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BGH Urteil vom 26.09.2002 - I ZR 101/00 - Werbung für eine Eigenhaartransplantation

BGH v. 26.09.2002: Heilmittelwerbeverbot und Eigenhaartransplantation - Vorher-Nachher-Vergleich - Anlagebedingter Haarausfall


Der BGH (Urteil vom 26.09.2002 - I ZR 101/00) hat entschieden:

   Der anlagebedingte (androgene) Haarausfall bei einem Mann ist weder eine Krankheit noch ein Körperschaden i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Die Werbung für eine Eigenhaartransplantation mit der Vorher-/Nachher-Abbildung einer behandelten Person unterfällt daher nicht dem Werbeverbot des § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b HWG.




Siehe auch
Haarausfall - Eigenhaartransplantation
und
Werbung für Medikamente, Heilmittel und medizinische Behandlungen


Tatbestand:


Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der kosmetischen Haarchirurgie (Haarwurzelverpflanzung). Sie streiten darüber, ob eine Werbung der Beklagten mit der bildlichen Darstellung von Personen vor und nach einer Eigenhaarverpflanzung gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b HWG verstößt.

Die Beklagte warb im März 1999 außerhalb von Fachkreisen mit dem Prospekt „HAARTRANSPLANTATION-Informationen über die Behandlung des erblich bedingten Haarausfalls“, der bildliche Darstellungen von Personen vor und nach der Behandlung enthielt, für die von ihr angebotenen Haarverpflanzungen.




Die Klägerin hält die Werbung wegen Verstoßes gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) für wettbewerbswidrig. Sie meint, die erblich bedingte Glatze des Mannes (androgenetische Alopezie) sei aus medizinischer Sicht als Krankheit oder Leiden anzusehen. Jedenfalls handele es sich dabei um einen Körperschaden, weil eine dauernde Abweichung von der normalen körperlichen Beschaffenheit vorliege, die weder als Krankheit noch als Leiden empfunden werde.

Die Klägerin hat beantragt,

   der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten,

   im Geschäftsverkehr zu Wettbewerbszwecken für Haartransplantationen in Printmedien (gedruckte Werbebroschüren und Infoblätter eingeschlossen) außerhalb der Fachkreise mit der bildlichen Darstellung der behandelten Personen vor und nach der Durchführung der Haartransplantation zu werben.

   [Es folgt eine entsprechende bildliche Darstellung].


Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, die genetisch bedingte Männerglatze sei weder eine Krankheit noch ein Körperschaden, sondern eine völlig natürliche und übliche Erscheinungsform der Kopfhaut des Mannes.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit der (Sprung-)Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe:


I.

Das Landgericht hat angenommen, die angegriffene Werbung verstoße nicht gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b HWG. Dazu hat es ausgeführt:

Die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes fänden auf die beanstandete Werbung der Beklagten keine Anwendung. Dem Prospekt könne mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, daß die darin enthaltenen Informationen sich nur auf die Behandlung des erblich bedingten Haarausfalls bezögen. Dieser sei aus medizinischer Sicht keine Krankheit, sondern ein sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal. Eine Glatze könne im Einzelfall zwar zu einem außergewöhnlichen Leidensdruck führen. Diese Wirkung begründe aber keinen Krankheitswert der Glatze selbst.

Ein Körperschaden i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG sei die erblich bedingte Glatze ebenfalls nicht. Mit dem Begriff des „Körperschadens“ sollten solche behandlungsbedürftigen körperlichen Zustände aufgefangen werden, die weder den Krankheiten noch den krankhaften Beschwerden zugeordnet werden könnten. Das Schutzziel der hierauf bezogenen Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes und des Arzneimittelgesetzes (AMG) sei die Gesundheit des einzelnen und des Volkes, wobei die Gesundheit dann als gefährdet angesehen werde, wenn schädliche Nebenwirkungen eintreten könnten oder (bei Arzneien) die Gefahr einer Selbstbehandlung mit ungünstigen Wirkungen bestehe. Bei der in dem Werbeprospekt der Beklagten beschriebenen Haarverpflanzung liege all dies nicht vor.

II.

Die Revision hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus § 1 UWG i.V. mit § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b HWG nicht zu.




Das Landgericht hat angenommen, bei dem erblich bedingten Haarausfall des Mannes handele es sich aus medizinischer Sicht weder um eine Krankheit noch um einen Körperschaden i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG mit der Folge, daß die Bestimmungen dieses Gesetzes auf die beanstandete Werbung der Beklagten keine Anwendung fänden. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

1. Eine Krankheit liegt vor, wenn eine auch nur unerhebliche oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers besteht, die geheilt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 2.10.1997 – l ZR 94/95, GRUR 1998, 961, 962 = WRP 1998, 312 – Lebertran l; Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl., § 1 Rdn. 52; Gröning, Heilmittelwerberecht, § 1 Rdn. 111; Bülow/Ring, Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl., §1 Rdn. 33). Danach kann der anlagebedingte Haarausfall nicht als Krankheit angesehen werden.

