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BGH Beschluss vom 20.08.2015 - StB 7/15 - Anordnung zur Filterung und Mitteilung dynamischer IP-Adressen
BGH v. 20.08.2015: Rechtswidrige Anordnung zur Filterung und Mitteilung dynamischer IP-Adressen
Der BGH (Beschluss vom 20.08.2015 - StB 7/15) hat entschieden:
Die auf Antrag des Generalbundesanwalts vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einem Telekommunikationsdienstleeister gegenüber erteilte Anordnung, die dynamischen IP-Adressen auf Browsertyp und Sub-URL zu filtern und das Ergebnis den Ermittlungsbehörden mitzuteilen, ist rechtswidirg, weil eine derartige Ermittlungstätigkeit nur den Ermittlungsbehörden selbst vorbehalten ist.
Siehe auch Die IP-Adresse und Auskunftsanspruch - IP-Adresse - Verwertungsverbot
Gründe:
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss in der Fassung vom 29. April 2015 (1 BGs 51/15) hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf Antrag des Generalbundesanwalts in einem von diesem gegen Unbekannt geführten Ermittlungsverfahren eine Anordnung nach § 100a Abs. 1 StPO getroffen. Mit dieser zunächst auf drei Monate, durch Verlängerungsbeschluss vom 23. Juli 2015 bis zum 1. September 2015 befristeten Maßnahme ist die Beschwerdeführerin verpflichtet worden, den Ermittlungsbehörden die dynamischen IP- Adressen derjenigen Personen mitzuteilen, die innerhalb dieses Zeitraums unter Nutzung einer bestimmten Browserversion eine näher bezeichnete Sub-URL einer Internetseite aufrufen. Dazu soll die Beschwerdeführerin in einem ersten Schritt diejenigen Anfragen an die von ihr betriebenen DNS-Server, die sich auf die Hauptseite beziehen, auf einen speziell eingerichteten Proxy-Server umleiten; in einem zweiten Schritt hat die Beschwerdeführerin die umgeleiteten Daten auf die weiteren Merkmale - Sub-URL sowie Browserversion - zu untersuchen. Hinsichtlich der auf diese Weise erlangten IP-Adressen der Anfragenden hat der Generalbundesanwalt mit Verfügung vom 25. März 2015 gemäß § 100j Abs. 1 und 2 StPO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG angeordnet, dass die Beschwerdeführerin schriftlich Auskunft über die jeweils vorhandenen Bestandsdaten zu erteilen hat.
Die Beschwerdeführerin hält den Beschluss des Ermittlungsrichters für rechtswidrig und deshalb für einen unzulässigen Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit sowie in ihre Rechtsstellung nach § 88 Abs. 2 TKG. Der Generalbundesanwalt meint, die Prüfung habe sich mangels weitergehender Beschwer darauf zu beschränken, ob eine formal rechtmäßige Anordnung nach § 100a StPO ergangen und deren Umsetzung technisch möglich sei. Da beides zu bejahen sei, sei das Rechtsmittel unbegründet. Der Ermittlungsrichter hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Beschwerde ist jedenfalls im Umfang ihrer Begründung zulässig.
a) Da es sich bei der Anordnung nach § 100a Abs. 1 StPO um eine Maßnahme gemäß § 101 Abs. 1 StPO handelt, ist das Rechtsmittel auch gegen einen entsprechenden Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs statthaft, § 304 Abs. 5 StPO.
b) Als von der Anordnung in die Pflicht genommener Telekommunikationsdienstleister ist die Beschwerdeführerin durch die Maßnahme sowohl betroffen als auch beschwert (§ 304 Abs. 2 StPO). Der Senat muss vorliegend nicht entscheiden, ob zur Vermeidung von Popularbeschwerden zusätzlich eine Beschwerdebefugnis dahingehend zu verlangen ist, dass der Dienstleister nur solche Rechtsfehler der Anordnung rügen kann, die seine eigene Sphäre unmittelbar tangieren (so BGH, Ermittlungsrichter, Beschluss vom 7. September 1998 - 2 BGs 211/98, CR 1998, 738, 739; Bär, Handbuch zur EDV- Beweissicherung, 2007, Rn. 112; weitergehend Klesczewski in Säcker, TKG, 3. Aufl., § 110 Rn. 7; Graulich in Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, § 110 Rn. 41 f.; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Mai 2005 - 3 W 63/05, NJW 2005, 2625, 2626). Denn mit der Behauptung, die Umsetzung der ermittlungsrichterlichen Anordnung verlange mehr von ihr, als die gesetzlichen Vorgaben zuließen, macht die Beschwerdeführerin eine solche unmittelbare Betroffenheit geltend (vgl. Bär aaO, Rn. 113).
Demgegenüber geht es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht an, die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf die Frage der technischen Möglichkeit der Umsetzung zu reduzieren. Denn neben dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis der von der Maßnahme Betroffenen liegt in einer Anordnung nach § 100a Abs. 1 StPO auch ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des in Anspruch genommenen Dienstleisters. Dieser Eingriff bedarf seinerseits einer rechtlichen Grundlage (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), die losgelöst von der zur Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 10 Abs. 1 GG zu beurteilen ist.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die der Beschwerdeführerin übertragene Filterung nach den Merkmalen "Browserversion" und "Sub-URL" stellt Überwachung dar und obliegt als solche den Ermittlungsbehörden.
