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OLG Nürnberg Beschluss vom 13.02.2012 - 12 W 2361/1 - Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes von Luxemburg nach Deutschland unter identitätswahrendem Formwechsel in eine GmbH

OLG Nürnberg v. 13.02.2012: Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes von Luxemburg nach Deutschland unter identitätswahrendem Formwechsel in eine GmbH


Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 13.02.2012 - 12 W 2361/11) hat entschieden:
  1. Die Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes einer ausländischen Kapitalgesellschaft (hier: Société à responsabilité limitée luxemburgischen Rechts) nach Deutschland unter identitätswahrendem Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft deutschen Rechts (hier: GmbH) ist nach deutschem Sachrecht unzulässig.

    Dies gilt auch dann, wenn das Sachrecht des Gründungsstaates eine solche Sitzverlegung zuließe.

  2. Zur Frage, ob Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften nach Art. 49 und 54 AEUV, eine Verpflichtung begründet, den Zuzug von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der EU unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit und Umwandlung in eine entsprechende Rechtsform des Zuzugsstaates zu ermöglichen.



Siehe auch Die GmbH - Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Auslands-Gesellschaft - ausländische GmbH mit Deutschlandbezug


Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 2) „M. S. à r. l." ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung luxemburgischen Rechts, eingetragen im Handels- und Gesellschaftsregister von Luxemburg. Sitz der Gesellschaft ist Luxemburg.

Gesellschafter der Beteiligten zu 2) sind die Gesellschaft mit beschränkter Haftung slowakischen Rechts „S. s.r.o.“ - Beteiligte zu 4) - mit einem Anteil von 90 % sowie die Gesellschaft mit beschränkter Haftung tschechischen Rechts „G. s.r.o.“ - Beteiligte zu 5) - mit einem Anteil von 10 %.

Der Beschwerdeführer - Beteiligter zu 1) - ist jeweils allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beteiligten zu 2), zu 4) und zu 5).

Zur Urkunde des Notars J. mit dem Amtssitz in J. (Großherzogtum Luxemburg) vom 20.05.2011 beschlossen die beiden Gesellschafterinnen der Beteiligten zu 2) in einer außerordentlichen Generalversammlung der M. S. à r. l.,
„im Einklang mit Artikel 67-​1 (1) über die Handelsgesellschaften, den Gesellschafts- und Verwaltungssitz von Luxemburg in die Bundesrepublik Deutschland zu verlegen und das deutsche Recht seitens der Gesellschaft anzunehmen.“
Die Generalversammlung stellte hierzu fest,
„dass die Verlegung des Gesellschaftssitzes in die Bundesrepublik Deutschland keine Gründung einer neuen Gesellschaft darstellt.“
Weiterhin beschloss die Generalversammlung, die Form einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung anzunehmen und unter der Bezeichnung „M. GmbH" ihre Aktivitäten am neuen Gesellschaftssitz in E. fortzusetzen.

Im Übrigen beschloss sie die Abänderung des Gesellschaftszwecks und eine Satzung für die künftige M. GmbH deutschen Rechts.

Am 10.06.2011 hielten die Beteiligten zu 4) und zu 5), jeweils vertreten durch den Beschwerdeführer, nach deutschem Recht eine Gesellschafterversammlung der M. S. à r. l. ab. Hierbei bestätigten bzw. wiederholten sie die Beschlüsse aus der vorgenannten Urkunde des Notars J. zur Urkunde des verfahrensbeteiligten Notars Dr. R. (UR-​Nr. …). Insbesondere beschlossen sie nochmals die Satzung der „M. GmbH“ deutschen Rechts und die Bestellung des Beschwerdeführers zu deren allein vertretungsberechtigtem Geschäftsführer.

Unter dem 18.07.2011 meldete der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1), Notar Dr. R. beim Registergericht Fürth die seiner Ansicht nach durch Sitzverlegung der Beteiligten zu 2) „M. S. à r. l.“ von Luxemburg nach Deutschland unter Annahme des deutschen Rechts entstandene „M. GmbH“ zur Eintragung in das Handelsregister an. In Vorlage gebracht wurden eine beglaubigte Abschrift der Gesellschafterversammlung mit beschlossener neuer Satzung vom 10.06.2011 (UR_Nr. …), eine beglaubigte Abschrift der vorgenannten Urkunde des Notars J., Luxemburg, vom 20.05.2011 über die nach luxemburgischem Recht abgehaltene Generalversammlung der Beteiligten zu 2) „M. S. à r. l. “ sowie eine Gesellschafterliste.

