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Amtsgericht Warstein Urteil vom 13.09.2012 - 3 C 408/11 - Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts wegen wettbewerbsrechtlicher Abmahntätigkeit
AG Warstein v. 13.09.2012: Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts wegen wettbewerbsrechtlicher Abmahntätigkeit
Das Amtsgericht Warstein (Urteil vom 13.09.2012 - 3 C 408/11) hat entschieden:
Mahnt ein Rechtsanwalt unter Benutzung von Blankovollmachten ohne Mandatserteilung im Einzelfall wettbewerbsrechtliche Verstöße ab, macht er sich gegenüber dem Empfänger der Abmahnung mit Unterlassungserklärung schadensersatzpflichtig.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Abmahnung und Rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten von Rechtsanwälten
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch, weil dieser ihr vorgetäuscht habe, zu einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung mandatiert worden zu sein, und sie so zur Abgabe einer Unterlassungserklärung und zur Zahlung von Rechtsanwaltshonoraren veranlasst habe.
Die Klägerin betreibt einen Online-Shop auf der Handelsplattform F1, wo sie hauptsächlich ... für Endverbraucher anbietet. Dieses Geschäft betrieb sie bis Dezember 2011 in O1.
Mit Schreiben vom 20.02.2011 teilte der Beklagte ihr mit, er sei von Frau MA. aus O2 (im Folgenden: Mandantin) bevollmächtigt und beauftragt worden. In deren Namen forderte er die Klägerin unter dem Hinweis auf einen Verstoß gegen bestehende Informations- und Belehrungspflichten im Fernabsatzrecht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung und zur Zahlung der hierdurch entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 775,64 € (brutto) auf.
Nach Beratung durch die Klägervertreterin unterschrieb die Klägerin die Unterlassungserklärung und zahlte aufgrund einer Ratenzahlungsvereinbarung an den Beklagten bis Oktober 2011 insgesamt 451,80 € Rechtsanwaltsgebühren. Darüber hinaus zahlte sie an ihre Rechtsanwältin 265,70 € Beratungsgebühren.
Mit Versäumnisurteil vom 28.03.2012 wurde der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 776,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit dem 29.10.2011 zu zahlen.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei von der angeblichen Mandantin nicht beauftragt und bevollmächtigt worden. Sie begehrt Erstattung der an die beiden Rechtsanwälte gezahlten Beträge.
Die Klägerin beantragt,
das Versäumnisurteil vom 28.03.2012 aufrecht zu erhalten.
Der Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, die Mandantin habe ihn am 10.02.2011 in einem Telefonat mit seiner Bürovorsteherin beauftragt, dass in der Abmahnung genannte Angebot der Klägerin auf der Handelsplattform F1 zu überprüfen und eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung auszusprechen. In der mündlichen Verhandlung erklärte er, nachdem die Mandantin von drei Firmen abgemahnt worden sei, weil sie deren Vertriebssystem gestört habe, habe sie sich selber auf das aktive Abmahnen verlegt und ihn häufig mit Abmahnungen beauftragt. Zu diesem Zweck habe sie vielfach in seiner Kanzlei angerufen und entsprechende konkrete Aufträge erteilt. Er habe die Abmahnungen unter Versicherung der Bevollmächtigung vorgenommen. Wenn in diesen Verfahren eine Vollmacht angefordert worden sei, sei in seiner Kanzlei eine der Mandantin unterzeichneten ca. 20 Blankovollmachten ausgefüllt und versandt worden. Es seien keine Kopien der Blankovollmachten gefertigt und versandt worden. Er hat weiter erklärt, wenn sein Honorar für die Abmahnung nicht von dem Abgemahnten ausgeglichen worden sei, sei es der Mandantin in Rechnung gestellt worden. Die Mandantin habe auch verschiedentlich Zahlungen geleistet. Soweit Zahlungen für sie, nämlich Vertragsstrafen oder Zahlungen auf sein durch die Abmahnaufträge ausgelöstes Honorar, entgegen genommen worden seien, seien die mit Honorarverbindlichkeiten der Mandantin und Zahlungen, die für Mandantin die in den verschiedenen Prozessen zu leisten waren, verrechnet worden. Zahlungen an sie seien nicht erfolgt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Sitzungsprotokoll vom 13.09.2012 Bezug genommen. Das Gericht hat über die Frage der Mandatierung des Beklagten Zeugen- und Augenscheinbeweis erhoben. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.10.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Warstein, in dessen Bezirk die (behauptete) Täuschung hervorgerufen wurde, gegeben (§ 32 ZPO).
Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte ist gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB zum Schadensersatz verpflichtet. Das Gericht ist überzeugt, dass der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 10.02.2011 vorgetäuscht hat, von der Mandantin zur Abmahnung mandatiert zu sein, obwohl er von dieser tatsächlich nicht beauftragt und nicht bevollmächtigt war. Die Klägerin wurde getäuscht und so veranlasst, eine Unterlassungserklärung abzugeben, das Rechtsanwaltshonorare in Höhe von zusammen 776,65 € zu zahlen.
