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BGH Urteil vom 21.10.1992 - VIII ZR 143/91 - Auslegung eines Rücktritts von einem Kaufvertrag als Widerruf

BGH v. 21.10.1992: Auslegung eines Rücktritts von einem Kaufvertrag als Widerruf


Der BGH (Urteil vom 21.10.1992 - VIII ZR 143/91) hat entschieden:
Der gemäß AbzG § 1b Abs 1 gestattete Widerruf eines Abzahlungsgeschäfts ist auch ohne Benutzung des Wortes "Widerruf" wirksam erklärt, wenn der Abzahlungskäufer deutlich zum Ausdruck bringt, dass er den Vertragsschluss nicht mehr gelten lassen will.




Siehe auch Das Widerrufsrecht im Online-Handel und Stichwörter zum Thema Widerrufsrecht


Tatbestand:

Die Klägerin handelt mit Röntgenanlagen. Mit Vertrag vom 19. September/10. Oktober 1986 kaufte der Beklagte, ein Internist und Kardiologe, von der Klägerin eine Röntgenanlage zum Gesamtpreis von 227.042,40 DM. Hinsichtlich der Bezahlung vereinbarten die Parteien "50 % bei Lieferung und jeweils 10 % p.A. 5 Jahre".

Die Anlage wurde im November 1986 in der Arztpraxis des Beklagten aufgestellt, der daraufhin die erste Hälfte des Kaufpreises in Höhe von 113.521,20 DM bezahlte. In der Folgezeit gerieten die Parteien in Streit darüber, ob die Anlage den vertraglichen Vereinbarungen entspricht.

Als der Beklagte die erste der fünf Raten der zweiten Kaufpreishälfte nicht bezahlte, erstritt die Klägerin hierüber ein rechtskräftiges Urteil. Der Beklagte erwirkte seinerseits ein Anerkenntnisurteil, das die Klägerin verpflichtet, die gelieferte Röntgenanlage zu übergeben, ein Übergabeprotokoll zu erstellen und das Übergabeprotokoll auszuhändigen.

In dem vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung der zweiten Rate der zweiten Kaufpreishälfte in Höhe von 22.704,24 DM nebst Zinsen sowie 10 DM vorgerichtliche Kosten in Anspruch. Der Beklagte hat widerklagend von der Klägerin die Rückzahlung der ersten Kaufpreishälfte in Höhe von 113.521,20 DM sowie die Feststellung begehrt, dass die Klägerin ihm zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, den er infolge der Lieferung der Röntgenanlage erlitten hat. Er hat, soweit hier noch von Interesse, geltend gemacht:

Der Kaufvertrag sei einvernehmlich aufgehoben. Mit Schreiben vom 24. Dezember 1986 habe er der Klägerin die Aufhebung angeboten. Dieses Angebot habe die Klägerin mit Schreiben vom 30. Dezember 1986 angenommen. Ferner habe er einen Anspruch auf Rückgängigmachung des Vertrages wegen unzureichender Beratung durch die Klägerin. Dem ist die Klägerin, die u.a. die Einrede der Verjährung der Gewährleistungsansprüche erhoben hat, entgegengetreten.

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der Verzugszinsen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt, die er auf seine Verurteilung zur Zahlung und die Abweisung seiner Zahlungswiderklage beschränkt hat. Während des Berufungsverfahrens teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 14. Januar 1991 mit:
"Bezugnehmend auf die fruchtlos verstrichenen Fristsetzungen meinerseits bzw. meiner Prozessbevollmächtigten teile ich Ihnen mit, dass ich nunmehr meinen Rücktritt von dem schriftlichen Kaufvertrag vom 19.9./10.10.86 (Röntgenanlage, EKS-​System entsprechend Ihrem schriftlichen Angebot vom 23.5.86) erkläre."
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten, die dieser ergänzend darauf gestützt hat, dass er mit seinem Schreiben vom 14. Januar 1991 wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei, da die Klägerin ihre Verpflichtung zur Erstellung eines Übergabeprotokolls trotz Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht erfüllt habe, zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungs- und Zahlungswiderklagebegehren weiter.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Aus dem von den Parteien Ende 1986 geführten Schriftwechsel sei der Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht zu entnehmen. Der Beklagte sei auch nicht mit seinem Schreiben vom 14. Januar 1991 wirksam vom Vertrag zurückgetreten. Schließlich habe der Beklagte auch keinen Anspruch auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages wegen unzureichender Beratung durch die Klägerin.


II.

Diese Ausführungen tragen das angefochtene Urteil nicht. Mit Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht die Anwendbarkeit des Abzahlungsgesetzes sowie die Auslegung des Schreibens des Beklagten vom 14. Januar 1991 als Widerrufserklärung nach § 1 b AbzG nicht geprüft und damit den Sachvortrag der Parteien nicht erschöpfend gewürdigt hat.

