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OVG Münster Urteil vom 19.05.2010 - 13 A 156/06 - Arzneimittelrechtliche Untersagungsverfügung für natriumfluoridhaltige Dentalprodukte

OVG Münster v. 19.05.2010: Arzneimittelrechtliche Untersagungsverfügung für natriumfluoridhaltige Dentalprodukte


Das OVG Münster (Urteil vom 19.05.2010 - 13 A 156/06) hat entschieden:

  1.  Natriumfluoridhaltige Dentalprodukte zur lokalen Anwendung sind keine Funktionsarzneimittel. Denn deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung wird nicht durch pharmakologische Wirkung erreicht.

  2.  Solche Produkte fallen nicht unter die Anwendung der Zweifelsfallregelung, weil sie weder Funktionsarzneimittel noch Präsentationsarzneimittel sind, deren nicht-pharmakologische, nicht-immunologische oder nicht-metabolische Wirkung nicht feststeht.




Siehe auch Medizinprodukte und Gesundheitsprodukte - Medikamente - Arzneimittel - Heilmittel - Kosmetika - Lebensmittel - Nahrungsergänzungsmittel - Supplemente


Tatbestand:


Die Klägerin bringt die Produkte N., N. K und N1. als Medizinprodukte in den Verkehr. Bei den Produkten handelt es sich um natriumfluoridhaltige Präparate, die hauptsächlich für den Verkauf an Zahnarztpraxen vorgesehen sind und der Kariesprophylaxe dienen sollen. N.und N.K sind Gele mit einer Natriumfluoridkonzentration von 1,25 % für die Anwendung bei Erwachsenen und mit 0,615 % für die Anwendung bei Kindern; diese Gele werden durch den Zahnarzt mit Hilfe einer Applikationsschiene auf die Zähne aufgebracht. N1.ist ein Lack mit einer Natriumfluoridkonzentration von 0,15 %, der ebenfalls durch den Zahnarzt aufgetragen wird.

Durch Ordnungsverfügung vom 31. Oktober 2002 untersagte die Beklagte der Klägerin das weitere Inverkehrbringen dieser Produkte. Ferner ordnete sie an, spätestens bis zum 31. Dezember 2002 alle ausgelieferten Produkte zurückzurufen und darüber einen entsprechenden Nachweis in Form einer dokumentarischen Auflistung zu erbringen. Außerdem drohte sie für den Fall, dass die Klägerin diesen Aufforderungen nicht nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000,- Euro an. Sie begründete die Ordnungsverfügung damit, es handele sich bei den in den Verkehr gebrachten Erzeugnissen um Arzneimittel, die der Zulassungspflicht nach dem Arzneimittelgesetz unterfielen.

Den gegen die Ordnungsverfügung erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2003, zugestellt am 4. Juni 2003, zurück.

Am 3. Juli 2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Bei den Präparaten handele es sich um Medizinprodukte und nicht um Arzneimittel. Die Hauptwirkung der Präparate werde nicht durch eine pharmakologische Wirkweise erzielt. Denn diese setze die Interaktion zwischen dem Mittel und einer menschlichen Zelle voraus; eine solche finde aber im Falle des Auftrags der fluoridhaltigen Produkte auf die Zahnoberfläche nicht statt, weil es sich bei Zahnschmelz nicht um zelluläres Gewebe handele. Zelluläre Bestandteile zeichneten sich durch ihre Möglichkeit aus, eigenständig eine Regeneration zu erzeugen. Der Zahnschmelz selbst könne sich jedoch nicht regenerieren. Eine pharmakologische Wirkung der fluoridhaltigen Präparate ergebe sich auch nicht aus der Hemmung der Plaquebakterien. Zwar könne ein Einfluss auf den Metabolismus der Plaquebakterien entstehen; diese Interaktion sei aber im Vergleich zu der Hauptzweckbestimmung - nämlich der kariesbeeinflussenden Wirkung des Gleichgewichts des Mineralisierungszustands in der Mundhöhle - von zu vernachlässigender Bedeutung und besitze im Übrigen auch keine der Zweckbestimmung der Kariesprophylaxe entsprechende Wirksamkeit.

Die Klägerin hat beantragt,

   die Untersagungsverfügung der Beklagten vom 31. Oktober 2002 und deren Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2003 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Produkte wirkten pharmakologisch. Sie berufe sich auf eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, wonach der Zahnschmelz durchaus als zellulärer Bestandteil bezeichnet werden könne. Er stelle ein von Zellen gebildetes körpereigenes Gewebe dar und ähnele in seinem prinzipiellen Aufbau dem Knochen oder Dentin. Soweit die Klägerin anführe, Zahnschmelz könne sich nicht regenerieren, werde auf Nervenzellen, die sich teilweise auch nicht regenerieren könnten sowie auf den Vorgang der Zahnschmelzremineralisation hingewiesen. Außerdem sei die Klägerin zuvor selbst davon ausgegangen, dass es sich bei den Produkten um Arzneimittel handele; sie habe nämlich zunächst Anträge auf die Zulassung der Produkte N.und N. K als Arzneimittel gestellt, die sie später zurückgezogen habe.