a) Die Inpflichtnahme des Telekommunikationsdienstleisters findet seine Rechtfertigung grundsätzlich in § 100b Abs. 3 Satz 1 StPO. Danach hat dieser daran mitzuwirken, den Ermittlungsbehörden die Maßnahmen nach § 100a StPO zu ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
Der Umstand, dass die Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation (TKÜV), die in § 110 Abs. 2 TKG ihre Grundlage findet, keine Regelungen zur Umsetzung der verfahrensgegenständlichen Anordnung enthält, macht diese selbst nicht unzulässig. § 100b Abs. 3 Satz 2 StPO bewirkt keine Einschränkung der nach § 100a StPO möglichen Maßnahmen, sondern regelt lediglich eine technische Vorhaltungsverpflichtung. Dies folgt bereits aus § 110 Abs. 1 Satz 6 TKG und § 3 Abs. 2 Satz 4 TKÜV, die jeweils ausdrücklich bestimmen, dass § 100b Abs. 3 Satz 1 StPO unberührt bleibe. Dieses Verständnis entspricht auch dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Dieser erstreckte durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl I, S. 3198) die Mitwirkungspflicht des § 100b Abs. 3 Satz 1 StPO auf solche Telekommunikationsdienstleister, die ein geschlossenes System betreiben und deshalb nicht geschäftsmäßig handeln. Dabei stellte er ausdrücklich klar, dass diese Dienstleister von den unverhältnismäßigen Kosten freigehalten werden sollen, die durch die Vorhaltungspflichten entstehen (BT-Drucks. 16/5846, S. 47). Gleiches gilt bezüglich der Beschränkung des Kreises der durch die TKÜV Verpflichteten auf öffentliche Anbieter mit mehr als 10.000 Teilnehmern oder sonstigen Nutzungsberechtigten in § 3 Abs. 2 Nr. 5 TKÜV (vgl. hierzu BR-Druck. 631/1/105, S. 1 f.).
b) Die Ermöglichung der Maßnahme ist indes von deren Durchführung zu trennen. Die durch § 100a Abs. 1 StPO gestattete Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, mithin die Kenntnisnahme vom Inhalt der Mitteilungen, obliegt allein den Ermittlungsbehörden (vgl. KK-Bruns, StPO, 7. Aufl., § 100b Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 100b Rn. 8). Diese Aufgabenverteilung ist absolut. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts steht das für Mitarbeiter von Telekommunikationsdienstleistern bestehende Verbot, Gespräche mitzuhören, auch bei nicht standardisierten Maßnahmen nicht in Relation zu dem unabhängig davon geltenden Gebot des geringstmöglichen Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis des einzelnen Nutzers.
aa) § 88 Abs. 3 Satz 1 TKG untersagt den Dienstanbietern, sich über das für die geschäftsmäßige Erbringung erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Dieses Verbot bleibt durch § 100b Abs. 3 Satz 1 StPO unberührt. Hierdurch wird den Anbietern lediglich aufgegeben, den Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die Kommunikation zu gewähren (vgl. Eckhardt in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., § 88 Rn. 35).
bb) Dabei ist der Zugang gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 TKÜV derart einzuräumen, dass der Verpflichtete (hier: die Beschwerdeführerin) der berechtigten Stelle (hier: den Ermittlungsbehörden) am Übergabepunkt eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen hat, die über seine Telekommunikationsanlage unter der zu überwachenden Kennung abgewickelt wird. Aus dem Umstand, dass die TKÜV keine detaillierte Regelung über die Umsetzung der verfahrensgegenständlichen Maßnahme enthält, folgt entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht, dass auch deren generelle Regelungen keine Geltung beanspruchen könnten. Diese bleiben über den Verweis in § 100b Abs. 3 Satz 2 StPO weiterhin anwendbar, da sie unabhängig vom Einzelfall Vorgaben zur Abwicklung machen (vgl. auch § 110 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) TKG).
cc) Der Telekommunikationsdienstleister hat mithin die Kopie für die Ermittlungsbehörden auf der Ebene seiner geschäftsmäßigen Aufgabenerfüllung zu erstellen. Diese liegt beim Aufruf einer Internetseite durch einen Nutzer im Verbindungsaufbau zwischen dessen (dynamischer) IP-Adresse zu der im Ausland belegenen Internetseite, wobei in Deutschland (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 TKÜV) durch den DNS-Server der Beschwerdeführerin allein die Übersetzung des Seitennamens in eine (statische) IP-Adresse vorgenommen wird, um die Weiterleitung zu ermöglichen. Da die Übersetzung schon allein anhand des Namens der Hauptseite möglich ist, kommt es - was auch der Generalbundesanwalt nicht in Abrede stellt - für die Aufgabenerledigung durch die Beschwerdeführerin auf die letztlich vom Nutzer angesteuerte Sub-URL ebenso wenig an wie auf die von diesem genutzte Browserversion.
dd) Bereits daraus folgt, dass die auf diese Kriterien abstellende weitere Filterung den Ermittlungsbehörden obliegt, letztlich unabhängig davon, ob es sich dabei um "starke" oder "schwache" Inhaltsdaten oder lediglich nähere Umstände der Kommunikation handelt. Es kommt mithin nicht mehr darauf an, dass es für die Schwere eines Grundrechtseingriffs keinen Unterschied macht, ob dieser durch die Ermittlungsbehörden selbst oder in deren Auftrag durchgeführt wird.
3. Der Beschluss des Ermittlungsrichters kann daher keinen Bestand haben. Soweit grundsätzlich eine Anordnung in Betracht kommen könnte, mit der die Daten aller Verbindungsaufrufe zu der Hauptinternetseite den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen sind, läge darin kein Minus zu der bislang durchgeführten Maßnahme, sondern ein Aliud. Hierfür bedürfte es indes eines ausdrücklichen Antrags des Generalbundesanwalts. Einen solchen vermag der Senat in dessen Stellungnahme nicht zu erkennen.