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Amtsgericht Berlin-Mitte Urteil vom 24.01.2012 - 14 C 464/10 - Widerrufsrecht trotz vorherigem Besuch im Ladengeschäft

AG Berlin-Mitte v. 24.01.2012: Widerrufsrecht besteht trotz vorherigem Besuch im Ladengeschäft


Das Amtsgericht Berlin-Mitte (Urteil vom 24.01.2012 - 14 C 464/10) hat entschieden:
Hat der Verbraucher sich während der Vorverhandlungen über alle für den Vertragschluss wesentlichen Umstände informiert und kommt der Vertrag in einem unmittelbar zeitlichen Zusammenhang mit dem persönlichen Kontakt zum Verkäufer zustande, ist die Anwendbarkeit der §§ 312b ff. BGB ausgeschlossen. Das gilt auch, wenn der Verbraucher die notwendigen Informationen anlässlich eines persönlichen Kontaktes bei einem früheren gleichartigen Vertragsschluss erhalten hat.




Anmerkung:
Das LG Berlin (Urteil vom 12.03.2013 - 83 S 52/12) hat die Entscheidung aufgehoben und ist vom Bestehen eines Widerrufsrechts ausgegangen.

Siehe auch Das Widerrufsrecht im Online-Handel und Stichwörter zum Thema Widerrufsrecht


Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit seiner Klage Rückzahlung des Kaufpreises aus einem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag über eine Lederjacke.

Die Beklagte betreibt unter der im Rubrum angegebenen Anschrift ein Kaufhaus. Darüber hinaus betreibt sie einen Versandhandel über das Internet und gibt Bestellkataloge heraus.

Im September 2009 suchte der Kläger das Ladengeschäft der Beklagten auf und lies sich dort von einem Mitarbeiter der Beklagten bzgl. diverser Kleidungsstücke beraten und probierte diese auch an. Streit herrscht zwischen den Parteien, ob die streitgegenständliche Lederjacke zum damaligen Zeitpunkt schon Gegenstand der Verkaufsverhandlungen war.

Im Oktober 2009 bestellte der Beklagte eine Lederjacke der Marke Tom Ford zu einem Kaufpreis von 6.150,00 - bei der Beklagten. Die Lederjacke wurde ihm an 21. Oktober 2009 geliefert. Den Kaufpreis buchte die Beklagte über das Kreditkartenkonto des Klägers ab. In der Folgezeit kam es zur Rückabwicklung des Vertrages, der Kläger sandte die Lederjacke an die Beklagte zurück, welche ihm den Kaufpreis vollständig zurückerstattete.

Am 11. Dezember 2009 rief der Kläger bei der Beklagten an und bestellte die Jacke erneut, jedoch zu einem reduzierten Kaufpreis von 3.075,00 -, welcher noch am selben Tag vom Kreditkartenkonto des Klägers abgebucht wurde. Über die Umstände der Bestellung herrscht ebenfalls zwischen den Parteien Streit.

Die Jacke, die dem Kläger am 14. Dezember 2009 geliefert wurde, schickte er am 28. Dezember 2009 an die Beklagte zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises, was die Beklagte jedoch ablehnte. Nach erneuter Lieferung der Jacke an den Kläger und Rücksendung durch diesen befindet sie sich gegenwärtig im Besitz der Beklagten.

Der Kläger behauptet:

Er sei erstmalig auf die Lederjacke im Internet aufmerksam geworden. Keinesfalls habe er diese bereits im September 2009 im Ladenqeschäft der Beklagten anprobiert. Er sei dort zwar von einem Mitarbeiter der Beklagten beraten worden, es sei jedoch dabei um andere Kleidungsstücke gegangen und nicht um die Lederjacke.

Bei Durchführung des ersten Kaufvertrages im Oktober 2009 habe er die Jacke nicht ausgepackt, sondern sie in der Originalverpackung an die Beklagte zurückgesandt.

Der Kläger meint, bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag handele es sich um ein Fernabsatzgeschäft i S. d. §§ 312b ff. BGB, so dass er zum Widerruf des Kaufvertrages berechtigt gewesen sei.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.075,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet:

Der Kläger habe bereits im September 2009 im Verkaufsraum in der ...straße die streitgegenständliche Lederjacke anprobiert und sich diesbezüglich auch durch ihren Mitarbeiter den Zeugen ... beraten lassen.

In dem Telefonat am 11. Dezember 2009 mit ihrer Mitarbeiterin, der Zeugin ..., sei der Kläger von dieser darüber informiert worden, dass reduzierte Ware vom Umtausch ausgeschlossen sei. Dies habe der Kläger auch bestätigt.

Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergibt sich auch nicht aus §§ 312b, 312d, 355, 357, 346 BGB. Ein Recht zur Rückabwicklung des Vertrages steht dem Kläger nicht ZU, insbesondere hat er kein Recht zum Widerruf des Kaufvertrages gemäI1 § 312d i. V. m § 355 BGB, da die Vorschriften über Fernabsatzverträge gemäI1 §§ 312b ff. BGB vorliegend nicht zur Anwendung kommen.

