRUR 2006, 161- Zeitschrift mit Sonnenbrille Tz. 15). Die Schwelle zur Unlauterkeit wird überschritten, wenn der Einfluss ein solches Ausmaß erreicht, dass er die freie Entscheidung des Verbrauchers zu beeinträchtigen vermag (vgl. BGH GRUR 2007, 251- Regenwaldprojekt II Tz. 18 m.w.N.); dabei genügt es, dass die Einflussnahme dazu geeignet ist, also eine gewisse objektive Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Entscheidungsfreiheit in dieser Weise beeinträchtigt wird (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 27. Aufl. 2009, § 4 UWG Rz. 1.8 m.w.N.).

bb) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

(1) Hier wird nicht nur - wie sonst bei Rabattgewährungen - eine vom Kunden zu erbringende Zahlung reduziert, sondern der Kunde erhält ein Geschenk, dem keinerlei eigene Vermögenshingabe gegenübersteht. Das begründet eine - bei gewöhnlichen Rabatten nicht gegebene - Motivation, unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit möglichst viele zuzahlungsfreie Generika bei der Beklagten zu bestellen, um so in den Genuss entsprechend hoher Geldgeschenke zu gelangen.

aaa) Die durch die angegriffene Maßnahme herbeigeführte Anlockwirkung ist unsachlich.

Sie beruht weder auf der bezogenen Ware oder auf mit dem Warenbezug verbundenen Nebenleistungen noch auf der Höhe der dafür - allerdings nicht vom Kunden, sondern dessen gesetzlicher Krankenversicherung - zu erbringenden Gegenleistung. Sie erstreckt sich insbesondere darauf, auch solche Verschreibungen vorzulegen, die medizinisch nicht indiziert sind, weil auch mit diesen Geld verdient werden kann, und verlässt damit den Bereich des Sachbezugs zum geförderten Geschäft. Auch der Umstand, dass das von den Beklagten gewählte Geschäftsmodell einer Versandapotheke für den Kunden Nachteile gegenüber der Inanspruchnahme einer Präsenzapotheke vor Ort mit sich bringt - vorherige Einsendung des Rezepts, mehrtägige Wartezeit -, stellt keine sachliche Rechtfertigung für eine derartige Beeinflussung dar.

Ebenso wenig vermag der Gesichtspunkt des Aufwendungsersatzes den angegriffenen Bonus zu rechtfertigen. Als Aufwendung der Kunden käme allenfalls das Briefporto für die Rezeptzusendung in Betracht. Die Beklagte sendet jedem Kunden auf Bestellung per Telefon oder E-Mail Freiumschläge zu (vgl. Bl. 3 d. Anlage K 31), so dass die Zusendung des Rezepts für den Kunden kostenlos erfolgen kann. Im Übrigen beträgt der Sonderbonus auch bei einer Rezeptzusendung auf Kosten des Kunden ein Mehrfaches des Portos.

bbb) Die Anlockwirkung ist zudem unangemessen.

Sie ist geeignet, zumindest bei einem Teil der Verbraucher die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund zu drängen, weil die in Aussicht gestellten Geldgeschenke - anders als Warengeschenke, die nur bei entsprechendem Bedarf nützlich sind - uneingeschränkt Wert besitzen.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass ein verständiger Verbraucher stets seinen Aufwand mit dem jeweiligen Nutzen abwäge und es deshalb nahezu unvorstellbar sei, dass er mit Wartezeiten und Untersuchungen verbundene Arztbesuche auf sich nehme, nur um in den Genuss des Bonus zu kommen; wer auf diese Weise für seinen Lebensunterhalt sorgen müsse, könne ebenso gut Obdachlosenzeitschriften verkaufen oder Pfandgut auf der Straße einsammeln und zu Geld machen. Abgesehen davon, dass auch diese von der Beklagten angesprochenen Aktivitäten tatsächlich ausgeübt werden, kommt es nicht darauf an, ob dadurch der Lebensunterhalt bestritten werden könnte. Zudem weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass der Zeitaufwand für Versicherte, die wenig oder nichts verdienen, keine wesentliche Rolle spielt.

Da sich die angegriffene Werbung an alle gesetzlich Versicherten unabhängig von ihrer Einkommenssituation wendet, ist der Begriff des verständigen Verbrauchers im Streitfall nicht in der Weise mit einem bestimmten (Durchschnitts-)Einkommen verbunden, dass die Wirkung auf andere Verbraucher unberücksichtigt zu lassen wäre. Auch ist der mit der Erlangung von Verschreibungen verbundene Aufwand nicht so groß, dass er prohibitiv wirkte. Häufig werden Verschreibungen, insbesondere Folgeverschreibungen, auf telefonische Anfrage allein auf Grund von Angaben der Patienten ausgestellt; oftmals kann auch bei einem ohnehin notwendigen Arztbesuch die Verschreibung eines zusätzlichen - von der Beklagten durch den angegriffenen Sonderbonus vergüteten - Arzneimittels auf ähnliche Weise erreicht werden.

