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OLG München Urteil vom 11.03.1999 - 6 U 2075/98 - Irreführende Werbung für „Eigenhaarverpflanzungen“ in einer „Tagesklinik“

OLG München v. 11.03.1999: Irreführende Werbung für „Eigenhaarverpflanzungen“ in einer „Tagesklinik“


Das OLG München (Urteil vom 11.03.1999 - 6 U 2075/98) hat entschieden:
  1. Eine Eigenhaarverpflanzung bei der männlichen Glatzenbildung (Alopecia androgenetica) unterfällt als Heilbehandlung eines Körperschadens dem Heilmittelwerbegesetz.

  2. Unter einer Bezeichnung als "Tagesklinik" versteht der Verkehr mehr als eine Arztpraxis, selbst wenn dort im ambulanten Betrieb Operationen vorgenommen werden. Es muss dort eine, wenn auch nicht über den Tag hinaus, stationäre Unterbringung für Heilung und Pflege möglich sein.



Siehe auch Haarausfall - Eigenhaartransplantation und Werbung für Medikamente, Heilmittel und medizinische Behandlungen


Tatbestand:

Die Klägerin macht einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch auf dem Gebiet der Heilbehandlung geltend.

Die Klägerin beanstandet die Werbung der Beklagten in deren Prospekten "Die Kunst der kosmetischen Eigenhaarverpflanzung" (Anl. K 1 d.A.) und "Wir über uns. Tageskliniken Deutschland" (Anl. K 2 d.A.) bezüglich der angeführten Seiten als wettbewerbswidrig.

Sie hat geltend gemacht, die Werbung verstoße, soweit die angebliche Wirkung des Verfahrens der Beklagten gezeigt werde, gegen § 11 Nr. 5 a HWG; das beworbene Verfahren richte sich nämlich auf die Beseitigung oder Linderung einer Krankheit, nämlich der Alopecia androgenetica; soweit Abbildungen von Personen in Berufskleidung von Angehörigen der Heilberufe erfolgen, verstoße die Werbung gegen § 11 Nr. 4 HWG. Mit der Bezeichnung ihrer Einrichtung als Tagesklinik verstoße die Beklagte gegen § 3 UWG, da sie eine solche nicht betreibe.

Die Ansprüche seien nicht verjährt. Es sei zwar schon am 19.06.1996 abgemahnt worden. Die Klägerin habe jedoch Kenntnis von der abermaligen Versendung der Prospekte gemäß Anlagen K 1 und K 2 der Akten an Herrn H T unter dem 14.01.1997 erhalten (Klageerhebung mit Schriftsatz vom 02.06.1997, beim Landgericht Augsburg eingegangen und der Beklagten zugestellt am 11.06.1997).

Die Klägerin hat folgende Anträge gestellt:
  1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs und außerhalb der Fachkreise

    1. Werbeschriften zu verteilen, in denen

      1. bildliche Darstellungen von männlichen Personen wiedergegeben sind, je einmal mit fortgeschrittener Glatze und jeweils daneben ein weiteres Mal mit normalem Haarwuchs, wie geschehen auf den Seiten 14, 16, 18, 20, 21, 22, 24 und 25 des Prospektes Anl. K 1, sowie

      2. Abbildungen, von denen die eine 10 Personen zeigt, von denen 8 blaue und 2 weiße Kittel tragen, wie sie in Heilbehandlungskreisen getragen werden, und die andere den Blick in ein Labor freigibt, in dem 3 Personen vor einem Labortisch sitzen, ebenfalls in Kitteln, wie sie in Heilbehandlungskreisen getragen werden, wie geschehen auf S. 11 und S. 12 des Prospektes Anlage K 2;

    2. sich als Tagesklinik zu bezeichnen.