Die Überzeugung, dass der Beklagte entgegen seiner Einlassung nicht bevollmächtigt und beauftragt war, stützt das Gericht auf die gegenteilige Zeugenaussage der vermeintlichen Mandantin. Diese hat bekundet, den Beklagten lediglich im Rahmen seines „Abmahnschutzbriefes“ beauftragt zu haben.
Diese Aussage war unter Berücksichtigung aller Umstände überzeugend. Die Schilderung war im Ergebnis in sich schlüssigen und klar. Sie war gleichwohl impulsiv, häufig sprunghaft und oft wenig chronologisch. Damit zeigte sie sich weniger von einem Aussageziel, als von starken Emotionen geprägt. Diese Emotionen sowie die Intensität, mit der die Mandantin nach Angaben auch des Beklagten im Internet und durch aktive Ansprache von ihm Abgemahnter aktiv ihre Behauptungen verbreitet, lassen sich nachvollziehbar mit ihrer Verärgerung, ja Wut und Verzweiflung angesichts des von ihr behaupteten „Missbrauchs“ ihres Namens und ihrer Blankovollmachten und des dadurch bedingten wirtschaftlichen Schadens erklären. Ohne die hierdurch hervorgerufene Betroffenheit, also auf der Grundlage der Behauptungen des Beklagten erscheint es wenig nachvollziehbar, dass die Zeugin mit solchem Aufwand und Nachdruck ein Gerüst (dann falscher) Verdächtigungen gegen den Beklagten aufgebaut haben soll. Die Aussage war trotz der gezeigten Eloquenz insgesamt in solcher Weise homogen, dass das Gericht eine solche „Darbietung“ unter der Prämisse einer falschen Anschuldigung für nicht leistbar hält.
Gestützt wird die Aussage der Zeugin durch die Angaben der Bürovorsteherin, wonach der Mandantin über lange Zeit keine Abrechnung über die von ihr zu zahlenden Honorare des Beklagten, die für sie vereinnahmten und die für sie verauslagten Gelder erteilt worden ist. Angesichts des angesprochenen Umfangs entsprechender Verbindlichkeiten und Zahlungen ist das bei einer professionell geführten Rechtsanwaltskanzlei nicht nachvollziehbar. Für die Behauptung der Mandantin spricht ferner, dass die von ihr erteilten Blankovollmachten entgegen der ausdrücklichen Behauptung des Beklagten doch vervielfältigt worden sind. Diese Überzeugung stützt das Gericht auf die in Augenscheinnahme der Vollmachten betreffend B., A. und G. (Blatt 49, 93, 96 GA). Hier zeigen die Unterschriften der Mandantin nicht nur ein völlig gleiches Schriftbild, auch sind sie in völlig gleichen Abständen zu der unter ihnen befindlichen Unterschriftenlinie ausgeführt. Die Unterschrift in der Vollmacht G. ist lediglich im Vergleich zu den beiden anderen geringfügig gestaucht. Da das in gleicher Weise für den Vollmachtstext gilt, ist es offenbar darauf zurückzuführen, dass die Vollmachtsurkunde eingescannt und dabei insgesamt entsprechend gestaucht worden ist. (Letzteres kann auch nach der Versendung durch den Beklagten erfolgt sein.)
Kritisch bewertete das Gericht, dass die Mandantin in dem im Termin verlesenen Schreiben an das Landgericht Mannheim vom 09.01.2012 sowie in weiteren Verfahren pauschal geschrieben hat, sie habe dem Beklagten keine Vollmachten erteilt, ohne diese Erklärung hinsichtlich der jedenfalls erteilten drei Vollmachten einzuschränken. Letztlich lässt diese Unrichtigkeit die Aussage unter der Hypothese einer wahren Aussage eher authentisch erscheinen, weil sich aus dem „ Missbrauch“ und dem der Mandantin dadurch zugefügten Schaden diese Unrichtigkeit viel eher erklären lassen, als aus einer planvollen Falschbelastung des Beklagten. Wenn die Mandantin ein Lügengerüst planvoll errichtet hätte, wäre viel eher zu erwarten gewesen, dass sie insoweit die sachliche und ungreifbare Angabe gemacht hätte, sie habe (lediglich) drei Vollmachten für bestimmte Verfahren erteilt.
Zweifel an der Richtigkeit der Aussage ergeben sich nach Auffassung des Gerichts auch dann nicht, wenn sich feststellen ließe, dass die Zeugin geringfügig mehr als drei Blankovollmachten erteilt hätte. Angesichts der Vielzahl von Abmahnungen gegen die Mandantin hätte es durchaus nahe gelegen, dass sie dem Beklagten, von dessen Eigenmächtigkeit sie zunächst nichts wusste, zur Verteidigung in solchen Verfahren diese oder jene weitere Vollmacht erteilt hätte ohne dieses konkret in Erinnerung zu haben, weil ihr insoweit lediglich die drei aus den „großen“ und einprägsamen gegen sie geführten Verfahren vor Augen standen.