Diese Urkunden wurden am 08.09.2011 in Form eines elektronisch übermittelten Dokuments beim Amtsgericht Fürth eingereicht.

Mit Verfügung vom 09.09.2011 erholte das Registergericht bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nürnberg für Mittelfranken eine gutachterliche Stellungnahme über die Eintragungsfähigkeit eines solchen Formwechsels.

Mit Zwischenverfügung vom 07.11.2011, dem antragenden Notar zugestellt am 09.11.2011, wies das Amtsgericht im Anschluss an die erholte Stellungnahme der IHK darauf hin, dass die vorgelegte Anmeldung nicht vollzogen werden könne. Der derzeitige nationale und gemeinschaftsrechtliche Rechtsrahmen lasse eine grenzüberschreitende Sitzverlegung nicht zu.

Hiergegen legte der den Eintragungsantrag stellende Notar mit Schreiben vom 15.11.2011, beim Amtsgericht Fürth eingegangen am 21.11.2011, Beschwerde im Auftrag und namens des Beteiligten zu 1) ein.

Darin vertritt er die Ansicht, auch in Ermangelung spezieller nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Regelungen müsse das deutsche Recht die grenzüberschreitende Verlegung des statutarischen Sitzes einer Kapitalgesellschaft von Luxemburg in die Bundesrepublik Deutschland unter damit einhergehendem Formwechsel in eine entsprechende Gesellschaft deutschen Rechts anerkennen. Da das luxemburgische Recht die grenzüberschreitende Verlegung des statutarischen Sitzes zulasse, dürfe das deutsche Recht dieser nicht entgegenstehen. Dies folge unmittelbar aus der sog. Cartesio-​Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 16.12.2008.

Im Anschluss an die in der neueren Lehre zum Teil vertretene Ansicht seien in einem solchen Fall die Vorschriften des deutschen Umwandlungsgesetzes bzw. die Vorschriften über die Sitzverlegung bei einer Europäischen Gesellschaft (SE) entsprechend anzuwenden.

Mit Beschluss vom 08.12.2011 half das Amtsgericht der Beschwerde nicht ab. Zur Begründung verwies es zum einen auf die Zwischenverfügung und die Stellungnahme der IHK. Zudem scheitere ein grenzüberschreitender Formwechsel unter analoger Anwendung des Umwandlungsgesetzes daran, dass die einschlägigen Voraussetzungen, insbesondere die Vorlage eines Umwandlungs- bzw. Sachgründungsberichtes und einer Umwandlungsbilanz, nicht beachtet seien.


II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Sie ist statthaft gemäß § 382 Abs. 4 Satz 2 FamFG, da es sich bei der angefochtenen Entscheidung um eine Zwischenverfügung des Registergerichts gemäß §§ 374 Nr. 1, 382 Abs. 4 Satz 1 FamFG handelt.

b) Die Beschwerde wurde frist- (§ 63 Abs. 1 FamFG) und formgerecht (§ 64 Abs. 1 und 2 FamFG) eingelegt.

c) Der Beschwerdeführer ist als Geschäftsführer der Gesellschaft, deren Rechtsverhältnisse durch die beantragte Registereintragung betroffen werden, anmeldeberechtigt und damit auch gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die beantragte Registereintragung kann nicht erfolgen. Die vom Registergericht in der angefochtenen Zwischenverfügung und dem hierzu ergangenen Nichtabhilfebeschluss vertretene Rechtsauffassung ist zutreffend.

a) Der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 2) „M. S à r. l.“ vom 20.05.2011 ist gerichtet auf die Verlegung des Satzungs- und des tatsächlichen Verwaltungssitzes dieser Gesellschaft mit beschränkter Haftung luxemburgischen Rechts von Luxemburg in die Bundesrepublik Deutschland unter Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts.

Die Zulässigkeit einer solchen grenzüberschreitenden Sitzverlegung bestimmt sich nach dem Kollisions- und dem Sachrecht sowohl des Wegzugs- als auch des Zuzugsstaates (Kindler, in: MünchKomm-​BGB, Bd. 11, 5. Aufl. 2010, IntGesR, Rn. 519).

Werden gleichzeitig Satzungs- und Verwaltungssitz verlegt, führt dies zu einem Statutenwechsel, da die Gesellschaft beide kollisionsrechtlich denkbaren Anknüpfungspunkte im Wegzugsstaat aufgibt.

