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BGH Urteil vom 13.05.1987 - I ZR 68/85 - Anforderungen an das Merkmal "gut lesbar" in der Heilmittelwerbung und an die Normalsichtigkeit

BGH v. 13.05.1987: Zu den Anforderungen, die daran zu stellen sind, daß die Pflichtangaben im Sinne des HeilMWerbG § 4 Abs 4 "gut lesbar" sein müssen und zur Bestimmung des Kreises der durchschnittlich normalsichtigen Leser, für die die Pflichtangaben gut lesbar sein müssen


Der BGH (Urteil vom 13.05.1987 - I ZR 68/85) hat entschieden:

   Zu den Anforderungen, die daran zu stellen sind, daß die Pflichtangaben im Sinne des HeilMWerbG § 4 Abs 4 "gut lesbar" sein müssen und zur Bestimmung des Kreises der durchschnittlich normalsichtigen Leser, für die die Pflichtangaben gut lesbar sein müssen.




Siehe auch
Arzneimittel
und
Arzneimittelwerbung


Zum Sachverhalt:


Die Klägerin ist eine Vereinigung, die satzungsgemäß unlauteren Wettbewerb verfolgt.

Die Beklagte befaßt sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Fertigarzneimitteln. Sie bringt unter der Bezeichnung "Eu-Med" ein Schmerzmittel in den Verkehr. Hierfür hat sie unter anderem in der Zeitschrift "Stern" Nr. 20 vom 10. Mai 1984 so geworben, wie aus der vorstehenden Urteilsformel ersichtlich ist.

Die Klägerin hat die Pflichtangaben in dieser Anzeige als im Sinne der seinerzeit geltenden Fassung des § 4 Abs. 4 Satz 1 HWG nicht deutlich abgesetzt, abgegrenzt und erkennbar angesehen. Im Hinblick auf die seit dem 1. Februar 1987 geltende Fassung dieser Vorschrift (BGBl I 1986, 1296) hält sie diese Angaben nicht für gut lesbar i.S. der Neufassung.

Sie hat zuletzt beantragt,

   der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr in Zeitungsanzeigen für den Absatz des Arzneimittels "Eu-Med" zu werben, ohne die nach § 4 Abs. 1, Abs. 3 HWG notwendigen Pflichtangaben deutlich erkennbar und von den übrigen Werbeangaben deutlich abgesetzt und abgegrenzt in der Werbung aufzuführen, insbesondere ... (es folgt die in der vorstehenden Urteilsformel wiedergegebene Abbildung) zu werben, ausgenommen in Fällen einer Erinnerungswerbung im Sinne von § 4 Abs. 5 HWG.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hiergegen ist ohne Erfolg geblieben.

Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgte die Klägerin den gestellten Antrag weiter.

Die Revision war erfolgreich.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... I.

Gegenstand des Verfahrens ist allein die Werbung der Beklagten für das von ihr vertriebene Schmerzmittel in der Form, wie sie in der Urteilsformel wiedergegeben ist. Das folgt aus dem Antrag der Klägerin, der im wesentlichen nur aus einer Wiederholung des Gesetzeswortlauts und der Wiedergabe der angegriffenen Anzeige besteht. Daraus und aus dem Vorbringen der Klägerin im Verfahren ist zu entnehmen, daß sie mit der Wiedergabe der Abbildung nicht nur verdeutlichen wollte, wie ihr Klagevorbringen zu verstehen sei. Vielmehr war ihr Begehren erkennbar ausschließlich darauf gerichtet, der Beklagten die Werbung in der aus der Anzeige ersichtlichen Form untersagen zu lassen.

II.

Das Unterlassungsbegehren der Klägerin ist nach § 1 UWG i.V. mit § 4 Abs. 1 u. 4 HWG begründet.