Das Verwaltungsgericht hat Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. Dr. M.T.und durch dessen Einvernahme in der mündlichen Verhandlung erhoben.

Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die streitigen Produkte seien - obwohl sie als Medizinprodukte in den Verkehr gebracht würden - als Arzneimittel zu qualifizieren und unterlägen daher der für Fertigarzneimittel geltenden Zulassungspflicht des § 21 AMG. Denn die bestimmungsgemäße Hauptwirkung der Produkte werde durch pharmakologische Wirkung erzielt. Der Begriff der pharmakologischen Wirkung sei gesetzlich nicht bestimmt. Es könnten jedoch die in den Leitlinien der Europäischen Kommission zu Medizinprodukten MEDDEV niedergelegten Definitionen herangezogen werden. Danach sei davon auszugehen, dass eine pharmakologische Wirkung typischerweise bei einer Einwirkung auf eine menschliche Zelle vorliege. Zwar bestehe der Zahnschmelz nicht aus Zellen, sondern sei ein zelluläres Produkt, das nach Ende der allenfalls bis zum 8. Lebensjahr dauernden Tätigkeit der schmelzbildenden Zellen keine Zellen mehr habe und auch nicht durch zelluläre Aktivität regeneriert werden könne. Mit Blick auf eine fehlende gesetzliche Definition, den relativ weit gefassten Begriff der Pharmakologie, der nach den Ausführungen des Sachverständigen für Wechselwirkungen zwischen körperfremden Stoffen (Pharmaka) und Organismen (biologischen Systemen) oder der Definition im Pschyrembel zufolge für Wechselwirkungen zwischen Arzneistoff und Körper stehe, könne auch bei der lokalen Wirkungsweise der Fluorpräparate am Zahnschmelz von einer pharmakologischen Wirkung gesprochen werden. Denn der Zahnschmelz sei ein zelluläres Produkt, das den Darlegungen des Gutachters zufolge eine genau erkennbare Struktur habe, die sich deutlich von einem anorganisch gebildeten Apatit unterscheide und das - anders als etwa eine Krone oder eine anorganische Auflagerung - nicht als reine Hülle um den Zahn anzusehen sei, sondern als Teil des Gesamtorganismus betrachtet werden müsse. Es handele sich folglich um einen ursprünglich von Zellen gebildeten Körperbestandteil eigener Art, mit dem die Fluorpräparate bei ihrer bestimmungsgemäßen Anwendung eine Wechselwirkung eingingen. Hierbei bestehe auch eine Dosis- Wirkungsabhängigkeit, die nach den Leitlinien MEDDEV ebenfalls ein Indikator für eine pharmakologische Wirkung sei.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin. Zur Begründung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass mit der in den Leitlinien MEDDEV für den Begriff der pharmakologischen Wirkweise gegebenen Definition gerade eine solche für Fluorid-​Präparate verneint worden sei. Die Zuordnung dieser Produkte sei durch die Europäische Kommission zunächst aus sachfremden Gründen vorgeschlagen worden und außerdem vor dem Hintergrund der damaligen Bestrebungen der Beibehaltung von Produkten zu sehen, die vor der Einführung der Medizinprodukte durch die europäische Medizinprodukte- Richtlinie der Gruppe der Arzneimittel zugeordnet worden seien. Dabei hätten die Experten aber vorrangig die damals weit verbreiteten Fluoridtabletten im Fokus gehabt, die anders als ihre Produkte nicht lokal appliziert würden. Dass die Reaktionsmechanismen bei der Anwendung ihrer Produkte keine pharmakologischen Reaktionen im Sinne der Definition in den Leitlinien MEDDEV seien, bestätige auch der Bundesfachverband der Arzneimittel- Hersteller. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. T. , auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung u. a. gestützt habe, seien unzutreffend, soweit dieser von einer biochemischen Wechselwirkung ausgehe, die eine Dosis-​Wirkungsbeziehung besitze, und soweit er aus dieser Dosis-​Wirkungsbeziehung den Schluss ziehe, dass es sich bei ihren Produkten um Arzneimittel handele. Das Gleiche gelte für dessen Ausführungen über mögliche Nebenwirkungen. Er verkenne, dass die Zweckbestimmung ihrer Produkte im Gegensatz zur Fluoridtablette gerade nicht in einem Verschlucken bestehe.