Durchgreifende Zweifel ergeben sich auch nicht aus der Aussage der als Zeugin gehörten Bürovorsteherin des Beklagten. Das Gericht ist überzeugt, dass deren Aussage, die Mandantin habe sie am 10.02.2011 angerufen und den Auftrag zur Überprüfung einer Werbeanzeige gegeben, falsch ist.
Das Gericht konnte in der Aussage der Zeugin nichts feststellen, was für eine wahrheitsgemäße Aussage sprach, während es an verschiedenen Stellen den Eindruck gewann, die Zeugin halte ihre Aussage vage, um nichts „Falsches“ zu sagen. Ihre Aussage wirkte zurückhaltend, vorsichtig abgewogen und ohne jede emotionale Beteiligung, was für sich betrachtet sowohl auf eine wohl abgewogene, um Richtigkeit bemühte Zeugenaussage die auch auf eine Widersprüche möglichst vermeidende Falschaussage hinweisen kann. Bezüglich der Frage, was mit den Abmahngebühren des Beklagten geschehen sei, wenn der Verfahrensgegner sie nicht ausgeglichen hätte, wollte die Zeugin nach Einschätzung des Gerichtes eine Antwort vermeiden. Da es sich nach Aussage der Bürovorsteherin um einen sehr intensiven Kontakt handelte, überrascht es bereits, dass die Zeugin angeblich keine Antwort darauf geben konnte, ob die Mandantin zur Ausgleich der die Gebühren des Beklagten aufgefordert wurde, wenn der Abmahngegner sie nicht ausglich. Die Begründung hierfür, sie würde solche Zahlungsaufforderungen nicht schreiben ist angesichts der Tatsache, dass sie auf Nachfrage des Gerichts einräumen musste, die Zahlungseingänge zu kontrollieren, wenig überzeugend. Dies gilt umso mehr, als sie wenig später angab, Kostenrechnungen seien auch mit für die Mandantin eingenommene Vertragsstrafen verrechnet worden, was bedeuten würde, dass ihr bekannt war, dass die Gebühren jedenfalls teilweise in Rechnung gestellt wurden.
Wenig glaubhaft ist auch, dass angesichts der Intensität des von der Bürovorsteherin und dem Beklagten geschilderten Abmahngeschäfts mit der Mandantin, das auch in den neun vermerkten Abmahnungen allein am 10.02.2011 (Bl. 97 GA) zum Ausdruck kommt, der Mandantin jedenfalls über Monate keine Abrechnung erteilt worden ist. Dies lässt sich mit einem halbwegs geordneten Geschäftsbetrieb nicht in Einklang bringen.
Diese Angaben der Bürovorsteherin stehen im Widerspruch zur Einlassung des Beklagten, der angab, es stehe im noch bildhaft vor Augen, dass von der Mandantin verschiedentlich Zahlungen in Höhe der Grundgebühr von etwa 590,00 € eingegangen seien.
Die Bürovorsteherin und der Beklagte erweckten den Eindruck, eine abgestimmte Erklärung „unterbringen“ zu wollen, indem zunächst der Beklagte in Abwesenheit der Zeugin sodann diese das Gericht dadurch überraschten, dass sie eine Frage des Gerichts nicht unmittelbar beantworteten, sondern die nicht unmittelbar Frage bezogene Erklärung abgaben, wenn der Abmahngegner eine Unterlassungserklärung nicht abgegeben habe, habe der Beklagte mit der Mandantin telefonisch geklärt, ob eine Unterlassungsverfügung beantragt werden solle.
Die Aussage wird nicht gestützt durch die „Telefonnotiz“ vom 10.02.2011, da das Gericht davon ausgeht, dass diese nicht anlässlich des Telefonats authentisch gefertigt wurde. Nach Einschätzung des Gerichts ist die Aussage der Mandantin in solchem Maße authentisch und die der Bürovorsteherin in solcher Weise zweifelhaft, dass sich die Telefonnotiz nur dadurch erklären lässt, dass sie gefertigt wurde, um eine telefonische Auftragserteilung durch die Mandantin vorzutäuschen.
Schließlich hat das Gericht berücksichtigt, dass der Beklagte von einer naheliegenden „Verteidigungsmöglichkeit“ keinen Gebrauch gemacht hat, indem er trotz des gerichtlichen Hinweises vom 09.05.2012 (Blatt 51 GA) weder verfahrensrelevanten Schriftverkehr noch den Nachweis über entsprechende Überweisungen vorgelegt hat.
Auf Grund einer Gesamtwürdigung der dargelegten Umstände geht das Gericht von einer abgestimmten falschen Einlassung der Bürovorsteherin und des Beklagten aus.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.