1. Dabei ist der Entscheidung, mit der die Klägerin erreichen will, daß die Beklagte auch in Zukunft nicht in der angegriffenen Form wirbt, die seit dem 1. Februar 1987 geltende Fassung des Gesetzes zugrunde zu legen. Nach Art. 3 des vorbezeichneten Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes müssen die Pflichtangaben nach § 4 Abs. 4 Satz 1 HWG "von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt, abgegrenzt und gut lesbar" sein. Der Bundesgerichtshof hat bereits der bisher geltenden Fassung des Gesetzes entnommen, daß die Pflichtangaben ohne besondere Konzentration und Anstrengung lesbar sein müssen, weil die Vorschrift gewährleisten solle, daß der Werbeadressat sich ein nicht nur einseitiges Bild vom Wert eines vom Werbenden angebotenen Arzneimittels machen könne; er solle eine möglichst rationale Entscheidung darüber treffen können, ob das angebotene Arzneimittel seinen gesundheitlichen Bedürfnissen entspreche. Dieser Zweck würde nicht unerheblich gefährdet, wenn sich der Verkehr nur unter besonderer Konzentration und mit Anstrengung solche Informationen verschaffen könne; denn nach der Lebenserfahrung müsse davon ausgegangen werden, daß ein nicht unerheblicher Teil der Angesprochenen diese Mühe scheuen und sich auf das Lesen des vom Werbenden ausgesuchten, regelmäßig leichter lesbar gestalteten und die positiven Aspekte des Mittels herausstellenden Teils der Werbung beschränken würde (BGH, Urt. v. 10. Dezember 1986 - I ZR 213/84 - 6-Punkt-Schrift, Urteilsumdr. S. 7/8).

Mit der Neufassung des Gesetzes hat der Gesetzgeber, wie der Begründung des Entwurfs zu entnehmen ist, die Lesbarkeit der Pflichtangaben, "besonders in der Fernsehwerbung", verbessern wollen (BT-Drucks. 10/5112, S. 25). Dieser Formulierung kann nicht, wie die Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, entnommen werden, daß die Lesbarkeit der Pflichtangaben nur in der Fernsehwerbung verbessert werden solle. Vielmehr läßt die zusätzliche Hervorhebung der letzteren durch das Wort "besonders" erkennen, daß es dem Gesetzgeber auch um die allgemeine Verbesserung der Lesbarkeit gegenüber derjenigen nach den Maßstäben der bisherigen Regelung ging. Die Pflichtangaben sollen nunmehr generell nicht mehr nur erkennbar sein, was vom Senat bislang als lesbar ohne besondere Konzentration und Anstrengung ausgelegt worden ist (vgl. aaO. 6-Punkt-Schrift), sondern sie sollen "gut" lesbar sein, was höhere Anforderungen stellt als eine Lesbarkeit lediglich ohne besondere Konzentration und Anstrengung.




2. Diesen gesteigerten Anforderungen genügen die Pflichtangaben in der Werbung der Beklagten nicht.

Das Berufungsgericht hat zwar, ausgehend von der zur Zeit seiner Entscheidung gültigen Gesetzesfassung, festgestellt, daß die Pflichtangaben für einen Normalsichtigen ohne Konzentration und Anstrengung lesbar seien. Diese Feststellung genügt aber nicht nur nicht ohne weiteres den Anforderungen, die nach der Neufassung des Gesetzes zu stellen sind, sie begegnet bei Betrachtung der vorliegenden Anzeige auch Bedenken dahin, ob das Berufungsgericht von einem zutreffenden Begriff der hier zugrunde zu legenden Normalsichtigkeit ausgegangen ist. Dieser Begriff ist nicht, wie es nach der Beurteilung des Berufungsgerichts den Anschein haben könnte, im Sinne einer 100%igen Sehfähigkeit zu verstehen, von der möglicherweise in der Augenmedizin als dem Normalfall ausgegangen wird. Vielmehr muß als normal im Hinblick auf den hier angesprochenen Leserkreis großer Publikumszeitschriften eine, wie es auch schon in dem genannten Senatsurteil (aaO. 6-Punkt-Schrift, Urteilsumdr. S. 6) heißt, "durchschnittlich" normale Sehfähigkeit, d.h. eine Sehfähigkeit mit einer gewissen Schwankungsbreite um 100% herum angesehen werden. Das folgt aus der Erfahrung, daß die Sehfähigkeit, insbesondere älterer Menschen, nicht selten durch unbemerkte und unkorrigierte, aber auch durch - namentlich im Alter - nicht voll durch Sehhilfen korrigierbare Abweichungen vom 100%-Wert beeinträchtigt sein kann, ohne daß dadurch die Fähigkeit verloren geht, die in Publikumszeitschriften an sich übliche Schriftgröße noch lesen zu können. Von einem solchen Verständnis der Normalsichtigkeit ist im Hinblick auf den Schutzzweck des § 4 Abs. 4 des Heilmittelwerbegesetzes auszugehen.