Die Klägerin beantragt,

   das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 9. November 2005 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Bei der Aufnahme von Fluorid-​Ionen in den Zahnschmelz handele es sich um eine chemisch-​physiologische Funktion, infolge derer Ionen in den vorhandenen Zahnschmelz eingebaut und so aus Hydroxylapatit Fluorapatit werde. Es komme also nicht zu einer Oberflächenadhäsion von Fluorid auf die Zahnschmelzoberfläche, sondern zu einer aktiven Wechselwirkung zwischen Fluorid-​Ionen und dem Zahnschmelz. Diese Reaktion könne mitnichten physikalischen Ursprungs sein, weil es u. a. eine Eigenschaft des Physikalischen sei, eine gegenständliche Wechselwirkung zwischen zwei Körpern beobachten zu können, die hier gerade nicht vorliege. Vielmehr liege das Fluorid-​Ion in seiner Darreichungsform gelöst vor; dieses gelöste Fluorid- Ion trete in eine, vom Löslichkeitsprodukt der jeweiligen Substanzen angetriebene, chemische Verdrängungsaktion ein, die das Hydroxyl-​Ion von seinem angestammten chemischen Bindungsplatz im Zahnschmelz aus dessen Bindung "vertreibe".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die von der Klägerin eingereichten Unterlagen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Die Untersagungsverfügung der Beklagten vom 31. Oktober 2002 und deren Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2003 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die angefochtene Untersagungsverfügung findet ihre Ermächtigungsgrundlage nicht in der von der Beklagten herangezogenen Vorschrift des § 69 Abs. 1 AMG. Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen (§ 69 Abs. 1 Satz 1 AMG). Sie können insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, deren Rückruf anordnen und diese sicherstellen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG).

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Die Produkte N., N. K und N1. sind keine Arzneimittel, sondern Medizinprodukte; sie unterliegen deshalb nicht der Zulassungspflicht nach dem Arzneimittelgesetz.

Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 1 AMG i. d. F. der 15. AMG-​Novelle (Art. 1 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009, BGBl. I, S. 1990)
   Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

  1.  die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder

  2.  die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

  a.  die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

  b.  eine medizinische Diagnose zu erstellen.



Medizinprodukte sind gemäß § 3 Nr. 1 MPG i. d. F. des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2326)

   alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke
  a.  der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,

  b.  der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,

  c.  der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder

  d.  der Empfängnisregelung

zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG sind Arzneimittel nicht

   Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte i. S. d. § 3 MPG, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG.

Ausgehend hiervon sind die Produkte der Klägerin Medizinprodukte. Deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung - die Kariesprophylaxe - wird nicht durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung erreicht; die Produkte erfüllen damit nicht die Voraussetzungen für ein Funktionsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG.

Die Kariesprophylaxe wird nicht durch eine pharmakologische Wirkungsweise der Produkte erzielt. Weder die Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Richtlinie 2004/27/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel noch die Richtlinie 93/42/EG i. d. F. der Richtlinie 2007/47/EG über Medizinprodukte noch das nationale Recht enthalten eine Definition des Begriffs der pharmakologischen Wirkung. Zur Auslegung dieses Begriffs wird deshalb auf die Definition in den Leitlinien der Europäischen Kommission über Medizinprodukte "MEDICAL DEVICES: Guidance document" (= MEDDEV 2.1/3),

   [folgt ein URL-Verweis auf die Guidelines von ec.europa.eu]

zurückgegriffen,

   vgl. Schorn, Medizinprodukte, Loseblattsammlung, Stand: August 2009, Band 4, § 3 Rdnr. 17 ff; Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukte-​rechts, S. 44, 60; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Loseblattsammlung, Stand: September 2009, § 2 Anm. 4; auch OVG, Beschluss vom 11. Juni 2007 - 13 A 3903/06 -, juris,

die inzwischen i. d. F. vom Dezember 2009 (MEDDEV 2.1/3 rev. 3) vorliegen und nach deren Vorwort es sich um nicht bindende Leitlinien in Bezug auf Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der EG-​Richtlinien im Bereich der Medizinprodukte (Richtlinien 93/42/EG und 90/385/EG) handelt. Auch der Senat berücksichtigt bei seinen folgenden Ausführungen die Leitlinien, auch wenn er ihnen nicht hinsichtlich jeglicher Wertung folgt.

Nach deren Definition unter A.2.1.1 wird unter pharmakologischer Wirkweise eine Wechselbeziehung zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffs und einem gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten zellulären Bestandteil verstanden, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Wirkstoff blockiert. Obwohl nicht ein vollständig verlässliches Kriterium ist das Vorhandensein einer Dosis-​Wirkungskorrelation ein Indikator für eine pharmakologische Wirkung.




Gemessen hieran ist die bei der Anwendung der Fluorpräparate entstehende Wechselwirkung zwischen diesen und dem Zahnschmelz nicht als eine pharmakologische zu qualifizieren. Dem Zahnschmelz fehlt die für eine solche Reaktion erforderliche Rezeptoreigenschaft. Unter einem Rezeptor wird entweder eine spezialisierte Zelle, die exogene oder endogene Reize aufnehmen und in eine für das zentrale Nervensystem verständliche Form umwandeln oder eine in der Zellmembran lokalisierte Struktur verstanden, die bestimmte endogene, durch spezifische Wirksubstanzen (z.B. Hormone, Neurotransmitter, Antikörper, Pharmaka) vermittelte Signale aufnehmen und intrazellulär umsetzen kann.