Bei einer entsprechenden Sitzverlegung nach Deutschland unterliegt die zuziehende Gesellschaft wegen der Verlegung auch des Verwaltungssitzes nunmehr dem deutschen Gesellschaftsrecht. Dem Gesichtspunkt der Satzungssitzverlegung kommt insoweit keine eigene Bedeutung zu (vgl. Kindler, a.a.O., Rn. 536).

Zudem hat im vorliegenden Fall die Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 2) „M. S. à r. l.“ vom 20.05.2011 ausdrücklich die Annahme des deutschen Rechts seitens der Gesellschaft beschlossen.

b) Zwar lässt das luxemburgische Sachrecht die Änderung der Nationalität einer luxemburgischen Gesellschaft ohne Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit zu (vgl. hierzu Schwachtgen, in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-​Rechts, 2. Aufl. 2011, Länderbericht Luxemburg, Rn. 120). Die dort wie auch in der Urkunde des luxemburgischen Notars J. wie auch in der Beschwerde zitierte luxemburgische Rechtsnorm des Art. 67-​1 LSC (Loi concernant les sociétés commerciales / Gesetz betreffend die Handelsgesellschaften) betrifft allerdings lediglich Aktiengesellschaften; die entsprechende Regelung für Gesellschaften mit beschränkter Haftung findet sich in Art. 199 LSC. Sie lautet: “Les associés ne peuvent, si ce n'est à l'unanimité, changer la nationalité de la société. Toutes autres modifications dans les statuts, sauf stipulation contraire, sont décidées à la majorité des associés représentant les trois quarts du capital social. Toutefois, dans aucun cas la majorité ne peut obliger un des associés à augmenter sa part sociale” (Fundstelle: http://www.imolin.org/doc/amlid/Luxembourg _ loi_du_10_aout_1915_%20societes _commerciales.pdf)].

Gleichwohl ist eine Sitzverlegung in der von den Beteiligten erstrebten Form nicht möglich. Denn das deutsche Gesellschaftsrecht kennt eine derartige grenzüberschreitende Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes unter identitätswahrendem Formwechsel nicht (vgl. J. Mayer in: MünchKomm-​GmbHG, §4a Rn. 21 ff., 66 ff.).

aa) Die §§ 13d ff. HGB sehen lediglich die Eintragung einer inländischen Zweigniederlassung einer Handelsgesellschaft mit Sitz im Ausland vor. Vorliegend soll jedoch der ausländische Verwaltungs- und Satzungssitz gerade aufgegeben und die Gesellschaft durch die Sitzverlegung in eine solche des deutschen Rechts überführt werden.

bb) Hierfür ergibt sich auch nichts aus § 4a GmbHG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-​Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG).

Durch die Anknüpfung an den inländischen Satzungssitz ermöglicht diese Bestimmung einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH die Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in das Ausland unter Erhalt ihrer Eigenschaft als Gesellschaft deutschen Rechts. Sie besagt indes nichts über die Möglichkeit einer „Hineinverlegung“ des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausländischen Rechts nach Deutschland.

cc) Auch das Umwandlungsgesetz sieht eine grenzüberschreitende Verlegung des statutarischen und tatsächlichen Verwaltungssitzes unter Formwechsel in eine entsprechende Rechtsform deutschen Rechts nicht vor. Insbesondere regeln die §§ 122a ff. UmwG nur die grenzüberschreitende Verschmelzung von Rechtsträgern i.S.v. §§ 2 f. UmwG, nicht die vorliegende Konstellation. Ein Formwechsel ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG i.V.m. §§ 190 ff. UmwG de lege lata nur bei im Inland bereits ansässigen Rechtsträgern vorgesehen.

c) Eine allgemeine, gemeinschaftsrechtliche Regelung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften besteht nicht. Vielmehr wurden die Arbeiten an der entsprechenden „Vierzehnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes von Kapitalgesellschaften“ im Oktober 2007 eingestellt (vgl. Kindler, in: MünchKomm-​BGB, Bd. 11, 5. Aufl. 2010, IntGesR, Rn. 61 und 62 m.w.N.).

d) Mangels rechtlicher Grundlage hierfür ist damit eine identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung einer ausländischen Gesellschaft nach Deutschland unter gleichzeitigem entsprechendem Statutenwechsel nicht möglich [vgl. zum umgekehrten Fall einer identitätswahrenden Auswanderung (Sitzverlegung ins Ausland) einer deutschen GmbH: OLG Hamm, Beschluss vom 01.02.2001 - 15 W 390/00, NJW 2001, 2183; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2001 - 3 Wx 88/01, NJW 2001, 2184; BayObLG, Beschluss vom 11.02.2004 - 3Z BR 175/03, NJW-​RR 2004, 836; OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.11.2004 - 6 Wx 4/04, GmbHR 2005, 484; OLG München, Beschluss vom 04.10.2007 - 31 Wx 36/07, GmbHR 2007, 1273].