Aus diesem Grund kann auch in der Verschreibungspflichtigkeit der Arzneimittel als solcher kein Umstand gesehen werden, der die Anlockwirkung hinreichend mindern würde. Die Versandkosten stellen ebenfalls kein Korrektiv der Anlockwirkung dar, da die Beklagte dem Kunden bei Rezeptbestellungen - und nur bei solchen wird der angegriffene Bonus gewährt - keine solchen Kosten berechnet (vgl. Bl. 3 d. Anlage K 31).

(2) Angesichts der bereits wegen dieser Anlockwirkung bestehenden Unlauterkeit kann auf sich beruhen, inwieweit bei gesetzlichen oder privaten Krankenkassen Versicherte die Interessen der Versicherer wahrzunehmen haben und sich eine unsachliche unangemessene Beeinflussung zusätzlich daraus ergibt, dass der Sonderbonus sie - in der Art einer „Kick-Back „-Zahlung - dazu veranlassen kann, diesen Interessen zuwider zu handeln (vgl. BGH GRUR 2008, 530- Nachlass bei der Selbstbeteiligung Tz. 14; Köhler, a.a.O., § 4 UWG Rz. 1.84; jeweils m.w.N.).

b) Aus demselben Grund ist nicht entscheidungserheblich, dass das Landgericht darin zu Recht auch einen Wettbewerbsverstoß gemäß § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG, § 3 Abs. 1 AMPreisV gesehen hat.

2. Die angegriffene Auslobung einer Gratiszugabe, für die der Hersteller einen Preis von 9,30 € oder mehr empfiehlt, bei jedem Kauf eines Arzneimittels ist ebenfalls unlauter und gemäß § 3, § 8 Abs. 1 UWG zu unterlassen. Die Unlauterkeit der angegriffenen Auslobung einer Warenzugabe ergibt sich aus der spezialgesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG.

a) Nach dieser Vorschrift des Heilmittelwerbegesetzes ist es grundsätzlich unzulässig, bei der Werbung für Arzneimittel Zuwendungen und sonstige Werbegaben anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren. Eine Ausnahme hiervon besteht - soweit für den Streitfall von Bedeutung -lediglich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG für geringwertige Kleinigkeiten.

aa) Das Verbot bezieht sich, wie die Regelung des Anwendungsbereichs des Gesetzes in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG zeigt, auf Werbung für Arzneimittel.

Einbezogen in den Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes ist allerdings nur die produktbezogene Werbung, nicht aber eine allgemeine Firmen-, Unternehmens- oder Imagewerbung, die nur dem Ansehen des Unternehmens allgemein dient (vgl. BGH GRUR 1997, 761 [765]- Politikerschelte; GRUR 1992, 873 - Pharma-Werbespot). Das hierzu aufgestellte Abgrenzungskriterium der Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Arzneimittel (vgl. BGH, a.a.O. - Pharma-Werbespot) ist freilich nur dort tauglich, wo es gilt, Werbung eines Herstellerunternehmens zu beurteilen, weil bei diesem Firmenwerbung immer auch Werbung für seine Erzeugnisse und damit Werbung für die von ihm hergestellten Arzneimittel ist.

Im Zusammenhang mit Händlerwerbung ist die Ansicht, § 7 Abs. 1 HWG untersage unterschiedslos lediglich Zuwendungen mit unmittelbarem Bezug zu einem oder mehreren bestimmten Heilmitteln (vgl. OLG Naumburg GRUR-RR 2006, 336 f.- Einkauf-Gutschein; Gröning, Heilmittelwerberecht, Bd. I, 2. Ergänzungslieferung 2005, § 7 Rz. 11), so dass eine Zuwendung für nur abstrakt, etwa als rezeptfrei beschriebene Arzneimittel nicht erfasst sei (vgl. OLG Düsseldorf WRP 2005, 135 [136]), verschiedentlich verworfen worden. So haben das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Rabattgewährung eines Hörgeräte-Einzelhändlers auf alle bei ihm erhältlichen digitalen Hörsysteme (vgl. OLG Frankfurt GRUR-RR 2005, 393 - Barrabatt für Hörgeräte; vgl. auch GRUR-RR 2007, 299- Dental-Bonusprogramm) und das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg die Werbung eines Augenoptikerunternehmens für dessen gesamtes Brillenfassungssortiment von mehr als 1 500 Fassungen mit bestimmten Kunststoffgläsern in allen Glasstärken und Ausführungen (vgl. OLG Hamburg Urt.v. 7. April 2005 - 3 U 176/04, juris) an § 7 Abs. 1 HWG gemessen.

