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Sozialgericht Darmstadt Urteil vom 26.09.2012 - S 17 AS 416/10 - Keine Eingliederungsleistungen für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit mit einem Erotik-Live-TV-Magazin im Internet

SG Darmstadtv. 26.09.2012: Keine Eingliederungsleistungen für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit mit einem Erotik-Live-TV-Magazin im Internet


Das Sozialgericht Darmstadt (Urteil vom 26.09.2012 - S 17 AS 416/10) hat entschieden:
  1. Ein erwerbsfähiger Leistungsempfänger hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung von Selbstständigen für die Gründung eines Erotik-Live-TV-Magazins im Internet, mit dem Erotik- und Pornografiedarstellungen angeboten werden.

  2. Bei Erlass eines jeden Verwaltungsaktes ist übergeordnet stets die Grenze der Sittenwidrigkeit zu beachten.

  3. Ein Verwaltungsakt verstößt nicht nur gegen die guten Sitten, wenn mit ihm behördlicherseits ein sittenwidriges Geschehen ausdrücklich erlaubt wird, sondern auch dann, wenn ein sittenwidriges Geschehen durch öffentliche Mittel überhaupt erst ermöglicht werden soll.



Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Eingliederungsleistungen für Selbständige nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II).

Der 1969 geborene Kläger absolvierte ausweislich des von ihm am 12. Oktober 2008 verfassten Lebenslaufes nach seinem Hauptschulabschluss (1984) eine Lehre zum Maler und Lackierer (1984 bis 1987), die er erfolgreich abschloss. Im Anschluss daran bildete er sich zum Gutachter „Staatlich geprüfter Holz- und Bautenschutz“ weiter (1987) und war in der Folgezeit zunächst in diesem Bereich selbständig tätig. Später schlossen sich daran selbständige Tätigkeiten als Filmproduzent im Hard-Core-Bereich (1989 bis 1995), im Bereich Film/Internet (1996 bis 1999), als Internetprovider/Webdesigner (2002 bis 2003) sowie als Unternehmensberater (2003 bis 2006) an. Außerdem entwickelte der Kläger das Projekt „QW.“ (2007 bis 2008) und war zuletzt als Internet-Provider und mit der Herstellung von Internetdomaines im HC-Bereich beschäftigt.

Seit dem 2. Oktober 2008 bezieht der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau R. (geboren 1963) und deren Sohn J. (geboren 1992) von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Bescheid vom 10. Dezember 2008).

Ausweislich eines dem Beklagten vorgelegten Businessplanes vom 12. Oktober 2008 beabsichtigt der Kläger den Betrieb eines Erotik-Live-TV-Magazins als so genanntes WebTV („TZ.“), dessen Konzept er wie folgt darstellt:
- Live-Reportagen auf Messen und Veranstaltungen rund um das Thema Erotik, wie z.B. auf der „ZU.“ oder auf Erotikmessen im gesamten Bundesgebiet;

- Reportagen/Berichte über verschiedene erotische Themengebiete wie z.B. FKK-Clubs, Begleitservice, Swingerclubs, erotische Fotoausstellungen, Modellagenturen im Bereich Erotik etc.;

- Interviews auf diversen Veranstaltungen und auch im Produktionsstudio;

- Berichte über Dessous-Partys und Verkaufsshows über verschiedene Produktgruppen wie z.B. Dildos, Kleidung, Accessoires etc.;

- Erotisches Monatshoroskop für alle zwölf Tierkreiszeichen;

- Erotische Buchtipps;

- Erotik-ABC;

- Bildergalerie und Videothek;

- Jobbörse für Modelle/Fotografen/Produzenten;

- Forum;

- Hochladen und Veröffentlichen von erotischen Clips der Zuschauer und vieles mehr;

- Verkaufsshop.