Schließt Normalsichtigkeit in diesem Sinne gewisse Beeinträchtigungen der vollen Sehkraft ein, so erscheint schon die Feststellung des Berufungsgerichts, die hier zu beurteilende Schriftgröße der Pflichtangaben sei ohne besondere Konzentration und Anstrengung lesbar, eher erfahrungswidrig; jedenfalls fehlt es aber an der nunmehr erforderlichen guten Lesbarkeit dieser Angaben.

Wie der Senat in dem genannten Urteil ausgeführt hat, lag eine Schrift in der hier gegebenen 6-Punkt-Größe, die von der in den genannten Zeitschriften sonst üblichen Schriftgröße erheblich abweicht, schon nach der früheren gesetzlichen Regelung an der unteren Grenze der bei Gestaltung der Pflichtangaben noch vertretbaren Schriftgröße. Ob sie den nunmehr verschärften Anforderungen noch genügen kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung; denn der Grad der Lesbarkeit hängt, wie der Senat (aaO.) bereits ausgeführt hat, nicht allein von der Schriftgröße, sondern auch von anderen für das Druckbild maßgeblichen Umständen wie Wort- und Zeilenanordnung, Gliederung, Papier, Farbe und ähnlichem ab. Diese Umstände stehen aber im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit der geringen Schriftgröße der Annahme einer guten Lesbarkeit der Pflichtangaben entgegen. Wie die Anzeige erkennen läßt, sind die Angaben in vier eng untereinanderliegenden Zeilen durchgehend, d.h. ohne die übliche Spalteneinteilung, über die volle Breite der Anzeige angebracht, die ihrerseits die Breite einer ganzen Zeitschriftenseite einnimmt. Die Lesbarkeit dieses Textes wird außer durch seine Länge und den Mangel jeglicher Gliederung und mangels Hervorhebung von Textteilen weiter dadurch erschwert, daß er nicht auf den normalen weißen Untergrund des Zeitschriftenpapiers, sondern auf den als Teil eines Wolkenbildes und einer abgebildeten Hand unterschiedlich graugetönten unteren Rand der Anzeige gesetzt ist, die außerdem durch die stark bildhafte Gesamtgestaltung und durch das wesentlich größere und deutlichere Schriftbild anderer Werbeangaben die Pflichtangaben unverhältnismäßig stark an den Rand der Aufmerksamkeit drängt. Es kommt hinzu, daß die Pflichtangaben vorliegend, anders als in dem vom Senat entschiedenen Fall, keinen seinem Sinngehalt nach einfach lesbaren Text darstellen, sondern Aneinanderreihungen teils schwieriger und für den Laien nicht leicht lesbarer Fachausdrücke. Dies betrifft gerade die für den Leser besonders wichtigen der Gefahrabwendung dienenden Gegenindikationsangaben.



Der Pflichtangabenteil der Anzeige entspricht somit nicht den Anforderungen an eine gute Lesbarkeit und verstößt damit gegen § 4 Abs. 4 Satz 1 HWG.

3. Der Verstoß gegen diese Vorschrift ist zugleich auch ein Verstoß gegen § 1 UWG, ohne daß es insoweit des Hinzutretens weiterer Umstände bedurft hätte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs widerspricht es regelmäßig den Anschauungen des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden, wenn in der Werbung oder sonst im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Vorschriften verletzt werden, mit denen der Gesetzgeber im Interesse der Volksgesundheit den Wettbewerb ordnet (vgl. dazu BGHZ 22, 167, 180; Urt. v. 1. Dezember 1983 - I ZR 124/81, GRUR 1984, 292, 293 = WRP 1984, 262 - THX-Injektionen).

III.

Danach war auf die Revision der Klägerin das angefochtene Urteil aufzuheben und auf die Berufung der Klägerin unter Abänderung des Urteils des Landgerichts die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. ..."

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