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Landgericht Berlin Urteil vom 21.01.2010 · 27 O 938/09 - Ein Online-Portalbetreiber darf kritisch über Prozesse und Anwaltskanzlei berichten

LG Berlin v. 21.01.2010: Ein Online-Portalbetreiber darf kritisch über Prozesse und Anwaltskanzlei berichten


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 21.01.2010 · 27 O 938/09) hat entschieden:
Ein Online-Portalbetreiber darf kritisch über Prozesse und Anwaltskanzlei berichten, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Meinungsfreiheit des Betreibers Vorrang vor den Interessen der betroffenen Anwaltskanzlei haben.




Siehe auch Bewertungsseiten im Internet und Störerhaftung des Betreibers von Internetangeboten


Tatbestand:

Der Beklagte veröffentlichte auf seiner Internetseite „buskeismus.de" den nachfolgend wiedergegebenen Beitrag, der über einen vor der Kammer geführten Prozess der Parteien berichtet:
[folgen umfangreiche Abbildungen]
Die klagende Anwaltskanzlei, die sich durch die Berichterstattung in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht und ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt sieht, nimmt den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Die dort beschriebene Verhandlung, in der es um ihre eigenen rechtlichen Schritte gegen eine geplante Veröffentlichung des Beklagten gegangen sei, ginge die Öffentlichkeit nichts an. Die Kammer habe in jenem Verfahren ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung der geplanten Liste verneint. Ein Berichterstattungsanlass für ihr juristisches Vorgehen gegen selbige sei demnach auch nicht gegeben.

Mit Schriftsatz vom 8. Januar 2010 hat die Klägerin klagererweiternd aus abgetretenem Recht eines Mandanten Ersatz vorgerichtlich angefallener Anwaltskosten in Höhe von 661,16 € wegen einer Berichterstattung auf der Internetseite des Beklagten aus dem Jahr 2007 verlangt Hinsichtlich der Berechnung der Schadensersatzforderung und der beanstandeten Berichterstattung im Einzelnen wird auf die Seiten 5 f. dieses Schriftsatzes (Bl. 46 f. d.A.) nebst Anlagen verwiesen.

Die Klägerin beantragt,
  1. den Beklagten unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, identifizierend und/oder unter Nennung des Namens der Klägerin über das Verfahren 27 O 216/09 des Landgerichts Berlin zu berichten und/oder berichten zu lassen, wie auf der Internetseite buskeismus-lexikon.de unter der Überschrift „27 O 216/09 - 04.06.2009 - Anwaltskanzlei möchte keine Liste aller Verfahren im Netz" geschehen,

  2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 661,16 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er rügt angesichts der geringen Verbreitung des beanstandeten Beitrags, der nur die Sozialsphäre der Klägerin betreffe, die sachliche Zuständigkeit der angerufenen Kammer. In der Sache hält er die namentliche Erwähnung der Klägerin für zulässig. Die Klägerin müsse die Berichterstattung über einen Prozess, der sich allein mit ihrer Sozialsphäre befasse, nach der Rechtsprechung des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs hinnehmen. Zur Klageerweiterung könne er sich noch nicht einlassen; eine Vertagung sei jedoch nicht sachgerecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die ursprüngliche Klage ist zulässig. Das angerufene Gericht ist zur Entscheidung des Rechtsstreits sachlich zuständig (§§ 23, 71 GVG), wie sich aus dem Streitwertbeschluss vom heutigen Tage ergibt. Der Streitwert entspricht der üblichen Streitwertfestsetzung der Kammer in vergleichbaren Fällen.