Ausweislich seiner weitergehenden Erläuterungen richtet sich das Konzept an alle Personen mit einem Mindestalter ab 18 Jahre. Während zwischen 20.00 Uhr und 23.00 Uhr als Live-Übertragungen mit Live-Moderatoren Sendungsformate frei ausgestrahlt werden sollen - hauptsächlich Berichte, Reportagen Interviews und Buchtipps -, wird in einem geschlossenen, nur über Login für Abonnenten passwortgeschützten Benutzerbereich das gesamte Sendeprogramm ausgestrahlt. Für diesen Login-Bereich soll ein Abrechnungszahlsystem mit integriertem Alters-Verifikationsprogramm eingebaut werden.

Das Geschäftsvorhaben sei auf diese Weise in seiner vielfältigen Gestaltung zum geplanten Starttermin im Juli bzw. August 2009 in diesem Format einzigartig und habe allein dadurch eine Monopolstellung inne. Sein Vorhaben unterscheide sich grundlegend von den bereits vorhandenen Internet-TV-Kanälen. Es lasse sich mit überschaubaren Kosten eine Vielzahl an Vermarktungsmöglichkeiten dieses Geschäftsvorhabens erschließen. Aufgrund der hohen Anzahl an Internetbenutzern in den passenden Altersgruppen müsse von einem sich exponentiell und schnell steigenden Umsatzvolumen im Bereich der Werbe- und Benutzereinnahmen ausgegangen werden. Durch Werbeclips im frei zugänglichen Bereich solle der Besucher für den Login-Bereich interessiert und zum Abschluss eines Abonnements bewogen werden. Außerdem könnten Sendeplätze monatlich von Fremdfirmen angemietet werden, um ein noch vielfältigeres Angebot anzubieten. Die Einnahmen würden durch drei Säulen erwirtschaftet (Werbung, geschlossene Benutzergruppe, Verkauf von Corporite-Identity-Artikeln). Das Geschäft werde als englische Firma („englische Limited“) mit Niederlassungssitz in Deutschland gegründet, wobei im ersten Geschäftsjahr nach der Gründung die Gewinnung von zwei Franchisepartnern für die eigenständig laufenden Formate in Österreich und in der Schweiz geplant sei. Als Geschäftsführer werde er, der Kläger, alle wichtigen organisatorischen und inhaltlichen Bereiche des Unternehmens leiten und sei zusätzlich als Webprogrammierer auch für sämtliche technische Umsetzungen des Programms und den Schnitt der Sendebeiträge verantwortlich. Für die Bereiche Recherche, Berichte, Moderation, Texte für Moderatoren sowie Sekretariatsaufgaben (Telefonakquise, Kundensupport und Buchhaltung) werde eine Vollzeitangestellte benötigt, die diesen Arbeitsbereich eigenverantwortlich organisiere und leite. Für diese vertrauensvolle Tätigkeit sei seine Ehefrau vorgesehen. Zur Programmeinspeisung werde ein Fremdsoftwareprogramm angemietet, dessen monatliche Kosten abhängig von der Zuschaueranzahl zwischen 99 € und 499 € liegen würden. Die Anlaufzeit zur Einführung und erfolgreichen Vermarktung des Web-TV-Live-Programms werde auf drei Monate ab Startbeginn geschätzt. Es sei angestrebt, im ersten Jahr nach der Gründung täglich zwischen 70.000 und 150.000 Benutzer zu erreichen sowie einen Gesamtumsatz zwischen 150.000 € und 250.000 € zu erreichen. Das benötigte Startkapital belaufe sich auf 10.000 € bis 15.000 € für die Anschaffung von technischen Betriebsmitteln und weiteren Sachgütern sowie Marketingmaßnahmen. Insgesamt ergebe sich ein Kapitalbedarf (Gründungskosten, Investitionskosten und sonstige betriebliche Kosten) in Höhe von 21.718 €.