Eine andere Beurteilung des vorliegenden Falles ist auch weder durch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften (Art. 49 und 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV [vormals Art. 43 und 48 EGV]) noch durch die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH geboten. Insbesondere folgt aus der von der Beschwerde angeführten „Cartesio“-​Entscheidung des EuGH vom 16.12.2008 (Rechtssache C-​210/06, Slg 2008 I - 9641 = NJW 2009, 569) nichts anderes.

aa) In dem Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde liegt, wollte eine Kommanditgesellschaft ungarischen Rechts ihren Verwaltungssitz unter Beibehaltung ihres ungarischen Personalstatuts nach Italien verlegen. Eine entsprechende Eintragung der Sitzverlegung in das ungarische Handelsregister war mit der Begründung abgelehnt worden, eine Sitzverlegung in das Ausland unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts lasse das geltende nationale Recht nicht zu.

Unter ausdrücklicher Bestätigung seiner „Daily Mail and General Trust“-​Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 27.09.1988 in der Rechtssache C-​81/87, Slg 1988, 5483 = NJW 1989, 2186) entschied der EuGH, dass eine Gesellschaft nur nach Maßgabe einer nationalen Rechtsordnung bestehe, die die Voraussetzungen ihrer Gründung und Existenz regele (EuGH, Rechtssache C-​210/06 - Cartesio, Rn. 104). Ein Mitgliedstaat könne daher sowohl die Voraussetzungen bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen müsse, um als nach seinem Recht gegründet zu gelten und damit erst in den Genuss der Niederlassungsfreiheit zu kommen, als auch die Voraussetzungen für den Erhalt dieser Eigenschaft. Diese Befugnis umfasse für den Mitgliedstaat auch die Möglichkeit, es einer Gesellschaft seines Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft bei einer Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat zu behalten (EuGH, a.a.O., Rn. 110).

Indes dürfe der Wegzugsmitgliedstaat, insbesondere durch Anordnung der Auflösung und Liquidation, eine Gesellschaft nicht daran hindern, ihren Sitz unter Änderung des anwendbaren nationalen Rechts und Umwandlung in eine Gesellschaftsform des Zuzugsmitgliedstaats zu verlegen, soweit dies nach dem Recht des Zuzugsmitgliedsstaates möglich ist (EuGH, a.a.O., Rn. 111 f.).

bb) Damit unterscheidet sich der Sachverhalt der „Cartesio“-​Entscheidung grundlegend von dem hier zu beurteilenden Sachverhalt:

Wollte in dieser Entscheidung die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz unter Beibehaltung ihres bisherigen Personalstatuts in einen anderen EU-​Staat verlegen, geht es vorliegend um die Verlegung nicht nur des Verwaltungs-​, sondern auch des statutarischen Sitzes unter Änderung des Personalstatuts und Umwandlung in eine Gesellschaftsform des Zuzugsstaates.

Vor allem jedoch enthält diese Entscheidung nur Vorgaben für den Wegzugstaat. Damit bleibt es auch nach dieser Entscheidung bei der Differenzierung zwischen Wegzugs- und Zuzugsfällen, wie sie schon in der Entscheidung „Überseering“ des Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 05.11.2002 in der Rechtssache C-​208/00, Slg 2002 I - 9919 = NJW 2002, 3614, Rn. 70 f.) angelegt ist.

Über die hier verfahrensgegenständliche Frage der Zulassung einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung aus Sicht des Zuzugsstaates hat der EuGH in der „Cartesio“-​Entscheidung nicht judiziert.

Diese Entscheidung eröffnet einer Gesellschaft die Möglichkeit zu einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung unter Formwechsel in eine Rechtsform des Zuzugsstaates somit nur dann, wenn dies nach dem Recht des Zuzugsstaates möglich ist. Nach deutschem Recht besteht eine entsprechende Möglichkeit jedoch nicht (siehe oben).

cc) Auch aus der genannten „Überseering“-​Entscheidung des EuGH und der in ihrer Folge ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Sitzverlegung aus Sicht des Zuzugsstaates ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts anderes.