  2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten Ordnungsgeld bis zu 500.000,-​- DM, ersatzweise/oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollziehen an ihrem jeweiligen Geschäftsführer, angedroht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Klagebefugnis der Klägerin in Zweifel gezogen, denn die Klägerin habe nicht die Aufgabe und verfolge auch nicht die gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Klägerin beschäftige sich die Beklagte mit gesunden Menschen, deren kosmetische Probleme sie beseitige. Soweit auch klägerische Mitglieder in dieser Weise tätig werden, sei dies nicht erheblich. Deshalb fehle ein Wettbewerbsverhältnis, zumal die Märkte getrennt seien und verschiedenen Gesetzen gehorchten.

Es liege jedenfalls keine wesentliche Wettbewerbsbeeinträchtigung vor.

Die Verwendung von Vorher-​Nachher-​Bildern und der Gebrauch des Begriffes "Tagesklinik" sei in der Branche der Beklagten üblich. Deshalb fehle auch eine Nachahmungsgefahr. Das Heilmittelwerbegesetz sei nicht anwendbar, weil sich die Werbeaussage nicht auf eine Krankheit beziehe. Die Alopecia androgenetica sei keine Krankheit im Sinne des HWG. Mit dem Wort "Tagesklinik" werde eine im Sinne des § 30 Gewerbeordnung konzessionsfreie Einrichtung bezeichnet, welche nicht die stationäre Aufnahme von Patienten vorsehe. Im übrigen verfügten die Einrichtungen der Beklagten über einen höheren Ausstattungsstandard als Praxen niedergelassener Ärzte. Sie enthielten zusätzlich einen OP-​Trakt mit Sterilisationsraum, Schleuse, Patientenvorbereitung und Warteraum; personell stehe den Einrichtungen neben den Ärzten ein Team von Schwestern und Assistenten zur Verfügung, welche speziell für die Bedürfnisse der vorgenommenen Eingriffe geschult seien.

Sie verfüge auch in ihren Behandlungsräumen in Augsburg über Betten, in denen Patienten über Tag wie in einer Klinik versorgt werden.

Dadurch, dass die Klägerin nach deren Abmahnung auf das Beklagtenschreiben vom 01.07.1996 nicht reagiert habe, habe sie bei der Beklagten den Eindruck einer Erledigung erweckt, worauf die Beklagte habe vertrauen können. Daher gehe die Beklagte von Verjährung oder jedenfalls von Verwirkung aus.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin R B Auf die Sitzungsniederschrift vom 09.10.1997 (Bl. 51/57 d.A.) wird Bezug genommen.

Das Landgericht hat dem Klageantrag bezüglich der Werbeschrift und ihren Abbildungen stattgegeben und die Klage bezüglich der Bezeichnung als Tagesklinik abgewiesen.

Es hat zur Begründung ausgeführt, die Behandlung als solche sei nach ihrer Zweckrichtung, sowie dem Einsatz der Mittel hierzu eine Behandlung im Sinne von § 1 Abs.1 Nr. 2 HWG. Dazu sei die Gegenüberstellung von Abbildungen vorher und nachher sowie eine Abbildung von Personen in der Berufskleidung von Angehörigen der Heilberufe verboten.

Die Bezeichnung als Tagesklinik dagegen sei nicht irreführend, weil sich aus der Aussage der Zeugin B das Vorhandensein bestimmter Einrichtungen, die vom angesprochenen Adressatenkreis bei einer Tagesklinik erwartet werden, ergebe.

Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Die Beklagte ergänzt und vertieft ihr Vorbringen aus erster Instanz.

Sie beantragt,
das Ersturteil abzuändern und die Klage abzuweisen;

sowie

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

sowie

das Ersturteil dahin abzuändern, dass die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel auch verurteilt wird, es zu unterlassen, sich im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs und außerhalb der Fachkreise als Tagesklinik zu bezeichnen.
Beide Parteien beantragen,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin ergänzt und vertieft ebenfalls ihr Vorbringen aus erster Instanz.

Im übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die im Berufungsverfahren von den Parteien eingereichten Schriftsätze samt Abbildungen und das Ersturteil Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

I. Zur Berufung der Beklagten

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt erfolglos. Das Landgericht hat zu Recht einen Unterlassungsanspruch wegen unerlaubter Heilbehandlungswerbung (§ 1 UWG/§ 11 Nr. 4, Nr. 5 b HWG) für gegeben erachtet.