In einer dem Businessplan beigefügten Erklärung zur Schuldenregulierung gab der Kläger außerdem noch an, dass sich seine Verschuldung auf ca. 100.000 € belaufe. Er versuche, mit den Gläubigern einen außergerichtlichen Vergleich zur Tilgung dieser Schulden zu erreichen, um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Ziel sei es, einen bestimmten Betrag als Vergleichssumme anzusparen, um innerhalb von drei Jahren nach Unternehmensgründung die Schulden begleichen zu können. Im Jahr 2008 habe er die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Bei der Gründung einer Limited nach englischem Recht seien diese Privatschulden jedoch ohne juristischen Belang, da die Firma hierfür nicht haftbar gemacht werden könne.

Mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 6. April 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten unter anderem die Gewährung „insbesondere eines Zuschusses nach § 16 c Abs. 2 SGB II“ für das von ihm beabsichtigte Gründungsvorhaben.

Mit Email vom 18. Juni 2009 teilte die seitens des Beklagten beauftragte UI. GmbH mit, dass nach Prüfung des Geschäftsvorhabens des Klägers keine abschließende Stellungnahme abgegeben werden könne. Das Geschäftskonzept selbst sei zwar als vollständig, nachvollziehbar und realistisch anzusehen. Ein großer Fragen- und Problemkomplex ergebe sich jedoch aus gesellschaftsrechtlicher Hinsicht, der seitens der UI. GmbH nicht rechtsverbindlich geklärt werden könne. Zumindest nach deutschem Recht sei ein Rückgriff der Gläubiger nicht restlos auszuschließen, weil der Kläger die Gesellschaftsanteile an der Limited als Privatperson halte und damit Privatvermögen besitze.

Durch Bescheid vom 15. September 2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, weil seine Schulden in Höhe von 100.000 € sowie die Unterkapitalisierung der Limited ein hohes Insolvenzrisiko bedeuten würden. Eine Schuldentilgung sei für die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Unternehmens nicht förderlich. Das vom Kläger vorgelegte Gründungskonzept lasse Kreativität und eine wirtschaftliche Perspektive vermissen. Im Vergleich zu seiner bisherigen Tätigkeit finde ein Wechsel des Geschäftsfeldes tatsächlich nicht statt. Dass die Hilfebedürftigkeit des Klägers und seiner Familie dauerhaft überwunden oder verringert werden könnte, sei nicht ersichtlich. Hierbei müsse auch berücksichtigt werden, dass es im Internet Erotikangebote im Überfluss gebe. Von einem Alleinstellungsmerkmal könne daher keine Rede sein.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2010 zurückwies. Für die zu treffende Ermessensentscheidung über die Gewährung von Eingliederungsleistungen sei gesetzlich vorgegeben, dass eine hinreichend sichere Prognose zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Unternehmens vorliege. Trotz der Stellungnahme der UI. GmbH vom 18. Juni 2009 werde das Geschäftsvorhaben des Klägers seitens des Beklagten als nicht wirtschaftlich tragfähig beurteilt. Hierauf weise bereits die gewählte Rechtsform einer Limited nach englischem Recht hin. Die vom Kläger vorgelegte Kalkulation sei nicht nachvollziehbar und die Chancen zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit nur als gering anzusehen, weil lediglich unregelmäßige Einnahmen zu erwarten seien. Bei ähnlichem Vorhaben in der Vergangenheit sei der Kläger aufgrund von Abgabeschulden in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Am 19. März 2010 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung beruft er sich darauf, dass die UI. GmbH sein Gründungsvorhaben als tragfähig erachte. Nur auf deren Einschätzung komme es an, so dass die vom Beklagten hiergegen erhobenen, sachfremden Erwägungen unbeachtlich seien. Insgesamt zeige sich, dass der Beklagte nicht wirklich an einer Realisierung des Vorhabens interessiert sei. Seine Schuldensituation, die sich im Übrigen nicht so gravierend darstelle wie ursprünglich angenommen, sei erkennbar nur vorgeschoben und schließe die Förderfähigkeit seines Gründungsvorhabens nicht aus. Das Scheitern früherer Projekte könne nicht zur Folge haben, dass er von weiteren Förderleistungen ausgeschlossen sei.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 15. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm für sein Gründungsvorhaben Eingliederungsleistungen in Höhe von 5.000 € als Zuschuss und 2.500 € als Darlehen zu gewähren,

hilfsweise den Bescheid vom 15. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm für sein Gründungsvorhaben Eingliederungsleistungen in Höhe von 5.000 EUR als Zuschuss zu gewähren,