1. Der Kaufvertrag vom 19. September/10. Oktober 1986 ist ein Abzahlungsgeschäft im Sinne des Abzahlungsgesetzes. Nach diesem Vertrag, der in dem verwendeten Formular fälschlicherweise als "Barzahlungs-​Kaufvertrag" bezeichnet wird, hat der Beklagte den Gesamtkaufpreis für die Röntgenanlage in Höhe von 227.042,40 DM in Teilzahlungen - die Hälfte bei Lieferung und den Rest in fünf gleichen Jahresraten - zu entrichten. Das Abzahlungsgesetz ist zwar gemäß Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozessordnung und anderer Gesetze vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2840) am 1. Januar 1991 außer Kraft getreten. Nach Art. 9 Abs. 1 dieses Gesetzes ist das Abzahlungsgesetz jedoch - mit Ausnahme der hier nicht interessierenden Bestimmungen der §§ 6 a und 6 b - auf Verträge, die - wie der Kaufvertrag vom 19. September/10. Oktober 1986 - vor dem 1. Januar 1991 geschlossen worden sind, weiterhin anzuwenden. Dagegen sieht Art. 9 Abs. 1 die Anwendung auch nur einzelner Bestimmungen des Verbraucherkreditgesetzes auf die sog. Altverträge nicht vor. Angesichts dieser eindeutigen Regelung kommt dem Umstand, dass der vorliegende Vertrag nach § 1 Abs. 1 VerbrKrG gar nicht unter die Vorschriften dieses Gesetzes fallen würde, weil die Röntgenanlage für eine bereits ausgeübte selbständige berufliche Tätigkeit des Beklagten bestimmt war, und dass das Widerrufsrecht nach § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG spätestens ein Jahr nach Abgabe der auf den Abschluss des Kreditvertrages gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers erlischt, hier entgegen den Ausführungen in der Revisionserwiderung keine Bedeutung zu (vgl. auch Senatsurteil vom 30. September 1992 - VIII ZR 196/91 - unter V 1, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

2. Der Beklagte hat die auf Abschluss des Kaufvertrages vom 19. September/10. Oktober 1986 gerichtete Willenserklärung mit Schreiben vom 14. Januar 1991 wirksam gemäß § 1 b Abs. 1 AbzG widerrufen.

a) Da das Berufungsgericht die Anwendung des Abzahlungsgesetzes nicht erörtert und folglich auch das Schreiben vom 14. Januar 1991 nicht auf seine Bedeutung als Widerrufserklärung hin geprüft hat und alle zur Auslegung erforderlichen Umstände durch die eingereichte Korrespondenz und den Parteivortrag offenliegen, kann das Revisionsgericht das Schreiben selbst auslegen (Senatsurteile vom 14. März 1984 - VIII ZR 287/82 - WM 1984, 639, 641 unter II 2 b und vom 29. Januar 1986 - VIII ZR 49/85 - WM 1986, 480, 483 unter II 3 a).

b) Das Schreiben vom 14. Januar 1991 enthält dem Wortlaut nach keinen "Widerruf". Das ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn der Abzahlungskäufer deutlich zum Ausdruck bringt, dass er den Vertragsschluss nicht mehr gelten lassen will (Senatsurteile vom 29. Januar 1986 aaO unter II 3 b m.w.Nachw. und vom 16. April 1986 - VIII ZR 79/85 - BGHZ 97, 351, 358 unter II 1 c aa). So ist es hier geschehen, indem der Beklagte der Klägerin mitteilte, dass er seinen "Rücktritt von dem schriftlichen Kaufvertrag vom 19.9./10.10.86 ... erkläre." Die Inanspruchnahme des Rücktrittsrechts lässt darauf schließen, dass der Beklagte auf jeden Fall von dem Kaufvertrag loskommen wollte. Das rechtfertigt die Würdigung als Widerrufserklärung (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 1986 aaO). Einen Grund für den Widerruf braucht der Abzahlungskäufer nicht anzugeben.

c) Der Beklagte hat die Widerrufserklärung rechtzeitig abgegeben, weil die einwöchige Widerrufsfrist mangels einer Belehrung über das Widerrufsrecht durch die Klägerin noch nicht zu laufen begonnen hatte (§ 1 b Abs. 2 Satz 2 AbzG). Der Widerruf war zu diesem Zeitpunkt auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der bloße Zeitablauf reicht für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht aus (Senatsurteile vom 19. Februar 1986 - VIII ZR 113/85 - BGHZ 97, 127, 134 f unter II 4 und vom 14. Juni 1989 - VIII ZR 176/88 - WM 1989, 1387, 1388 unter II 1 a).

3. Der wirksame Widerruf der kaufvertraglichen Willenserklärung durch den Beklagten hat zur Folge, dass das bis dahin schwebend unwirksame Geschäft endgültig nicht zustande gekommen ist (vgl. Klauss/Ose, Verbraucherkreditgeschäfte, 2. Aufl., § 1 b AbzG Rdnrn. 364, 366). Der Klägerin steht daher der mit der Klage geltend gemachte Kaufpreisteilanspruch endgültig nicht zu. Insoweit bedarf es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen, so dass der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO selbst entscheiden konnte. Demgemäß war unter teilweiser Änderung des Berufungs- und des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

4. Der wirksame Widerruf der kaufvertraglichen Willenserklärung durch den Beklagten hat weiter zur Folge, dass er nach § 1 d AbzG von der Klägerin die mit der Widerklage geltend gemachte erste Kaufpreishälfte erstattet verlangen kann. Andererseits stehen der Klägerin aus § 1 d AbzG Gegenansprüche (auf Herausgabe der Röntgenanlage, Nutzungsvergütung) zu. Hierzu haben die Parteien bislang nicht vorgetragen, da die Anwendbarkeit des Abzahlungsgesetzes und die Auslegung des Schreibens des Beklagten vom 14. Januar 1991 als Widerrufserklärung nach § 1 b AbzG erstmals in der Revisionsinstanz zur Sprache gekommen sind. Um ihnen Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag in diesem Punkt zu ergänzen, war das Berufungsurteil insoweit, als damit die Berufung des Beklagten gegen die Abweisung seiner Zahlungswiderklage zurückgewiesen worden ist, aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).



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