   Vgl. hierzu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, Stichwort: Rezeptoren; Hoffmann-​Axthelm, Lexikon der Zahnmedizin, 6. Auflage, Stichwort: Rezeptoren; Anhalt, Handbuch Biotechnologie, B I 2130 Rdnr. 14; uni-​protokolle.de, Stichwort: Rezeptor, www.uni-​protokolle.de; DocCheck Flexikon, Stichwort: Rezeptor, www.flexikon.doccheck.com; Wikipedia, Stichwort: Rezeptor, www.wikipedia.org.

Der Zahnschmelz besteht weder aus Zellen, die Reize empfangen und umwandeln können, noch weist er Zellstrukturen auf, die in der Lage sind, Signale aufzunehmen und intrazellulär umzusetzen. Der Zahnschmelz setzt sich zu mehr als 95 % aus anorganischen Mineralien zusammen und zwar überwiegend aus dem Phosphat Hydroxylapatit. Er ist das härteste Gewebe im Körper des Menschen, schmerzunempfindlich und kann nicht nachgebildet werden. Die Schmelzbildung geschieht während der Zahnentwicklung. In dieser Zeit bauen Zellen, die Ameloblasten oder Adamantoblasten, im Kieferknochen die Zahnschmelzprismen auf. Nachdem die Schmelzbildung zum Stillstand gekommen ist, wandeln sich die Ameloblasten in Plattenepithelzellen um, die das Saumepithel formen, welches das Zahnfleisch mit der Zahnoberfläche verbindet. Diese Zellen verlieren die Fähigkeit, sich zu teilen und liegen dem Zahnschmelz von außen an; mit dem Zahndurchbruch gehen sie verloren.

   Vgl. hierzu: Zahnwissen-​Lexikon, Stichworte: Zahn und Ameloblasten, www.zahnwissen.de; Arbeitsgemeinschaft Zahngesundheit, Stichwort: Zahn, www.agz-​rnk.de; onmeda: Medizin & Gesundheit, Anatomie der Zähne, Zahnschmelz, www.onmeda.de; medikompass.de, Stichwort: Zahnschmelz, www.medikompass.de; DocCheck Flexikon, Stichwort: Ameloblast, a. a. O.; Wiki-​Dent, Stichwort: Ameloblasten, www.zm-​freiburg.de; Wikipedia, Stichworte: Zahnschmelz und Adamantoblasten, a. a. O.

Das danach zwar durch Zellen gebildete Gewebe beinhaltet nach dem Abschluss der Schmelzbildung und dem Zahndurchbruch keine (schmelzbildenden) Zellen oder Zellstrukturen mehr, es haften ihm auch keine solchen mehr an; diesem Gewebe fehlt deshalb die Eigenschaft, als Rezeptor zu fungieren.

Es ist auch in seiner Struktur gerade nicht - so wie die Beklagte dies meint - mit dem Dentin oder den Knochen vergleichbar. Dentin und Knochen bestehen ebenfalls überwiegend, nämlich zu ca. 70 %, aus Hydroxylapatit; im Unterschied zu den zahnschmelzbildenden Zellen, den Ameloblasten, können aber die an den Knochen hautschichtartig anlagernden Knochenbildungszellen, die Osteoblasten, und die an der inneren Dentinoberfläche, also an der Grenze zwischen Zahnmark und Dentin, liegenden dentinbildenden Zellen, die Odontoblasten, lebenslang Hydroxylapatit neu erzeugen,

   vgl. zu Knochen: Pschyrembel, a. a. O., Stichwort: Osteoblasten; DocCheck Flexion, Stichworte: Knochen, Knochenzellen und Osteoblasten, a. a. O.; MedizInfo, Stoffwechsel der Knochen, www.medizinfo.de; Wikipedia, Knochen, a. a. O.; zu Dentin: Pschyrembel, a. a. O., Stichworte: Dentin und Odontoblasten ; DocCheck Flexion, Stichworte: Dentin und Odontoblasten, a. a. O.; Zahnwissen-​Lexikon, Stichworte: Dentin und Odontoblasten, a. a. O.,

sodass Dentin und Knochen im Gegensatz zu Zahnschmelz eine Rezeptoreigenschaft zugeschrieben werden kann.

Die bei der Anwendung der Fluorpräparate auf der Zahnoberfläche stattfindende Wechselwirkung zwischen Fluor-​Ionen und dem Zahnschmelz ist eine chemische Reaktion, die mangels Rezeptoreigenschaft des Zahnschmelzes nicht unter den Begriff der pharmakologischen Wirkung im Sinne der Definition in den Leitlinien MEDDEV subsumiert werden kann. Durch das Fluorid wird der Zahnschmelz remineralisiert und die Demineralisation des Zahnschmelzes wird reduziert. Die Remineralisation geschieht durch Substitution der im Zahnschmelz vorhandenen Hydroxid-​Ionen gegen Fluor- Ionen; das durch die Substitution entstehende Fluorapatit besitzt eine geringere Löslichkeit und ist deshalb beständiger als das körpereigene Hydroxylapatit.