äußerst hilfsweise den Bescheid vom 15. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag vom 6. April 2009 zur Gewährung von Eingliederungsleistungen nach § 16 ff. SGB II unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert, dass die UI. GmbH mit Datum vom 18. Juni 2009 keine abschließende Stellungnahme zum beabsichtigten Gründungsvorhaben des Klägers habe abgeben können. Weder der vom Kläger vorgelegte Businessplan noch die von der UI. GmbH erstellte Stellungnahme seien für ihn, den Beklagten, rechtlich bindend. Die im Kapitalbedarfsplan ausgewiesenen Ansätze seien nicht nachvollziehbar, weshalb eine wirtschaftliche Tragfähigkeit der vorgestellten Geschäftsidee nicht zu erkennen sei. Dabei sei zusätzlich noch zu berücksichtigen, dass sich diesem Plan zufolge der Kapitalbedarf des Vorhabens auf 21.718 € belaufen solle, wohingegen die Gewährung eines Zuschusses auf 5.000 € begrenzt sei. Es könne nicht beurteilt werden, ob das Gründungsvorhaben, so wie vom Kläger konzipiert, überhaupt rechtlich zulässig sei. Falls ein Teil der Schulden aus einer früheren selbständigen Tätigkeit herrühren sollte, würden ernsthafte Zweifel an der Eignung des Klägers bestehen, eine selbständige Tätigkeit dauerhaft erfolgreich auszuüben. Die bestehende und in absehbarer Zeit nicht maßgeblich veränderbare Schuldensituation des Klägers dürfe bei der zu treffenden Ermessensentscheidung im Hinblick auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit ebenso berücksichtigt werden wie der Umstand, dass die Geschäftsanteile der Limited gepfändet werden könnten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten (Leistungsakten Band I und II; Teilband Eingliederungsleistungen SGB II) Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.


Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, bleibt aber sowohl im Hauptantrag als auch in den beiden Hilfsanträgen ohne Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung der von ihm geltend gemachten Eingliederungsleistungen, weder in Form eines Zuschusses in Höhe von 5.000 € zuzüglich eines Darlehens in Höhe von 2.500 €, noch in Form nur eines Zuschusses in Höhe von 5.000 €. Ebenso wenig hat er einen Anspruch darauf, dass der Beklagte über seinen Antrag unter Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet. Der vom Kläger angefochtene Ablehnungsbescheid vom 15. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2010 (§ 95 SGG) ist nicht zu beanstanden und beschwert ihn daher nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Die Klage ist deshalb vollumfänglich abzuweisen.

Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrten Eingliederungsleistungen ist §§ 16f SGB II i. V. m. 16c SGB II in der seit dem 1. April 2012 geltenden Fassung (Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, BGBl. I, Seite 2854). Die vom Beklagten sowohl im Ablehnungsbescheid vom 15. September 2009 als auch im Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2010 wiedergegebenen Gesetzeswortlaute, insbesondere des § 16c SGB II, sind mit Wirkung zum 1. April 2012 neugefasst worden.

Die Anwendung dieser neuen Gesetzesfassung beruht auf der Vorschrift des § 66 Abs. 1 SGB II, wonach bei einer Änderung des SGB II, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit bis zum Ende der Leistungen oder der Maßnahme die Vorschriften in der vor dem Tag des Inkrafttretens der Änderung geltenden Fassung weiter anzuwenden sind, wenn vor diesem Tag der Anspruch entstanden ist (Nr. 1), die Leistung zuerkannt worden ist (Nr. 2) oder die Maßnahme begonnen hat, wenn die Leistung bis zum Beginn der Maßnahme beantragt worden ist (Nr. 3).