Die einschränkende Auffassung, auch bei Händlerwerbung unterfielen nur Zuwendungen für bestimmte Heilmittel § 7 Abs. 1 HWG, ist jedenfalls durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2006 - I ZR 145/03- Kunden werben Kunden ( GRUR 2006, 949 ff.) überholt. Darin hat der Bundesgerichtshof die Werbung eines Augenoptikerunternehmens für Gleitsichtgläser ohne Unterscheidung nach Hersteller oder sonstigen konkretisierenden Merkmalen nicht als eine bloße Unternehmenswerbung, sondern um eine den Verboten des Heilmittelwerbegesetzes unterfallende Produktwerbung angesehen (vgl. BGH, a.a.O. - Kunden werben Kunden, Tz. 23).

bb) § 7 Abs. 1 HWG verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Insbesondere ist die Vorschrift mit der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 S. 67, im Folgenden: Humanarzneimittelkodex) vereinbar.

Arzneimittelwerbung im Sinne des Titels VIII des Humanarzneimittelkodex sind gemäß dessen Art. 86 Abs. 1 auch alle Maßnahmen zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Dazu zählen die durch § 7 Abs. 1 HWG grundsätzlich verbotenen Zuwendungen und Werbegaben.

Gemäß Art. 87 Abs. 3 Humanarzneimittelkodex muss Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie dessen Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt. Das Versprechen einer nicht geringwertigen Gratiszugabe beim Kauf eines Arzneimittels hat keinerlei Bezug zu den Eigenschaften des Arzneimittels und genügt der Anforderung des Art. 87 Abs. 3 Humanarzneimittelkodex deshalb nicht. Das Verbot solcher Zugaben durch § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG steht daher im Einklang mit dem Humanarzneimittelkodex.

Die Auslegung des Art. 87 Abs. 3 Humanarzneimittelkodex erfordert kein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG, weil insoweit keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung der Vorschrift bestehen (vgl. EuGH NJW 2003, 3539- Köbler Tz. 118; BGH GRUR 2006, 74- Königsberger Marzipan Tz. 16).

b) Im Streitfall stellt die Auslobung einer Zugabe bei Bestellung von Arzneimitteln keine Unternehmens-, sondern dem Verbot des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG unterfallende Produktwerbung dar. Die Bezugnahme der Beklagten auf Arzneimittel erfasst - anders als das bei reinen Pharmaherstellern der Fall ist - schon deshalb nicht deren gesamtes Unternehmensangebot, weil auch andere Waren apothekenüblich sind (vgl. § 25 Apothekenbetriebsordnung). Aus der Gesamtheit der von der Beklagten vertriebenen Produkte werden Arzneimittel herausgegriffen und durch die Auslobung einer Zugabe deren Absatz gefördert. Für jedes einzelne der von der Beklagten vertriebenen Arzneimittel gilt das Zuwendungsverbot des § 7 Abs. 1 HWG; es ist kein Grund ersichtlich, weshalb für die Gesamtheit dieser Arzneimittel etwas anderes gelten sollte. Deshalb handelt sich bei der angegriffenen Maßnahme um eine Zuwendung für Arzneimittel, die an den Vorgaben des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG zu messen ist.

Die angegriffene Zugabe ist unzulässig, da sie keinem der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG unterfällt. Insbesondere kann eine Zugabe, deren Verkaufswert vom Hersteller mit mindestens 9,30 € eingeschätzt wird, nicht mehr als geringwertige Kleinigkeit angesehen werden, die gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG zulässig wäre (vgl. OLG Stuttgart GRUR-RR 2005, 64 [65] - Praxisgebührerstattung; Bülow, Heilmittelwerbegesetz, 3. Aufl. 2005, § 7 Rz. 17 m.w.N.).

c) Da das Verbot des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG den Schutz der Verbraucher bezweckt, ist der Verstoß gegen diese Vorschrift zugleich unlauter im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG (vgl. BGH, a.a.O. - Kunden werben Kunden, Tz. 25 m.w.N.).

III. Die Kosten für das Abschlussschreiben hat die Beklagte im Rahmen ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz aus § 9 Satz 1 UWG zu ersetzen (vgl. BGH GRUR 2007, 621- Abschlussschreiben Tz. 8 m.w.N.; Köhler, a.a.O., § 12 UWG Rz. 3.73).


C)

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Erstreckung der Abwendungsbefugnis auf die Hauptsache trägt dem Umstand Rechnung, dass das landgerichtliche Urteil durch seine Bestätigung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar wird (vgl. BGH, Beschl.v. 27. August 1993 - IV ZB 14/93, juris Tz. 3; Herget in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 708 Rz. 12, Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 708 Rz. 11; Lackmann in: Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 708 Rz. 9).

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor (vgl. dazu BGH NJW 2003, 65 ff.). Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter B. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.










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