Die Klage ist aber unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Berichterstattung gegen den Beklagten nicht aus §§ 823, analog 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Der beanstandete, die Klägerin identifizierende Prozessbericht des Beklagten ist zulässig. Er verletzt weder das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin noch ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Der vom Beklagten auf seiner Internetseite veröffentlichte Sitzungsbericht betrifft nur die Sozialsphäre. Dazu zählen Äußerungen, die von anderen ohne weiteres wahrgenommen werden können, ohne dass der Betroffene sich jedoch der Öffentlichkeit bewusst zukehrt. Dies allein rechtfertigt die Berichterstattung zwar nicht, da auch in diesem Bereich dem Einzelnen grundsätzlich die Bestimmung darüber vorbehalten bleibt, welcher Öffentlichkeit er personal vorgestellt wird (BVerfG NJW 1973, 1226 - Lebach). Der Lebens- und Entfaltungsraum der Persönlichkeit wäre übermäßig eingeengt, wenn sie mit der steten Gefahr konfrontiert wäre, einer breiteren Öffentlichkeit ausgesetzt zu werden als jener, die sie im sozialen Kontakt gesucht hat. Einschränkungen für das Bestimmungsrecht können sich allerdings insbesondere daraus ergeben, dass der Betroffene in einem Wirkungsfeld auftritt, das nicht ihm allein gehört, sondern an dem andere mit ihren schutzwürdigen Interessen ebenso teilhaben. Vor allem Bedürfnisse der Allgemeinheit, dieses Wirkungsfeld als solches zur öffentlichen Erörterung und Kritik zu stellen, können es rechtfertigen, mit ihm auch die in ihm tätigen Personen in die Öffentlichkeit zu rücken. Insoweit drückt sich die Sozialbindung des Individuums in Beschränkungen seines Persönlichkeitsschutzes aus (BGH NJW 1981, 1366 - Wallraff).

Hier haben das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Meinungsfreiheit des Beklagten aber Vorrang vor den Interessen der Klägerin. Dem Beklagten ist es nicht zu verwehren, öffentlich Kritik an der Vorgehensweise der beschriebenen Medienanwaltskanzlei zu üben, sei es auch bei ihrer Tätigkeit in eigener Sache. Wie das Kammergericht in seinem Beschluss vom 29. September 2009 - 9 W 135/09 -, Afp 2009, 608, 610 ausgeführt hat,
„ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner eine Internetseite betreibt, auf der er über die Rspr, einzelner Gerichte in Pressesachen berichtet und hierbei auch das Wirken in der in diesem Zusammenhang tätigen Rechtsanwälte beleuchtet. Damit übt der Antragsgegner öffentliche Kritik an der Rspr. dieser Gerichte und der Tätigkeit dieser Anwälte. Dieses Bemühen des Antragsgegners um eine öffentliche Beschäftigung mit der Tätigkeit dieser Gerichte ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Ersichtlich nimmt der Antragsgegner hierbei für sich in Anspruch, sein Anliegen auch im öffentlichen Interesse und zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zu verfolgen. Insoweit ist die vom Antragsgegner auf seiner Internetseite geführte öffentliche Darstellung und Diskussion der Rspr. in Pressesachen im Grundsatz als adäquates Mittel für die Durchsetzung der eigenen Meinung in der geistigen Auseinandersetzung von Art. 5 Abs, 1 Satz 1 GG gedeckt (vgl. Senat, Beschluss vom 13.01.2009 - 9 W 178/08).

Hiernach wäre im Rahmen der notwendigen Abwägung der gegenseitigen Interessen einerseits zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin im vorliegenden Fall eine Berichterstattung verhindern will, die sich mit den Leistungen ihrer Rechtsanwälte befasst (vgl, BGH, AfP 1998 S. 399 = NJW 1998 S. 2141). Ein Gewerbetreibender hat eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen aber grundsätzlich hinzunehmen. Bei der Annahme eines rechtswidrigen Eingriffs ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten, wenn eine gewerbliche Leistung durch eine wahre Berichterstattung betroffen ist (BGH, ebenda). Nichts anderes kann für Leistungen der freien Berufe gelten."
Der Umstand, dass es sich vorliegend nicht um ein besonders spektakuläres Gerichtsverfahren handelte, ändert hieran nichts. Vielmehr besteht ein durchaus anerkennenswertes Interesse, die Bevölkerung auch und gerade über den Gerichtsalltag zu informieren. Die gegenteilige Auffassung der Klägerin lässt sich mit dem in § 169 GVG verankerten Öffentlichkeitsgrundsatz, welche die Rechtspflege in einem demokratischen Rechtsstaat auszeichnet, nicht vereinbaren. Dem Beklagten kann auch ein schutzwürdiges Interesse, die Namen der am Rechtsstreit Beteiligten zu nennen, nicht von vornherein abgesprochen werden, da dies maßgeblich zur Anschaulichkeit der von ihm verfassten Sitzungsberichte beiträgt (so Kammergericht, Beschluss vom 20. Febr. 2009, 9 W 39/09 m.w.N.), Mit dem angegriffenen Sitzungsbericht thematisiert der Beklagte offensichtlich das Spannungsverhältnis zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht, indem er anhand des gegen ihn geführten Verfahrens, in dem er weitgehend unterlag, die Schwierigkeiten bei seiner Tätigkeit als Gerichtsberichterstatter verdeutlicht. Dem Beklagten ist einzuräumen, dass der Bericht in der Sache durchaus zu der auf seiner Internetseite betriebene Auseinandersetzung beiträgt und von Interesse ist.