   Vgl. zu diesen Vorgängen bei der Anwendung von Fluorpräparaten folgende von der Klägerin zu den Akten gereichte Unterlagen: Prof. Dr. F. I., Lehrbuch, Einführung in die Zahnerhaltung, 1995, S. 100 - 103; Dr. U. B. , Prof. Dr. F. I., Fluoride in der Zahnarztpraxis: Anwendung, Effektivität und Toxilogie, in: prophylaxe impuls 1, 1999, S. 16ff; Prof. Dr. U. B., Gutachten zum Wirksamwerden lokaler Fluoridierungsmaßnahmen; Stefan Zimmer, Wirkmechanismen von Fluorid; ebenso die Stellungnahmen des BfArM gegenüber der Beklagten vom 8. Oktober 2002, 10. Februar 2003 und 25. August 2003 sowie auch die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. M. T. in dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten vom 1. Juni 2005 sowie dessen Bekundungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. November 2005.

Diese chemische Reaktion ist nicht als pharmakologische Wechselwirkung zu qualifizieren, weil sie im "toten" Zahnschmelz stattfindet. Daran ändert auch die zutreffende Feststellung der Beklagten nichts, diese chemische Reaktion sei nicht nur physikalischen Ursprungs und stelle sich auch nicht lediglich als Oberflächenadhäsion dar. Zwar ist nach der Definition in den Leitlinien MEDDEV für Medizinprodukte typisch, dass deren Funktion auf physikalischem Wege erreicht wird. Das bedeutet aber lediglich, dass physikalisch wirkende Produkte regelmäßig unter den Begriff der Medizinprodukte subsumiert werden können, nicht aber, dass eine solche Subsumtion bei einer chemischen Wirkweise von vornherein ausscheidet. Die Abgrenzung, ob ein Medizinprodukt oder ein Arzneimittel vorliegt, geschieht eben nicht über die Beantwortung der Frage, ob die Wirkung auf physikalischem oder anderem Wege erreicht wird, sondern danach, ob die Hauptwirkungsweise der Mittel eine pharmakologische, immunologische oder metabolische ist.



Eine pharmakologische Wirkung der Präparate ergibt sich auch nicht daraus, dass (bei deren Anwendung versehentlich verschlucktes und dann) in den Blutkreislauf durch Resorption aus dem Magen-​Darm-​Trakt gelangtes Fluorid auf den menschlichen Körper einwirken kann. Denn die Hauptwirkung der Präparate wird nicht auf diese Weise erzielt; sie findet vielmehr lokal, nämlich direkt an der Zahnoberfläche - wovon im Übrigen auch die Beklagte ausgeht -, durch die bereits beschriebene chemische Reaktion statt und nicht durch das mit der Applikation unter Umständen einhergehende Verschlucken von Fluoridmolekülen.

   Vgl. hierzu: Prof. Dr. F. I., a. a. O.; Prof. Dr. U. B., a. a. O. T1.A., a. a. O.; so im Übrigen auch die bereits zitierten Stellungnahmen des BfArM an die Beklagte.

Bei den mit dem Verschlucken von Fluoridmolekülen verbundenen Einwirkungen auf den menschlichen Körper - wie den vom Sachverständigen benannten Fluorosen - handelt es sich um (ungewollte) Nebenwirkungen, die nicht Ziel des Einsatzes der Präparate sind. Der Einordnung von Produkten als Medizinprodukte steht aber nicht entgegen, ob von den Produkten Risiken oder gesundheitsbedenkliche Nebenwirkungen ausgehen.

   Vgl. Schorn, a. a. O., § 3 Rdnr. 12; Kammergericht Berlin, Beschluss vom 15. Juni 2000 - 25 W 2146/00 -, PharmR 2000. 339 ff.

Auch der Umstand, dass die Interaktion zwischen den Fluorpräparaten und dem Zahnschmelz eine Wechselwirkung darstellt, die eine Dosis- Wirkungsbeziehung besitzt, ist kein Indiz für eine pharmakologische Wirkung im Sinne der Definition in den Leitlinien MEDDEV. Zum einen benennen die Leitlinien die Dosis-​Wirkungskorrelation nur als ein für einen pharmakologischen Effekt sprechendes (zudem nicht vollkommen verlässliches) Kriterium; zum anderen steht dieses Kriterium für die Beziehung zwischen Dosis und Wirkung, also den funktionalen Zusammenhang zwischen der Dosis eines Stoffes und dessen Auswirkung auf den Organismus. Um diesen Zusammenhang, nämlich die Frage der Abhängigkeit der Wirkung des Fluorids auf die Zähne im Verhältnis zur verabreichten Dosis, geht es hier aber gerade nicht. Denn selbst wenn eine höhere Fluoridkonzentration eine erheblichere Wechselwirkung verursacht, wird aus der bei der Anwendung der Fluorpräparate - gleichgültig in welcher Dosierung - stattfindenden chemischen Reaktion gleichwohl keine pharmakologische.