Diesen Entscheidungen liegt der Sachverhalt zugrunde, dass eine Gesellschaft mit Satzungssitz im Gründungsmitgliedstaat lediglich ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Für diese Konstellation ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Zuzugsmitgliedstaat verpflichtet, die Rechtsfähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates besitzt (EuGH, Urteil vom 05.11.2002 in der Rechtssache C-​208/00, Slg 2002 I - 9919 = NJW 2002, 3614, Rn. 94 f.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in einem solchen Fall die zuziehende Gesellschaft nach deutschem Recht als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln (BGH, Urteil vom 01.07.2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539; Urteil vom 27.10.2008 - II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 - Trabrennbahn).

Es ist zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung in einem Fall der Verlegung nicht nur des Verwaltungssitzes, sondern auch des Satzungssitzes jedenfalls dann greift, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Wegzugstaat eine Verlegung des statutarischen Sitzes unter Wahrung der Rechtspersönlichkeit zulässt.

Die Frage kann indes dahinstehen. Denn auch wenn man dies bejahte, ließe sich auf diesem Wege nicht das von den Beteiligten verfolgte Ziel eines zwischenschrittlosen Formwechsels von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung luxemburgischen Rechts in eine solche deutschen Rechts erreichen. Auch wenn die Beteiligte zu 2) als Folge ihrer Sitzverlegung nach Deutschland hier als rechts- und parteifähig anzuerkennen wäre, würde dies nicht zugleich dazu führen, dass sie als GmbH in das Handelsregister einzutragen wäre.

dd) Ebenso wenig lassen sich aus den Entscheidungen „Centros“ (EuGH, Urteil vom 09.03.1999 in der Rechtssache C-​212/97, Slg 1999 I - 1459 = NJW 1999, 2027) und „Inspire Art“ (EuGH, Urteil vom 30.09.2003 in der Rechtssache C-​167/01, Slg 2003 I - 10155 = NJW 2003, 3331) Konsequenzen für den vorliegenden Fall ableiten. Aus diesen Urteilen folgt lediglich die Verpflichtung des Zuzugsstaates, die Gründung von Zweigniederlassungen einer EU-​ausländischen Gesellschaft nicht zu behindern.

e) Es mag zweifelhaft sein und ist im Schrifttum - insbesondere infolge der „Cartesio“-​Entscheidung - umstritten, ob aus der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften (Art. 49 und 54 AEUV) auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten folgt, den Zuzug von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der EU unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit und unter Umwandlung in eine entsprechende Rechtsform des Zuzugsstaates zu ermöglichen.

aa) Von einigen Autoren wird dies verneint (Leible/Hoffmann, BB 2009, 58, 60). Die Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes unterfalle nicht der Niederlassungsfreiheit, da die Gesellschaft ihren Satzungssitz im Gründungsstaat aufgebe (Kindler, in: MünchKomm-​BGB, Bd. 11, 5. Aufl. 2010, IntGesR, Rn. 536; ebenso OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.09.2005 - 3 W 170/05, NJW-​RR 2006, 42, Rn. 22).

Demgegenüber wird vertreten, im Lichte der „SEVIC“-​Entscheidung des EuGH (Urteil vom 13.12.2005 in der Rechtssache C-​411/03, Slg 2005 I - 10805 = NJW 2006, 425) bestehe für den Zuzugsstaat eine entsprechende Verpflichtung jedenfalls dann, wenn nach seinem nationalen Recht innerstaatlich eine Umwandlung möglich und die zuziehende Gesellschaft bereit sei, die insoweit maßgeblichen Verfahrensvorschriften vollumfänglich einzuhalten (Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983, 984 f.; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817, 819; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 548).

In dieser Entscheidung hatte der EuGH judiziert, dass es mit der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften unvereinbar sei, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaates eine Verschmelzung inländischer Gesellschaften unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen ermögliche, diesen Umwandlungsvorgang jedoch nicht zulasse, wenn eine der beteiligten Gesellschaften ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe (EuGH, a.a.O., Rn. 31).