Ein Unterlassungsanspruch ist auch nicht wegen einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin gegeben. Es fehlt an einem unmittelbar betriebsbezogenen Eingriff. Das Kammergericht führt a.a.O. aus:
Voraussetzung für eine Haftung ist ein unmittelbar betriebsbezogener Eingriff. Nicht jede rechtswidrige Äußerung kann allerdings schon als Störung des Unternehmens in Betracht kommen. Unmittelbar betriebsbezogen ist ein Eingriff, der sich „irgendwie gegen den Betrieb als solchen richtet, also betriebsbezogen ist und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Recht oder Rechtsgüter betrifft" (BGH, NJW-RR 2005 S. 673). Es bedarf „zur Eingrenzung des Anspruchs einer Betriebsbezogenheit des Eingriffs, der sich nach seiner objektiven Stoßrichtung gegen den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten muss; erforderlich ist ferner eine Schadensgefahr, die über eine bloße Belästigung oder sozialübliche Behinderung hinausgeht und geeignet ist, den Betrieb in empfindlicher Weise zu beeinträchtigen" (BGH, NJW 1998 S. 2141).

Anders als bei der der dortigen Entscheidung zugrunde liegenden Verfahrensliste, in der nahezu sämtliche Verfahren der Klägerin und ihrer Mandanten aufgeführt waren, betrifft der hier beanstandete Bericht über die Veröffentlichung einer Verfahrensliste ein gegen den Beklagten in eigener Sache geführtes Verfahren, Dem Beitrag ist lediglich zu entnehmen ist, dass die Veröffentlichung der nicht näher konkretisierten Verfahrensliste, gegen die die Klägerin vorgegangen ist, unzulässig ist, Dass dieser Sitzungsbericht unmittelbare Auswirkungen auf den Betrieb der Klägerin hätte, ist weder dargetan noch sonst wie ersichtlich. Anders als im der Entscheidung des Kammergerichts zugrunde liegenden Fall kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die Veröffentlichung ihres in eigener Sache gegen den Beklagten geführten Verfahrens potentielle Mandanten der Presseanwaltskanzlei davon abhalten könnte, sie mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen, weil diese annehmen müssten, dass auch ihr Rechtstreit unter Angabe des Gegenstands und Identifizierung der Beteiligten noch Jahre später im Internet aufgelistet sein würde."
Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 8. Januar 2010 den Beklagten weiter auf Erstattung von Anwaltskosten in Anspruch genommen hat, war insoweit eine Sachentscheidung nicht veranlasst. Die Klageänderung ist unzulässig, weil nicht sachdienlich i.S.d. § 263 ZPO. Der nunmehr weitergehend geltend gemachte Schadensersatzanspruch wird auf einen gänzlich anderen Lebenssachverhalt gestützt. Der Rechtsstreit war insoweit im Verhandlungstermin nicht entscheidungsreif. Warum die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch in eigener Sache mit einem Schadensersatzanspruch eines ihrer Mandanten, den sie aus abgetretenem Recht verfolgt, verbunden sehen will, ist weder dargetan noch sonstwie ersichtlich, und erscheint im konkreten fall sachwidrig.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.



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