Während sich § 66 Abs. 1 Nr. 1 SGB II auf Rechtsansprüche im Sinne des § 38 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) bezieht, betrifft § 66 Abs. 1 Nr. 2 SGB II Ermessensleistungen im Sinne des § 39 SGB I (vgl. Birk, in: LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 66 Rn. 2). Vorliegend gelangt § 66 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zur Anwendung, weil es sich bei den Eingliederungsleistungen nach §§ 16 ff. SGB II um Ermessensleistungen handelt. Bei Ermessensleistungen ist für das Entstehen des Anspruchs der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung über die Leistung bekannt gegeben wird, es sei denn, dass in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist (§ 40 Abs. 2 SGB I). Da dem Kläger hier noch keine Leistung zuerkannt wurde, bemisst sich der von ihm geltend gemachte Anspruch somit nicht nach §§ 16 f i. V. m. 16c SGB II in der früheren Gesetzesfassung (a.F.), sondern nach der seit dem 1. April 2012 geltenden Fassung.

§ 16 f Abs. 1 Satz 1 SGB II bestimmt, dass die Agentur für Arbeit die Möglichkeiten der gesetzlich geregelten Eingliederungsleistungen durch freie Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erweitern kann. Die freien Leistungen müssen dabei den Zielen und Grundsätzen dieses Buches entsprechen (§ 16 f Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Nach § 16 c Abs. 1 Satz 1 SGB II können erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern erhalten, die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit notwendig und angemessen sind. Zuschüsse dürfen einen Betrag von 5.000 € nicht übersteigen (§ 16 c Abs. 1 Satz 2 SGB II). Darüber hinaus regelt § 16 c Abs. 3 Satz 1 SGB II, dass Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, nur gewährt werden können, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird. Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit soll die Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangen (§ 16 c Abs. 3 Satz 2 SGB II).

§ 16c SGB II ergänzt die anderen Regelungen des SGB II über die Eingliederungsleistungen, indem für die Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen weitere Tatbestandsmerkmal eingeführt werden, namentlich die Erfolgsprognose im Sinne von § 16 c Abs. 3 Satz 1 SGB II (vgl. zu § 16 c Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F.: Sächsisches LSG, Beschluss vom 13. Oktober 2009, L 3 AS 318/09 B ER, juris Rn. 25 m.w.N.). Entgegen der seitens des Beklagten im Widerspruchsbescheid angeführten Rechtsauffassung ist die Erfolgsprognose im Sinne des § 16 c Abs. 3 Satz 1 SGB II somit nicht Bestandteil der vom Leistungsträger zu treffenden Ermessensentscheidung. Dies ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 16 c Abs. 3 Satz 1 SGB II, wonach der Ermessensspielraum erst dann eröffnet ist, „wenn“ die wirtschaftliche Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit und die dauerhafte Überwindung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit zu erwarten ist. Die Erfolgsprognose ist mithin tatbestandliche Voraussetzung dafür, damit der Leistungsträger überhaupt Ermessen ausüben kann, und deshalb gerade kein bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigendes Abwägungskriterium.

Dem Kläger stehen weder die geltend gemachten Eingliederungsleistungen noch ein Anspruch gegen den Beklagten auf erneute Bescheidung seines Antrags vom 6. April 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, ohne dass es dabei entscheidungserheblich auf die zwischen den Beteiligten vorrangig umstrittenen Frage der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des von ihm beabsichtigten Gründungsvorhabens „TZ.“ ankommt. Das ergibt sich daraus, dass selbst bei angenommener Tragfähigkeit des Gründungsvorhabens die ablehnende Entscheidung des Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden ist, weil vorliegend der besonders gelagerte Ausnahmefall einer Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist. Eine - rechtsfehlerfreie - Ermessensausübung erlaubt keine andere, den Kläger ganz oder teilweise begünstigende Entscheidung des Beklagten.