Zwar ist der Kaufvertrag zwischen den Parteien unter Verwendung von Fernkommunikationsmitleln im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems der Beklagten abgeschlossen worden, dennoch sind die Vorschriften über den Fernabsatzvertrag im konkreten Fall nicht anwendbar, da der Kläger die Kenntnis aller für den Abschluss des Vertrages erforderlichen Informationen nicht ausschließlich durch Fernkommunikationsmittel erlangt hat. Sinn und Zweck der Bestimmungen über den Fernabsatzvertrag ist der Schutz des Verbrauchers vor den Gefahren, die sich aus "der Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts" ergeben (vg!. Palandt-Grüneberg, BGB, 70. Auflage, § 312b Rdnr. 3). In die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Fernabsatzvertrag vorliegt, ist auch die Phase der Vertragsanbahnung mit einzubeziehen. Hat der Verbraucher sich während der Vorverhandlungen über alle für den Vertragschluss wesentlichen Umstände informiert und kommt der Vertrag in einem unmittelbar zeitlichen Zusammenhang mit dem persönlichen Kontakt zum Verkäufer zustande, ist die Anwendbarkeit der §§ 312b ff. BGB ausgeschlossen. Das gilt auch, wenn der Verbraucher die notwendigen Informationen anlässlich eines persönlichen Kontaktes bei einem früheren gleichartigen Vertragsschluss erhalten hat (vg!. Palandt-Grüneberg, a. a. 0., Rdnr. 8).

Wie der Kläger selbst unter Zitierung des Münchner Kommentars ausführt, kommt es darauf an, ob aus der Sicht des Verbrauchers die Möglichkeit bestand, die für den Vertragsschluss wesentlichen Informationen anlässlich des persönlichen Kontakts unschwer zu erlangen, was insbesondere auch davon abhängt, wie intensiv der Kontakt war und in welchem Stadium der Vertragsanbahnung er stattfindet.

Im vorliegendem Fall kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht entscheidend darauf an, ob der Kläger im September 2009 die streitgegenständliche Lederjacke bereits im Ladengeschäft der Beklagten anprobiert und sich über das Produkt ausführlich informiert hat, sondern entscheidend ist, dass er die Jacke bereits aufgrund des zuvor geschlossenen Kaufvertrages kannte und somit über sämtliche kaufentscheidenden Informationen verfügte. Der Kläger selbst hat nicht bestritten, sondern vielmehr in der Klageschrift bestätigt, dass ihm die streitgegenständliche Jacke am 21. Oktober 2009 aufgrund seiner Bestellung am 17. Oktober 2009 übersandt worden ist. Er hatte sie im Besitz und war somit in der Lage, die Jacke zu prüfen und auch anzuprobieren: Dass er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ist dabei nach Auffassung des Gerichts unerheblich. Aber selbst wenn es darauf ankäme, wäre der Kläger für seine Behauptung, die Lederjacke aus der Originalverpackung nicht herausgenommen zu haben, so dass er deren Beschaffenheit nicht kannte, beweisfällig geblieben. Die Beklagte hat die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers ausdrücklich bestritten. Zwar trifft den Unternehmer die Beweislast dafür, dass der Verbraucher alle vertragsrelevanten Informationen bei Vertragsschluss hatte (vg!. Palandt-Grüneberg a. a. 0.), im konkreten Fall kehrt sich jedoch aufgrund der Tatsache, dass der Kläger die streitgegenständliche Lederjacke im Besitz hatte, die Beweislast um. Steht die darlegungs- und beweisbelastete Partei - wie hier - außerhalb des "maßgeblichen Geschehensablaufs und kann sie den rechtserheblichen Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln, während die Gegenpartei die erforderlichen Informationen hat, so entspricht es den Geboten von Treu und Glauben, dass diejenige Partei in deren ausschließlicher Einflusssphäre sich die maßgeblichen Tatsachen abgespielt haben, auch die Beweislast trägt (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Auflage, Vorbemerkung zu § 284, Rdnr. 37).

Der Nichtanwendbarkeit der §§ 312b ff. BGB steht auch nicht entgegen, dass der Kläger die streitgegenständliche Jacke bereits Ende Oktober 2009 im Besitz hatte und die Folgebestellung erst am 11. Dezember 2009 aufgegeben hat. Wann der unmittelbare Zusammenhang zwischen den aus den Vorverhandlungen bzw. ver Vertragsschluss erlangten Informationen und dem Zustandekommen des Vertrages noch" gegeben ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Im vorliegendem Fall sieht das Gericht diesen als noch gegeben an, da eine intensivere Kenntnis der Kaufsache als durch die Inbesitznahme kaum zu erlangen ist. Dass die Farbe und Größe und sonstige Beschaffenheit der Lederjacke und auch deren Sitz und Passgenauigkeit dem Kläger bekannt waren bei Anlieferung am 14. Dezember 2009, davon geht das Gericht aus.

Sonstige Gründe, die den Kläger zur Rückabwicklung des Vertrages berechtigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt auch entgegen der Auffassung des Klägers ein Haustürgeschäft gemäß § 312 BGB nicht vor, da es zum Abschluss des Vertrages nicht aufgrund von Vertragsverhandlungen in der Privatwohnung des Klägers gekommen ist. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag bei der Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin ..., angerufen und in diesem Gespräch die Jacke bestellt. Es liegt auch kein einem Haustürgeschäft vergleichbarer Fall vor, da die dort erforderliche typische "Überrumpelungssituation" hier gerade nicht gegeben war.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91,708 Nr. 11,711 ZPO.



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