Diese Argumentation gelte für eine grenzüberschreitende Sitzverlegung unter Formwechsel entsprechend (Otte/Rietschel, a.a.O.; Teichmann/Ptak, a.a.O.). Daher seien die §§ 190 ff. UmwG über den Formwechsel von Gesellschaften (so Teichmann/Ptak, a.a.O.; Zimmer/Naendrup, a.a.O.) bzw. die Vorschriften der §§ 122a ff. UmwG über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (so Herrler, DNotZ 2009, 484, 490 f.) entsprechend anzuwenden.

bb) In der „Cartesio“-​Entscheidung hat der EuGH die Frage, ob auf die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften nationalen Rechts in einen anderen Mitgliedstaat die betreffenden Vorschriften über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea - SE) bzw. der Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea - SCE), welche eine Verlegung des statutarischen und wahren Sitzes ermöglichen, entsprechend angewendet werden könnten oder gar müssten, offen gelassen (EuGH, a.a.O., Rn. 115 ff.).

cc) Die Frage der Bindung des Zuzugsmitgliedstaats an die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften (Art. 49 und 54 AEUV) ist derzeit [aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Magyar Köztársaság Legfelsõbb Bírósága (Oberster Gerichtshof der Republik Ungarn) vom 17.06.2010 (abgedruckt in ZIP 2010, 1956)] auch Gegenstand eines anhängigen Verfahrens vor dem EuGH (Rechtssache C-​378/10 - „VALE“).

In seinen in diesem Verfahren gestellten Schlussanträgen vom 15.12.2011 (http://eur-​lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62010CC0378:DE:HTML) vertritt der Generalanwalt die Ansicht, die Art. 49 und 54 AEUV seien auf den Fall der grenzüberschreitenden Sitzverlegung unter Änderung des anwendbaren Rechts und unter entsprechendem Formwechsel anwendbar. Indes könne der Zuzugsmitgliedstaat die nationalen Vorschriften über die Gründung bzw. Umwandlung einer entsprechenden Gesellschaft anwenden und die Einhaltung aller Voraussetzungen verlangen, die für die Gründung bzw. Umwandlung nationaler Gesellschaften gelten. Insbesondere könne der Aufnahmestaat, um eine ordnungsgemäße Buchführung und die Einhaltung der Regeln über das Gesellschaftskapital sicherzustellen, eine kontinuierliche Abschluss- und Eröffnungsbilanz der zuziehenden bzw. in Gründung befindlichen Gesellschaft sowie die Prüfung der Aktiva und Passiva durch einen Revisor verlangen (SchlA des GA Jääskinen, a.a.O., Rn. 72 ff.).

f) Nach alledem kann die beantragte Registereintragung derzeit nicht erfolgen. Die vorliegende Beschwerde ist insoweit auch ungeachtet der noch offenen Rechtsfrage über eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen formwechselnden Zuzug von Gesellschaften aus anderen EU-​Mitgliedstaaten zu ermöglichen, entscheidungsreif. Insbesondere ist - mangels Vorgreiflichkeit - eine Aussetzung des Verfahrens gemäß §§ 21 Abs. 1 Satz 1, 381 FamFG im Hinblick auf die beim EuGH anhängige Rechtssache C-​378/10 - „VALE“ oder eine eigenständige Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV nicht geboten.

Denn selbst wenn aus Art. 49, 54 AEUV eine Verpflichtung folgen sollte, eine grenzüberschreitende Sitzverlegung unter entsprechender Anwendung der nationalen Umwandlungsvorschriften bzw. der entsprechenden Vorschriften über die europäischen Gesellschaftsformen zuzulassen, so wären jedenfalls deren Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt.

Es wurden weder ein entsprechender Umwandlungsbericht (§§ 122e bzw. 192 UmwG i.V.m. § 8 Abs. 1 UmwG), noch ein Prüfungsbericht (§ 122f Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 12 UmwG), noch eine Umwandlungsbilanz (§ 122a Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 UmwG) bei der Anmeldung zum Handelsregister vorgelegt.

Entsprechendes gilt für die Einhaltung der formalen Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Sitzverlegung unter analoger Anwendung der Art. 13 und 14 der Verordnung (EG) Nr. 2137/1985 über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), des Art. 8 VO (EG) Nr. 2157/2001 über die Europäische Gesellschaft (SE) bzw. der Art. 6 und 7 VO (EG) Nr. 1435/2003 über die Europäische Genossenschaft (SCE).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wurde gemäß § 131 Abs. 4 i.V.m. § 30 KostO festgesetzt.

5. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zur Begründetheit der Beschwerde. Soweit ersichtlich ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes einer ausländischen Kapitalgesellschaft nach Deutschland unter identitätswahrendem Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft deutschen Rechts zulässig ist, bislang nicht höchstrichterlich entschieden.



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