Ausgangspunkt hierfür ist § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Danach haben die Leistungsträger dann, wenn sie ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Konkretisiert wird diese Regelung durch § 16 f Abs. 1 Satz 2 SGB II, der bestimmt, dass die freien Leistungen zur Eingliederung den Zielen und Grundsätzen dieses Buches entsprechen müssen. Diese Ziele und Grundsätze wiederum sind in den Vorschriften der §§ 1 bis 3 SGB II, vor allem aber in § 3 SGB II aufgeführt. Nach dessen Absatz 1 Satz 2 sind bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit ausdrücklich die Eignung, die individuelle Lebenssituation, insbesondere die familiäre Situation, die voraussichtliche Dauer der Hilfebedürftigkeit und die Dauerhaftigkeit der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu berücksichtigen. Gleichwohl bedeutet diese - nur auf den ersten Blick abschließende - Aufzählung nicht, dass keine anderen Kriterien bei der Entscheidung über die Gewährung von Eingliederungsleistungen gemäß § 16 f SGB II Berücksichtigung finden können.

Bei jedem Erlass eines Verwaltungsaktes und damit auch bei Ermessensentscheidungen ist übergeordnet stets die Grenze der Sittenwidrigkeit zu beachten. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, der gegen die guten Sitten verstößt, nichtig und mithin unwirksam (§ 39 Abs. 3 SGB X), auch wenn der Fehler nicht offenkundig ist. Dies entspricht dem allgemeinen Gedanken des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Wann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, bestimmt sich nach der herrschenden Rechts- und Sozialmoral (vgl. Roos, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 40 Rn. 16 m.w.N.). Gemessen an dieser Moral würde eine Förderung des vom Kläger beabsichtigten Gründungsvorhabens „TZ.“ in der von ihm konzipierten Form gegen die guten Sitten verstoßen.

Ein Verwaltungsakt verstößt nicht nur gegen die guten Sitten, wenn er etwas Sittenwidriges anordnet, sondern auch dann, wenn er etwas erlaubt, was wegen Verstoßes gegen die Sittenwidrigkeit nicht erlaubnisfähig ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juli 2010, L 22 R 1181/10, juris Rn. 81 m.w.N.). Nach Auffassung der Kammer muss dies erst Recht für die Fälle gelten, in denen ein sittenwidriges Geschehen behördlicherseits nicht nur ausdrücklich erlaubt, sondern - sogar noch weitergehend - durch öffentliche Mittel überhaupt erst ermöglicht werden soll.

Mit dem von ihm beabsichtigten Gründungsvorhaben „TZ.“ will der Kläger über das Internet gewerbsmäßig und gegen Entgelt den Zugang zu - teilweise in Eigenproduktion hergestellter - Erotik- und Pornografie-Darbietungen unterschiedlichster Kategorien eröffnen. Damit ist sein Vorhaben - unstreitig - der Erotik- und Pornografie-Branche zuzuordnen. Als solches verstößt es gegen die guten Sitten.

Vorliegend kann offen bleiben, ob sich die Sittenwidrigkeit daraus ableiten lässt, dass die in den vom Kläger per Internet angebotenen Erotik- und Pornografie-Darbietungen und damit einem breiten Publikum zur Schau gestellten Darstellerinnen und Darstellern eine in ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz ) missachtende objekthafte Rolle zugewiesen ist. Es wäre zwar durchaus denkbar, darauf abzustellen, dass diese Darstellerinnen und Darsteller wie der sexuellen Stimulierung dienende Sachen zur entgeltlichen Betrachtung dargeboten und jedem - durch die Anonymität des Internets im Verborgenen bleibenden - Zuschauer als bloße Anregungsobjekte zur Befriedigung sexueller Interessen angeboten werden (vgl. zur Sittenwidrigkeit von Peep-Shows: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1981, 1 C 232/79, juris Rn. 21). Ob diese Art der Darbietung sexueller Handlungen tatsächlich mit der Verfassungsentscheidung für die Menschenwürde unvereinbar ist, bedarf indessen keiner abschließenden Entscheidung. Denn nach Auffassung der Kammer sind solche Darbietungen ungeachtet der genannten Wertentscheidung des Grundgesetzes sittenwidrig.