1. Die Klägerin als Berufskammer ist gem. § 13 Abs.2 Nr. 2 UWG klagebefugt.

Ihr gehören die Ärzte in Bayern an, deren berufliche Interessen sie vertritt. Ihr gehören mithin auch die Ärzte an, die sich mit Schönheitschirurgie oder plastisch-​wiederherstellender Chirurgie befassen. Diese stehen in einem jedenfalls abstrakten Wettbewerbsverhältnis zur Beklagten. Der Begriff der ähnlichen Dienstleistungen ist weit zu fassen. Eine Gleichheit der Behandlungsarten ist nicht zu verlangen. Die Beklagte steht auch in Wettbewerb zu Ärzten, die das Problem der ausgefallenen Haare anders angehen.

2. Das Heilmittelwerbegesetz findet auf die angegriffene Werbung der Beklagten Anwendung (§ 1 Abs.1 Nr. 2 HWG). Es handelt sich dabei nicht um bloße Imagewerbung, sondern um Werbung für eine Behandlung der männlichen Glatze (Alopecia androgenetica) durch Eigenhaarverpflanzung.

Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um eine Krankheit handelt. Jedenfalls liegt ein Körperschaden vor, d. h. eine dauernde Abweichung von der normalen körperlichen Beschaffenheit, die weder als (grundsätzlich heilbare) Krankheit noch als Leiden empfunden wird (vgl. Erbs/Kohlhaas-​Pelchen, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 AMG RdNr. 8).

Als normale körperliche Beschaffenheit wird beim Menschen die Bedeckung des Kopfes mit Haaren angesehen, und das völlige oder weitgehende Fehlen von solchen als anormaler Körperzustand. Als Leiden wird die Glatze nicht angesehen, weil sie offenbar in mehr oder minder starker Form häufiger vorkommt und nicht mit körperlichen Beschwerden verbunden ist, vielmehr das Aussehen betrifft.

Weil eine solche Werbung für die Behandlung eines Körperschadens vorliegt, kann der Ansicht der Beklagten, sie unterfalle nicht dem HWG, weil sie einen schriftlichen "exclaimer" angebracht habe, d. h. einen Hinweis, dass es sich um kosmetische Maßnahmen handle, die keine Anwendung finden, wenn der Haarausfall auf gesundheitlichen Störungen beruht, nicht gefolgt werden.

Die Ursache des Haarausfalls ist für den Körperschaden unerheblich, mag eine gesundheitliche Störung auch eine Krankheit bedeuten.

Auf die Art der Beseitigung des Körperschadens, nämlich mit Mitteln der kosmetischen Schönheitschirurgie, kommt es nicht an. Auch eine solche Behandlung unterfällt dem HWG und seinen Regelungen, wie die Einbeziehung der kosmetischen Mittel in § 1 Abs.2 HWG zeigt.

Die Richtlinie 92/28/EWG des Rates über die Werbung für Humanarzneimittel wirkt sich auf den vorliegenden Fall nicht aus, weil es sich hier nicht um die Werbung für Arzneimittel handelt, worauf diese Richtlinie beschränkt ist.

Die Werbung der Beklagten richtet sich an den allgemeinen Verkehr, mithin nicht an Fachkreise (§ 2 HWG).

3. Die angegriffene Werbung der Beklagten unterfällt hinsichtlich der Abbildungen vor und nach der Behandlung dem Werbeverbot des § 11 Nr. 5 b HWG. Es wird dort die Wirkung ihrer Behandlung von der Beklagten bildlich dargestellt durch jeweils ein Foto mit dem Aussehen vorher und dem Aussehen nachher.

4. Die angegriffene Werbung der Beklagten unterfällt hinsichtlich der Abbildung von Personen in Heilbehandlungskleidung dem Werbeverbot des § 11 Nr. 4 HWG.

Das dort auf S. 12 abgebildete Operationsteam trägt in blau und weiß typische Berufskleidung eines solchen Teams.