Die Kariesprophylaxe wird auch nicht durch eine metabolische Wirkungsweise der Produkte erzielt. Fluoride können den Metabolismus der auf der Zahnoberfläche befindlichen Plaquebakterien zwar beeinflussen; sie können das Wachstum der Plaquebakterien und damit die Entstehung von Zahnbelag vermindern. Diese Wirkung der Fluoride spielt aber gegenüber deren Hauptwirkung, nämlich dem Einfluss auf die Mineralisation des Zahnschmelzes, nur eine untergeordnete Rolle,

   Vgl. Prof. Dr. U. B., a. a. O.;T1. A., a. a. O.,

wovon offenbar die Beklagte, die jedenfalls im Berufungsverfahren darauf hingewiesen hat, es sei nach wie vor (nur) die pharmakologische Wirkung der Produkte streitig, und auch der Sachverständige ausgehen; denn letzterer schreibt der Remineralisation den wichtigsten Wirkmechanismus zu, befasst sich in seinem Gutachten hingegen nur in einem kurzen Abschnitt (s. dort S. 2 ) mit der metabolischen Wirkung von Fluoriden, bezeichnet diesen Wirkmechanismus des Fluorids zudem nur als einen weiteren und nicht als den ausschlaggebenden. Die Leitlinien gehen im Übrigen selbst nicht von einer pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung solcher Dentalprodukte aus. Sonst hätten sie nicht unter dem Punkt "A.2.2.2 Beispiele für Arzneimittel" die Dentalprodukte als Produkte aufführen müssen, die - so heißt es dort - im Allgemeinen als Arzneimittel betrachtet werden sollten. Denn wenn solche Produkte schon eine entsprechende Wirkung entfalteten, müssten sie nicht nur als Arzneimittel betrachtet werden, sondern sie erfüllten diese Eigenschaft wegen ihrer Wirkungsweise bereits objektiv. Abgesehen davon haben die Leitlinien MEDDEV 2.1/3 rev 5.1 in der Fassung vom März 1998 unter Punkt 4.2. die Dentalprodukte ausdrücklich als Produkte aufgeführt, die - so lautet es im Einleitungssatz zu Punkt 4.2. - nicht durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Mittel wirkten, die aber in Übereinstimmung mit der Richtlinie EG/65/65 (der Arzneimittel-​Richtlinie) als Arzneimittel geregelt seien. Auch in der vorgegangenen Fassung der Leitlinien MEDDEV 2.1/3 rev 2 vom Juli 2001 lautet es im Einleitungssatz zu Punkt 4.2 noch, solche Produkte seien den Arzneimitteln angeglichen und würden deshalb in Übereinstimmung mit der Richtlinie EG/65/65 als Arzneimittel behandelt. Eine pharmakologische Wirkung kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil Dentalprodukte nach den Leitlinien als Arzneimittel betrachtet werden. Die Produkte der Klägerin fallen zunächst nicht unter die - an die als Beispiele für Arzneimittel benannten Dentalprodukte - angefügte Bemerkung, wonach Dentalprodukte mit einer für Medizinprodukte typischen Wirkungsweise, wie Zemente oder Lacke, die Fluorid enthalten, Medizinprodukte sind, wenn dem Fluorid eine additive Wirkung im Verhältnis zu der des Mittels zukommt. Denn bei der Anwendung der Präparate der Klägerin entfaltet das Fluorid nicht nur eine zusätzliche Wirkung im Verhältnis zu den Gelen bzw. dem Lack, sondern es macht die Wirkung dieser Mittel aus. Allein durch das Aufbringen des in den Gelen und des Lacks enthaltenen Fluorids wird die oben beschriebene chemische Reaktion, die Substitution der Hydroxid-​Ionen gegen Fluor-​Ionen, erreicht, nicht durch die Gele oder den Lack selbst. Die Leitlinien sind aber nicht bindend; sie sollen vielmehr als Auslegungshilfen bei der Anwendung der Richtlinien über Medizinprodukte und Arzneimittel dienen und dies insbesondere bei Fragen der Abgrenzung der Medizinprodukte i. S. d. Richtlinien 93/42/EG und 90/385/EG von Arzneimitteln i. S. d. Richtlinie 2001/83/EG. In Bezug auf das unter Punkt A.2.2.2 als Arzneimittel aufgeführte Beispiel der Dentalprodukte können die Leitlinien jedoch nicht (mehr) als Auslegungshilfe herangezogen werden; sie sind insoweit nicht (mehr) mit den geltenden gemeinschaftsrechtlichen diesbezüglichen Regelungen in Einklang zu bringen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die in den Leitlinien vorgenommene Klassifizierung der Dentalprodukte als Arzneimittel auf der durch Art. 128 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG aufgehobenen Richtlinie 65/65/EG fußt. Die Richtlinie 65/65/EG findet zwar in der jetzt geltenden Fassung der Leitlinien MEDDEV 2.1/3 rev 3 vom Dezember 2009 keine Erwähnung mehr. In den vorangegangenen Fassungen der Leitlinien MEDDEV wurde die Arzneimitteleigenschaft aber ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Richtlinie 65/65/EG begründet. Dies lässt sich aus den zuvor zitierten Einleitungssätzen zu den jeweiligen Punkten A. 4.2, in denen von der Regelung bzw. Behandlung dieser Mittel in "Übereinstimmung mit der Richtlinie EG/65/65" die Rede ist und dem letzten Absatz des Punkts A. 2 der Leitlinien MEDDEV 2.1/3 rev 2 vom Juli 2001 entnehmen, in dem ausgeführt wird, dass die in A. 4.2 in Bezug genommene Gruppe - also auch die Dentalprodukte - in der Europäischen Union als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 65/65/EG angesehen werde und dies so beibehalten werden solle. Die Richtlinie 65/65/EG kannte aber weder das Medizinprodukterecht noch definierte sie das i. S. d. heutigen Gemeinschaftskodexes so genannte Funktionsarzneimittel mit Hilfe der (mit der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG aufgenommenen) Aufzählung zur "pharmakologischen, immunologischen und metabolischen Wirkung" der Mittel. Die heute geltenden Gemeinschaftskodices differenzieren zwischen Medizinprodukten und (Funktions-​)Arzneimitteln und zwar gerade unter Berücksichtigung der hauptsächlichen Wirkungsweise der Produkte (vgl. Art. 1 Abs. 5lit c der Richtlinie 93/42 i. F. d. Änderungsrichtlinie 2007/47/EG), mithin mit Hilfe eines Abgrenzungskriteriums, das dem damaligen Recht fremd war. Es liegt deshalb auf der Hand, dass jedenfalls heute eine Arzneimitteleigenschaft in Abgrenzung zu der eines Medizinprodukts nicht mit einer Bezugnahme auf eine überholte Richtlinie begründet werden kann, die insbesondere das in erster Linie entscheidende Abgrenzungskriterium nicht beinhaltete.