Ein Verwaltungsakt verstößt dann gegen die guten Sitten, wenn er das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1994, 12 RK 82/92 = SozR 3-1300 § 40 Nr. 2). Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff, dessen Anwendung in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (BVerwGE 64, 280, 282; 71, 29, 30f.; 71, 34, 36). Mit ihm verweist das Gesetz auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind. Daraus folgt, dass nicht nur auf das Empfinden kleinerer Minderheiten abzustellen ist. Andererseits ist aber auch nicht erforderlich, dass die Wertvorstellung von sämtlichen Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft getragen wird. Maßgeblich ist vielmehr die vorherrschende sozialethische Überzeugung, die sich allerdings weder lautstark äußern muss, noch mit der Forderung einhergehen muss, die dem sozialethischen Unwerturteil unterliegenden Erscheinungen niemals und nirgends zu dulden. Auch wenn die Rechtsgemeinschaft ein bestimmtes Geschehen sozialethisch missbilligt und somit als Verstoß gegen die guten Sitten ansieht, kann sie durchaus Gründe haben, ein solches Geschehen in gewissen Grenzen zu tolerieren.

Ausgehend hiervon kann es für die Frage, ob eine Förderung des vom Kläger beabsichtigten Gründungsvorhabens „TZ.“ mit den guten Sitten vereinbar oder unvereinbar ist, zunächst nicht maßgeblich darauf ankommen, dass die Erotik- und Pornografiedarstellerinnen und -darsteller freiwillig tätig werden und sie selbst ihre Tätigkeit nicht als entwürdigend empfinden. Ebenso wenig entscheidend ist auch die vom Beklagten - allerdings in einem anderen Zusammenhang - angeführte Tatsache, dass es im Internet eine Vielzahl von Erotik- und Pornografie-Angeboten gibt, die von einem Teil der Bevölkerung auch in Anspruch genommen werden. Selbst bei einer Zusammenschau deuten diese Umstände nicht einmal ansatzweise darauf hin, dass die Darstellerinnen und Darsteller ebenso wie die jeweiligen Internetbenutzer derartige Darbietungen als sittlich einwandfrei bewerten. Erst Recht lässt sich hieraus kein verlässlicher Rückschluss auf die Beurteilung der Rechtsgemeinschaft ableiten.

Dass seitens der Ordnungsbehörden keine Verbote gegen die Verbreitung von Erotik- und Pornografie-Ageboten im Internet ausgesprochen werden, soweit diese keinen strafbaren Inhalt aufweisen, ist ohne Belang. Denn es geht vorliegend nicht um die Erteilung einer Erlaubnis für das vom Kläger beabsichtigte Gründungsvorhaben „TZ.“, sondern um dessen finanzielle Förderung mit öffentlichen Mitteln. Allein aus dem Umstand, dass ein bestimmtes Geschehen mit Mitteln des Polizei- und Sicherheitsrechts nicht verboten wird bzw. gesetzlich nicht verboten werden kann, lässt umgekehrt nicht darauf schließen, dass dieses Geschehen dann zwangsläufig als sittlich einwandfrei zu bewerten ist.