Die dort auf S. 11 an Labortischen abgebildeten Personen tragen mit grünen Kitteln, Haar- und Mundschutz sowie Handschuhen ebenfalls Berufskleidung und sind als Hilfskräfte im Operationssaal erkennbar.

5. Die Verhaltensweise der Beklagten stellt eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Sinne des § 13 Abs.2 Nr. 2 UWG dar. Die Spürbarkeitsschwelle ist bei speziell geregelten Verboten bestimmter Verhaltensweisen in der Gesundheitswerbung in der Regel überschritten. Gegenteilige Momente sind nicht ersichtlich.

6. Die Verjährungseinrede der Beklagten greift nicht durch. Die Klägerin verlangt Unterlassung für die Zukunft. Da die Beklagte ihre Handlungsweise verteidigt und davon nicht ablassen will, ist, ungeachtet der Frage, ob für den Fall Trost die Verjährung rechtzeitig unterbrochen wurde, Erstbegehungsgefahr gegeben.

7. Der Verwirkungseinwand der Beklagten greift nicht durch. Dem steht schon entgegen, dass die Beklagte wegen ihres Verhaltens von der Klägerin abgemahnt wurde und eine anschließende Untätigkeit der Klägerin ein Jahr lang nicht ausreicht, um annehmen zu können, ein nunmehriges Vorgehen widerspreche Treu und Glauben. Dem steht aber auch entgegen, dass die Beklagte in der Zwischenzeit keinen besonderen Besitzstand aufgebaut hat, dessen Entziehung bei einem Interessenausgleich ihr nicht zugemutet werden könnte.

Außerdem greift der Verwirkungseinwand nicht ein, wenn es, wie hier, um eine Beeinträchtigung auch der Interessen der Allgemeinheit geht, zumal auf dem Gebiet des Schutzes vor unerlaubter Gesundheitswerbung.

II. Zur Berufung der Klägerin

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt erfolglos.

Die Klage ist bezüglich irreführender Werbung mit der Bezeichnung "Tagesklinik" zu Recht abgewiesen worden; eine irreführende Werbung liegt nicht vor.

Für den Begriff "Tagesklinik" liegt eine gesetzliche Vorgabe nicht vor. Der angesprochene allgemeine Verkehr versteht darunter einerseits weniger als die Einrichtung einer Klinik, in der ein krankheitsbedingtes Verweilen über eine Nacht oder mehrere Nächte möglich ist. Aus dem Bestandteil "Tages-​" schließt er, dass eine Übernachtung nicht gewährt wird.

Andererseits versteht er darunter mehr als eine Arztpraxis, selbst wenn dort im ambulanten Betrieb Operationen vorgenommen werden. Es muss dort eine, wenn auch nicht über den Tag hinaus, stationäre Unterbringung für Heilung und Pflege möglich sein.

Davon geht letztlich auch die Klägerin aus, meint jedoch, derartige Möglichkeiten gebe es bei der Beklagten nicht.

Durch die glaubhafte Aussage der Zeugin B im erstinstanzlichen Verfahren ist auch zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass nicht nur zwei Ruheliegen für Patienten vorhanden sind, sondern in zwei getrennten Patientenzimmern Krankenhausbetten, Schrank, Tisch und Fernseher, welche Einrichtungen auch benützt werden. Es wird bei Bedarf Essen verabreicht; ebenso gibt es durch eine Krankenschwester Medikamente, auch Spritzen. Unter diesen Umständen ist der Begriff der Tagesklinik erfüllt.

Mit der Bezeichnung als Tagesklinik wird die Beklagte entgegen der Meinung der Klägerin nicht Störerin bezüglich eines Verstoßes der dort arbeitenden Ärzte gegen ein für diese bestehendes Werbeverbot. Ein solcher Verstoß ist nicht ersichtlich, weil Ärzte in der Werbung der Beklagten nicht genannt werden und auch sonst als solche nicht in Erscheinung treten. Es handelt sich nur um eine Werbung für die Einrichtung.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer war gem. § 546 Abs.2 ZPO festzusetzen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.










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