Die Klassifizierung der Dentalprodukte als Arzneimittel in Anwendung der Leitlinien stünde ferner deswegen in Widerspruch zum geltenden Recht, weil - wie dargestellt - das Gemeinschaftsrecht sowie auch das nationale Recht das Medizinprodukt vom Arzneimittel ausschließlich über die Hauptwirkungsweise abgrenzen und nicht - so wie es aber in den Leitlinien unter den Punkten A. 2 und A 4.2 weiter zum Ausdruck kommt- danach, ob ein Produkt in der Vergangenheit - mangels entsprechender Regelungen über Medizinprodukte - auf der Grundlage von arzneimittelrechtlichen Vorschriften in den Verkehr gebracht worden ist und deshalb weiterhin als Arzneimittel angesehen wird.

Eine Einordnung der Produkte als Arzneimittel ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 3a AMG. Danach sind Arzneimittel auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG fallen können. Mit dieser Bestimmung wurde die sog. Zweifelsregelung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG in deutsches Recht umgesetzt (vgl. BT-​Drucks. 16/12256S. 41).




Die Produkte der Klägerin fallen nicht unter den Anwendungsbereich dieser Zweifelsfallregelung. Denn die Anwendung der Zweifelsfallregelung setzt die positive Feststellung der Arzneimitteleigenschaft des betreffenden Präparats voraus und, dass es unter die Definition eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG fallen kann. Die danach (auch) erfassten Medizinprodukte (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 AMG) unterfallen als Präsentationsarzneimittel dem Arzneimittelgesetz, wenn deren nicht-​pharmakologische, nicht-​immunologische oder nicht-​metabolische Wirkungsweise nicht feststeht. Anders gewendet bedeutet dies, dass ein stoffliches Medizinprodukt nicht vom Arzneimittelgesetz erfasst wird, wenn dessen Wirkungsweise erwiesenermaßen nicht in der beschriebenen Art und Weise erzielt wird. Raum für die Anwendung der Zweifelsfallregelung besteht in diesem Fall nicht. Dies folgt auch aus § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG. Danach sind Arzneimittel nicht Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte i. S. d. § 3 MPG, es sei denn, es handelt sich um ein Arzneimittel i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG, nämlich um ein sog. Funktionsarzneimittel, dessen Wirkung sich in der oben angegebenen Weise vollzieht. Handelt es sich also um ein Funktionsarzneimittel, sind die Voraussetzungen des stofflichen Medizinprodukts nach § 3 Nr. 1 MPG nicht erfüllt. Diese Vorschrift setzt nämlich voraus, dass die Wirkungsweise nicht in der beschriebenen Art und Weise erfolgt. Handelt es sich indessen um ein Präsentationsarzneimittel i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, hängt die Anwendung des Arzneimittelgesetzes davon ab, ob nach der Zweifelsfallregelung die Zuordnung zu einem Erzeugnis nach § 2 Abs. 3 AMG, also auch zu einem Medizinprodukt, erfolgen kann. Nur wenn feststeht, dass die Wirkungsweise des Medizinprodukts nicht in der für ein Funktionsarzneimittel wesentlichen Weise erfolgt, wird das Präparat nicht vom Arzneimittelgesetz erfasst und ist deshalb nicht zulassungspflichtig (§ 21 Abs. 1 AMG).

   Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2010 - 13 A 2612/09 - und vom 23. April 2010 - 13 A 622/10 -, jeweils juris.

Die Produkte der Klägerin sind weder Funktionsarzneimittel noch Präsentationsarzneimittel, deren nicht-​pharmakologische, nicht- immunologische oder nicht-​metabolische Wirkungsweise nicht feststeht; sie sind deshalb Medizinprodukte und fallen nicht unter die Zulassungspflicht des § 21 Abs. 1 AMG.

Der Senat sieht sich auch nicht wegen der von der Klägerin in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufgeworfenen Frage betreffend die Einordnung eines Medizinprodukts als Präsentationsarzneimittel zur Vorlage an den EuGH veranlasst (vgl. Art. 267 Abs. 2 des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV], vormals Art. 234 Abs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EG]). Denn mit Blick auf die obigen Feststellungen ist die Frage, ob ein Medizinprodukt als Präsentationsarzneimittel in den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Zweifelsfallregelung fällt, wenn dessen nicht- pharmakologische, nicht-​immunologische oder nicht-​metabolische Wirkungsweise nicht feststeht, für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich.

Die Schlussfolgerung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. T., die betreffenden Präparate seien Arzneimittel, hält der Senat nicht für zutreffend. Denn zu der eigentlichen Frage, ob die Präparate pharmakologisch wirken, hat der Sachverständige nichts Substantielles ausgeführt. Er hat seinen Folgerungen die alleinige Relevanz einer biochemischen Wechselwirkung im Sinne einer Dosis-​Wirkungsbeziehung zugrunde gelegt. Das Erfüllen dieser Voraussetzungen begründet - wie ausgeführt - eine pharmakologische Wirkung indessen nicht. Da der Senat bei der Bestimmung eines Arzneimittels daher von anderen, nämlich engeren Voraussetzungen ausgeht, sind die Ausführungen des Sachverständigen unergiebig.



Im Übrigen hält der Senat weder eine Wiederholung der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, noch die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens noch eine sonstige weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich. Der Senat hat sich die erforderliche Sachkunde zur Beantwortung der entscheidungserheblichen Sachfrage, ob es sich bei der Wirkungsweise der Fluoridpräparate um eine pharmakologische handelt, aus allgemein zugänglichen Quellen und der Auswertung der von den Beteiligten zu den Akten gereichten Stellungnahmen sowie gutachterlichen Äußerungen verschafft, sodass sich eine (weitere) Beweiserhebung nicht aufdrängte.

Eine - von der Beklagten angeführte - Umdeutung der auf arzneimittelrechtlicher Grundlage ausgesprochenen Untersagungsverfügung in eine Untersagungsverfügung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 MPG scheidet aus. Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Diese Bedingungen sind nicht gegeben. Dass die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des umgedeuteten Verwaltungsakts vorlägen, kann nicht festgestellt werden. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 MPG hat die zuständige Behörde, wenn sie feststellt, dass ein Produkt unzulässigerweise die CE-​Kennzeichnung als Medizinprodukt trägt, u. a. das Inverkehrbringen dieses Medizinprodukts zu untersagen oder zu veranlassen, dass das Medizinprodukt vom Markt genommen wird. Eine Unzulässigkeit der CE-​Kennzeichnung der Produkte der Klägerin resultiert nicht aus einer Arzneimitteleigenschaft der Produkte. Ob eine solche Unzulässigkeit aus anderen Gründen gegeben sein könnte, lässt sich nicht feststellen. Die Beklagte hat weder geprüft noch kann anhand der dem Gericht vorliegenden Unterlagen eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob die CE-​Kennzeichnung etwa deshalb unzulässig ist, weil diese nicht den gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen (s. hierzu §§ 6, 7 oder 9 MPG) entspricht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 709 Satz 2 ZPO.

Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Frage, ob Produkte, die in den Leitlinien MEDDEV als Arzneimittel aufgeführt sind, als Medizinprodukte qualifiziert werden können, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.

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