Nach Auffassung der Kammer ist vielmehr entscheidend darauf abzustellen, dass die Herstellung und Produktion von Erotik- und Pornografie-Darbietungen sowie deren Vermarktung auf den Durchschnittsbeurteiler weiterhin als abstoßend, anrüchig und als etwas sittlich-moralisch Zweifelhaftes wirken und sie für den normalen Alltag bzw. im öffentlichen Leben abgelehnt werden. Das beruht darauf, dass - trotz einer immer weitergehenden Herabstufung sexualethischer Maßstäbe - die Vornahme sexueller Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr nach herrschender Anschauung zum Intimbereich zwischen Frau und Mann gehört. Auch weiterhin soll diese Intimsphäre vor Einblicken Dritter - noch dazu zum Zwecke des bloßen Voyeurismus, der sexuellen Stimulierung und der Kommerzialisierung - geschützt sein. Dass diese Meinung in der Rechtsgemeinschaft anerkannt ist, zeigt sich schon allein am faktischen Verhalten der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Diesem Schutzgedanken kommt dabei ein derart hohes Gewicht zu, dass sämtliche, dem zuwiderlaufenden Handlungen einem so eindeutigen Unwerturteil der Rechtsgemeinschaft unterliegen mit der Folge, dass ihre Bewertung als sittenwidrig gerechtfertigt ist.

Das gilt auch für Erotik- und Pornografie-Angebote im Internet, die naturgemäß dem öffentlichen Leben entzogen sind und von dem jeweiligen Benutzer im Schutze der dort vorzufindenden Anonymität und damit quasi „im Geheimen“ in Anspruch genommen werden können. Einerseits bestätigen also eben jene Angebote, dass Erotik und insbesondere Pornografie im öffentlichen Bereich nach wie vor tabuisiert werden. Andererseits erlaubt aber gerade auch die Anonymität des Internets keine andere, für den Kläger günstigere Beurteilung. Vor allem kann mit Blick hierauf nicht eingewandt werden, dass deshalb die Auswirkungen der Erotik- und Pornografie-Darbietungen auf den Benutzer - die sexuelle Stimulation - im Verborgenen bleiben würden und sie deshalb für die sozialethischen Bewertung unbeachtlich wären. Das Gegenteil ist der Fall. Denn bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von gewerbsmäßigen Erotik- und Pornografie-Angeboten im Internet darf keinesfalls von deren beabsichtigter Wirkung auf die Internetbenutzer abgesehen werden. Die angestrebte sexuell stimulierende Wirkung bestimmt die Bewertung dieser Angebote selbst.

Dass Erotik- und Pornografie-Darbietungen von weiten Teilen der Bevölkerung als tragbar angesehen werden, wenn sie auf bestimmte, dafür bekannte Örtlichkeiten („Vergnügungsviertel“) beschränkt bleiben, ist unerheblich. Denn das, was die öffentliche Meinung für bestimmte Örtlichkeiten hinnimmt, verliert auch dort nicht den Makel der Sittenwidrigkeit. Werden nämlich Erotik- und Pornografie-Darbietungen wegen ihres Inhaltes überwiegend als anstößig empfunden, so entfällt diese Beurteilung nicht allein deswegen, weil sie in einer durch ähnliche Erscheinungen geprägten Umgebung stattfinden. Schon aus diesem Grund lässt sich der vorstehende Gedanke nicht auf die Verbreitung von Erotik- und Pornografie-Angeboten im Internet übertragen.

Ebenfalls ohne Belang ist schließlich noch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand, dass er das Konzept seines Gründungsvorhabens „TZ.“ ohne Weiteres entsprechend modifizieren könne. Unabhängig davon, inwieweit er dann im Zuge einer solchen Modifizierung seine eigentliche, sich von anderen Erotik- und Pornografie-Anbietern im Internet abhebende Geschäftsidee aufgeben müsste, kommt es im Rahmen der hier zu entscheidenden Klage allein auf das Konzept an, das seinem Antrag vom 6. April 2009 zugrunde liegt, mithin das im Businessplan vom 12. Oktober 2008 beschriebene Gründungsvorhaben.

Aus alledem folgt, dass die streitige Ablehnungsentscheidung des Beklagten im Ergebnis rechtmäßig ergangen ist. Die vom Kläger hiergegen erhobene Klage konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



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