Das Landgericht hat seine Annahme, bei dem genetisch bedingten Haarausfall handele es sich aus medizinischer Sicht nicht um eine Krankheit i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG, auf das von den Sachverständigen Prof. Dr. P. und Dr. W. schriftlich erstattete Gutachten gestützt. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Sie rügt zu Unrecht, das Landgericht habe seine Beurteilung nicht begründet, weil es sich allein auf die in dem Sachverständigengutachten dargelegten Erkenntnisse bezogen habe. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen ist gerade dort notwendig, wo dem Gericht die eigene Sachkunde fehlt. Das ist vor allem im medizinischen Bereich der Fall (vgl. MünchKomm.ZPO/Schreiber, 2. Aufl., § 402 Rdn. 7).

Die Sachverständigen haben in ihrem Gutachten im einzelnen dargelegt, daß es sich nach heutigen Erkenntnissen bei dem erblich bedingten Haarausfall aus medizinischer Sicht nicht um eine Krankheit, sondern um ein sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal handelt. Dementsprechend wird der anlagebedingte (androgene) Haarausfall im allgemeinen auch nicht als Krankheit, sondern als eine Erscheinung angesehen, die noch zur normalen Beschaffenheit und Funktion des Körpers gehört (vgl. Doepner aaO § 1 Rdn. 56, Stichwort: Haarausfall; Gröning aaO § 1 Rdn. 116, Stichwort: Haarausfall; Bülow/Ring aaO § 1 Rdn. 34).

2. Bei objektiver Betrachtung der in der beanstandeten Werbebroschüre im Vorher-Zustand abgebildeten Person handelt es sich bei dem anlagebedingten Haarausfall auch nicht um einen Körperschaden i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Dieser liegt im allgemeinen bei angeborenen oder erworbenen, typischerweise nicht behebbaren Veränderungen des Körpers vor. Dazu zählen insbesondere der Verlust sowie die dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung eines Körperteils oder Organs (vgl. Doepner aaO § 1 Rdn. 32; Gröning aaO § 1 Rdn. 113; Bülow/Ring aaO § 1 Rdn. 33). Es liegt auf der Hand, daß diese Voraussetzungen bei dem in Rede stehenden Haarausfall nicht gegeben sind. Durch den Verlust der Kopfhaare kommt es – medizinisch und biologisch gesehen – zu keiner unmittelbaren Schädigung des Körpers.

Der Umstand, daß die Beseitigung des eingetretenen Haarausfalls einen chirurgischen Eingriff erfordert, ist für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei der Glatzenbildung um eine Krankheit oder einen Körperschaden handelt, ohne Bedeutung.

3. Es darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, daß das Verständnis des Krankheits- und Körperschadensbegriffs in § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG auch maßgeblich durch den Schutzzweck des Heilmittelwerbegesetzes beeinflußt wird.



Das Heilmittelwerbegesetz soll – ebenso wie das Arzneimittelgesetz – in erster Linie Gefahren begegnen, die der Gesundheit des einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Selbstmedikation drohen, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall wirklich eintreten (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1980 – l ZR 157/78, GRUR 1981, 435, 436 – 56 Pfund abgenommen; Urt. v. 26.6.1997 – l ZR 53/95, GRUR 1998, 498, 500 = WRP 1998, 177 – Fachliche Empfehlung III; Doepner aaO Einl. Rdn. 40). Darüber hinaus soll aber auch verhindert werden, daß durch eine mit Übertreibungen arbeitende, suggestive oder marktschreierische Werbung kranke und besonders ältere Menschen zu Fehlentscheidungen beim Arzneimittelgebrauch und bei der Verwendung anderer Mittel zur Beseitigung von Krankheiten oder Körperschäden verleitet werden (vgl. BGH GRUR 1981, 435, 436 – 56 Pfund abgenommen).

Solche Gefahren bestehen bei der von der Beklagten beworbenen Eigenhaartransplantation nicht. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten erfordert eine Eigenhaarverpflanzung einen chirurgischen Eingriff, der von Ärzten nach entsprechender Beratung und Aufklärung über die mit einer derartigen Behandlung verbundenen Risiken durchgeführt wird. Für eine unerwünschte Selbstmedikation ist unter diesen Umständen kein Raum. Das Vorbringen der Revision, die Gefahr einer Selbstmedikation könne schon deshalb nicht völlig ausgeschlossen werden, weil die Sachverständigen in ihrem Gutachten darauf hingewiesen hätten, daß neben chirurgischen Maßnahmen auch zunehmend äußerliche oder innerliche medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, ist im Streitfall ohne Bedeutung, da die Beklagte für solche Behandlungsmethoden in ihrer Informationsbroschüre „HAAR-TRANSPLANTATION-Informationen über die Behandlung des erblich bedingten Haarausfalls“ nicht geworben hat.

III.

Danach war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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